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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 238/04
  5. Verkündet am:
  6. 10. Juli 2006
  7. Vondrasek
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. BGHR:
  16. ja
  17. AktG § 302; BGB §§ 364, 387; GmbHG §§ 30, 31, 32 a
  18. a) Im Vertragskonzern ist eine Aufrechnung des herrschenden Unternehmens
  19. gegen einen bereits entstandenen Anspruch der abhängigen Gesellschaft
  20. auf Verlustausgleich gemäß § 302 AktG zulässig und wirksam, sofern die zur
  21. Aufrechnung gestellte Forderung werthaltig ist. Die Beweislast für die Werthaltigkeit hat das herrschende Unternehmen.
  22. b) Zulässig und wirksam ist auch eine Vereinbarung, nach der das herrschende
  23. Unternehmen der abhängigen Gesellschaft Geld- oder Sachmittel unter Anrechnung auf einen bestehenden Anspruch auf Verlustausgleich gemäß
  24. § 302 AktG oder zur Vorfinanzierung des Verlustausgleichs für das laufende
  25. Geschäftsjahr zur Verfügung stellt.
  26. c) Die Grundsätze des Eigenkapitalersatzes (§§ 32 a, b GmbHG; §§ 30, 31
  27. GmbHG analog) gelten auch im GmbH-Vertragskonzern. Gesellschafterleistungen, die unter den oben (Buchst. b) genannten Voraussetzungen erbracht
  28. werden, sind aber nicht als eigenkapitalersetzende Darlehen oder vergleichbare Leistungen zu qualifizieren.
  29. BGH, Urteil vom 10. Juli 2006 - II ZR 238/04 - OLG Jena
  30. LG Gera
  31. -2-
  32. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
  33. Verhandlung vom 10. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
  34. und die Richter Kraemer, Prof. Dr. Gehrlein, Caliebe und Dr. Reichart
  35. für Recht erkannt:
  36. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
  37. des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 21. September
  38. 2004 aufgehoben.
  39. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  40. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Tatbestand:
  43. 1
  44. Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer im Jahr 1992 gegründeten
  45. GmbH, deren Alleingesellschafterin die Beklagte, eine GmbH & Co. KG, ist.
  46. Zwischen den beiden Gesellschaften bestanden Geschäftsbeziehungen sowie
  47. ein "Organschaftsvertrag" (Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag)
  48. welcher im Februar 1996 "rückwirkend für die Zeit ab 1. Juli 1995" abgeschlossen und im März 1997 in das Handelsregister eingetragen worden war. Der
  49. Jahresabschluss der Gemeinschuldnerin für das "Rumpfwirtschaftsjahr" 1997
  50. wies einen Jahresfehlbetrag von 152.828,10 DM (= 78.139,77 €) sowie eine
  51. Ausgleichsforderung gegenüber der Beklagten (§ 302 Abs. 1 AktG) in gleicher
  52. -3-
  53. Höhe mit dem Ergebnis eines Bilanzverlustes von 0,00 DM aus. Die Beklagte
  54. beschloss im Juli 1998 die Einstellung des Geschäftsbetriebes sowie die "stille
  55. Liquidation" der Gemeinschuldnerin und erklärte ihr gegenüber mit Schreiben
  56. vom 10. August 1998 unter Hinweis auf deren schlechte Ertragslage die Kündigung des Organschaftsvertrages aus wichtigem Grund, rückwirkend zum
  57. 1. Januar 1998. Mit Schreiben unter dem Datum vom 31. Dezember 1998 erklärte die Beklagte die Aufrechnung mit eigenen Forderungen von insgesamt
  58. 845.512,99 DM
  59. gegenüber
  60. Forderungen
  61. der
  62. Gemeinschuldnerin
  63. von
  64. 702.227,00 DM unter Einschluss der Verlustausgleichsforderung für 1997 in
  65. Höhe von 152.828,10 DM. Am 2. Dezember 1999 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet.
  66. Mit der Klage begehrt der Kläger von der Beklagten Zahlung des Ver-
  67. 2
  68. lustausgleichs für 1997 in Höhe von 78.139,77 €. Er bestreitet die Wirksamkeit
  69. der Kündigung des Unternehmensvertrages sowie die von der Beklagten behauptete Abgabe der Aufrechnungserklärung vor Insolvenzeröffnung und meint,
  70. die Aufrechnung sei ohnehin wegen Umgehung des § 302 Abs. 3 AktG sowie
  71. deshalb unwirksam, weil die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Forderungen eigenkapitalersetzenden Charakter gehabt hätten. Die Klage hatte in
  72. beiden Vorinstanzen Erfolg. Dagegen richtet sich die - von dem Senat auf die
  73. Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zugelassene - Revision der Beklagten.
  74. Entscheidungsgründe:
  75. 3
  76. Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
  77. 4
  78. I. Das Berufungsgericht (GmbHR 2005, 1058; AG 2005, 405) meint, der
  79. einer abhängigen GmbH im Vertragskonzern analog § 302 Abs. 1 AktG zuste-
  80. -4-
  81. hende Anspruch auf Verlustausgleich sei ein Geldzahlungsanspruch und könne
  82. nur durch Barzahlung erfüllt werden. Der Verlustausgleich diene der Kapitalerhaltung der abhängigen GmbH bzw. dem Schutz ihrer Gläubiger vor einer Aushöhlung der bilanzmäßigen Substanz und sei nach der Rechtsprechung des
  83. Bundesgerichtshofs (BGHZ 103, 1; 107, 7) wie ein Anspruch aus § 31 GmbHG
  84. zu behandeln, gegen den ebenfalls nicht aufgerechnet werden könne (BGHZ
  85. 146, 105). Die Aufrechnung führe zu keinem vollwertigen Kapitalzufluss. Der
  86. Kläger könne sonach den noch offenen Anspruch aus § 302 AktG geltend machen, ohne auf eine - hier gemäß § 146 Abs. 1 InsO verfristete - Insolvenzanfechtung der Aufrechnung angewiesen zu sein.
  87. II. Das angefochtene Urteil, das im Schrifttum überwiegend Kritik gefun-
  88. 5
  89. den hat (vgl. Grunewald, NZG 2005, 781; Hentzen, AG 2006, 133; Liebscher,
  90. ZIP 2006, 1221; Priester, BB 2005, 2483; Reuter, DB 2005, 2339; Sinewe,
  91. EWiR 2005, 331; Suchanek/Herbst, FR 2005, 665; einschr. Verse, ZIP 2005,
  92. 1627; zust. dagegen Hirte in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 302 Rdn. 63;
  93. Petersen, GmbHR 2005, 1031), hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht
  94. stand.
  95. 6
  96. 1. Noch zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass § 302
  97. AktG im Vertragskonzern mit einer GmbH als abhängiger Gesellschaft (wie der
  98. Gemeinschuldnerin des vorliegenden Falles) entsprechende Anwendung findet
  99. (vgl. z.B. Senat, BGHZ 142, 382). Nach dieser Vorschrift ist der andere Vertragsteil der abhängigen Gesellschaft gegenüber verpflichtet, jeden während
  100. der Vertragsdauer "sonst entstehenden Jahresfehlbetrag" auszugleichen, der
  101. ohne Berücksichtigung der Ausgleichsforderung in der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) der abhängigen Gesellschaft auszuweisen wäre (vgl. Hüffer,
  102. AktG 7. Aufl. § 302 Rdn. 11 m.w.Nachw.).
  103. -5-
  104. 7
  105. Der Ausgleichsanspruch ist nach allgemeiner Meinung auf eine Geldleistung gerichtet (vgl. Koppensteiner in Kölner Komm.z.AktG 3. Aufl. § 302
  106. Rdn. 50; Altmeppen in MünchKommAktG 2. Aufl. § 302 Rdn. 67; Hüffer aaO
  107. § 302 Rdn. 15). Daraus folgt aber noch nicht, wie das Berufungsgericht meint,
  108. die Unzulässigkeit einer Aufrechnung gegen die Ausgleichsforderung. Gemäß
  109. § 387 BGB können beiderseitige Geldforderungen gegeneinander aufgerechnet
  110. werden. Auch eine Leistung an Erfüllungs statt ist bei Geldforderungen nicht
  111. ausgeschlossen (§ 364 BGB; dazu Altmeppen in MünchKommAktG 2. Aufl.
  112. § 302 Rdn. 67).
  113. 8
  114. 2. Das Berufungsgericht kann sich für seine Ansicht auch nicht auf die
  115. bisherige Rechtsprechung des Senates stützen. Danach dient zwar die Verlustübernahmepflicht "zumindest auch dazu, einen Ausgleich dafür zu schaffen,
  116. dass die Kapitalsicherungsvorschriften im Vertragskonzern … außer Kraft gesetzt sind" (BGHZ 115, 187, 197 "Video"; BGHZ 107, 7, 18 "Tiefbau"), weil gemäß § 291 Abs. 3 AktG Leistungen der Gesellschaft aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht als Verstoß gegen die §§ 57,
  117. 58 und 60 AktG gelten. Danach kommt auch § 66 Abs. 2 AktG, der i.V.m.
  118. Abs. 1 Satz 2 der Vorschrift eine Aufrechnung gegenüber Erstattungsansprüchen der Gesellschaft wegen verbotener Einlagenrückgewähr (§ 57 Abs. 1
  119. AktG) ausschließt, nicht zum Zuge (vgl. Hüffer aaO § 66 Rdn. 8; Priester aaO
  120. S. 2484). § 302 AktG enthält seinerseits keine Sonderregelung für eine in den
  121. Jahresfehlbetrag eingeflossene Einlagenrückgewähr, was sich nur unter der
  122. Prämisse rechtfertigen lässt, dass der abhängigen Gesellschaft und ihren Gläubigern mit dem - durch § 303 AktG flankierten - Anspruch auf Verlustausgleich
  123. gemäß § 302 AktG ein wirtschaftlich gleichwertiger Schutz gewährt wird. Zudem
  124. enthält das GmbH-Gesetz keine § 291 Abs. 3 AktG vergleichbare Ausnahmeregelung gegenüber den Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30 f. GmbHG für den
  125. -6-
  126. Vertragskonzern, weshalb im Schrifttum zum Teil die Auffassung vertreten wird,
  127. diese Vorschriften seien im GmbH-Vertragskonzern - neben § 302 AktG - anzuwenden
  128. (so
  129. Brandes,
  130. Festschrift
  131. Kellermann
  132. [1991],
  133. S. 25,
  134. 33;
  135. Scholz/Emmerich, GmbHG 9. Aufl. Anh. Konzernrecht Rdn. 184 sowie die
  136. Nachweise bei Hentzen, ZGR 2005, 480, 518). Soweit demgegenüber nach der
  137. Rechtsprechung des Senats der Verlustausgleich gemäß § 302 AktG auch im
  138. GmbH-Vertragskonzern "an die Stelle der Kapitalerhaltungsvorschriften" tritt
  139. (BGHZ 103, 1, 10), bedeutet dies einerseits nicht die gänzliche Preisgabe des
  140. von diesen Vorschriften intendierten Gläubigerschutzes, andererseits aber auch
  141. nicht, dass der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG vollumfänglich den für §§ 30 f.
  142. GmbHG geltenden Grundsätzen unterliegt (vgl. insoweit auch Hentzen, AG
  143. 2006, 133, 136), insbesondere eine Aufrechnung gegen diesen Anspruch stets
  144. ebenso ausgeschlossen ist, wie die Aufrechnung gegen einen Anspruch aus
  145. § 31 GmbHG (dazu Senat, BGHZ 146, 105).
  146. 9
  147. a) Der Anspruch aus § 302 AktG nimmt gegenüber demjenigen aus § 31
  148. GmbHG und erst recht gegenüber dem Anspruch auf Einlageleistung gemäß
  149. § 19 GmbHG, dessen Aufrechnungsverbot gemäß Abs. 2 Satz 2 gegenüber
  150. dem Anspruch aus § 31 GmbHG entsprechend gilt (BGHZ 146, 105), eine Sonderstellung ein. § 31 GmbHG setzt voraus, dass zur Deckung des Stammkapitals erforderliches Vermögen der Gesellschaft an einen Gesellschafter ausbezahlt worden ist. Demgegenüber kann ein gemäß § 302 AktG auszugleichender
  151. Fehlbetrag andere Ursachen, wie z.B. eine schlechte Ertragslage, haben (vgl.
  152. Grunewald; Priester jeweils aaO), mag auch im Vertragskonzern unwiderleglich
  153. zu vermuten sein, dass Verluste der abhängigen Gesellschaft durch Weisungen
  154. oder Eingriffe des herrschenden Unternehmens entstanden sind (Senat, BGHZ
  155. 116, 37, 41). Andererseits setzt der Verlustausgleich - im Gegensatz zu § 30
  156. GmbHG - eine Unterbilanz nicht voraus, sondern erfasst jeden während der
  157. -7-
  158. Vertragsdauer erwirtschafteten Jahresfehlbetrag, auch wenn am Bilanzstichtag
  159. das Stammkapital noch gedeckt ist (vgl. Verse, ZIP 2005, 1627, 1631). In diesem Fall ginge eine entsprechende Anwendung des Aufrechnungsverbots des
  160. § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG auf den Anspruch aus § 302 AktG weit über den mit
  161. dieser Vorschrift bezweckten Schutz hinaus. Ihrem Schutzzweck ist Genüge
  162. getan, wenn die abhängige Gesellschaft über ausreichendes Vermögen verfügt,
  163. um sämtliche Forderungen ihrer Gläubiger unter Einschluss der zur Aufrechnung gestellten Forderung zu erfüllen, diese Forderung also vollwertig ist (vgl.
  164. Priester aaO; zum Begriff der Vollwertigkeit vgl. Senat, BGHZ 125, 141, 145 f.;
  165. Lutter/Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG 16. Aufl. § 19 Rdn. 23).
  166. 10
  167. b) Darüber hinaus hat es der andere Vertragsteil bzw. die herrschende
  168. Gesellschaft zwar in der Hand, durch einen Erlass eigener Forderungen oder
  169. durch Befriedigung anderer Gläubiger der abhängigen Gesellschaft vor dem
  170. Bilanzstichtag einen Jahresfehlbetrag gar nicht erst zur Entstehung kommen zu
  171. lassen (vgl. Hentzen, AG 2006, 133, 139 f.; Priester aaO). Dann handelt es sich
  172. nicht um einen gemäß § 302 Abs. 3 AktG unzulässigen Verzicht der abhängigen Gesellschaft auf einen Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG (vgl. Hentzen
  173. aaO). Daraus lässt sich aber kein entscheidendes Argument für die generelle
  174. Zulässigkeit der Aufrechnung gegen einen - wie im vorliegenden Fall - bereits
  175. entstandenen Anspruch aus § 302 AktG unabhängig von der Vollwertigkeitsfrage gewinnen. Denn der Anspruch aus § 302 Abs. 1 AktG entsteht und wird fällig
  176. mit dem Bilanzstichtag (Senat, BGHZ 142, 382, 385 f.); ein späterer Wegfall
  177. von Verbindlichkeiten der Gesellschaft durch Erlass oder Drittgläubigerbefriedigung seitens der herrschenden Gesellschaft kann das für den Verlustausgleich
  178. maßgebliche Vorjahresergebnis nach dem bilanzrechtlichen Stichtagsprinzip
  179. (vgl. dazu Baumbach/Hopt, HGB 32. Aufl. § 243 Rdn. 11, § 252 Rdn. 8) nicht
  180. berühren.
  181. -8-
  182. 11
  183. c) Einer Aufrechnung gegen einen bereits entstandenen Anspruch aus
  184. § 302 Abs. 1 AktG, um den allein es im vorliegenden Fall geht, steht zwar das
  185. o.g. Stichtagsprinzip nicht entgegen (vgl. anschaulich auch zur steuerrechtlichen Behandlung Suchanek/Herbst, FR 2005, 665, 668). Allein mit der bilanzrechtlichen Erwägung, dass die von der Muttergesellschaft zur Aufrechnung
  186. gestellte Forderung bis dahin unabhängig von ihrer Werthaltigkeit in der Bilanz
  187. der Tochtergesellschaft mit dem vollen Wert zu passivieren ist (§ 253 Abs. 1
  188. Satz 2 HGB) und die Aufrechnung wegen ihrer Ergebnisneutralität keine Auswirkungen auf das bilanzielle Eigenkapital der Tochtergesellschaft hat (so
  189. Hentzen, AG 2006, 133, 138), lässt sich die generelle Zulässigkeit einer Aufrechnung gegen den Anspruch aus § 302 AktG dagegen nicht begründen (vgl.
  190. auch Reuter, DB 2005, 2339, 2342 f.). Bilanziell ergebnisneutral ist auch eine
  191. Barzahlung auf den Anspruch aus § 302 AktG (vgl. Reuter aaO S. 2340), sachlich jedoch mit dem Unterschied, dass dort der Tochtergesellschaft im Austausch für ihren durch Erfüllung erloschenen Ausgleichsanspruch ein vollwertiger Gegenwert zufließt, was bei der Aufrechnung der Muttergesellschaft mit
  192. einer nicht (voll) werthaltigen Forderung nicht der Fall ist (vgl. Reuter aaO;
  193. Priester aaO S. 2485). Dies wird wegen der Ergebnisneutralität der Aufrechnung auch durch einen nachfolgenden Verlustausgleich zum Ende des Geschäftsjahres nicht kompensiert. Vielmehr verschafft sich hier die Muttergesellschaft zum Nachteil der Tochtergesellschaft und ihrer anderen Gläubiger volle
  194. Befriedigung für eine nicht (voll) werthaltige Forderung gegen Wegfall der Ausgleichsforderung gemäß § 302 AktG, deren Gegenwert anderenfalls allen anderen Gläubigern der Tochtergesellschaft zu anteiliger Befriedigung zur Verfügung
  195. stünde. Das kann im Interesse des Gläubigerschutzes sowie vor dem Hintergrund, dass § 302 AktG zumindest auch dazu dient, einen Ausgleich für die im
  196. Vertragskonzern außer Kraft gesetzten Kapitalerhaltungsvorschriften zu schaffen (Senat, BGHZ 107, 7, 18; 115, 187, 197), nicht hingenommen werden. An-
  197. -9-
  198. dererseits ändert dies aber nichts daran, dass eine Aufrechnung gegen den
  199. Anspruch aus § 302 AktG mit werthaltigen Forderungen der Muttergesellschaft
  200. zulässig und wirksam ist (vgl. auch Hüffer, AktG 7. Aufl. § 302 Rdn. 15). Die
  201. Beweislast für die Werthaltigkeit hat im Streitfall das herrschende Unternehmen,
  202. weil es hier um die Frage der Erfüllung der Verlustausgleichspflicht geht.
  203. 12
  204. 3. Unter dem Gesichtspunkt des genannten Schutzzwecks des § 302
  205. AktG bestehen des Weiteren keine durchgreifenden Bedenken dagegen, dass
  206. die Muttergesellschaft ihrer - z. B. in einer Krise befindlichen - Tochtergesellschaft Geldmittel oder entsprechend werthaltige Sachleistungen unter vorher
  207. vereinbarter Anrechnung auf eine bestehende (oder künftige) Verlustausgleichsverpflichtung zur Verfügung stellt (vgl. Liebscher aaO S. 1221, 1226 f.;
  208. Reuter aaO; Priester aaO S. 2485). Entsprechendes hat der Senat (Urt. v.
  209. 10. Oktober 1983 - II ZR 233/82, GmbHR 1984, 18 = NJW 1984, 1036; dazu
  210. Scholz/K. Schmidt, GmbHG 9. Aufl. §§ 32 a, b Rdn. 78) für den Fall zugelassen, dass nach unzulässiger Rückgewähr eines eigenkapitalersetzenden Darlehens weitere Gesellschafterleistungen in Anrechnung auf den Anspruch der
  211. Gesellschaft aus § 31 GmbHG analog erbracht werden, sofern eine eindeutige
  212. dahingehende Zweckbestimmung oder Vereinbarung getroffen worden ist. Im
  213. Fall des § 302 AktG muss klargestellt sein, ob die Leistung auf einen bereits im
  214. Vorjahr entstandenen oder auf einen künftigen Verlustausgleichsanspruch erbracht werden soll. Anderenfalls könnte die auf Verlustausgleich für ein bestimmtes Geschäftsjahr in Anspruch genommene Muttergesellschaft (wie die
  215. Beklagte des vorliegenden Falles) die von ihr erbrachten Leistungen nachträglich nach Belieben der einen oder anderen Verbindlichkeit zuordnen.
  216. 13
  217. Soweit die Muttergesellschaft - wie im vorliegenden Fall offenbar die Beklagte - die Befriedigung von Drittgläubigern der Tochtergesellschaft übernimmt
  218. - 10 -
  219. und dies auf einen bereits entstandenen Verlustausgleichsanspruch gemäß
  220. § 302 AktG angerechnet werden soll, müssen die Drittgläubigerforderungen
  221. z.Zt. ihrer Begleichung entsprechend den oben (II 2 c) dargelegten Grundsätzen ebenfalls werthaltig sein. Im Übrigen bestehen aber keine Bedenken dagegen, dass die Muttergesellschaft schuldbefreiende oder sonstige Leistungen
  222. zwecks Verhinderung von Tochterverlusten (vgl. oben II 2 b) oder zwecks Vorfinanzierung des Verlustausgleichs für das laufende Geschäftsjahr erbringt (vgl.
  223. Liebscher aaO S. 1227).
  224. III. Da sonach das Berufungsgericht zu Unrecht von der generellen Un-
  225. 14
  226. zulässigkeit einer Aufrechnung gegen Ansprüche aus § 302 AktG ausgegangen
  227. ist, kann sein Urteil mit dieser Begründung nicht bestehen bleiben.
  228. 1. Die Sache ist aber nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht
  229. 15
  230. - von seinem Standpunkt aus konsequent - keine konkreten Feststellungen zur
  231. Werthaltigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Beklagten im
  232. Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung getroffen hat. Zudem muss den Parteien
  233. im Hinblick auf § 139 Abs. 2 ZPO Gelegenheit gegeben werden, auch zu dem
  234. bisher nicht beachteten Gesichtspunkt einer evtl. vereinbarten Anrechnung der
  235. von der Beklagten erbrachten, ihren Forderungen korrespondierenden Leistungen auf den geltend gemachten Verlustausgleichsanspruch für das Jahr 1997
  236. vorzutragen.
  237. Zugunsten des Klägers entscheidungsreif ist die Sache nicht deshalb,
  238. 16
  239. weil die Beklagte gemäß ihrer vorgelegten Gesamtabrechnung die Aufrechnung
  240. mit einer - die Gegenforderungen der Gemeinschuldnerin übersteigenden Vielzahl von Forderungen erklärt hat, ohne die wechselseitige Reihenfolge ausdrücklich anzugeben (vgl. zu diesem prozessualen Bestimmtheitserfordernis
  241. BGH,
  242. Urt.
  243. v.
  244. 7. November
  245. 2001
  246. - VIII ZR 263/00,
  247. NJW
  248. 2002,
  249. 2182;
  250. - 11 -
  251. Thomas/Putzo, ZPO 27. Aufl. § 145 Rdn. 14). Vielmehr ist davon auszugehen,
  252. dass die nach den vorinstanzlichen Feststellungen "von dem Kläger nicht ernsthaft bestrittenen" Forderungen der Beklagten in der angegebenen Reihenfolge
  253. primär gegen die in die Abrechnung eingestellte Verlustausgleichsforderung der
  254. Gemeinschuldnerin für 1997 verrechnet werden sollten (§ 396 Abs. 1 Satz 1
  255. BGB).
  256. 17
  257. 2. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat zusätzlich darauf hin, dass die Klage möglicherweise auch wegen eigenkapitalersetzenden Charakters der Forderungen der Beklagten im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung begründet sein kann, wenn sich nicht feststellen lassen sollte,
  258. dass die den Forderungen korrespondierenden Leistungen der Beklagten unter
  259. vorher vereinbarten Anrechnung auf den hier geltend gemachten Verlustausgleichsanspruch für 1997 erbracht worden sind (vgl. oben II 3).
  260. 18
  261. a) Die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes sind
  262. nicht im Aktiengesetz, sondern im Wesentlichen in §§ 32 a, b GmbHG geregelt
  263. und werden - jedenfalls im GmbH-Vertragskonzern - durch § 291 Abs. 3 AktG
  264. nicht ausgeschlossen (vgl. Fleischer in v. Gerkan/Hommelhoff, Hdb. des Kapitalersatzrechts, Rdn. 12.31 m.w.Nachw.). § 32 a GmbHG enthält keine Sonderregelung für den Vertragskonzern, sondern beschränkt - abgesehen von dem
  265. Kleinbeteiligtenprivileg gemäß Abs. 3 Satz 2 - unterschiedslos die Geltendmachung von Forderungen aus eigenkapitalersetzenden Leistungen eines Gesellschafters im Insolvenzverfahren der Gesellschaft und schließt damit auch eine
  266. Aufrechnung mit solchen Forderungen des Gesellschafters gegenüber Ansprüchen der GmbH im Insolvenzverfahren aus (Sen.Urt. v. 19. Dezember 1994
  267. - II ZR 10/94, ZIP 1995, 280; Roth/Altmeppen, GmbHG 5. Aufl. § 32 a Rdn. 103
  268. m.w.Nachw.). Sollte dementsprechend die Beklagte, wie der Kläger bisher un-
  269. - 12 -
  270. widerlegt mutmaßt, ihre Aufrechnungserklärung entgegen dem dortigen, von
  271. der Beweiskraft des § 416 ZPO nicht erfassten Datum tatsächlich erst nach Insolvenzeröffnung abgegeben und ihre offenen Forderungen gegenüber der
  272. Gemeinschuldnerin bis dahin stehen gelassen haben, so wäre die Aufrechnung
  273. schon aus dem genannten Grunde unwirksam.
  274. 19
  275. b) Aber auch wenn die Aufrechnung schon Ende 1998 erklärt und der
  276. Gemeinschuldnerin zugegangen sein sollte, gälte nach den - neben §§ 32 a, b
  277. GmbHG anwendbaren - Rechtsprechungsregeln (BGHZ 90, 370) im Ergebnis
  278. für den Fall nichts anderes, dass die Gemeinschuldnerin zur Zeit der Erbringung der Leistungen der Beklagten oder im Zeitraum eines Stehenlassens daraus resultierender Forderungen überschuldet oder jedenfalls nicht mehr kreditwürdig war. Letzteres würde durch ihre etwaigen Ansprüche auf Verlustausgleich gemäß § 302 Abs. 1 AktG nicht zwangsläufig ausgeschlossen (vgl. Senat, BGHZ 105, 168, 182 ff.), selbst wenn der möglicherweise nicht wirksam
  279. gekündigte Unternehmensvertrag im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung noch
  280. bestanden haben sollte. Da eigenkapitalersetzende Leistungen in der fortdauernden Krise der Gesellschaft nicht zurückgefordert werden können (§ 30
  281. GmbHG analog), kann mit entsprechenden Forderungen auch nicht aufgerechnet werden (vgl. schon Sen.Urt. v. 10. Oktober 1983 - II ZR 233/82 aaO).
  282. 20
  283. Im vorliegenden Fall spricht schon im Hinblick auf die im Juli 1998 beschlossene "stille Liquidation" einiges dafür, dass die Gemeinschuldnerin spätestens im zweiten Halbjahr 1998 überschuldet und ihre Fortführungsprognose
  284. negativ war. Die vorgelegte Bilanz für das Geschäftsjahr 1997 weist trotz des
  285. dort ausgewiesenen Ausgleichsanspruchs gemäß § 302 AktG einen durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag von mehr als 450.000,00 DM aus, der
  286. möglicherweise aus der Zeit vor Abschluss des Unternehmensvertrages her-
  287. - 13 -
  288. rührt und deshalb durch den Verlustausgleich gemäß § 302 Abs. 1 AktG nicht
  289. gedeckt ist. Das Berufungsgericht wird dazu ggf. die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
  290. Goette
  291. Kraemer
  292. Caliebe
  293. Gehrlein
  294. Reichart
  295. Vorinstanzen:
  296. LG Gera, Entscheidung vom 02.12.2003 - 1 HKO 14/03 OLG Jena, Entscheidung vom 21.09.2004 - 8 U 1187/03 -