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- BUNDESGERICHTSHOF
- IM NAMEN DES VOLKES
- URTEIL
- IV ZR 169/06
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- Verkündet am:
- 23. Januar 2008
- Heinekamp
- Justizhauptsekretär
- als Urkundsbeamter
- der Geschäftsstelle
- in dem Rechtsstreit
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- Nachschlagewerk: ja
- BGHZ:
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- nein
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- BGHR:
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- ja
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- MB/KK 94 § 18 Abs. 1 Satz 1 Buchst. d, Abs. 4
- Klauseln in Krankenversicherungsverträgen, die dem Versicherer erlauben, mit
- Zustimmung eines Treuhänders die Bedingungen zu ändern, wenn sich die
- höchstrichterliche Rechtsprechung ändert oder Auslegungszweifel beseitigt
- werden sollen, sind unwirksam.
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- BGH, Urteil vom 23. Januar 2008 - IV ZR 169/06 - OLG Celle
- LG Lüneburg
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- Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
- Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2008
- für Recht erkannt:
- Die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des
- Oberlandesgerichts Celle vom 15. Juni 2006 wird auf
- Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
- Von Rechts wegen
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- Tatbestand:
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- Der Kläger, ein bundesweiter Dachverband der Verbraucherzentralen, verlangt vom Beklagten, zwei Klauseln zur Bedingungsanpassung in
- der privaten Krankenversicherung nicht zu verwenden. § 18 der vom Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden: AVB) entspricht wörtlich § 18 der Musterbedingungen für die
- Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MBKK 94)
- und lautet:
- (1) Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen können unter hinreichender Wahrung der Belange der Versicherten
- vom Versicherer mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders mit Wirkung für bestehende Versicherungsverhältnisse, auch für den noch nicht abgelaufenen Teil des Versicherungsjahres, geändert werden
- a) bei einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der
- Verhältnisse des Gesundheitswesens,
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- b) im Falle der Unwirksamkeit von Bedingungen,
- c) bei Änderungen von Gesetzen, auf denen die Bestimmungen des Versicherungsvertrages beruhen,
- d) bei unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden
- Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der
- Verwaltungspraxis des Bundesaufsichtsamtes für das
- Versicherungswesen oder Kartellbehörden.
- Im Fall der Buchstaben c und d ist eine Änderung nur zulässig, soweit sie Bestimmungen über Versicherungsschutz, Pflichten des Versicherungsnehmers, Sonstige Beendigungsgründe, Willenserklärungen und Anzeigen sowie
- Gerichtsstand betrifft.
- (2) Die neuen Bedingungen sollen den ersetzten rechtlich
- und wirtschaftlich weitestgehend entsprechen. Sie dürfen
- die Versicherten auch unter Berücksichtigung der bisherigen Auslegung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht
- nicht unzumutbar benachteiligen.
- ...
- (4) Zur Beseitigung von Auslegungszweifeln kann der Versicherer mit Zustimmung des Treuhänders den Wortlaut
- von Bedingungen ändern, wenn diese Anpassung vom bisherigen Bedingungstext gedeckt ist und den objektiven Willen sowie die Interessen beider Parteien berücksichtigt.
- Abs. 2 gilt entsprechend.
- 2
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- Der Kläger hält § 18 (1) Satz 1 Buchst. d sowie § 18 (4) AVG für
- unwirksam und verlangt bei Meidung von Ordnungsstrafen, dass der Beklagte diese Bestimmungen nicht mehr in Krankenversicherungsverträge
- einbezieht und sich bei der Abwicklung derartiger Verträge nicht mehr
- auf sie beruft.
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- 3
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- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Beklagte
- die Abweisung der Klage.
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- Entscheidungsgründe:
- 4
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- Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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- I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2006, 1105 veröffentlicht ist, hält die angegriffenen Klauseln für unwirksam. Es stützt sich
- dafür u.a. auf folgende Erwägungen: § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB sei
- mit wesentlichen Grundgedanken des § 178g Abs. 3 VVG nicht vereinbar
- (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Vorschrift erläutere nicht etwa den aus
- § 178g Abs. 3 VVG nach § 18 (1) Satz 1 Buchst. a AVB übernommenen
- Begriff einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse
- des Gesundheitswesens, sondern gehe darüber hinaus. Nach den Bedingungen des Beklagten komme es anders als in § 178g Abs. 3 VVG
- auch nicht darauf an, ob die Änderung erforderlich sei. Da eine Änderung
- nach § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB nicht auf Fälle einer erheblichen Störung des Äquivalenzverhältnisses beschränkt sei, sondern eine einseitige, auch durch Mitwirkung eines Treuhänders nicht ausgeglichene
- Schlechterstellung des Versicherten ermögliche, werde der Versicherte
- auch unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch § 18
- (4) AVB sei unwirksam, u.a. weil sich der Beklagte damit den Folgen des
- § 305c Abs. 2 BGB entziehen wolle. Daher stehe dem nach §§ 3 Abs. 1
- Nr. 1, 4 UKlaG klagebefugten Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG zu.
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- II. Die dagegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht
- durch.
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- 1. § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB weicht von § 178g Abs. 3 VVG
- nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinne nach ab. Die Klausel ist
- daher nicht mehr mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen
- Regelung vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
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- Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass sich aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl.
- BGHZ 123, 83, 85) die Bedeutung der streitigen Klausel unter Buchst. d
- nicht darin erschöpft, die unter Buchst. a als Grund für eine Veränderung
- der Versicherungsbedingungen genannte, nicht nur vorübergehende
- Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens zu konkretisieren. Sie steht vielmehr eigenständig neben der zu Buchst. a (und den
- anderen, alternativ aufgeführten Gesichtspunkten) angesprochenen Änderungsmöglichkeiten. Dafür spricht zudem, dass § 18 (1) Satz 2 AVB
- nur für Satz 1 Buchst. c und d, aber nicht auch für die Bestimmungen zu
- a und b die Änderungsbefugnis auf bestimmte Regelungen des Versicherungsvertrages beschränkt. Mithin wird durch die Bestimmung des § 18
- (1) Satz 1 Buchst. d dem Versicherer bei einer unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Änderungsbefugnis unabhängig von den dafür in § 178g
- Abs. 3 VVG umschriebenen Voraussetzungen eingeräumt. Über die von
- § 178g Abs. 3 VVG gezogenen Grenzen hinaus kann der Versicherer seine Krankenversicherungsbedingungen aber nicht wirksam zum Nachteil
- der Versicherungsnehmer ändern (§ 178o VVG, Senatsurteile vom
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- 12. Dezember 2007 - IV ZR 130/06 - Tz. 12 a.E. und - IV ZR 144/06 Tz. 15 a.E.). Dem damit vom Gesetzgeber vorgegebenen Leitbild wird
- die angegriffene Änderungsklausel in § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB nicht
- gerecht.
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- Abgesehen davon hat der Senat in seinen Urteilen vom 12. Dezember 2007 (aaO) geklärt, dass der Versicherer zu einer Änderung der
- Krankenversicherungsbedingungen nach § 178g Abs. 3 VVG nicht allein
- deswegen berechtigt ist, weil eine Klausel von der Rechtsprechung in einer dem Verwender ungünstigen Weise ausgelegt wird. Auch insofern ist
- § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB mit den wesentlichen Grundgedanken der
- gesetzlichen Regelung nicht vereinbar.
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- 2. Die Bestimmung des § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer darüber hinaus auch ihrem Inhalt nach
- unangemessen: Abweichend von § 178g Abs. 3 Satz 1 VVG soll es nicht
- darauf ankommen, ob eine Änderung der Versicherungsbedingungen zur
- hinreichenden Wahrung der Belange der Versicherten erforderlich erscheint; vielmehr soll ausreichen, dass deren Belange hinreichend gewahrt sind. So wird die Eingriffsschwelle gegenüber der gesetzlichen
- Regelung zum Nachteil des Versicherungsnehmers herabgesetzt (Prölss
- in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 18 MBKK 94 Rdn. 3).
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- § 18 (2) AVB erlaubt die Ersetzung unwirksamer Bedingungen
- durch neue Bedingungen bis zur Grenze einer unzumutbaren Benachteiligung des Versicherungsnehmers, mutet dem Versicherungsnehmer also
- "einfache" Benachteiligungen gegenüber dem bisher Vereinbarten zu.
- Dass die Änderungsbefugnis von der Zustimmung eines Treuhänders
- abhängt, ändert daran nichts. Den Bedingungen lässt sich nämlich nicht
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- entnehmen, dass der Treuhänder einer Änderung etwa nicht zustimmen
- dürfe, wenn sie über die von § 178g Abs. 3 VVG gezogenen Grenzen hinausgeht.
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- Im Übrigen hat der Senat bereits zu einer entsprechenden Anpassungsklausel in der Rechtsschutzversicherung entschieden (BGHZ 141,
- 153, 154 ff.), dass sie den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB), weil er schlechter gestellt werden könnte, als
- er bei Abschluss des Vertrages stand. Insofern ist diese Entscheidung
- durchaus auf Krankenversicherungsverträge übertragbar.
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- 3. Auch die Bestimmung des § 18 (4) AVB ist unwirksam. Sie entspricht nicht dem Leitbild, das der Gesetzgeber in § 305c Abs. 2 BGB für
- Zweifelsfragen bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufstellt. Die Unwirksamkeit der Klausel folgt mithin aus § 307
- Abs. 2 Nr. 1 BGB. Auch das hat der Senat bereits für eine entsprechende
- Klausel in der Rechtsschutzversicherung entschieden (BGHZ aaO 159).
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- Etwas anderes ergibt sich nicht aus der in § 18 (4) Satz 2 AVB angeordneten entsprechenden Geltung des § 18 (2) AVB. Insoweit wird auf die
- Ausführungen unter 2 Bezug genommen.
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- Terno
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- Dr. Schlichting
- Felsch
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- Wendt
- Dr. Franke
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- Vorinstanzen:
- LG Lüneburg, Entscheidung vom 14.12.2005 - 2 O 174/05 OLG Celle, Entscheidung vom 15.06.2006 - 8 U 26/06 -
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