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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 271/16
  5. Verkündet am:
  6. 6. Juli 2017
  7. Kluckow
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. ECLI:DE:BGH:2017:060717UIXZR271.16.0
  13. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 6. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterin
  15. Lohmann, den Richter Prof. Dr. Pape, die Richterin Möhring und den Richter
  16. Meyberg
  17. für Recht erkannt:
  18. Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 20. Oktober 2016 wird auf Kosten der
  19. Beklagten zu 2 bis 4 zurückgewiesen.
  20. Von Rechts wegen
  21. Tatbestand:
  22. 1
  23. Die Beklagten zu 2 und 3 sind jeweils zur Hälfte Eigentümer eines in der
  24. L.
  25. belegenen und von ihnen zusammen mit dem Beklagten
  26. zu 4 bewohnten Hauses. Aufgrund einer vollstreckbaren notariellen Urkunde
  27. aus dem Jahr 1993 ergibt sich ein dinglicher Anspruch der S.
  28. gegen die Beklagten zu 2 und 3 aus einer im Grundbuch eingetragenen
  29. Grundschuld in Höhe des Grundschuldkapitalbetrags von über 500.000 € nebst
  30. Zinsen und Kosten. Am 20. Dezember 2006 vermieteten sie der vormals am
  31. Prozess beteiligten Beklagten zu 1 - einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist - das Hausgrundstück mit
  32. Ausnahme einer anderweitig vermieteten Einliegerwohnung.
  33. ECLI:DE:BGH:2017:060717UIXZR271.16.0
  34. -3-
  35. 2
  36. Durch nicht angefochtenen Beschluss vom 17. April 2007 ordnete das
  37. zuständige Vollstreckungsgericht auf Antrag der S.
  38. die Zwangsverwal-
  39. tung des Hausgrundstücks an und bestellte den Kläger zum Zwangsverwalter.
  40. Weiter ermächtigte es ihn, sich selbst den Besitz des Grundstücks zu verschaffen. Dieser nahm das Grundstück am 4. Juni 2007 in Besitz und kündigte den
  41. Mietvertrag mit der Beklagten zu 1 zum 30. September 2012 ordentlich.
  42. 3
  43. Weil die Beklagten nicht auszogen, hat der Kläger gegen die Beklagten
  44. zu 1 bis 4 vor dem Amtsgericht Räumungsklage erhoben. Das Amtsgericht hat
  45. der Klage hinsichtlich der Beklagten zu 1 stattgegeben und die Klage gegen die
  46. Beklagten zu 2 bis 4 abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat zunächst keinen Erfolg gehabt. Auf die Revision des Klägers hat der Senat durch Urteil vom
  47. 21. April 2016 (IX ZR 72/14) das (erste) Berufungsurteil aufgehoben und die
  48. Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt: § 149 Abs. 1 ZVG
  49. setze die Wohnnutzung des zwangsverwalteten Grundstücks bei Beschlagnahme kraft Eigentums und unmittelbaren Eigenbesitzes durch den Verfahrensschuldner und seine mitwohnenden Familienangehörigen voraus. Der
  50. Wohnungsschutz für den Verfahrensschuldner und mitwohnende Angehörige
  51. entfalle, wenn das Grundstück vor der Beschlagnahme vollständig an einen
  52. Dritten zur alleinigen Nutzung vermietet und übergeben worden sei. Das gelte
  53. auch, wenn der Verfahrensschuldner es von dem Dritten zurückmiete. Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass die Beklagten zu 2 und 3 als Eigentümer und Verfahrensschuldner zur Zeit der Beschlagnahme unmittelbaren Eigenbesitz an dem zwangsverwalteten Grundstück gehabt hätten. Nunmehr hat
  54. das Berufungsgericht auf die klägerische Berufung das amtsgerichtliche Urteil
  55. abgeändert und die Beklagten zu 2 bis 4 (künftig die Beklagten) neben der Beklagten zu 1 verurteilt, streitgegenständliches Grundstück und Einfamilienhaus
  56. -4-
  57. mit Ausnahme der Einliegerwohnung zu räumen und an den Kläger herauszugeben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision möchten die Beklagten die Zurückweisung der Berufung und die Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung erreichen.
  58. Entscheidungsgründe:
  59. 4
  60. Die Revision hat keinen Erfolg.
  61. I.
  62. 5
  63. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die erste Revisionsentscheidung ausgeführt: Das klägerische Räumungsbegehren sei begründet, weil
  64. die Beklagten sich nicht auf die Schutzvorschrift des § 149 Abs. 1 ZVG berufen
  65. könnten. Auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts und unter Berücksichtigung des wechselhaften Vortrags der Beklagten habe sich die Kammer
  66. davon überzeugt, dass die Beklagten zu 2 und 3 zum Zeitpunkt der Beschlagnahme keinen unmittelbaren Eigenbesitz im Sinne dieser Vorschrift gehabt hätten. Die Beklagten zu 2 und 3 hätten mit der Beklagten zu 1 vor der Beschlagnahme einen Mietvertrag über das Anwesen zur Verhinderung der Zwangsvollstreckung geschlossen. Dieser Mietvertrag sei zu diesem Zweck auch vollzogen
  67. worden, denn die Mietvertragsparteien seien sich einig gewesen, dass der Beklagte zu 2 als Geschäftsführer der Beklagten zu 1 den Besitz an den Wohnräumen fortan für diese habe ausüben sollen.
  68. -5-
  69. II.
  70. 6
  71. Der Kläger kann als Zwangsverwalter von den Beklagten zu 2 und 3 aus
  72. § 150 Abs. 2 ZVG und von dem Beklagten zu 4 aus § 152 Abs. 1 ZVG, § 985
  73. BGB die Überlassung des Besitzes an dem zwangsverwalteten Grundstück verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2016 - IX ZR 72/14, NZI 2016, 594
  74. Rn. 8).
  75. 7
  76. 1. Die Beklagten können sich gegenüber dem Kläger nicht auf § 149
  77. Abs. 1 ZVG berufen, denn die Beklagten zu 2 und 3 waren zum Zeitpunkt der
  78. Beschlagnahme des Grundstücks - trotz der tatsächlichen Sachherrschaft nicht aufgrund ihres Eigentums unmittelbare Eigenbesitzer, weil der Beklagte
  79. zu 2 als Geschäftsführer der Beklagten zu 1 dieser lediglich als Organ der Gesellschaft den Besitz an dem gemieteten Haus vermittelt hat. Mithin waren sie
  80. aufgrund ihrer Eigentümerstellung und des Mietvertrages nur mittelbare Eigenbesitzer des zwangsverwalteten Grundstücks (vgl. BGH, Urteil vom 21. April
  81. 2016, aaO Rn. 11). Davon hat sich das Berufungsgericht in Wahrnehmung seiner tatrichterlichen Verantwortung überzeugt (§ 286 Abs. 1 ZPO). Die gegen
  82. diese Beweiswürdigung von der Revision geltend gemachten Rügen greifen
  83. nicht durch.
  84. 8
  85. a) Das Berufungsgericht hat seine Überzeugung davon, dass zum Zeitpunkt der Beschlagnahme die Beklagte zu 1 aufgrund des Mietvertrages unmittelbare Fremdbesitzerin (vermittelt über den Beklagten zu 2 als Geschäftsführer
  86. der Beklagten zu 1) und die Beklagten zu 2 und 3 mittelbare Eigenbesitzer waren, der Mietvertrag also tatsächlich vollzogen war, aus dem unstreitig abgeschlossenen Mietvertrag der Beklagten zu 2 und 3 mit der Beklagten zu 1 und
  87. dem unstreitigen Verhalten der Beklagten gegenüber dem Kläger im Zwangs-
  88. -6-
  89. verwaltungsverfahren gewonnen. Diese haben dem Kläger bei der Beschlagnahme zur Kenntnis gebracht, dass das Grundstück an die Beklagte zu 1 vermietet sei, welche die vereinbarte monatliche Miete zahle und darüber hinaus
  90. die laufenden Kosten der Instandhaltung und der Betriebskosten trage. Weiter
  91. hat der Beklagte zu 2 bei der Inbesitznahme, vom Kläger auf § 149 ZVG hingewiesen, ausgeführt, der Ausschluss des Kündigungsrechts im Mietvertrag mit
  92. der Beklagten zu 1 biete ihnen einen ausreichenden Schutz. Das Berufungsurteil verweist darauf, die Beklagten hätten zunächst allein auf den Mietvertrag mit
  93. der Beklagten zu 1 verwiesen, erstmals nach Zurückverweisung der Sache
  94. durch den Bundesgerichtshof hätten sie vorgetragen, eine Überlassung des
  95. vermieteten Objekts an die Beklagte zu 1 habe nie stattgefunden.
  96. 9
  97. b) Gegen diese tatrichterliche Beweiswürdigung ist revisionsrechtlich
  98. nichts zu erinnern.
  99. 10
  100. aa) Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen
  101. § 286 Abs. 1 ZPO und Art. 103 Abs. 1 GG den Prozessstoff nicht umfassend
  102. und widerspruchsfrei gewürdigt. Denn die Beklagten hätten vorgetragen, immer
  103. in dem zwangsversteigerten Anwesen ihren Hauptwohnsitz gehabt und nie aufgegeben zu haben. Das Objekt sei nie der Beklagten zu 1 übergeben worden,
  104. so dass die Beklagten zu 2 und 3 immer unmittelbare Eigenbesitzer geblieben
  105. wären. Diesen Vortrag habe das Berufungsgericht nicht unter Hinweis auf den
  106. wechselhaften Vortrag der Beklagten vollständig ausblenden dürfen. Dabei habe es sich über die einschlägigen Rechtsgrundsätze der höchstrichterlichen
  107. Rechtsprechung hinweggesetzt, wonach eine Partei nicht gehindert sei, ihr
  108. Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren,
  109. zu ergänzen oder zu berichtigen.
  110. -7-
  111. 11
  112. bb) Die Rügen haben keinen Erfolg.
  113. 12
  114. (1) Der Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör wurde gewahrt
  115. (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten, sie
  116. hätten ohne Unterbrechung vor und nach der Beschlagnahme ihren Hauptwohnsitz in dem zwangsverwalteten Anwesen gehabt und hätten den Mietvertrag mit der Beklagten zu 1 nie vollzogen, ausweislich der Entscheidungsgründe
  117. zur Kenntnis genommen. Das Berufungsgericht hat nur andere Schlüsse aus
  118. dem Prozessstoff gezogen, als die Beklagten für richtig halten. Das verstößt
  119. nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2011
  120. - IX ZB 242/08, ZIP 2011, 1014 Rn. 3; vom 30. Juni 2011 - IX ZR 139/10, nv
  121. Rn. 3).
  122. 13
  123. (2) Das Berufungsgericht hat nicht gegen § 286 Abs. 1 ZPO verstoßen.
  124. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten
  125. Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach
  126. freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr
  127. oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache
  128. des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559
  129. ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der
  130. Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und
  131. widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und
  132. rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 - IX ZR 174/15, NZI 2016, 736 Rn. 29; vgl.
  133. auch BGH, Urteil vom 8. September 2016 - IX ZR 52/15, NJW 2016, 3783
  134. Rn. 12; vom 9. Februar 2017 - IX ZR 67/16, ZIP 2017, 985 Rn. 15). Solche Fehler weist die Revision nicht nach; sie sind auch nicht ersichtlich. Es trifft nicht zu,
  135. -8-
  136. dass das Berufungsgericht den Prozessstoff nicht umfassend und widerspruchsfrei gewürdigt hat.
  137. 14
  138. Das Berufungsgericht durfte aus dem Umstand des unstreitig wirksam
  139. zustande gekommenen Mietvertrages mit der Beklagten zu 1, aus dem Verhalten der Beklagten zu 1 und 2 im Zwangsverwaltungsverfahren und aus dem
  140. Prozessverhalten der Beklagten schließen, dass die Beklagte zu 1 mit Abschluss des Mietvertrages dadurch unmittelbare Fremdbesitzerin des zwangsverwalteten Grundstücks mit Ausnahme der Einliegerwohnung geworden ist,
  141. dass der Beklagte zu 2 ihr als Organ den Besitz vermittelt hat. In dem Mietvertrag haben die Vertragsparteien als Mietbeginn den 20. Dezember 2006 vereinbart und die Beklagte zu 1 hat sich verpflichtet, monatliche Mietzahlungen zu
  142. erbringen und die Kosten der Instandhaltung und die Betriebskosten zu tragen.
  143. Im Zwangsverwaltungsverfahren hat die Beklagte zu 1 ihre Rechte gegenüber
  144. dem Kläger aus dem Mietvertrag abgeleitet und ist als alleinige Nutzerin und
  145. Besitzerin des Grundstücks aufgetreten. Sie hat die Mieten gezahlt und die Betriebs- und Instandhaltungskosten getragen, wie im Mietvertrag vereinbart, oder
  146. hat sich dessen gegenüber dem Kläger zumindest berühmt. Noch im ersten
  147. Rechtszug haben die Beklagten ihre Rechte gegenüber dem Kläger aus den
  148. Vereinbarungen mit der Beklagten zu 1 abgeleitet. Denn sie haben sich auf den
  149. zwischen der Beklagten zu 1 auf der einen und den Beklagten zu 2 und 3 auf
  150. der anderen Seite geschlossenen Mietvertrag berufen, auf eine Untervermietung verwiesen und ausgeführt, es bestehe zwischen der Beklagten zu 1 und
  151. den Beklagten zu 2 bis 4 eine Wohnraumüberlassung. Damit haben sie den
  152. Vollzug des Mietvertrages vom 20. Dezember 2006 und die Besitzübertragung
  153. auf die Beklagte zu 1 eingeräumt.
  154. -9-
  155. 15
  156. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Berufungsgericht berücksichtigt, dass die Beklagten vor und nach der Beschlagnahme ihren Hauptwohnsitz
  157. in dem zwangsverwalteten Haus hatten und dort auch tatsächlich wohnten.
  158. Dies aber sagt, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, nichts über die
  159. Besitzverhältnisse zum Zeitpunkt der Beschlagnahme aus. Deswegen musste
  160. es aus diesem Umstand nicht darauf schließen, die Beklagten zu 2 und 3 hätten
  161. trotz des Mietvertrages mit der Beklagten zu 1 bei der Beschlagnahme aufgrund
  162. des Eigentums unmittelbaren Eigenbesitz an Grundstück und Haus gehabt. Es
  163. hat auch den entgegenstehenden zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten, der
  164. Mietvertrag sei nicht vollzogen worden, die Beklagten zu 2 und 3 hätten den
  165. Besitz an dem zwangsversteigerten Anwesen nicht auf die Beklagte zu 1 übertragen, zur Kenntnis genommen. Es ist ihm jedoch - rechtsfehlerfrei - nicht gefolgt.
  166. 16
  167. Dieser Vortrag war, entgegen der Annahme der Revision, nicht unbestritten. Der Kläger hat sich durchweg darauf berufen, dass die Beklagte zu 1 alleinige Mieterin und Nutzerin des zwangsverwalteten Grundstücks gewesen sei;
  168. darin liegt die Behauptung, diese habe das Anwesen entweder als unmittelbare
  169. oder als mittelbare (Untermietvertrag mit den Beklagten zu 2 und 3) Fremdbesitzerin besessen. Deswegen hat das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten mit Recht als streitig angesehen und sich mit einer umfassenden und widerspruchsfreien Beweiswürdigung davon überzeugt, dass die Beklagte zu 1 unmittelbare Fremdbesitzerin war, weil der Beklagte zu 2 ihr den Besitz als Organ
  170. vermittelt hat.
  171. 17
  172. (3) Das Berufungsgericht hat mit seiner Beweiswürdigung nicht gegen
  173. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verstoßen.
  174. - 10 -
  175. 18
  176. Allerdings verweist die Revisionsbegründung auf eine ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach eine Partei nicht gehindert ist, ihr
  177. Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren,
  178. zu ergänzen oder zu berichtigen (BGH, Urteil vom 5. Juli 1995 - KZR 15/94,
  179. WM 1995, 1775 f; Beschluss vom 16. April 2015 - IX ZR 195/14, NJW-RR 2015,
  180. 829 Rn. 16; vom 10. November 2016 - I ZR 235/15, Grundeigentum 2017, 349
  181. Rn. 15). Deswegen darf bei der Beurteilung der Schlüssigkeit eines Vorbringens
  182. Tatsachenvortrag nicht allein deswegen unberücksichtigt gelassen werden, weil
  183. er sich zu früherem Vorbringen in Widerspruch setzt (BGH, Urteil vom 5. Juli
  184. 1995, aaO). Eine Partei darf im zweiten Rechtszug anders vortragen als in der
  185. ersten Instanz, denn sie ist in der Berufungsinstanz, außer bei einem gerichtlichen Geständnis nach § 288 ZPO, nicht an ihr erstinstanzliches Vorbringen gebunden. Auch können für einen Klageantrag, sofern nicht eine bewusste Verletzung der Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) gegeben ist, in tatsächlicher Hinsicht widersprechende Begründungen gegeben werden, wenn das Verhältnis
  186. dieser Begründungen zueinander klargestellt ist, sie also nicht als ein einheitliches Vorbringen geltend gemacht werden (BGH, Beschluss vom 16. April 2015,
  187. aaO). Der auf einem erheblichen, wenn auch widersprüchlichen Vortrag beruhende Beweis ist zu erheben (BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - I ZR
  188. 22/12, TranspR 2013, 430 Rn. 11; vom 22. März 2016 - VI ZR 163/14, nv Rn. 8;
  189. vom 10. November 2016 - I ZR 235/15, aaO).
  190. 19
  191. Dass das Berufungsgericht aufgrund des widersprüchlichen Vortrags der
  192. Beklagten Beweisangebote der Beklagten übergangen hätte, macht die Revision nicht geltend. Auch behandelt das Berufungsgericht den Vortrag der Beklagten nicht als unschlüssig. Sondern es unterzieht den widersprüchlichen Vortrag
  193. einer Beweiswürdigung. Dies aber ist ihm erlaubt, wie sich aus den zitierten
  194. Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergibt. Danach können entstehende
  195. - 11 -
  196. Widersprüchlichkeiten im Parteivortrag im Rahmen der Beweiswürdigung Beachtung finden (BGH, Beschluss vom 10. November 2016, aaO). Denn Erkenntnisquellen der Beweiswürdigung sind auch der Sachvortrag und das Prozessverhalten der Parteien. Verwertbar ist deshalb der Inhalt der Schriftsätze
  197. und ihrer Anlagen, aber auch Art, Zusammenhang und Zeitpunkt des Vorbringens, eine Änderung des Sachvortrags (BGH, Urteil vom 5. Juli 1995 - KZR
  198. 15/94, WM 1995, 1775, 1176 oder gar mehrfach wechselnder Vortrag
  199. (BAGE 83, 105, 124).
  200. 20
  201. Zu Unrecht meint die Revisionsbegründung, der Vortrag der Beklagten
  202. sei nicht widersprüchlich. Die Beklagten haben nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht - mithin zu einem Zeitpunkt, als den Parteien aufgrund der Entscheidung des Senats vom 21. April 2016 (IX ZR 72/14, NZI 2016,
  203. 594) bekannt war, dass es für die Entscheidung des Falles maßgeblich darauf
  204. ankommen werde, ob die Beklagten das zwangsverwaltete Grundstück bei der
  205. Beschlagnahme zu Wohnzwecken kraft Eigentums und unmittelbaren Eigenbesitzes genutzt hätten - einerseits vorgetragen, nach Abschluss des Mietvertrages habe die Beklagte zu 1 den Beklagten das vermietete Anwesen als Teil des
  206. Sachbezugs für die Leistungen des Beklagten zu 2 als Geschäftsführer belassen. Dies setzt notwendig voraus, dass der Beklagten zu 1 aufgrund des Mietvertrages der Besitz an dem Anwesen übertragen worden war. Andererseits
  207. haben sie vorgetragen, die Beklagten zu 2 und 3 hätten den Besitz an dem
  208. vermieteten Anwesen nicht auf die Beklagte zu 1 übertragen. Des Weiteren ist
  209. der Vortrag, der Mietvertrag mit der Beklagten zu 1 sei nicht vollzogen worden,
  210. weder mit dem Verhalten der Beklagten im Zwangsverwaltungsverfahren noch
  211. mit ihrem erstinstanzlichen Vortrag in Übereinstimmung zu bringen.
  212. - 12 -
  213. 21
  214. 2. Weitere Rechte auf Besitz gegenüber dem Kläger machen die Beklagten nicht geltend. Sie haben nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht ausdrücklich in Abrede gestellt, mit der Beklagten zu 1 einen Untermietvertrag geschlossen zu haben. Auf den Mieterschutz des § 565 BGB
  215. haben sie sich nicht berufen. Auch haben sie mit Recht gegenüber dem Kläger
  216. keine etwaigen Rechte des Beklagten zu 2 aus dem Anstellungsvertrag mit der
  217. Beklagten zu 1 geltend gemacht.
  218. Kayser
  219. Lohmann
  220. Möhring
  221. Pape
  222. Meyberg
  223. Vorinstanzen:
  224. AG Lutherstadt Wittenberg, Entscheidung vom 28.08.2013 - 8 C 599/12 (IV) LG Dessau-Roßlau, Entscheidung vom 20.10.2016 - 5 S 195/13 -