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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. IX ZR 159/00
  4. URTEIL
  5. in dem Rechtsstreit
  6. Verkündet am:
  7. 20. November 2001
  8. Bürk
  9. Justizhauptsekretärin
  10. als Urkundsbeamtin
  11. der Geschäftsstelle
  12. -2-
  13. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 20. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die
  15. Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Ganter und Kayser
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats
  18. des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig
  19. vom 31. März 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
  20. die Berufung gegen die Abweisung der Anfechtungsklage wegen
  21. der Zahlungen vom 25. Juni 1997 in Höhe von 19.083,14 DM und
  22. vom 30. Juni 1997 in Höhe von 182.155,36 DM und wegen der
  23. entsprechenden Zinsen zurückgewiesen worden ist.
  24. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an den 4. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
  25. Von Rechts wegen
  26. Tatbestand:
  27. Der klagende Konkursverwalter nimmt nach den Vorschriften der Konkursanfechtung den verklagten Sozialversicherungsträger auf Rückgewähr von
  28. Beitragszahlungen der späteren Gemeinschuldnerin (im folgenden nur noch:
  29. Gemeinschuldnerin) in Anspruch.
  30. -3-
  31. Im Sommer 1996 endete ein Vergleichsverfahren zur Abwendung des
  32. Konkurses über das Vermögen der Gemeinschuldnerin mit einem Vergleich.
  33. Davon hatte die Beklagte Kenntnis. Bereits ab September 1996 zahlte die Gemeinschuldnerin die Sozialversicherungsbeiträge wieder mit Verzögerung, teilweise erst nach Einleitung der Zwangsvollstreckung. Die am 15. Februar 1997
  34. fälligen Beiträge für Januar 1997 in Höhe von 175.538,36 DM sollten von der
  35. Gemeinschuldnerin durch Scheck bezahlt werden. Dieser wurde indes bei
  36. Vorlage nicht eingelöst. Der Beklagten wurde eine telegraphische Überweisung
  37. avisiert. Sie erhielt die Beiträge jedoch erst Anfang April 1997. Inzwischen waren am 15. März 1997 die Februar-Beiträge in Höhe von insgesamt
  38. 156.250,24 DM fällig geworden. Auch diese wurden nach Mahnung nicht bezahlt. Ein deswegen am 8. April 1997 durchgeführter Vollstreckungsversuch
  39. verlief fruchtlos. Nachdem die Beklagte am 10. April 1997 erfolglos einen Konkursantrag angedroht hatte, stellte sie diesen am 2. Mai 1997. Sie begründete
  40. ihn damit, daß die Gemeinschuldnerin zahlungsunfähig im Sinne der Konkursordnung sei. Am 21. Mai 1997 übersandte die Gemeinschuldnerin der Beklagten einen Scheck über 173.527,86 DM zur Begleichung der offenen Beiträge
  41. für Februar 1997. Am 28. Mai 1997 wurde der Scheck nicht eingelöst. Bereits
  42. mit Schreiben vom 27. Mai 1997 entschuldigte sich die Gemeinschuldnerin bei
  43. der Beklagten für die Nichteinhaltung der Zahlungsverpflichtungen. Sie wies
  44. darauf hin, "die wirtschaftliche Situation ... und die Rückgänge im Umsatz"
  45. hätten bei ihr zu Liquiditätsproblemen geführt, stellte die Überweisung der angemahnten Beträge in Aussicht und bat um Zurücknahme des Konkursantrages. Am 30. Mai 1997 zahlte sie 372.706,55 DM. Daraufhin nahm die Beklagte
  46. ihren Konkursantrag am 4. Juni 1997 zurück. Mittlerweile waren am 15. Mai
  47. 1997 die Beiträge für April 1997 fällig geworden. Auf diese zahlte die Gemein-
  48. -4-
  49. schuldnerin am 19./25. Juni 1997 per Scheck 19.083,14 DM. Ein weiterer, von
  50. der Gemeinschuldnerin für die April-Beiträge ausgestellter Scheck über
  51. 182.155,36 DM wurde nicht eingelöst. Statt dessen zahlte die Gemeinschuldnerin den fraglichen Betrag per "Blitzüberweisung" am 30. Juni 1997. Am selben Tage stellten die O. GmbH & Co. KG und am 17. Juli 1997 erneut die Beklagte Konkursantrag. Diese Anträge führten zur Verfahrenseröffnung.
  52. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Die Revision des
  53. Klägers hat der Senat nur wegen der Rückforderung der Zahlungen vom 25.
  54. und 30. Juni 1997 in Höhe von insgesamt 201.238,50 DM angenommen. Insoweit verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
  55. Entscheidungsgründe:
  56. Im Umfang der Annahme führt die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  57. I.
  58. Das Berufungsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:
  59. Der Anfechtungsgrund des § 31 Nr. 1 KO greife nicht ein, weil kein Anhalt für die Annahme bestehe, daß die Schuldnerin bei ihren Rechtshandlungen in der der Beklagten bekannten Absicht gehandelt habe, ihre Gläubiger zu
  60. -5-
  61. benachteiligen. Die Voraussetzungen des § 30 Nr. 2 KO seien nicht erfüllt, weil
  62. die Beklagte eine kongruente Deckung erhalten habe. Der Kläger könne auch
  63. nicht den Anfechtungsgrund des § 30 Nr. 1 Fall 2 KO geltend machen. Unerheblich sei, daß die angefochtenen Zahlungen nach dem Konkursantrag vom
  64. 2. Mai 1997 erfolgt seien; denn dieser habe nicht zur Verfahrenseröffnung geführt. Unerheblich sei des weiteren, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt der Leistungserbringung zahlungsunfähig gewesen sei, weil die Beklagte eine etwaige
  65. Zahlungsunfähigkeit nicht gekannt habe.
  66. II.
  67. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  68. 1. Da das Berufungsgericht offen gelassen hat, ob im Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen auf Seiten der Gemeinschuldnerin die Voraussetzungen der Zahlungseinstellung vorlagen (§ 30 Nr. 1 Fall 2 oder Nr. 2 KO), ist in
  69. der Revisionsinstanz zugunsten des Klägers davon auszugehen.
  70. 2. Mit der Begründung des Berufungsgerichts kann das Vorliegen der
  71. subjektiven Anfechtungsvoraussetzungen nicht verneint werden.
  72. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, das sich davon überzeugt
  73. zeigt, daß die Mitarbeiter K. und W. der Beklagten eine Zahlungseinstellung
  74. nicht gekannt haben, wird von der Revision erfolgreich mit Verfahrensrügen
  75. angegriffen. Das Berufungsgericht hat nicht berücksichtigt (§ 286 ZPO), daß
  76. die Gemeinschuldnerin in den letzten drei Monaten vor den angefochtenen
  77. -6-
  78. Zahlungen drei Mal einen Scheck nicht eingelöst hat, und zwar am 12. März
  79. 1997, am 28. Mai 1997 - wobei schon diese Nichteinlösung mit "Liquiditätsproblemen" entschuldigt worden ist - und am 24. Juni 1997. Hinsichtlich des zuletzt genannten Vorgangs hat das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht
  80. beanstandet, die Aussage des bei der Beklagten angestellten Zeugen K. außer
  81. acht gelassen, sein Kollege W. habe die Gemeinschuldnerin am 23. Juni 1997
  82. als Vollstreckungsbeamter aufgesucht und dabei über die beiden Beträge, um
  83. die nunmehr gestritten wird, zwei Schecks ausgehändigt bekommen. Der über
  84. den höheren Betrag (182.155,36 DM) ausgestellte Scheck sei kurz danach (am
  85. 24. Juni 1997) nicht eingelöst worden. "Platzt" ein dem Vollstreckungsbeamten
  86. zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gegebener Scheck, muß das den
  87. Vollstreckungsgläubiger selbst dann alarmieren, wenn kurz danach eine
  88. "Blitzüberweisung" in Höhe des ausgefallenen Betrages eingeht. Jedenfalls
  89. kann fortan nicht mehr, wie es das Berufungsgericht getan hat, auf den uneingeschränkt positiven Eindruck abgehoben werden, den die Angestellten der
  90. Beklagten von dem Betrieb der Gemeinschuldnerin aus Äußerungen von deren
  91. leitenden Mitarbeitern gewonnen haben wollen. Das Berufungsgericht hat ferner nicht berücksichtigt, daß die Gemeinschuldnerin eine am 4. Juni 1997 mit
  92. der Beklagten getroffene Zahlungsabsprache hinsichtlich der April-Beiträge
  93. nicht eingehalten hat. Außer acht gelassen hat es schließlich, daß zum Zei tpunkt der Zahlung vom 25. Juni 1997 bereits wieder die Beiträge für Mai 1997
  94. fällig, aber nicht beglichen worden waren. Das Berufungsgericht hat pauschal
  95. von "immer wieder eingetretenen erheblichen Rückstände(n)" gesprochen und
  96. diese unter Hinweis darauf verharmlost, daß sie "jeweils durch größere Übe rweisungen vollständig zurück-" geführt worden seien. Eine vollständige Rückführung hat jedoch zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.
  97. -7-
  98. III.
  99. Das angefochtene Urteil ist auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis teilweise richtig (§ 563 ZPO).
  100. Für den Fall, daß die Anfechtung durchgreift, beruft sich die Beklagte
  101. "bezüglich der Hälfte der Klagesumme" auf ein Aussonderungsrecht. Die Arbeitnehmeranteile an den vereinnahmten Sozialversicherungsbeiträgen (vgl.
  102. §§ 28 d ff. SGB IV) habe die Gemeinschuldnerin als Treuhänderin für ihre Arbeitnehmer gezahlt. Stünde die Zahlung noch aus, könnte die Beklagte die
  103. Aussonderung der fraglichen Beträge verlangen. Dann könne auch der Kläger
  104. nicht auf Herausgabe gemäß § 37 KO bestehen, weil er die Beträge sogleich
  105. wieder an die Beklagte auskehren müßte.
  106. Diese Einwendung greift nicht durch. Wie der Senat vor kurzem entschieden hat (Urt. v. 25. Oktober 2001 - IX ZR 17/01, Umdruck S. 6 ff, z.V.b. in
  107. BGHZ), gehören die Beiträge zur Sozialversicherung in vollem Umfang - also
  108. auch die sogenannten Arbeitnehmeranteile - zu dem Vermögen des Arbeitgebers.
  109. IV.
  110. Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Die
  111. Sache ist zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO); dabei macht der Senat
  112. von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
  113. -8-
  114. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob die angefochtenen Zahlungen nicht sogar inkongruent sind (§ 30 Nr. 2 KO). Da der Kläger vorgetragen hat, die Zahlungen vom 25. und 30. Juni 1997 seien "unter Zwang und
  115. Drohung" geleistet worden (GA 69, 70), und der Zeuge K. bekundet hat, sein
  116. Kollege W. habe die Schecks am 23. Juni 1997 als Vollstreckungsbeamter
  117. entgegengenommen, liegt möglicherweise nahe, daß die Schecks unter Vollstreckungsdruck gegeben worden sind (zur Anwendung des § 30 Nr. 2 KO in
  118. derartigen Fällen vgl. BGHZ 136, 309, 311, 312). Daß nur einer von den
  119. Schecks eingelöst worden, für den Betrag des anderen hingegen kurz danach
  120. eine "Blitzüberweisung" erfolgt ist, rechtfertigt nicht ohne weiteres die Annahme, die Überweisung sei ohne Vollstreckungsdruck geschehen. Denn jene
  121. Überweisung sollte ersichtlich den nicht eingelösten Scheck ersetzen. Liegt
  122. eine inkongruente Deckung vor, kommt es nicht darauf an, ob die Gemeinschuldnerin im Zeitpunkt der Scheckbegebung bzw. der Zahlung ihre Zahlungen eingestellt hatte. Denn die angefochtenen Zahlungen sind innerhalb der
  123. letzten zehn Tage vor Stellung des Konkursantrags durch die O. GmbH & Co.
  124. erfolgt. Die möglicherweise vorliegende Inkongruenz der Deckung wäre nach
  125. ständiger Rechtsprechung ein starkes Beweisanzeichen für eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners und für eine Kenntnis des Gläubigers von dieser
  126. Absicht (BGHZ 123, 320, 326; 137, 267, 283; BGH, Urt. v. 21. Januar 1999
  127. - IX ZR 329/97, ZIP 1999, 406, 407). Dieses Beweisanzeichen müßte die Beklagte entkräften, weil § 30 Nr. 2 KO die Beweislast insoweit dem Anfechtungsgegner auferlegt (BGH, Urt. v. 5. April 2001 - IX ZR 216/98, ZInsO 2001, 464,
  128. 466).
  129. -9-
  130. Selbst wenn die Anwendung des § 30 Nr. 2 KO ausscheidet, sind bei der
  131. Prüfung der Voraussetzungen des § 30 Nr. 1 Fall 2 KO die zu den subjektiven
  132. Anfechtungsvoraussetzungen erhobenen Beweise unter Vermeidung der dargestellten Verfahrensfehler neu zu würdigen. Wegen der Voraussetzungen einer Zahlungseinstellung wird auf das Senatsurteil vom 4. Oktober 2001 (IX ZR
  133. 81/99, ZIP 2001, 2097 f.) verwiesen.
  134. Kreft
  135. Kirchhof
  136. Ganter
  137. Fischer
  138. Kayser