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11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IX ZB 117/12
  4. vom
  5. 25. September 2014
  6. in der Zwangsvollstreckungssache
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. InsO § 89 Abs. 1; VVG § 110
  14. Während des Insolvenzverfahrens ist die Einzelzwangsvollstreckung wegen einer
  15. Insolvenzforderung in den Freistellungsanspruch des Schuldners gegen dessen
  16. Haftpflichtversicherer unzulässig, sofern der Gläubiger seine persönliche Forderung
  17. und nicht das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch
  18. des Schuldners verfolgt.
  19. BGH, Beschluss vom 25. September 2014 - IX ZB 117/12 - LG Hannover
  20. AG Hannover
  21. - 2 -
  22. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
  23. Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer, Grupp und die
  24. Richterin Möhring
  25. am 25. September 2014
  26. beschlossen:
  27. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 52. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 5. November 2012 wird auf
  28. Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.
  29. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
  30. 7.644,29 € festgesetzt.
  31. Gründe:
  32. I.
  33. 1
  34. Die Gläubigerin hat wegen einer durch vorläufig vollstreckbares Urteil
  35. titulierten Geldforderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das
  36. Vermögen ihrer Schuldnerin im Wege der Sicherungsvollstreckung nach § 720a
  37. ZPO die Pfändung der Forderung der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer beantragt. Sie behauptet, der Insolvenzverwalter habe die zu pfändende
  38. Forderung aus der Insolvenzmasse freigegeben. Das Vollstreckungsgericht hat
  39. den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat kei-
  40. - 3 -
  41. nen Erfolg gehabt. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Pfändungsantrag weiter.
  42. II.
  43. 2
  44. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 793
  45. ZPO) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.
  46. 3
  47. 1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, die beabsichtigte Einzelzwangsvollstreckung sei unzulässig. Die Gläubigerin sei als Insolvenzgläubigerin (§ 38
  48. InsO) vom Vollstreckungsverbot des § 89 InsO betroffen, weil der Deckungsanspruch der Schuldnerin nach seiner Freigabe durch den Insolvenzverwalter in
  49. deren sonstiges Vermögen im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO falle.
  50. 4
  51. 2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis
  52. stand. Der von der Gläubigerin betriebenen Zwangsvollstreckung steht das als
  53. Vollstreckungshindernis von Amts wegen zu beachtende (BGH, Beschluss vom
  54. 17. April 2013 - IX ZB 300/11, WM 2013, 939 Rn. 8 mwN) Vollstreckungsverbot
  55. des § 89 Abs. 1 InsO entgegen. Hiernach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in
  56. die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig.
  57. 5
  58. a) Die Gläubigerin gehört zu den von dem Vollstreckungsverbot betroffenen Gläubigern. Mit ihrem Antrag auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses betreibt sie die Sicherungsvollstreckung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen und vorläufig vollstreckbar titulierten persönlichen Anspruchs. Hinsichtlich dieses Anspruchs ist sie deshalb Insolvenzgläubigerin
  59. (§ 38 InsO). Sie wäre nur dann nicht von § 89 Abs.1 InsO betroffen, wenn mit
  60. - 4 -
  61. dem Pfändungsantrag nicht die persönliche Forderung vollstreckt, sondern ein
  62. Absonderungsrecht verwertet werden sollte (BGH, Beschluss vom 12. Februar
  63. 2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rn. 4; MünchKomm-InsO/Breuer, 3. Aufl.,
  64. § 89 Rn. 11, 18, 21; HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 89 Rn. 7; Uhlenbruck, InsO,
  65. 13. Aufl., § 89 Rn. 20; FK-InsO/App, 7. Aufl., § 89 Rn. 6). So liegt der Fall jedoch nicht.
  66. 6
  67. aa) Die Rechtsbeschwerde macht allerdings mit Recht geltend, dass die
  68. Gläubigerin als Haftungsgläubigerin wegen des ihr gegen die Schuldnerin zustehenden Haftungsanspruchs gemäß § 110 VVG abgesonderte Befriedigung
  69. aus dem Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen deren Haftpflichtversicherer verlangen kann, nachdem über das Vermögen der Schuldnerin als Versicherungsnehmerin das Insolvenzverfahren eröffnet ist.
  70. 7
  71. (1) Gemäß § 110 VVG kann der geschädigte Dritte wegen des ihm gegen den Versicherungsnehmer zustehenden Anspruchs abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen,
  72. wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Dies stellt
  73. sicher, dass die Versicherungsleistung dem geschädigten Dritten und nicht den
  74. Gläubigern des Versicherungsnehmers zugutekommt; letzteres widerspräche
  75. der Sozialbindung der Haftpflichtversicherung zu Gunsten des Dritten
  76. (MünchKomm-VVG/Littbarski, § 110 Rn. 5 f; Bruck/Möller/Koch, VVG, 9. Aufl.,
  77. § 110 Rn. 3; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter, VVG, 2. Aufl., § 110 Rn. 1;
  78. vgl. auch BGH, Urteil vom 15. November 2000 - IV ZR 223/99, VersR 2001, 90,
  79. 91). Materiell-rechtlich erlangt der Dritte wegen § 110 VVG in der Insolvenz des
  80. Schädigers ein gesetzliches Pfandrecht am Freistellungsanspruch (BGH, Urteil
  81. vom 28. März 1996 - IX ZR 77/95, VersR 1997, 61, 62 mwN; vom 2. April 2009
  82. - IX ZR 23/08, WM 2009, 960 Rn. 7; vgl. auch MünchKomm-InsO/Ganter,
  83. - 5 -
  84. 3. Aufl., § 50 Rn. 115; aA - im Sinne eines dem gesetzlichen Pfandrecht lediglich ähnlichen Rechts - etwa Jaeger/Henckel, InsO, Vor §§ 49-52 Rn. 20, 22).
  85. 8
  86. (2) Das Absonderungsrecht nach § 110 VVG entsteht bei Vorliegen eines
  87. Schadensfalls schon mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des versicherten Schädigers, auch wenn der Haftpflichtanspruch noch
  88. nicht mit bindender Wirkung für den Versicherer (§ 106 Satz 1 VVG) festgestellt
  89. ist (vgl. Bruck/Möller/Koch, aaO § 110 Rn. 5; Prölss/Martin/Lücke, VVG,
  90. 28. Aufl., § 110 Rn. 3; Thole, NZI 2013, 665, 667). Es bedarf deshalb keiner
  91. Entscheidung, ob auch ein lediglich vorläufig vollstreckbares Urteil, das Grundlage der von der Gläubigerin betriebenen Sicherungsvollstreckung ist, die Fälligkeit des Deckungsanspruchs nach § 106 Satz 1 VVG auslösen kann (so
  92. Prölss/Martin/Lücke, aaO § 106 Rn. 4; Schwintowski/Brömmelmeyer/Retter,
  93. aaO § 106 Rn. 4; aA MünchKomm-VVG/Littbarski, aaO § 106 Rn. 17;
  94. Bruck/Möller/Koch, aaO § 106 Rn. 9; jeweils mwN).
  95. 9
  96. bb) Mit dem Antrag auf Pfändung des Freistellungsanspruchs macht die
  97. Gläubigerin jedoch nicht ihr Absonderungsrecht geltend.
  98. 10
  99. (1) Aufgrund der Regelung in § 110 VVG verfügt die Gläubigerin bereits
  100. über ein Pfandrecht, mindestens über ein pfandrechtsähnliches Recht an dem
  101. Freistellungsanspruch der Schuldnerin. Gemäß dem hiernach anwendbaren
  102. § 50 Abs. 1 InsO sind Gläubiger, die an einem Gegenstand der Insolvenzmasse
  103. ein Pfandrecht haben, nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung an dem Pfandgegenstand berechtigt. Ein Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 166
  104. Abs. 2 InsO besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2013 - IX ZR 176/11,
  105. WM 2013, 935 Rn. 15 mwN). Der deshalb gemäß § 173 Abs. 1 InsO selbst zur
  106. - 6 -
  107. Verwertung berechtigte Gläubiger kann sein Absonderungsrecht entsprechend
  108. den auf sein Sicherungsrecht anwendbaren gesetzlichen Bestimmungen außerhalb des Insolvenzverfahrens durchsetzen (vgl. HK-InsO/Landfermann,
  109. 7. Aufl., § 173 Rn. 2; Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 13. Aufl., § 173 Rn. 3;
  110. Flöther in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2009, § 173 Rn. 7). Als Inhaberin eines
  111. Pfandrechts könnte die Gläubigerin entweder die Forderung der Schuldnerin
  112. gegen ihren Haftpflichtversicherer unmittelbar einziehen (§ 1282 Abs. 1, § 1228
  113. Abs. 2 BGB), nach Feststellung des Haftungsanspruchs somit unmittelbar vom
  114. Versicherer Zahlung verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2004 - IV ZR
  115. 268/03, VersR 2004, 634, 635 mwN; Bruck/Möller/Koch, aaO § 110 Rn. 9 ff;
  116. MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 51 Rn. 236; HK-InsO/Lohmann, 7. Aufl.,
  117. § 51 Rn. 53; Thole, NZI 2013, 665, 667). Einer vorherigen Pfändung bedarf es
  118. in diesem Fall nicht. Alternativ könnte die Gläubigerin nach § 1282 Abs. 2,
  119. § 1277 BGB Befriedigung aus dem mit dem Pfandrecht belasteten Recht suchen. Erforderlich wäre hierfür ein dinglicher Titel auf Duldung der Zwangsvollstreckung oder auf Gestattung der Befriedigung aus dem verpfändeten Recht
  120. (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 2004 - IXa ZB 199/03, BGHReport 2004,
  121. 1323; RGZ 103, 137, 139; Staudinger/Wiegand, BGB, 2009, § 1277 Rn. 2). Aus
  122. einem solchen Titel geht die Gläubigerin nicht vor. Sie betreibt vielmehr die Sicherungsvollstreckung aus einem persönlichen Zahlungstitel. Mit ihrem Absonderungsrecht aus § 110 VVG hat dies nichts zu tun.
  123. 11
  124. (2) Nichts anderes gilt, wenn der Insolvenzverwalter, wie von der Gläubigerin behauptet, den Freistellungsanspruch der Schuldnerin gegen ihren Haftpflichtversicherer freigegeben hat. Das nach § 110 VVG materiell-rechtlich entstandene Pfandrecht am Deckungsanspruch erlischt durch die Freigabe nicht
  125. (BGH, Urteil vom 28. März 1996 - IX ZR 77/95, WM 1996, 835, 837 mwN; vom
  126. 2. April 2009 - IX ZR 23/08, WM 2009, 960 Rn. 7). Seine Verwertung erfolgt
  127. - 7 -
  128. auch in diesem Fall nach den vorstehend angeführten gesetzlichen Bestimmungen. Der Antrag auf Pfändung dient dieser Verwertung nicht.
  129. 12
  130. b) Vollstreckt die Gläubigerin mithin als Insolvenzgläubigerin ihre persönliche Forderung, greift das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO. Dieses
  131. gilt für Vollstreckungen in die Insolvenzmasse wie auch in das sonstige Vermögen des Schuldners. Auf die von der Gläubigerin behauptete Freigabe des Deckungsanspruchs kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht an. Denn die
  132. vom Insolvenzverwalter aus der Masse freigegebenen Gegenstände gehören
  133. zu dem sonstigen Vermögen des Schuldners im Sinne von § 89 Abs. 1 InsO
  134. (BGH, Urteil vom 19. Januar 2006 - IX ZR 232/04, BGHZ 166, 74 Rn. 26; Beschluss vom 12. Februar 2009 - IX ZB 112/06, WM 2009, 807 Rn. 12). Die Zuordnung freigegebener Gegenstände zum sonstigen Vermögen des Schuldners
  135. und damit deren Einbeziehung in den Vollstreckungsschutz des § 89 Abs. 1
  136. InsO soll es dem Schuldner ermöglichen, noch während des Insolvenzverfahrens eine neue wirtschaftliche Existenz zu begründen (vgl. BGH, Beschluss
  137. vom 12. Februar 2009, aaO Rn. 11 mwN). Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, der Freistellungsanspruch des insolventen Versicherungsnehmers
  138. sei hiervon auszunehmen, weil er für dessen neue wirtschaftliche Existenz nicht
  139. erforderlich sei und ein Ausschluss der Einzelzwangsvollstreckung lediglich
  140. dem Haftpflichtversicherer zugutekomme, rechtfertigt dies keine abweichende
  141. - 8 -
  142. Beurteilung. Unbillige Ergebnisse sind nicht zu befürchten. Dem Haftungsgläubiger bleibt es unbenommen, seine Rechte aus § 110 VVG entsprechend den
  143. aufgezeigten gesetzlichen Verfahrensweisen zu verfolgen.
  144. Kayser
  145. Gehrlein
  146. Grupp
  147. Fischer
  148. Möhring
  149. Vorinstanzen:
  150. AG Hannover, Entscheidung vom 31.08.2012 - 715 M 155469/12 LG Hannover, Entscheidung vom 05.11.2012 - 52 T 69/12 -