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9.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZR 202/08
  4. vom
  5. 27. April 2010
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  9. Dr. Ganter und die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und
  10. Grupp
  11. am 27. April 2010
  12. beschlossen:
  13. Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 10. Oktober 2008 zugelassen.
  14. Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  15. Der Wert des Revisionsverfahrens wird auf 40.600 € festgesetzt.
  16. Gründe:
  17. I.
  18. 1
  19. Der Kläger ist Verwalter in dem am 15. Juli 2004 auf Eigenantrag vom
  20. 31. März 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der N.
  21. GmbH & Co. KG
  22. (fortan: Schuldne-
  23. rin). Diese hatte Büroräume und Hallen von der Beklagten gemietet. Aus einer
  24. - 3 -
  25. mit "Aufhebungsvertrag" überschriebenen Vereinbarung vom 17. Dezember
  26. 2003 standen der Beklagten neben einem Einmalbetrag von brutto 47.208,52 €
  27. für die weiterhin "längstens bis zum 30.03.2004" überlassenen Räumlichkeiten
  28. monatlich 15.736,17 € (brutto) zu. Mit Schreiben vom 6. Januar 2004 teilte die
  29. Schuldnerin der Beklagten mit, dass sich ihre Liquiditätslage weiter verschlechtert habe und sie nicht in der Lage sei, die Verpflichtungen aus der als Vergleich
  30. bezeichneten Vereinbarung vom 17. Dezember 2003 zu erfüllen. Sie bot der
  31. Beklagten ihr Anlagevermögen "bis zur Erfüllung des abgeschlossenen Vergleichs" "als Sicherheit" an. Unter dem Datum vom 29. Januar 2004 berechnete
  32. die Schuldnerin der Beklagten für den Fuhrpark und das sonstige Anlagevermögen einen Betrag von brutto 40.600 €, den die Beklagte durch Verrechnung
  33. mit den höheren Mietverbindlichkeiten tilgte.
  34. 2
  35. Der Kläger hält die Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam, weil
  36. der Erwerb der Aufrechnungsmöglichkeit als inkongruente Deckung und als
  37. vorsätzliche Gläubigerbenachteiligung anfechtbar sei. Er hat hierzu unter anderem geltend gemacht, dass die Gegenforderung im letzten Monat vor der Antragstellung begründet worden sei. Die über den Kaufpreis ausgestellte Rechnung sei rückdatiert worden. Dies ergebe sich aus der "Bewegungsbilanz" des
  38. Steuerberaters der Schuldnerin, die einen Abgang beim Sachanlagevermögen
  39. erst für den Monat März 2004 ausweise. Die Rechnungsnummer der fraglichen
  40. Rechnung sei doppelt vergeben worden. Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung des
  41. Finanzamts B.
  42. habe ergeben, dass der Umsatz im Zusammenhang
  43. mit der Veräußerung des Anlagevermögens in der am 8. März 2004 beim
  44. Finanzamt eingegangenen Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2004 nicht
  45. enthalten gewesen sei.
  46. - 4 -
  47. 3
  48. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat
  49. sie abgewiesen.
  50. II.
  51. 4
  52. Die Revision ist zulässig und begründet, weil das angefochtene Urteil
  53. den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
  54. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung
  55. der Sache an das Berufungsgericht (§ 544 Abs. 7 ZPO).
  56. 5
  57. 1. Das Berufungsgericht hat zu der von ihm verneinten Anfechtbarkeit
  58. der Herstellung der Aufrechnungslage gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 131 Abs. 1
  59. Nr. 1 InsO ausgeführt: Die Aufrechnungslage sei allerdings durch eine inkongruente Deckung herbeigeführt worden, weil die Beklagte auf die Schaffung der
  60. Aufrechnungslage keinen Anspruch gehabt habe. Eine objektive Gläubigerbenachteiligung sei ebenfalls nicht zu verneinen. Der Kläger habe jedoch nicht
  61. bewiesen, dass der Kaufvertrag erst nach dem 1. März 2004 abgeschlossen
  62. worden sei. Der Zeuge St.
  63. habe dies nicht mit der erforderlichen Gewissheit
  64. bestätigen können. Die vom Kläger weiter angeführten Indizien ließen nicht den
  65. zwingenden Schluss zu, dass der Kaufvertrag erst im März 2004 geschlossen
  66. worden sei. Für den Abschluss eines Kaufvertrages im letzten Monat vor Antragstellung könnte allerdings sprechen, dass der Abgang der Gegenstände in
  67. der Bewegungsbilanz im März 2004 gebucht worden sei. Eine hierdurch hervorgerufene Indizwirkung werde jedoch schon wieder dadurch in Frage gestellt,
  68. - 5 -
  69. dass andererseits der Kauferlös unter dem 29. Januar 2004 gebucht worden
  70. sei. Allein aufgrund der buchungstechnischen Verfahrensweise sei ein sicherer
  71. Schluss auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses nicht zu ziehen.
  72. 6
  73. Demgegenüber rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass diese Würdigung zwei wesentliche Indizien völlig unberücksichtigt lasse. Die auf den
  74. 29. Januar 2004 datierte Rechnung für das verkaufte Anlagevermögen trage die
  75. Buchungsnummer 92.075. Diese sei von der Schuldnerin doppelt vergeben
  76. worden. Sie betreffe auch eine Rechnung über den Verkauf einer Europalette
  77. an die S.
  78. vom selben Tage, dem 29. Januar 2004. Der hier-
  79. zu als Zeuge vernommene damalige Geschäftsführer der Schuldnerin, St. ,
  80. habe die Identität der Rechnungsnummern bestätigt, dafür aber keine Erklärung
  81. gehabt. Die Indizwirkung der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der angeblichen Veräußerung des Anlagevermögens sei ebenfalls in verfahrenswidriger
  82. Weise unberücksichtigt geblieben.
  83. 7
  84. 2. Diese Gehörsrügen sind begründet. Das Berufungsgericht hat unter
  85. Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG Teile des entscheidungserheblichen Vorbringens des Klägers übergangen.
  86. 8
  87. a) Die doppelte Verwendung einer Rechnungsnummer stellt, wenn es für
  88. die Doppelvergabe keine nachvollziehbare Erklärung gibt, ein starkes Indiz für
  89. ein manipulatives Vorgehen des Rechnungsstellers dar. Der hierzu vernommene Zeuge St.
  90. hat ausweislich der Sitzungsniederschrift keine plausible Erklä-
  91. rung dafür geben können, warum die umstrittene Rechnung dieselbe Nummer
  92. trägt wie die an S.
  93. gerichtete. Hierbei fällt auf, dass das äußere Erschei-
  94. - 6 -
  95. nungsbild der Rechnung S.
  96. eine Fülle von signifikanten Übereinstimmungen
  97. mit der ebenfalls bei den Akten befindlichen Rechnungsdurchschrift vom
  98. 29. Januar 2004 mit der Folgenummer 92.076 aufweist, gerichtet an die
  99. T.
  100. GmbH. Von dem gemeinsamen Erscheinungsbild dieser bei-
  101. den Rechnungen weicht die umstrittene Rechnung in einer Reihe von Punkten
  102. ab. Dies beginnt mit der Schreibweise der "Null" und setzt sich fort unter anderem bei derjenigen der Jahreszahl und (gleich mehrere Abweichungen fallen ins
  103. Auge) bei der Schreibweise der Umsatzsteuerposition. Auf ein manipulatives
  104. Vorgehen der Schuldnerin durch "Rückverlegung" der anfechtungsrelevanten
  105. Vorgänge weist auch der Umstand hin, dass nach den Ergebnissen der Sonderprüfung des Finanzamts ausweislich des Prüfungsberichts vom 29. September 2004 der entsprechende Umsatz und der Vorsteuerbetrag aus der Veräußerung des Anlagevermögens in die Umsatzsteuer-Voranmeldung für den
  106. Monat Januar 2004 keinen Eingang gefunden haben. Die entsprechende Erklärung der Schuldnerin ist am 8. März 2004 beim Finanzamt eingegangen. Die
  107. Nichtberücksichtigung der Beträge aus der umstrittenen Rechnung spricht ebenfalls dafür, dass diese Rechnung erst nach diesem Zeitpunkt und damit in
  108. dem letzten Monat vor Antragstellung erstellt und zum Nachteil der Gläubigergesamtheit rückdatiert worden ist.
  109. 9
  110. Die vorstehenden, bei der Beweiswürdigung vollständig unberücksichtigt
  111. gebliebenen Umstände lassen auch die vom Berufungsgericht verwerteten Indiztatsachen in einem anderen Licht erscheinen. Deuten gleich mehrere gewichtige Umstände darauf hin, dass der Schuldner manipulativ vorgegangen ist,
  112. um freie Teile seines Anlagevermögens dem Zugriff der Gläubigergesamtheit
  113. zu entziehen, stellt es entgegen der Beweiswürdigung der Vorinstanz auch
  114. - 7 -
  115. kein entlastendes Indiz dar, dass in einem im Anfechtungsprozess vorgelegten
  116. Ausdruck des Jahreskontos der Schuldnerin per 2. September 2008 nach dem
  117. "derzeitigen Stand der Buchführung" die Buchung des Kauferlöses schon unter
  118. dem 29. Januar 2004 erfolgt ist.
  119. 10
  120. b) Das Verfahren des Berufungsgerichts findet in den Vorschriften des
  121. Prozessrechts (§ 286 ZPO) oder des materiellen Rechts keine Stütze und verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Das angefochtene Urteil beruht auf der Gehörsverletzung. Dies ist bereits dann der Fall, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte (BVerfGE 60, 247, 250; 89, 381, 392 f; BGH, Urt. v. 18. Juli
  122. 2003 - V ZR 187/02, NJW 2003, 3205). Liegt der maßgebliche Zeitpunkt (§ 140
  123. Abs. 1 InsO) in dem von § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO geschützten Zeitraum, so ist,
  124. wovon das Berufungsgericht zutreffend ausgeht (II 1 und 2 der Urteilsgründe),
  125. die von der Beklagten erklärte Aufrechnung insolvenzrechtlich unwirksam.
  126. 11
  127. 3. Bei dieser Sachlage kommt es in diesem Verfahrensabschnitt nicht
  128. mehr darauf an, dass die Vorinstanz - wie der Kläger mit Recht als Verstoß
  129. gegen Art. 103 Abs. 1 GG rügt - zum angenommenen Anfechtungszeitpunkt
  130. "29. Januar 2004" fällige Zahlungsverpflichtungen von nur 17.475,96 € festgestellt hat. In erster Instanz waren nach dem unstreitigen, wenn nicht sogar von
  131. der Beklagten zugestandenen Vorbringen des Klägers Mieten von 47.208,52 €
  132. - 8 -
  133. fällig. Die Ablehnung der Deckungsanfechtung nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO
  134. leidet deshalb ebenfalls an einem Gehörsverstoß.
  135. Ganter
  136. Raebel
  137. Gehrlein
  138. Kayser
  139. Grupp
  140. Vorinstanzen:
  141. LG Lübeck, Entscheidung vom 30.03.2007 - 4 O 142/06 OLG Schleswig, Entscheidung vom 10.10.2008 - 1 U 62/07 -