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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZB 11/05
  4. vom
  5. 21. September 2005
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
  9. Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
  10. am 21. September 2005
  11. beschlossen:
  12. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
  13. 22. Februar 2005 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
  14. Wert: 72.808,40 € (Feststellungsabschlag von 20%)
  15. Gründe:
  16. I. Der Kläger hat die Feststellung begehrt, dass bei ihm bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit eingetreten ist, und die Beklagte auf
  17. Zahlung rückständiger Versicherungsleistungen in Anspruch genommen.
  18. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat der Kläger
  19. durch seine zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte rechtzeitig Berufung eingelegt; der Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels
  20. wurde in deren Büro - richtig - auf den 6. Dezember 2004 notiert. Auf Antrag der Prozessbevollmächtigten verlängerte der Vorsitzende des Berufungssenats die Frist zur Berufungsbegründung "auf insgesamt zwei Mo-
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  22. nate und vier Wochen"; sie endete nunmehr am 3. Januar 2005. Wegen
  23. Erkrankung ihrer Bürovorsteherin beauftragte die Prozessbevollmächtigte mit der Eintragung der neuen Frist eine Auszubildende im zweiten
  24. Lehrjahr. Diese löschte die bisherige Frist und trug den Ablauf der verlängerten Frist versehentlich auf den 10. Januar 2005 und die Vorfrist
  25. auf den 3. Januar 2005 ein. Vor Antritt ihres bis zum 4. Januar 2005
  26. dauernden Weihnachtsurlaubs besprach die Prozessbevollmächtigte die
  27. anstehenden Fristen mit der Bürovorsteherin und ließ die auf den
  28. 3. Januar 2005 vermerkte Vorfrist im Kalender streichen, weil die Berufungsbegründung zum damaligen Zeitpunkt im Wesentlichen vorbereitet
  29. war. Nach Urlaubsrückkehr reichte die Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung mit Datum vom 7. Januar 2005 bei Gericht ein. Aufgrund eines Hinweises des Vorsitzenden vom 28. Januar 2005, es sei
  30. beabsichtigt, das Rechtsmittel wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen,
  31. beantragte die Prozessbevollmächtigte mit einem am 8. Februar 2005
  32. eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Bei
  33. ihrer Auszubildenden handele es sich um eine zuverlässige Mitarbeiterin,
  34. die - stichprobenartig überprüft - regelmäßig mit der Berechnung und
  35. Eintragung von Fristen betraut sei, ohne dass ihr bis dahin ein Fehler unterlaufen sei.
  36. Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen und dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung versagt. Das ihm
  37. gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnende Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten liege jedenfalls darin, dass diese die auf den 3. Januar
  38. 2005 eingetragene Vorfrist im Hinblick auf ihre Urlaubsabwesenheit habe
  39. streichen lassen. Der Sinn einer Vorfrist bestehe darin, die Einhaltung
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  41. der Hauptfrist zu sichern; bei Vorlage der Akten sei der Rechtsanwalt zur
  42. eigenverantwortlichen Fristenprüfung aufgefordert. Erst recht gelte dies,
  43. wenn zuvor eine Auszubildende mit der Notierung der Frist beauftragt
  44. worden sei. Hätte die Prozessbevollmächtigte vor Urlaubsantritt die Frist
  45. zum Zwecke der Eintragung einer geänderten Vorfrist geprüft, wäre ihr
  46. die unrichtige Berechnung der Frist zur Berufungsbegründung aufgefallen.
  47. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde. Das
  48. Berufungsgericht habe die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts bei der
  49. Notierung und Streichung von Fristen verkannt. Der gebotene Kontrollaufwand sei gegenüber einer Bürovorsteherin und einer Auszubildenden
  50. gleich hoch, weil es sich in der Praxis eines Anwaltsbüros gar nicht vermeiden lasse, dass auch ein Auszubildender Fristen notiere. Habe sich
  51. dieser in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen, dürfe sich der
  52. Rechtsanwalt auf die Richtigkeit der Fristeneintragung verlassen. Die
  53. Beibehaltung der Vorfrist sei entbehrlich gewesen, weil der fristgebundene Schriftsatz im Wesentlichen fertig gestellt gewesen sei. Die Vorfrist
  54. sei nicht Selbstzweck, sondern diene allein dazu, den Rechtsanwalt auf
  55. die anstehende - hier bereits vorbereitete - Prozesshandlung hinzuweisen.
  56. II. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238
  57. Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil die
  58. Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung (Nr. 1), noch erfordert die
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  60. Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (Nr. 2).
  61. Die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung war dem Kläger schon deshalb zu versagen, weil er die dafür vorgesehene Wiedereinsetzungsfrist
  62. nicht gewahrt hat. Die damit verbundenen Rechtsfragen sind durch die
  63. höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt; auf weiteres kommt es nicht
  64. an.
  65. 1. Die Wiedereinsetzung muss innerhalb eines Monats beantragt
  66. werden, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dabei beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Tage, an dem das Hindernis behoben ist
  67. (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist nicht erst bei Kenntnis des wahren Sachverhalts der Fall. Vielmehr ist das Hindernis behoben, sobald das Fortbestehen der Ursache der Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist (BGH,
  68. Beschlüsse vom 14. Juli 1988 - III ZB 40/87 - BGHR ZPO § 234 Abs. 1
  69. Fristbeginn 1; vom 31. Januar 1990 - VIII ZB 44/89 - VersR 1990, 543
  70. unter 1 a; vom 18. Oktober 2000 - XII ZB 163/00 - FamRZ 2001, 416 unter II 1 a; vom 16. September 2003 - X ZR 37/03 - BGH-Report 2004, 57
  71. unter II 2 a). Die Frist zur Wiedereinsetzung läuft daher ab dem Zeitpunkt, zu dem der beauftragte Rechtsanwalt bei Anwendung der unter
  72. den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können (BGH, Beschlüsse vom 14. Juli
  73. 1988 aaO; vom 31. Januar 1990 aaO). Das war bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers spätestens am 7. Januar 2005 der Fall. Die Frist
  74. zur Wiedereinsetzung endete somit am 7. Februar 2005; der die Wieder-
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  76. einsetzung beantragende Schriftsatz ist erst am 8. Februar 2005 - verspätet - bei Gericht eingegangen.
  77. 2. Ein Rechtsanwalt muss bei fristwahrenden Prozesshandlungen
  78. selbständig und in eigener Verantwortung prüfen, ob die betreffende
  79. Frist richtig ermittelt und eingetragen ist. Anlass dazu besteht jedenfalls
  80. dann, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der Rechtsmittelbegründung
  81. vorgelegt wird. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
  82. bei der Prozessbevollmächtigten des Klägers nach Urlaubsrückkehr geschehen, als sie ausweislich des Schriftsatzdatums der Berufungsbegründung die bereits zuvor im Wesentlichen entworfene Rechtsmittelbegründung am 7. Januar 2005 erneut bearbeitete. Sie hätte spätestens bei
  83. dieser Gelegenheit die Zulässigkeitsvoraussetzungen für die beabsichtigte Prozesshandlung klären müssen; diese Aufgabe konnte sie - da über
  84. alltägliche, routinemäßige Büroarbeiten hinausgehend - nicht ihrem Personal übertragen (BGH, Beschlüsse vom 12. November 1986 - IVb ZB
  85. 93/86 - VersR 1987, 463; vom 14. Juli 1988 aaO; vom 31. Januar 1990
  86. aaO unter 1 b; vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - VersR 1992,
  87. 1153; vom 16. September 2003 aaO unter II 2 b). Sie durfte sich daher
  88. nicht darauf verlassen, dass ihr Personal das Fristende richtig ermittelt
  89. und festgehalten hatte.
  90. Hinzu treten die Umstände des Einzelfalles: Die Prozessbevollmächtigte hatte die Eintragung einer nicht auf einen bestimmten Tag,
  91. sondern auf "insgesamt zwei Monate und vier Wochen" verlängerten
  92. Frist einer Auszubildenden übertragen; eine spätere Kontrolle durch die
  93. Bürovorsteherin oder die Prozessbevollmächtigte selbst hat nicht stattgefunden. Die von der Auszubildenden - gleichfalls unrichtig - eingetragene
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  95. Vorfrist hatte die Prozessbevollmächtigte streichen lassen, ohne eine
  96. neue Vorfrist einzutragen oder sich zumindest zu vergewissern, dass die
  97. notierte Hauptfrist richtig berechnet war. Bei Vorlage der Akte bestand
  98. deshalb für die Prozessbevollmächtigte in besonderem Maße Veranlassung, die Berechnung und Eintragung der Hauptfrist - erstmals - auf ihre
  99. Richtigkeit zu überprüfen. Bei pflichtgemäßer Fristenkontrolle wäre ihr
  100. sodann aufgefallen, dass die Frist zur Berufungsbegründung bereits verstrichen war. Da sie die Fristenkontrolle - wie schon zuvor - unterlassen
  101. hat, war die Ursache für die Verhinderung spätestens seit dem 7. Januar
  102. 2005 nicht mehr unverschuldet.
  103. 3. Gründe, dem Kläger wegen Versäumung der Frist des § 234
  104. Abs. 1 Satz 2 ZPO von Amts wegen Wiedereinsetzung zu gewähren
  105. (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO), sind nicht gegeben.
  106. Terno
  107. Seiffert
  108. Dr. Kessal-Wulf
  109. Wendt
  110. Felsch