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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 185/07
  5. Verkündet am:
  6. 16. Februar 2009
  7. Vondrasek
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. ja
  16. BGHR:
  17. ja
  18. Kirch/Deutsche Bank
  19. AktG § 101 Abs. 1, §§ 130, 131, 132, 161, 241 Nr. 2, § 243 Abs. 4, § 246 Abs. 1, § 248
  20. Abs. 1; BeurkG § 37 Abs. 1 Nr. 2, § 44 a Abs. 2
  21. a) Ein notarielles Hauptversammlungsprotokoll i.S. des § 130 Abs. 1 Satz 1 AktG hat
  22. den Charakter eines Berichts des Notars über seine Wahrnehmungen und muss von
  23. ihm nicht in der Hauptversammlung fertig gestellt, sondern kann auch noch danach
  24. im Einzelnen ausgearbeitet und unterzeichnet werden. Urkunde im Sinne des Gesetzes ist erst die von dem Notar autorisierte, unterzeichnete und in den Verkehr gegebene Endfassung.
  25. b) Die Überwachung und Protokollierung der Stimmenauszählung fällt nicht unter die
  26. zwingenden, mit der Nichtigkeitssanktion des § 241 Nr. 2 AktG bewehrten Protokollierungserfordernisse gemäß § 130 Abs. 1, 2 und 4 AktG.
  27. c) Eine Unrichtigkeit der gemäß § 161 AktG vom Vorstand und Aufsichtsrat abzugebenden "Entsprechenserklärungen" führt wegen der darin liegenden Verletzung von Organpflichten zur Anfechtbarkeit jedenfalls der gleichwohl gefassten Entlastungsbeschlüsse,
  28. soweit
  29. die
  30. Organmitglieder
  31. die
  32. Unrichtigkeit
  33. kannten
  34. oder kennen mussten.
  35. -2d) Unrichtig ist oder wird eine Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG, wenn entgegen Ziff. 5.5.3 DCGK nicht über das Vorliegen und die praktische Behandlung eines
  36. Interessenkonflikts in der Person eines Organmitglieds berichtet wird. Ein solcher Interessenkonflikt entsteht bereits, wenn ein Dritter eine Schadensersatzklage gegen
  37. die Gesellschaft erhebt, die auf einen Gesetzesverstoß des betreffenden Aufsichtsratsmitglieds während seiner früheren Vorstandstätigkeit gestützt wird.
  38. e) Eine Satzungsregelung, welche die Durchführung einer Listenwahl der Aufsichtsratsmitglieder (§ 101 Abs. 1 AktG) in das Ermessen des Versammlungsleiters stellt,
  39. ist wirksam und kann nicht durch einen Geschäftsordnungsantrag einzelner Aktionäre, eine Einzelwahl durchzuführen, außer Kraft gesetzt werden.
  40. f) Die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses wegen Informationspflichtverletzungen (§ 131 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 4 AktG) setzt die konkrete Angabe der
  41. angeblich in der Hauptversammlung nicht beantworteten Fragen innerhalb der Frist
  42. des § 246 Abs. 1 AktG voraus.
  43. g) Im Auskunftserzwingungsverfahren gemäß § 132 AktG ergangene Entscheidungen
  44. binden das Gericht im Anfechtungsprozess nicht.
  45. h) Der Erfolg der Anfechtungsklage eines von mehreren (notwendigen) Streitgenossen
  46. kommt im Hinblick auf § 248 Abs. 1 AktG auch den übrigen Streitgenossen zugute,
  47. ohne dass es einer Prüfung der von ihnen (zusätzlich) vorgebrachten Anfechtungsgründe gegen denselben Hauptversammlungsbeschluss bedarf (vgl. BGHZ 122, 211,
  48. 240).
  49. BGH, Urteil vom 16. Februar 2009 - II ZR 185/07 - OLG Frankfurt am Main
  50. LG Frankfurt am Main
  51. -3-
  52. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche
  53. Verhandlung
  54. vom
  55. 27. Oktober
  56. 2008
  57. durch
  58. den
  59. Vorsitzenden
  60. Richter
  61. Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn, Dr. Reichart und
  62. Dr. Drescher
  63. für Recht erkannt:
  64. Unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel der Kläger
  65. zu 1 und 2 wird auf die Revisionen der Kläger zu 1 bis 3 das Urteil
  66. des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom
  67. 17. Juli 2007 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Anfechtungsklagen der Kläger zu 1 bis 3 gegen die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 10. Juni 2003
  68. (TOP 3 und 4) abgewiesen worden sind.
  69. Auf die Berufungen der Kläger zu 1 bis 3 wird unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel der Kläger zu 1 und 2 das
  70. Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember
  71. 2005 - mit Ausnahme der Entscheidung über die Zurückweisung
  72. der Nebenintervention des Streithelfers Frank Scheunert - abgeändert und wie folgt gefasst:
  73. Die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten
  74. vom 10. Juni 2003 (TOP 3 und 4) werden für nichtig erklärt. Im
  75. Übrigen werden die Klagen der Kläger zu 1 und 2 abgewiesen.
  76. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:
  77. -4-
  78. Die Beklagte trägt 3/5 der Gerichtskosten, 3/5 ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten
  79. der Kläger zu 1 und 2 und diejenigen des Klägers zu 3 voll.
  80. Die Kläger zu 1 und 2 tragen 2/5 der Gerichtskosten und der außergerichtlichen Kosten der Beklagten sowie die Hälfte ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten.
  81. Bei der erstinstanzlichen Entscheidung über die Kosten der Nebenintervention verbleibt es.
  82. Der Streitwert beträgt je angefochtenem Hauptversammlungsbeschluss 50.000,00 €, somit insgesamt 200.000,00 €.
  83. Streitwert für die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 3:
  84. 100.000,00 €.
  85. Von Rechts wegen
  86. Tatbestand:
  87. 1
  88. Die drei Kläger sind Aktionäre der beklagten Großbank. An ihrer Jahreshauptversammlung, die am 10. Juni 2003 stattfand, nahmen - neben circa
  89. 4.000 weiteren Aktionären - die Kläger zu 1 und 2 durch Vertreter und der Kläger zu 3 persönlich teil. Den Beschlussfassungen ging eine mehr als achtstün-
  90. -5-
  91. dige Generaldebatte mit 34 Wortbeiträgen und 230 Fragen voran. Der Versammlungsleiter hatte zuvor gebeten, schriftliche Wortmeldungen auf dafür
  92. vorgesehenen Vordrucken abzugeben. Von den Aktionären gestellte, schriftlich
  93. fixierte Fragen wurden von mehr als 50 Mitarbeitern der Beklagten im sog.
  94. "back-office" erfasst und mit Antwortvorschlägen versehen, die dann von dem
  95. Versammlungsleiter verlesen wurden. Der Vertreter der Klägerin zu 2 stellte
  96. eine Reihe von Fragen aus einem der Beklagten zuvor übersandten Schreiben,
  97. die zum Teil darauf zielten, dass die Beklagte eine ihr von der Unternehmensgruppe des Klägers zu 1 verpfändete Beteiligung von 40 % an der S.
  98. -
  99. Verlags AG zu einem circa 60 Mio. € unter der abgesicherten Kreditsumme liegenden Preis selbst ersteigert und die erworbene Beteiligung nicht mit einem
  100. "Paketzuschlag" an einen einzelnen Erwerber, sondern zum Teil (10 %) an ein
  101. Mitglied der Familie S.
  102. veräußert hatte. Hintergrund dessen war der wirt-
  103. schaftliche Niedergang der Unternehmensgruppe des Klägers zu 1, den er auf
  104. eine kreditschädigende Interviewäußerung des ehemaligen Vorstandssprechers
  105. Dr. B.
  106. (nachfolgend Dr. B.) der Beklagten vom 4. Februar 2002 zurückführt
  107. (vgl. dazu BGHZ 166, 84 ff.). Dies hat ihn zur Erhebung einer Schadensersatzklage und zur Erstattung einer Strafanzeige veranlasst.
  108. 2
  109. Der Kläger zu 3 übergab dem Versammlungsleiter mehrere Blätter mit
  110. insgesamt 308 handschriftlich gestellten Fragen. Inwieweit er diese auch mündlich gestellt hat und sie von der Beklagten beantwortet wurden, ist streitig.
  111. 3
  112. Nach Beendigung der Generaldebatte fasste die Hauptversammlung jeweils mit großer Mehrheit die von der Verwaltung der Beklagten vorgeschlagenen Beschlüsse, u.a. über die Entlastung des Vorstandes (TOP 3) sowie des
  113. Aufsichtsrats (TOP 4) jeweils für das Geschäftsjahr 2002, die Wahl des Abschlussprüfers für das Geschäftsjahr 2003 (TOP 5) und über die (Listen-)Wahl
  114. der vorgeschlagenen Aufsichtsratsmitglieder (TOP 11). Streitig ist, ob seitens
  115. -6-
  116. der Klägerin zu 2 ein Minderheitenverlangen auf Einzelentlastung gemäß § 120
  117. Abs. 1 Satz 2 AktG gestellt wurde und wie der Versammlungsleiter auf ihren
  118. Antrag zur Einzelwahl der Aufsichtsratsmitglieder reagiert hat. Der zur Beurkundung der Hauptversammlungsbeschlüsse hinzugezogene Notar (§ 130
  119. AktG) Dr. v. Sche.
  120. fertigte in der Hauptversammlung unter Benutzung vor-
  121. formulierter Unterlagen eine handschriftliche Aufzeichnung, unterzeichnete diese unmittelbar nach Ende der Hauptversammlung und wies sein Büro an, dieses Papier als seine Niederschrift der Beklagten zuzuleiten, falls ihm etwas zustoßen sollte und er die beabsichtigte Durchsicht und Korrektur deswegen nicht
  122. mehr sollte vornehmen können. Später erstellte der Notar nach Rücksprache
  123. mit der Beklagten die endgültige, auf den Tag der Hauptversammlung datierte
  124. Niederschrift, die er dann als Original zu seiner Urkundensammlung nahm und
  125. von der er eine beglaubigte Abschrift bei dem Handelsregister einreichte. Das
  126. am Hauptversammlungstag unterzeichnete Papier ist nicht mehr vorhanden.
  127. 4
  128. Mit ihren innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG eingereichten Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen greifen alle Kläger die Entlastungsbeschlüsse
  129. (TOP 3, 4), die Kläger zu 1 und 2 darüber hinaus die Bestellung des Abschlussprüfers (TOP 5) sowie die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder (TOP 11) an.
  130. Alle Kläger meinen, die Beschlüsse seien mangels ordnungsgemäßer Beurkundung, der Kläger zu 3 außerdem wegen fehlender Überwachung der Stimmauszählung durch den Notar, gemäß § 241 Nr. 2 AktG nichtig. Im Übrigen seien
  131. sie u.a. wegen Informationspflichtverletzungen der Beklagten (§ 131 AktG) anfechtbar (§ 243 Abs. 4 Satz 1 a.F. AktG). Ob die Klage des Klägers zu 3 dem
  132. Aufsichtsrat der Beklagten "demnächst" zugestellt worden ist (§ 167 ZPO), beurteilen die Parteien unterschiedlich.
  133. 5
  134. Die Klagen blieben in den Vorinstanzen erfolglos. Dagegen richten sich
  135. die - von dem erkennenden Senat zugelassenen - Revisionen der Kläger.
  136. -7-
  137. Entscheidungsgründe:
  138. 6
  139. Die Revisionen aller drei Kläger führen zur Nichtigerklärung der Entlastungsbeschlüsse vom 10. Juni 2003. Die weitergehenden Revisionen der Kläger zu 1 und 2 bleiben erfolglos.
  140. A. Zur geltend gemachten Nichtigkeit der Beschlüsse
  141. 7
  142. Entgegen der Ansicht der Revisionen sind die von den Klägern jeweils
  143. angegriffenen Beschlüsse nicht schon gemäß § 241 Nr. 2 AktG wegen eines
  144. Beurkundungsmangels i.S. von § 130 Abs. 1, 2 oder 4 AktG nichtig.
  145. 8
  146. 1. Nach den von den Parteien in der Revisionsinstanz insoweit nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts (AG 2007, 672 = ZIP 2007,
  147. 1463) entspricht die bei den Akten befindliche, von dem Notar als "final" bezeichnete Fassung des Hauptversammlungsprotokolls den formalen Erfordernissen des § 130 Abs. 1, 2 und 4 AktG, was auch die Parteien nicht in Abrede
  148. gestellt hätten. Soweit das Berufungsgericht weiter meint, es könne offen bleiben, ob sich aus § 130 Abs. 1 und Abs. 5 AktG das Verbot mehrfacher Beurkundung ergebe, weil entweder die erste, nicht mehr vorhandene Niederschrift
  149. oder die später gefertigte Endfassung wirksam sei (zustimmend Hüffer, AktG
  150. 8. Aufl. § 130 Rdn. 11), geht das zwar an der Argumentation der Kläger vorbei,
  151. welche die in der Hauptversammlung erstellte und unterzeichnete, jedoch nicht
  152. mehr vorhandene Urfassung für allein maßgeblich halten und "bestritten" haben, dass diese die Vorgaben des § 130 AktG beachtet habe. Doch abgesehen
  153. davon, dass es das von der Revision behauptete Verbot einer Mehrfachbeurkundung der Hauptversammlung nicht gibt (vgl. Happ/Zimmermann, Aktienrecht
  154. 3. Aufl. 10.17 Rdn. 1 zu b; Kanzleiter, DNotZ 2007, 804, 808 m.w.Nachw.;
  155. ebenso auch Eylmann, ZNotP 2005, 300, 303), ist hier die von dem Notar nach
  156. -8-
  157. der von ihm vorgenommenen Bearbeitung autorisierte und in den Rechtsverkehr gegebene "Endfassung" die allein maßgebliche.
  158. 9
  159. a) Die Kläger verkennen, dass § 130 Abs. 1 AktG zwar eine Beurkundung der Hauptversammlungsbeschlüsse durch eine "über die Verhandlung
  160. notariell aufgenommene Niederschrift", nicht aber deren endgültige Fertigstellung in der Hauptversammlung voraussetzt (vgl. Spindler/Stilz/Wicke, AktG
  161. § 130 Rdn. 23; K. Schmidt/Lutter/Ziemons, AktG § 130 Rdn. 36; ebenso Eylmann aaO S. 301). In der Praxis wird regelmäßig vor der Hauptversammlung
  162. anhand der Einberufungsunterlagen ein umfassender Entwurf erstellt, der dann
  163. anhand der Vorgänge in der Hauptversammlung handschriftlich oder stenografisch vervollständigt wird (vgl. Happ/Zimmermann aaO 10.17 Rdn. 3; Wicke
  164. aaO Rdn. 23). Dabei kann sich der Notar auch nur für ihn leserlicher Kürzel bedienen oder Protokollanten hinzuziehen (vgl. Wicke aaO; MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 130 Rdn. 16 f.; Kölner Komm.z.AktG/Zöllner, § 130
  165. Rdn. 75; Wilhelmi, BB 1987, 1331, 1336). Erst danach wird das eigentliche Protokoll in Reinschrift erstellt, wobei Änderungen oder Ergänzungen gegenüber
  166. den aufgenommenen Notizen oder auch gegenüber einem in der Hauptversammlung bereits fertig gestellten Protokoll aufgrund eigener Erinnerung des
  167. Notars ohne Weiteres möglich sind, solange die bisherige Ausarbeitung noch
  168. ein "Internum" bildet, mag sie auch von ihm schon unterzeichnet sein (vgl. Kölner Komm.z.AktG/Zöllner aaO § 130 Rdn. 78 a.E.). Das gilt nicht nur nach Ansicht der Privatgutachter der Beklagten, sondern nach nahezu einhelliger Auffassung zumindest so lange, bis der Notar Ausfertigungen oder Abschriften der
  169. von ihm autorisierten Endfassung erteilt (vgl. Bohrer, NJW 2007, 2019 f.; Görk,
  170. MittBayNot 2007, 382; Heidel/ Terbrack/Lohr, AktG 2. Aufl. § 130 Rdn. 16;
  171. Kanzleiter, DNotZ 2007, 804;Krieger, Festschrift Priester S. 400; Maass,
  172. ZNotP 2005,
  173. 50,
  174. 52;
  175. 377,
  176. 379;
  177. Priester,
  178. DNotZ
  179. 2006,
  180. 403,
  181. 417 f.;
  182. K. Schmidt/Lutter/Ziemons aaO § 130 Rdn. 41; Spindler/Stilz/Wicke aaO § 130
  183. -9-
  184. Rdn. 125). Solange sich die Niederschrift noch im Gewahrsam des Notars befindet und er sich ihrer nicht entäußert hat, kann er sie auch vernichten und neu
  185. fertigen, wenn ihm Formulierungen nicht behagen oder er Unrichtigkeiten feststellt (vgl. Winkler, BeurkG 16. Aufl. § 37 Rdn. 32 m.w.Nachw.; Görk aaO
  186. S. 383 f.).
  187. 10
  188. b) Eine gegenteilige Auffassung wird im neueren Schrifttum, soweit ersichtlich, nur von Eylmann (ZNotP 2005, 300, 302; 2005, 458), dem Privatgutachter der Kläger, vertreten. Ihm hat sich in einem von dem Kläger zu 3 gegen
  189. den Notar Dr. v. Sche.
  190. eingeleiteten Klageerzwingungsverfahren wegen Ver-
  191. stoßes gegen §§ 267, 274, 348 StGB das Oberlandesgericht Frankfurt (NJW
  192. 2007, 1221) mit der Begründung angeschlossen, dass die Beurkundung rechtsgeschäftlicher Erklärungen mit dem in § 13 BeurkG vorgeschriebenen Vorlesen,
  193. Genehmigen und Unterschreiben abgeschlossen sei und die Unterzeichnung
  194. durch den Notar auch bei sonstigen Beurkundungen i.S. von §§ 36 ff. BeurkG
  195. den Schlusspunkt setze (a.A. LG Frankfurt am Main ZIP 2007, 2358).
  196. 11
  197. Dieser Ansicht folgt der Senat nicht, weil sie die gebotene Unterscheidung zwischen den verschiedenen Beurkundungsformen ausblendet. Bei der
  198. Beurkundung von Willenserklärungen gemäß § 13 BeurkG wirken die Erklärenden mit; bereits durch ihre Genehmigung und Unterzeichnung der Niederschrift
  199. wird deren Wortlaut festgelegt und darf daher nicht nachträglich einseitig von
  200. dem Notar verändert werden (abgesehen von offensichtlichen Unrichtigkeiten
  201. i.S. des § 44 a Abs. 2 BeurkG). Dagegen hat ein Hauptversammlungsprotokoll
  202. gemäß § 130 AktG den Charakter eines Berichts des Notars über seine Wahrnehmungen (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 2 BeurkG; Großkomm.z.AktG/Barz 3. Aufl.
  203. § 130 Anm. 18), den er nicht in der Hauptversammlung herstellen und unterzeichnen muss, sondern auch nachträglich fertig stellen und deshalb - selbst
  204. nach Unterzeichnung - noch ändern kann, solange er sich seiner nicht entäu-
  205. - 10 -
  206. ßert hat. Bis dahin hat die Niederschrift nicht mehr Gewicht als ein Entwurf (vgl.
  207. Winkler aaO § 37 Rdn. 32; Lerch, BeurkG 3. Aufl. § 37 Rdn. 7; Bohrer aaO
  208. S. 2020; vgl. auch Krieger aaO; MünchKommStGB/Erb § 267 Rdn. 88). Dass im
  209. vorliegenden Fall der Notar seine Aufzeichnungen - einer verbreiteten Praxis
  210. entsprechend (vgl. Görk aaO; Winkler aaO Rdn. 33) - vorsorglich für den Fall
  211. seines plötzlichen Todes oder seiner Handlungsunfähigkeit unterzeichnet hat,
  212. ändert nichts daran, dass er sie nicht in Verkehr gegeben, sondern erst später
  213. eine von ihm autorisierte Endfassung erstellt hat, mit der Folge, dass bis zu deren Ausgabe der Beurkundungsvorgang noch nicht i.S. des § 44 a Abs. 2
  214. BeurkG abgeschlossen war (vgl. Bohrer aaO S. 2021; Görk aaO S. 383 mit
  215. Hinweis auf die Parallele in § 16 Abs. 1 FGG). Es handelt sich hier - entgegen
  216. der Ansicht der Revision des Klägers zu 3 - nicht um eine dem tatsächlichen
  217. Verhalten widersprechende bloße "Mentalreservation". Ob im Todesfall des Notars die vorsorgliche Unterzeichnung zu einer gültigen Niederschrift i.S. des
  218. § 130 AktG führen kann (vgl. dazu Bohrer aaO; Kanzleiter, DNotZ 2007, 804,
  219. 811), bedarf hier keiner Entscheidung.
  220. 12
  221. c) Da nach allem die vorliegende Endfassung der Niederschrift maßgeblich ist, kommt es auf die von den Klägern gemutmaßten Mängel der ursprünglichen, nicht mehr vorhandenen Aufzeichnungen nicht an; erst recht ist ohne Bedeutung, dass die von dem Notar zu den Akten gegebene, nach seiner Zeugenaussage seine ursprünglichen Aufzeichnungen in der Hauptversammlung
  222. wiedergebende Leseabschrift von ihm, worauf die Revision des Klägers zu 3
  223. hinweist, nicht unterzeichnet ist. Soweit die Revision des Klägers zu 3 die
  224. Übereinstimmung zwischen den ursprünglichen Aufzeichnungen und der Leseabschrift in Zweifel zieht und mutmaßt, diese sowie die Endfassung der Niederschrift beruhten - entgegen der Argumentation des Berufungsgerichts - nicht auf
  225. Wahrnehmungen und Schreibarbeiten des Notars in der Hauptversammlung,
  226. sondern auf Weisungen der Rechtsabteilung der Beklagten, sind dafür konkrete
  227. - 11 -
  228. Anhaltspunkte nicht dargetan. Durch bloße Zweifel oder Mutmaßungen können
  229. die Gültigkeit und die Beweiskraft (§§ 415, 418 ZPO) der notariellen Beurkundung gemäß § 130 AktG - hier in Gestalt der von dem Notar autorisierten Endfassung - nicht ausgeräumt werden, weil anderenfalls die von § 130 AktG vor
  230. allem bezweckte Rechtssicherheit (vgl. Hüffer aaO § 130 Rdn. 1) über die von
  231. der Hauptversammlung gefassten - hier ihrem Inhalt nach auch gar nicht im
  232. Streit stehenden - Beschlüsse in ihr Gegenteil verkehrt würde; selbst gegenüber
  233. handschriftlichen Aufzeichnungen und/oder Korrekturen könnte eingewandt
  234. werden, sie seien erst nachträglich auf Weisung Dritter entstanden. Vielmehr ist
  235. bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass eine der Formvorschrift des § 130 AktG (vgl. Sen.Urt. v. 4. Juli 1994 - II ZR 114/93, AG 1994,
  236. 466) entsprechende Beurkundung jedenfalls hinsichtlich der gemäß § 241 Nr. 2
  237. AktG relevanten Teile ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Auf die entsprechende tatsächliche Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, welche die
  238. Revisionen als haltlos rügen, kommt es daher nicht an.
  239. 13
  240. Demgegenüber betreffen die von der Revision des Klägers zu 3 dargestellten Abweichungen der Endfassung der Niederschrift von der "Leseabschrift" jedenfalls keine gemäß § 241 Nr. 2 AktG nichtigkeitsrelevanten Teile,
  241. sondern sind eher marginal, mag auch die von dem Notar erstellte "Vergleichsversion" insgesamt 52 Einfügungen und 49 Streichungen ausweisen. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die über die Erfassung der Abstimmungsbzw. Beschlussergebnisse hinausgehende Protokollierung des Ablaufs einer
  242. Hauptversammlung, an der rund 4.000 Aktionäre teilnahmen, in der über Stunden diskutiert wurde und in der eine Unzahl von Fragen und Anträgen gestellt
  243. wurde, auf erhebliche Schwierigkeiten stößt und dabei nachträglich zu korrigierende Unzulänglichkeiten oder Fehler - etwa hinsichtlich gestellter Anträge oder
  244. der Reihenfolge oder der Namen der Redner - unterlaufen können. Daraus
  245. - 12 -
  246. kann aber ein Nichtigkeitsgrund gemäß § 241 Nr. 2 AktG nicht hergeleitet werden.
  247. 14
  248. d) Ebenso wenig führt es zur Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 2 AktG, dass in
  249. der vorliegenden Endfassung des Protokolls gemäß § 130 Abs. 2 AktG nur das
  250. Datum der Hauptversammlung, nicht aber dasjenige der Fertigstellung des Protokolls angegeben ist und dieses nach dem Vortrag der Kläger nicht unverzüglich i.S. von § 130 Abs. 5 AktG erstellt und zum Handelsregister eingereicht
  251. worden sein soll. Das fällt nicht unter einen der in § 241 AktG abschließend aufgeführten Nichtigkeitsgründe. Auch § 37 Abs. 2 BeurkG geht davon aus, dass
  252. Ort und Tag der Wahrnehmungen des Notars nicht mit Ort und Tag der Errichtung bzw. Fertigstellung der Urkunde zusammenfallen müssen, ohne dass dafür
  253. eine Frist bestimmt ist (vgl. Krieger, Festschrift Priester, S. 387, 400). Selbst die
  254. für die Beurkundung einer Willenserklärung gemäß § 13 BeurkG erforderliche
  255. Unterschrift des Notars kann unbefristet nachgeholt werden (vgl. Winkler aaO
  256. § 13 Rdn. 88). Solange eine in der Hauptversammlung begonnene Protokollierung gemäß § 130 AktG nicht abgeschlossen und deren Fertigstellung nicht
  257. endgültig unmöglich geworden ist, bleibt die Nichtigkeit gemäß § 241 Nr. 2 AktG
  258. in der Schwebe.
  259. 15
  260. e) Die unterbliebene Protokollierung eines angeblich von den Klägern
  261. gestellten Minderheitenverlangens gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG wäre ebenfalls kein Nichtigkeitsgrund i.S. des § 241 Nr. 2 AktG (vgl. MünchKommAktG/
  262. Kubis 2. Aufl. § 130 Rdn. 77 m.Nachw.).
  263. 16
  264. 2. Entgegen der Ansicht der Revision des Klägers zu 3 sind die angegriffenen Beschlüsse auch nicht deshalb nichtig, weil der Notar sich während der
  265. Hauptversammlung durchgehend im Versammlungsraum aufgehalten und die
  266. Verbringung der eingesammelten Stimmkarten sowie deren Auszählung per
  267. - 13 -
  268. Computer in einem anderen Raum nicht beaufsichtigt hat. Das von der Revision
  269. zur Stützung ihrer Ansicht angeführte Urteil des Landgerichts Wuppertal (ZIP
  270. 2002, 1621) ist vom Oberlandesgericht Düsseldorf (ZIP 2003, 1147) zu Recht
  271. aufgehoben worden. Die für § 241 Nr. 2 AktG relevanten Protokollierungspflichten des Notars sind in § 130 AktG abschließend geregelt. Die Überwachung
  272. und Protokollierung der Stimmenauszählung fällt nicht unter die "Art der Abstimmung" i.S. von § 130 Abs. 2 AktG; das dort weiter genannte "Abstimmungsergebnis" ist aufgrund der Bekanntgabe des Versammlungsleiters zu
  273. protokollieren (vgl. OLG Düsseldorf aaO; Hüffer aaO § 130 Rdn. 19; Krieger ZIP
  274. 2002, 1597; Priester EWiR 2002, 645; Spindler/Stilz/Wicke aaO § 130 Rdn. 31,
  275. 51; a.A. wohl MünchKommAktG/Kubis aaO § 130 Rdn. 35, 53). Soweit eine
  276. allgemeine Prüfungs- und Überwachungspflicht des Notars hinsichtlich evidenter Rechtsverstöße im Ablauf der Hauptversammlung postuliert wird (vgl. Hüffer
  277. aaO § 130 Rdn. 12 m.w.Nachw.), fällt deren Verletzung jedenfalls nicht unter
  278. § 241 Nr. 1 AktG (zutreffend OLG Düsseldorf aaO S. 1151 m.w.Nachw.; vgl.
  279. auch Paefgen WuB II A § 130 AktG 1.03).
  280. B. Zur geltend gemachten Anfechtbarkeit der Beschlüsse
  281. 17
  282. Hinsichtlich der hilfsweise geltend gemachten Anfechtbarkeit der angegriffenen Beschlüsse haben die Revisionen aller Kläger hingegen Erfolg, soweit
  283. sie die Entlastungsbeschlüsse (TOP 3 und 4) betreffen. Nicht zu entscheiden
  284. braucht der Senat in diesem Zusammenhang, ob neben den von den Klägern
  285. zu 1 und 2 insoweit erfolgreich geltend gemachten Anfechtungsgründen (dazu
  286. unten I 1) auch diejenigen des Klägers zu 3 durchgreifen, weil ihm schon die
  287. insofern erfolgreiche Anfechtungsklage der beiden anderen Kläger zugute
  288. kommt. Unerheblich ist, ob die Kläger ihre Widersprüche (§ 245 Abs. 1 Nr. 1
  289. a.F. AktG) vor oder nach den jeweiligen Beschlussfassungen eingelegt haben
  290. (vgl. Sen.Beschl. v. 11. Juni 2007 - II ZR 152/06, ZIP 2007, 2122 Tz. 6 = AG
  291. - 14 -
  292. 2007, 863). Dagegen erweist sich das angefochtene Urteil als richtig, soweit die
  293. Anfechtungsklagen der Kläger zu 1 und 2 gegen die Beschlüsse zu TOP 5
  294. (Wahl des Abschlussprüfers) und zu TOP 11 (Listenwahl der Aufsichtsratsmitglieder) abgewiesen worden sind.
  295. I. Revision der Kläger zu 1 und 2
  296. 1. Entlastungsbeschlüsse
  297. 18
  298. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die Entlastungsbeschlüsse (TOP 3, 4) wegen unrichtiger bzw. unvollständiger Organerklärungen
  299. gemäß § 161 AktG anfechtbar (vgl. dazu Hüffer aaO § 161 Rdn. 31), wie die
  300. Revision der Kläger zu 1 und 2 zu Recht rügt.
  301. 19
  302. Gemäß § 161 AktG haben Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten
  303. Gesellschaft jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen der "Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex" (nachfolgend DCGK)
  304. entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet
  305. wurden oder werden. Die Erklärung ist gemäß § 161 Satz 2 AktG den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen und hat einerseits einen Vergangenheits-,
  306. andererseits einen Gegenwarts- und Zukunftsbezug (Hüffer aaO § 161 Rdn. 14,
  307. 20), bzw. den Charakter einer "Dauererklärung", die jeweils binnen Jahresfrist
  308. zu erneuern und im Fall vorheriger Abweichung von den DCGK-Empfehlungen
  309. umgehend zu berichtigen ist (vgl. Seibert BB 2002, 581, 583 zu III 1; Hüffer aaO
  310. Rdn. 20; Ringleb in Ringleb/Kremer/Lutter/v. Werder, Deutscher Corporate
  311. Governance
  312. Kodex
  313. 3. Aufl.
  314. Rdn. 1579
  315. m.w.Nachw.;
  316. a.A.
  317. Heckelmann,
  318. WM 2008, 2146, 2148 f.). Geschieht dies nicht oder entspricht die Erklärung
  319. von vornherein in einem - wie hier - nicht unwesentlichem Punkt nicht der tatsächlichen Praxis der Gesellschaft, liegt darin ein Gesetzesverstoß, der - ohne
  320. dass der Senat generell zu den Folgen eines Verstoßes gegen § 161 AktG Stel-
  321. - 15 -
  322. lung nehmen müsste - jedenfalls dem genannten Verstoß zuwider gefasste Entlastungsbeschlüsse (§ 120 AktG) anfechtbar macht (vgl. Hüffer aaO § 161
  323. Rdn. 31; Kölner Komm.z.AktG/Lutter 3. Aufl. § 161 Rdn. 65, 67; K. Schmidt/
  324. Lutter/Spindler, AktG § 161 Rdn. 61 f., 65). So verhält es sich im vorliegenden
  325. Fall.
  326. 20
  327. a) Die Revision der Kläger zu 1 und 2 geht allerdings fehl, wenn sie die
  328. Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung aus einem unzutreffenden Vergangenheitsbezug herleiten will. Einen solchen Vergangenheitsbezug enthielten die - in
  329. dem Corporate-Governance-Bericht der Beklagten vom März 2003 wiedergegebenen - Organerklärungen (§ 161 AktG) vom 30. Oktober 2002 nicht und
  330. mussten ihn im Hinblick auf die nach § 15 EGAktG erstmals im Jahr 2002 abzugebende Erklärung auch nicht enthalten.
  331. 21
  332. b) Zu Recht stützen die Kläger zu 1 und 2 die Unrichtigkeit der genannten Entsprechenserklärung aber darauf, dass der Aufsichtsrat die Empfehlung
  333. 5.5.3 DCGK nicht befolgt hat. Nach dieser Bestimmung soll der Aufsichtsrat in
  334. seinem
  335. Bericht
  336. an
  337. die
  338. Hauptversammlung
  339. (§ 171
  340. Abs. 2
  341. AktG;
  342. vgl.
  343. Ringleb/Kremer aaO Rdn. 1139) "über aufgetretene Interessenkonflikte und
  344. deren Behandlung informieren". Damit soll die Informationsgrundlage für die
  345. Entlastung des Aufsichtsrats (§ 119 Abs. 1 Nr. 3 AktG) verbessert werden (vgl.
  346. Ringleb/Kremer aaO Rdn. 1138). Eine entsprechende Information enthält der
  347. vorliegende Bericht unstreitig nicht.
  348. 22
  349. aa) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts erübrigte sich ein Aufsichtsratsbericht über eine Interessenkollision in der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. B. und über die Behandlung dieses Konflikts gemäß Ziff. 5.5.3
  350. Satz 1 DCGK nicht deshalb, weil die gegen ihn erhobenen "Vorwürfe" des Klägers zu 1 in den Medien behandelt worden waren und daher bei einem auf-
  351. - 16 -
  352. merksam am öffentlichen Leben teilnehmenden und an den Geschicken "seines" Unternehmens interessierten Aktionär als bekannt vorausgesetzt werden
  353. konnten. Zum einen kennzeichnen die genannten "Vorwürfe" noch nicht den
  354. Interessenkonflikt, in dem Dr. B. als Aufsichtsratsvorsitzender der Beklagten
  355. wegen der gegen sie erhobenen Schadensersatzklage und ihm deshalb als
  356. ehemaligem Vorstandsmitglied drohender Regressansprüche der Beklagten
  357. gemäß § 93 Abs. 2 AktG stand. Vor allem aber besagen die genannten "Vorwürfe" nichts darüber, wie der Interessenkonflikt von dem Aufsichtsrat der Beklagten im Sinne von 5.5.3 Satz 1 DCGK "behandelt" worden ist.
  358. 23
  359. bb) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kann der Annahme eines seinerzeit bereits "aufgetretenen" und daher gemäß Ziff. 5.5.3 DCGK
  360. berichtsbedürftigen Interessenkonflikts nicht entgegengehalten werden, dass
  361. bei Abfassung des Berichts vom März 2003 nur ein erstinstanzliches Urteil (vom
  362. 18. Februar 2003, WM 2003, 725) über die von dem Kläger zu 1 erhobene
  363. Feststellungsklage auf Schadensersatz vorgelegen habe und dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. B. Regressansprüche der Beklagten (§ 93 Abs. 2 AktG)
  364. wegen des von ihm als Vorstandssprecher gegebenen Interviews aus damaliger Sicht allenfalls in ferner Zukunft für den Fall gedroht hätten, dass der Kläger
  365. zu 1 mit seiner Feststellungsklage und einer darüber hinaus zu erhebenden
  366. Zahlungsklage gegenüber der Beklagten - wie diese gemeint hat: wider Erwarten - rechtskräftig obsiegen sollte. Denn die Aufgabe des Aufsichtsrats (§ 111
  367. Abs. 1 AktG), die Organtätigkeit auch ehemaliger Vorstandsmitglieder (vgl.
  368. BGHZ 157, 151, 153 f.) einer nachgelagerten Recht- und Zweckmäßigkeitskontrolle zu unterziehen (vgl. BGHZ 135, 244, 252; Hüffer aaO § 111 Rdn. 4 f.;
  369. MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 111 Rdn. 29) und in Wahrnehmung der
  370. Gesellschaftsinteressen das Bestehen etwaiger Schadensersatzansprüche gegenüber dem betreffenden (ehemaligen) Vorstandsmitglied zu prüfen (vgl.
  371. BGHZ 135, 244, 252 ff.), beginnt nicht erst dann, wenn ein bestimmter Schaden
  372. - 17 -
  373. der Gesellschaft feststeht. Vielmehr besteht für einen die Sorgfaltspflichten gemäß §§ 116, 93 Abs. 1 Satz 1 AktG beachtenden Aufsichtsrat bereits nach Zustellung einer auf angeblich pflichtwidriges Handeln eines Vorstandsmitglieds
  374. gestützten Schadenersatzklage Anlass, den Sachverhalt zu erforschen und etwaige Regressmöglichkeiten gegen das betreffende Vorstandsmitglied eigenverantwortlich zu prüfen. Das gilt zunächst einmal hinsichtlich der Prozesskosten, zumal wenn - wie hier - bereits ein erstinstanzlicher Kostentitel vorliegt.
  375. Darüber hinaus hat der Aufsichtsrat aber auch über im Interesse der Gesellschaft liegende vorsorgliche Maßnahmen zur Sicherstellung etwaiger Regressansprüche aus § 93 Abs. 2 AktG wie etwa über eine Streitverkündung (§ 72
  376. ZPO) oder über die Geltendmachung eines Freistellungsanspruchs gegenüber
  377. dem betreffenden Vorstandsmitglied (§ 426 Abs. 1 BGB i.V.m. § 93 Abs. 2
  378. AktG) zu beraten und zu entscheiden. Alle derartigen Maßnahmen, die das Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem betreffenden Vorstandsmitglied berühren, fallen unter die Prüfungs- und Entscheidungsprärogative des
  379. Aufsichtsrats, nicht in diejenige des Vorstands, welcher die Gesellschaft im
  380. Rechtsstreit mit dem Dritten zu vertreten hat (§ 78 Abs. 1 AktG) und dabei im
  381. Innenverhältnis zu der Gesellschaft wiederum der Kontrolle des Aufsichtsrats
  382. unterliegt. Es liegt auf der Hand, dass bei den genannten vom Aufsichtsrat zu
  383. treffenden Entscheidungen objektiv ein Interessengegensatz zwischen der Gesellschaft und dem betroffenen Aufsichtsratsmitglied besteht und deshalb ein
  384. Aufsichtsratsvorsitzender, der selbst Betroffener ist, daran nicht unbefangen
  385. mitwirken kann.
  386. 24
  387. Ob im Aufsichtsrat der Beklagten tatsächlich entsprechende Beratungen
  388. unter oder ohne Mitwirkung des Vorsitzenden stattgefunden haben oder dies
  389. schlicht unterblieb, berührt nicht das Vorliegen des genannten, typisiert zu betrachtenden Interessenkonflikts, sondern dessen Behandlung, über die gemäß
  390. Ziff. 5.5.3 DCGK selbst dann zu berichten gewesen wäre, wenn der Aufsichtsrat
  391. - 18 -
  392. keinen Anlass für irgendwelche Vorsorgemaßnahmen gesehen und die Vorwürfe des Klägers für haltlos gehalten haben sollte.
  393. 25
  394. c) Zu weit geht es allerdings, soweit die Revision meint, es sei nicht nur
  395. über das Vorliegen und die Behandlung des Interessenkonflikts in der Person
  396. des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. B. gemäß Ziff. 5.5.3 Satz 1 DCGK zu berichten, sondern aus diesem Konflikt gemäß Ziff. 5.5.3 Satz 2 DCGK auch die Konsequenz einer Beendigung seines Aufsichtsratsmandats zu ziehen gewesen.
  397. Abgesehen von der fehlenden Gesetzesqualität dieser Regelung kann ein nicht
  398. nur vorübergehender, "wesentlicher" Interessenkonflikt, welcher eine Niederlegung oder eine Beendigung des Mandats (vgl. § 103 Abs. 3 AktG) erforderlich
  399. macht (vgl. dazu Ringleb/Kremer aaO Rdn. 1142), nur bei breitflächigen Auswirkungen auf weite Teile der Organtätigkeit angenommen werden (vgl. Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 5. Aufl. Rdn. 927), während
  400. der Interessenkonflikt in der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. B. lediglich einen Ausschnitt seiner Amtsführung in Bezug auf die von dem Kläger zu 1
  401. geltend gemachten Schadensersatzansprüche betrifft, deren tatsächliche Höhe
  402. bis heute nicht geklärt ist. Im Ergebnis kommt es darauf ohnehin nicht an, weil
  403. ein Interessenkonflikt jedenfalls vorlag und darüber gemäß Ziff. 5.5.3 Satz 1
  404. DCGK zu berichten gewesen wäre.
  405. 26
  406. d) Das Fehlen des in Ziff. 5.5.3 Satz 1 DCGK empfohlenen Berichts über
  407. die Interessenkollision und deren Behandlung war zwar mangels Gesetzeskraft
  408. dieser Regelung nicht unmittelbar gesetzwidrig, führte aber dazu, dass die bis
  409. zur Hauptversammlung vom 10. Juni 2003 und darüber hinaus aufrecht erhaltene "Entsprechenserklärung" (§ 161 AktG) des Vorstands und des Aufsichtsrats der Beklagten vom Oktober 2002 (vgl. oben II 1 a) in einer für die Organentlastung relevanten Hinsicht unrichtig war (vgl. Hüffer aaO § 161 Rdn. 31;
  410. K. Schmidt/Lutter/Spindler aaO § 161 Rdn. 62, 65). Darin liegt ein Gesetzesver-
  411. - 19 -
  412. stoß, welcher zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse insgesamt und
  413. nicht nur zur Teilanfechtbarkeit der Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds Dr. B.
  414. führt, weil sämtliche Organmitglieder die für den Interessenkonflikt in der Person des Dr. B. und für die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung maßgeblichen Tatsachen kannten (vgl. Hüffer aaO § 161 Rdn. 31) und die vorliegende
  415. Entsprechenserklärung nach ihrem Wortlaut von beiden Organen gemeinsam
  416. abgegeben worden ist (vgl. dazu Ringleb/Lutter aaO Rdn. 1540; zur Frage eines
  417. Gemeinsamkeitserfordernisses
  418. bejahend
  419. BegrRegE
  420. TransPuG,
  421. BT-Drucks. 14/8769 S. 21; Seibt, AG 2002, 249, 253; a.A. Ulmer, ZHR 166,
  422. 150, 173; Krieger, FS Ulmer, S. 365, 369 f.; Hüffer aaO § 161 Rdn. 10).
  423. 27
  424. Entgegen einer im Schrifttum zum Teil vertretenen Auffassung handelt es
  425. sich bei der vorliegenden "zukunftsgerichteten" Erklärung (dazu oben II 1 a)
  426. nicht nur um eine - auf das Handeln des einzelnen Organs beschränkte - "Absichtserklärung", deren Unrichtigkeit nur dem von einer DCGK-Empfehlung abweichenden Organ zur Last fiele (so insbesondere Kölner Komm.z.AktG/Lutter
  427. 3. Aufl. § 161 Rdn. 41). Vielmehr verlangt § 161 AktG eine den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machende und daher bis zu ihrer Änderung maßgebende
  428. (vgl. oben II 1 a) Information über die Einhaltung der - an die Verwaltung insgesamt (vgl. BT-Drucks. 14/8769 S. 21) und zum Teil auch an die Hauptversammlung gerichteten - DCGK-Empfehlungen im gesamten Bereich der Gesellschaft
  429. (vgl. Krieger, Festschrift Ulmer, S. 365, 368), weshalb eine Unrichtigkeit der
  430. Entsprechenserklärung jedem der erklärungspflichtigen Organe zur Last fällt,
  431. soweit ihre Mitglieder die anfängliche oder später eintretende Unrichtigkeit der
  432. Erklärung kannten oder kennen mussten und sie gleichwohl nicht für eine Richtigstellung gesorgt haben (vgl. auch K. Schmidt/Lutter/Spindler aaO § 161
  433. Rdn. 65). Ein dolus malus ist insoweit nicht erforderlich (vgl. insoweit Kölner
  434. Komm.z.AktG/Lutter § 161 Rdn. 87).
  435. - 20 -
  436. 28
  437. e) Der Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse des vorliegenden Falls
  438. steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Vertreter des Klägers zu 1 die
  439. Hauptversammlung in einem im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils erwähnten Redebeitrag auf die Interessenkollision in der Person des Dr. B. und
  440. die daraus resultierende Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung gemäß § 161
  441. AktG hingewiesen hat. Dies mag zwar den erschienenen Aktionären vor der
  442. Abstimmung über die Entlastung vor Augen geführt haben, dass die Erklärung
  443. der Verwaltungsorgane der Beklagten unrichtig war. Der Gesetzesverstoß war
  444. damit aber nicht hinfällig, vielmehr erforderte er - schon im Hinblick auf die in
  445. der Hauptversammlung nicht erschienenen Aktionäre, die gleichermaßen einen
  446. Anspruch auf eine zutreffende Unterrichtung hatten -, dass eine Billigung des
  447. Verhaltens der Organmitglieder ausgeschlossen war und die gleichwohl gefassten Entlastungsbeschlüsse anfechtbar sind (vgl. Hüffer aaO § 161 Rdn. 31
  448. m.w.Nachw.; vgl. auch Senat, BGHZ 153, 47, 51); anderenfalls blieben Verstöße gegen § 161 AktG folgenlos.
  449. 2. Listenwahl der Aufsichtsratsmitglieder
  450. 29
  451. a) Entgegen der Ansicht der Revision geht das Berufungsgericht insoweit
  452. zutreffend davon aus, dass die von dem Versammlungsleiter vorgeschlagene
  453. Listenwahl zulässig war, weil gemäß der Satzung der Beklagten "der Leiter der
  454. Hauptversammlung berechtigt ist, über eine von der Verwaltung ... vorgelegte
  455. Liste mit Wahlvorschlägen abstimmen zu lassen". Eine entsprechende Satzungsregelung ist wirksam und verstößt insbesondere nicht gegen § 23 Abs. 5
  456. AktG, weil § 101 AktG keine Regelung zur Art der Abstimmung trifft (vgl. Spindler/Stilz/Spindler aaO § 101 Rdn. 36). Soweit § 101 Abs. 1 AktG von der Wahl
  457. der "Mitglieder des Aufsichtsrats" spricht, ergibt sich daraus nichts Gegenteiliges, wie die Parallele in § 120 Abs. 1, 2 AktG zeigt (vgl. K. Schmidt/Lutter/
  458. Drygala, AktG § 101 Rdn. 10). Die erst am 2. Juni 2005 beschlossene Empfeh-
  459. - 21 -
  460. lung Ziff. 5.4.3 DCGK, Wahlen zum Aufsichtsrat als Einzelwahlen durchzuführen, berührt die vorliegende Wahl im Juni 2003 nicht.
  461. 30
  462. Da somit bereits in der Satzung der Beklagten über die Zulässigkeit der
  463. Listenwahl entschieden worden ist, kommt es - entgegen der Ansicht der Revision - auf die unter den Parteien streitige Behauptung nicht an, der Vertreter der
  464. Klägerin zu 2 habe vor Durchführung der Listenwahl beantragt, die Hauptversammlung darüber abstimmen zu lassen, dass über die Wahl der einzelnen
  465. Aufsichtsratsmitglieder getrennt abgestimmt werde. Dies würde (entgegen der
  466. Ansicht von Bub, Festschrift Derleder, S. 221, 229) in die in der Satzung getroffene Regelung eingreifen, das Wahlverfahren dem Versammlungsleiter zu überlassen, dessen jeweiliger Entscheidung sich die satzunggebenden Aktionäre
  467. mit Wirkung für später beitretende Aktionäre unterworfen haben. Der Antrag auf
  468. Einzelabstimmung lief unter diesen Umständen, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, auf eine unzulässige Satzungsdurchbrechung hinaus (zustimmend MünchKommAktG/Habersack 3. Aufl. § 101 Rdn. 22 m. Fn. 59).
  469. 31
  470. b) Aus dem Senatsurteil vom 21. Juli 2003 (BGHZ 156, 38, 41) ergibt
  471. sich nichts Gegenteiliges. Dort fehlte eine Satzungsregelung. Nur in einem solchen Fall ist ein Hinweis des Versammlungsleiters sinnvoll und möglicherweise,
  472. was der Senat aaO allerdings offen gelassen hat, dahingehend erforderlich,
  473. dass derjenige Aktionär, der einen Kandidaten der Liste nicht wählen wolle, gegen die Liste insgesamt stimmen müsse, und dass bei deren mehrheitlicher
  474. Ablehnung eine Einzelwahl stattfinde (vgl. dazu Großkomm.z.AktG/Hopt/
  475. M. Roth aaO § 101 Rdn. 51; Hüffer aaO § 101 Rdn. 6). Dagegen ermächtigte
  476. im vorliegenden Fall schon die Satzung der Beklagten den Versammlungsleiter,
  477. eine Listenwahl anzuordnen. Ohne Relevanz für die Beschlussfassung ist es
  478. deshalb, dass der nach Behauptung der Kläger von dem Versammlungsleiter
  479. gegebene Hinweis, die Listenwahl sei in der Satzung vorgeschrieben, in der
  480. - 22 -
  481. erteilten Form nicht ganz zutreffend war. Einen Anspruch auf Durchführung einer Einzelwahl haben einzelne Aktionäre auch sonst grundsätzlich nicht (vgl.
  482. K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG § 101 Rdn. 11 m.w.Nachw. auch zur Gegenansicht). Unerheblich ist auch der Streit der Parteien darüber, ob der Versammlungsleiter darauf hingewiesen hat, dass eine etwaige Opposition gegen einzelne Kandidaten durch Ablehnung der Liste im Ganzen zum Ausdruck gebracht
  483. werden müsse, weil das eine Selbstverständlichkeit ist, die nur in Zusammenhang mit der hier fehlenden Möglichkeit, eine Einzelwahl zu erzwingen, Bedeutung hat.
  484. 32
  485. c) Die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG (dazu
  486. oben II 1) wird von der Revision nur als Anfechtungsgrund gegenüber den Entlastungsbeschlüssen, nicht aber gegenüber dem Beschluss über die Wahl der
  487. Aufsichtsratsmitglieder geltend gemacht.
  488. 33
  489. d) Schließlich ist der angefochtene Beschluss über die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder auch nicht gemäß § 243 Abs. 1, 4 a.F. AktG wegen angeblicher, von der Revision der Kläger zu 1 und 2 geltend gemachter Verletzungen
  490. des Informationsrechts der Aktionäre (§ 131 AktG) anfechtbar.
  491. 34
  492. aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass es in diesem
  493. Zusammenhang nur auf die in der Klageschrift der Kläger zu 1 und 2 konkret
  494. als nicht oder nicht zutreffend beantwortet aufgeführten Fragen der Aktionärsvertreter E.
  495. (nachfolgend E.) und N.
  496. (nachfolgend N.) ankommt, weil
  497. Anfechtungsgründe in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern innerhalb der Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG in den Rechtsstreit eingeführt werden
  498. müssen (vgl. BGHZ 120, 141, 157 m.w.Nachw.; Sen.Urt. v. 14. März 2005 - II
  499. ZR 153/03, AG 2005, 395, 397). Diesem Erfordernis genügte zwar die Auflistung der angeblich "insbesondere" nicht beantworteten Fragen in der Klage-
  500. - 23 -
  501. schrift (lit. a bis s), nicht aber der darüber hinaus gehaltene Vortrag, der Vorstand der Beklagten habe "eine ganze Reihe von Fragen" aus einer der Klageschrift beigefügten Frageliste des Aktionärsvertreters E. nicht oder unzutreffend
  502. beantwortet. Das gleiche gilt für die Bezugnahme auf sonstige in der Klageschrift nicht genannte Fragen anderer Aktionäre, auf welche die Revision sich
  503. im Übrigen nicht beruft. Sie beschränkt sich vielmehr - neben den Fragen der
  504. Aktionärsvertreterin N. - auf die in der Klageschrift aufgelisteten Fragen lit. a bis
  505. s des Aktionärsvertreters E., die auch Gegenstand der von der Revision in Bezug genommenen Entscheidungen in dem von den Klägern zu 1 und 2 betriebenen Auskunftserzwingungsverfahren (§ 132 AktG) waren.
  506. 35
  507. bb) Entgegen der Ansicht der Revision war das Berufungsgericht und ist
  508. der Senat im vorliegenden Anfechtungsprozess an die auf Betreiben der Kläger
  509. zu 1 und 2 im Auskunftserzwingungsverfahren gemäß § 132 AktG ergangene
  510. Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. Oktober
  511. 2006 (20 W 54/05), das den Klägern einen Auskunftsanspruch wegen Nichtbeantwortung einiger in der Hauptversammlung gestellter Fragen (lit. d, f bis l)
  512. zuerkannt hat, nicht gebunden. Abgesehen davon, dass jene Entscheidung die
  513. - jeweils nur im Kontext mit einem bestimmten Tagesordnungspunkt zu beurteilende (vgl. dazu BGHZ 119, 1, 13 f.) - Erforderlichkeit der betreffenden Auskünfte i.S. von § 131 Abs. 1 AktG allein in Bezug auf die Entlastungsbeschlüsse
  514. annimmt, hat der Senat (BGHZ 86, 1, 3, 5) bereits entschieden, dass jedenfalls
  515. die Abweisung eines Auskunftsbegehrens in Verfahren gemäß § 132 AktG keine Bindungswirkung für den Anfechtungsprozess entfaltet. Für den umgekehrten, hier vorliegenden Fall der Zuerkennung von Auskunftsansprüchen in Verfahren gemäß § 132 AktG kann - entgegen der früher h.M. (vgl. z.B. OLG Stuttgart AG 1992, 459; dazu Goette, DStR 1993, 733 sowie die Nachweise in
  516. MünchKommAktG/Kubis aaO § 132 Rdn. 61) - nichts anderes gelten. Dies folgt
  517. zum einen aus einem Umkehrschluss zu § 132 Abs. 3 Satz 1 AktG, der gerade
  518. - 24 -
  519. nicht auf die inter-omnes-Wirkung gemäß § 99 Abs. 5 Satz 2 AktG verweist, die
  520. einem Urteil im Anfechtungsprozess gemäß § 248 Abs. 1 AktG zukommt. Zum
  521. anderen ist das Auskunfterzwingungsverfahren hinsichtlich seiner beschränkten
  522. Rechtsmittelmöglichkeiten dem allgemeinen Zivilverfahren nicht gleichwertig
  523. (vgl. MünchKommAktG/Kubis aaO; Großkomm.z.AktG/Decher 4. Aufl. § 132
  524. Rdn. 11; Hüffer aaO § 132 Rdn. 2; K. Schmidt/Lutter/Spindler, AktG § 132
  525. Rdn. 41; Spindler/Stilz/Siems, AktG § 131 Rdn. 87). Die Gefahr von divergierenden Entscheidungen in den beiden Verfahren kann vor dem Hintergrund,
  526. dass sich der Aktionär bewusst für deren parallele Durchführung mit unterschiedlicher Zielrichtung und unterschiedlichen Zuständigkeitsanordnungen entscheidet, eine Bindungswirkung nicht begründen (MünchKommAktG/Kubis aaO; K. Schmidt/Lutter/Spindler aaO § 132 Rdn. 41).
  527. 36
  528. cc) Entgegen der Ansicht der Revision ist dem Berufungsgericht im Ergebnis darin zu folgen, dass eine Verletzung des Informationsrechts der Aktionäre (§ 131 AktG) in Bezug auf den Tagesordnungspunkt der Wahl der Aufsichtsratsmitglieder nicht vorliegt.
  529. 37
  530. (aaa) Zutreffend geht das Berufungsgericht insoweit von den vorgelegten
  531. schriftlichen Antwortvorschlägen des "back-office" der Beklagten aus. Zu Unrecht meint die Revision, das Berufungsgericht verkenne die Beweislast der
  532. Beklagten für die Unrichtigkeit des Vortrags der Kläger zu 1 und 2, die Auskünfte seien in freier Rede und teilweise abweichend von den schriftlichen Antwortvorschlägen erteilt worden. Das Berufungsgericht hat insoweit nicht eine Beweislastentscheidung getroffen, sondern mangels näherer Einlassung der Beklagten zu den pauschal behaupteten Abweichungen bereits ein zulässiges
  533. Bestreiten verneint (§ 138 Abs. 1, 2 ZPO). Richtigerweise trifft - entgegen der
  534. Ansicht der Revision - die Darlegungs- und Beweislast für die behaupteten Informationspflichtverletzungen der Beklagten ohnehin die Kläger. Eine Beweis-
  535. - 25 -
  536. lastumkehr wegen Nichtvorlegung des Hauptversammlungsprotokolls (vgl. dazu
  537. MünchKommAktG/Hüffer 2. Aufl. § 243 Rdn. 138) findet hier nicht statt, weil ein
  538. notarielles Hauptversammlungsprotokoll vorliegt (vgl. oben A). Eine substantiierte Darlegung der angeblichen Abweichungen von den schriftlichen Antwortvorschlägen findet sich auch an den von der Revision angeführten Aktenstellen
  539. nicht.
  540. 38
  541. (bbb) Unter Zugrundelegung der schriftlichen Antwortvorschläge sind die
  542. Fragen lit. a, b ("Listing an ausländischen Börsen") beantwortet. Die weiteren
  543. Fragen lit. c bis m des Aktionärsvertreters E. betrafen ebenso wie die Fragen
  544. der Aktionärsvertreterin N. den Erwerb und die anschließende Teilveräußerung
  545. von 40% der Aktien der A.
  546. S.
  547. Verlags AG durch die Beklagte, welche
  548. die ihr von einem Konzernunternehmen des Klägers zu 1 als Kreditsicherheit
  549. verpfändeten Aktien zum Mindestgebot ersteigert und anschließend einen Aktienanteil von 10% an Frau S.
  550. dadurch Mehrheitsaktionärin der A.
  551. (nachfolgend Frau S.) veräußert hatte, die
  552. S.
  553. Verlags AG wurde. Die Fragen
  554. zielten zusammengefasst erkennbar darauf zu ergründen, ob die zuständigen
  555. Organe der Beklagten bei dem Erwerbs- und Veräußerungsgeschäft ihre Sorgfaltspflichten gegenüber der Beklagten gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG verletzt
  556. haben. Das betrifft in erster Linie den Vorstand (vgl. § 76 Abs. 1 AktG), kann
  557. aber im Hinblick auf die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats (§ 111 Abs. 1
  558. AktG) auch für die Entscheidung über die Wiederwahl der bisherigen Aufsichtsratsmitglieder (hier unter Einschluss des früheren Vorstandssprechers Dr. B.)
  559. von Bedeutung sein (vgl. GroßkommAktG/Decher 4. Aufl. § 131 Rdn. 196;
  560. MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 131 Rdn. 54 bis 56).
  561. - 26 -
  562. (ccc) Jedenfalls besteht generell ein Anspruch auf Auskunft gemäß § 131
  563. 39
  564. Abs. 1 Satz 1 AktG nur insoweit, als diese zur sachgemäßen Beurteilung des
  565. betreffenden Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist, d.h. von einem
  566. objektiv urteilenden Aktionär als wesentliches Beurteilungselement benötigt
  567. wird (BGHZ 160, 385, 389; Hüffer, AktG aaO § 131 Rdn. 12 m.w.Nachw.). Nach
  568. diesem Kriterium, welches das Informationsrecht gemäß § 131 AktG in qualitativer und quantitativer Hinsicht sowie hinsichtlich seines Detaillierungsgrades
  569. begrenzt (vgl. Kubis aaO § 131 Rdn. 36), sind im vorliegenden Fall die nachgesuchten Informationen, soweit sie für die Meinungsbildung über die Eignung der
  570. vorgeschlagenen Aufsichtsratskandidaten erforderlich waren, - abgesehen von
  571. einer berechtigten Auskunftsverweigerung zu einzelnen Punkten - erteilt worden.
  572. 40
  573. (1) Aus den erteilten Antworten ergibt sich, dass die Beklagte die einzige
  574. Bieterin bei der öffentlichen Versteigerung der ihr verpfändeten Aktien war und
  575. ihre Interessen gewahrt hat, indem sie die Aktien zum Mindestgebot ersteigerte.
  576. Sie hat damit nicht auf eine um 50 Mio. € höhere Kreditforderung gegenüber
  577. der ohnehin insolventen Kreditschuldnerin oder auf bessere Verwertungsmöglichkeiten "verzichtet", wie auf entsprechende Frage der Aktionärsvertreterin N.
  578. klargestellt wurde. Die Fragen lit. l und m des Aktionärsvertreters E., deren Anbringung in der Hauptversammlung streitig ist, gehen von der falschen Voraussetzung aus, dass bei einer Verwertung der vinkulierten Aktien im Rahmen eines (von der Beklagten zu beantragenden) Insolvenzverfahrens die Vinkulierung entfallen und deshalb eine größere Zahl von Bietern in Betracht gekommen wäre (vgl. dagegen MünchKommAktG/Bayer, 3. Aufl. § 68 Rdn. 112, 114
  579. m.w.Nachw.). Im Gegenteil deckte die schon für die Verpfändung erforderliche
  580. Zustimmung der A.
  581. S.
  582. AG (§ 68 Abs. 2 AktG; Bayer aaO § 68 Rdn. 56)
  583. auch die Pfandverwertung durch die Beklagte (vgl. Liebscher/Lübke, ZIP 2004,
  584. 241, 245 m.w.Nachw.), deren Vorstand auf die Fragen des Aktionärsvertreters
  585. - 27 -
  586. E. darauf hingewiesen hat, dass jeder Dritte sich an der Versteigerung hätte
  587. beteiligen können und überdies der Kläger zu 1 selbst sich zuvor mit Zustimmung der Beklagten erfolglos bemüht habe, Interessenten für das Aktienpaket
  588. zu finden. In Anbetracht des zur Verlustminimierung der Beklagten gebotenen
  589. Aktienerwerbs zum günstigen Preis erübrigte sich aus der Sicht eines objektiv
  590. urteilenden Aktionärs die Frage lit. k, ob dem Erwerb des Aktienpakets Vorstands- und/oder Aufsichtsratsbeschlüsse zugrunde lagen.
  591. 41
  592. (2) Auch die in der Klageschrift bezeichneten Fragen der Aktionärsvertreter E. (lit. c bis i) und N. zur Teilveräußerung des Aktienpakets sind, soweit gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Aufsichtsratswahl erforderlich, beantwortet worden. Die Frage lit. c nach der Richtigkeit der Presseberichte über den
  593. Verkauf an Frau S. betraf eine ohnehin allgemein bekannte Tatsache und wurde vom Vorstand konkludent dahingehend beantwortet, dass ein Teil der Aktien, "wie seinerzeit bekannt gemacht", unmittelbar weiterveräußert worden sei.
  594. Die Auskunftsverweigerung "aus Gründen des Bankgeheimnisses" bezog sich
  595. auf "darüber hinausgehende Einzelheiten dieser Transaktion". Die Frage nach
  596. dem Veräußerungspreis wurde dahingehend beantwortet, dass dieser "weit über dem seinerzeitigen Börsenkurs" lag, was zur Beurteilung eines kaufmännisch vernünftigen Handelns der Verwaltung ausreichte. Eine genaue Preisangabe, wie auch von der Aktionärsvertreterin N. gefordert, hätte nur einem öffentlichen Sensationsinteresse gedient; insoweit überwog das Diskretionsinteresse der Beklagten den Nutzen einer Auskunftserteilung, weshalb die Beklagte, wie auch das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend annimmt, zur Auskunftsverweigerung gemäß § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG berechtigt war (vgl.
  597. MünchKommAktG/Kubis aaO § 131 Rdn. 208 speziell zu "Veräußerungserlösen"). Die Frage lit. e wurde dahin beantwortet, dass die Beklagte die Teilveräußerung aus Gründen der Risikominderung für geboten hielt. Gab es bei der
  598. öffentlichen Versteigerung des Gesamtpakets keinen Bieter außer der Beklag-
  599. - 28 -
  600. ten, so musste sie auch vor der darauf folgenden Teilveräußerung nicht nochmals ein "Bieterverfahren" durchführen (Frage lit. f). Hierzu und zur Frage lit. g,
  601. ob es keine Interessenten für das gesamte Aktienpaket gegeben habe, hat der
  602. Vorstand der Beklagten ausgeführt, es habe sich kein Interessent zu einem angemessenen Preis angeboten. Diese Auskunft genügte, weil die Organe der
  603. Beklagten nicht gehalten waren, das Gesamtpaket unter Wert zu verschleudern
  604. und auf die lukrative Teilveräußerung zu verzichten, welche der Beklagten den
  605. Wert von 30% der Aktien erhielt. Da sich der Umfang der von der Beklagten
  606. getroffenen Maßnahmen aus der zusammenfassenden Beantwortung der Fragen lit. c bis h ergibt, war damit auch die Frage lit. h nach zusätzlichen Bemühungen um eine Optimierung des Kaufpreises nicht mehr i.S. des § 131 Abs. 1
  607. Satz 1 AktG erforderlich (vgl. auch Hüffer, AktG aaO § 243 Rdn. 47). Entsprechendes gilt für die in die gleiche Richtung zielende Frage 9 der Aktionärsvertreterin N. (ungeachtet der dazu erklärten Auskunftsverweigerung).
  608. 42
  609. Die Frage lit. i zur allgemeinen Vorgehensweise der Beklagten bei Verkäufen "signifikanter Beteiligungen" wurde insoweit unter Hinweis auf die Antwort zu einer vorangegangenen Frage beantwortet. Die damit verbundene Frage nach Besonderheiten des Verkaufs an Frau S. erübrigte sich zumindest großenteils im Hinblick auf die bereits erteilten Informationen zu den Fragen lit. e
  610. bis h; die Mitteilung von Einzelheiten des Geschäfts mit Frau S. durfte die Beklagte gemäß § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG aus den bei diesem Geschäft gegebenen Diskretionsgründen verweigern, um eine nachhaltige Beschädigung
  611. ihrer Kontrahierungsfähigkeit im Wirtschaftsleben bei Großgeschäften dieser Art
  612. zu vermeiden (vgl. MünchKommAktG/Kubis aaO § 131 Rdn. 101), wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt.
  613. 43
  614. Von einem vorrangigen Aufklärungsinteresse wegen objektiv begründeten Verdachts schwerwiegender Pflichtverletzungen der Verwaltungsorgane der
  615. - 29 -
  616. Beklagten (vgl. BGHZ 86, 1, 19 f.; Hüffer aaO § 131 Rdn. 27) kann hier nicht
  617. ausgegangen werden. Objektive Anhaltspunkte dafür sind nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht dargetan und ergeben sich auch nicht aus den von
  618. der Revision angeführten Aktenstellen. Die Gründe für den Erwerb und den
  619. Teilverkauf des Aktienpakets wurden in der Hauptversammlung mitgeteilt. Hingewiesen wurde auch darauf, dass es keine Vereinbarungen gegeben habe,
  620. welche die Beklagte zu dem Erwerb und der anschließenden Teilveräußerung
  621. verpflichtet hätten. Dementsprechend war die Beklagte auch zur Bekanntgabe
  622. von Einzelheiten der Vereinbarungen mit Frau S. auf entsprechende Fragen der
  623. Aktionärsvertreterin N. nicht verpflichtet, wie das Berufungsgericht zutreffend
  624. ausführt. Der von den Klägern subjektiv gehegte Verdacht, die Verwaltungsorgane der Beklagten hätten ihre Pflichten verletzt und sich schadensersatzpflichtig gemacht, begründet keine erweiterten Auskunftspflichten der Beklagten.
  625. 44
  626. (3) Die weiteren, den Rechtsstreit zwischen dem Kläger zu 1 und der Beklagten sowie ihrem ehemaligen Vorstandsprecher Dr. B. betreffenden Fragen
  627. lit. n bis s des Aktionärsvertreters E. wurden, soweit gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1
  628. AktG erforderlich, nach den Feststellungen des Berufungsgerichts beantwortet,
  629. wie sich auch aus den vorgelegten Antwortvorschlägen ergibt. Unerheblich ist
  630. insoweit die in Frageform gekleidete Behauptung, dass Dr. B. zur Zeit der
  631. Hauptversammlung des Vorjahres 2002 über den Eingang der Schadensersatzklage informiert gewesen sei. Wie das Berufungsgericht ausführt, wurde mit
  632. der damaligen Äußerung des Dr. B., er habe eine Schadensersatzklage und
  633. eine Strafanzeige noch nicht erhalten, nicht verschwiegen, dass die betreffenden Maßnahmen bereits eingeleitet worden seien. Die weitere Frage lit. r zur
  634. Kommunikation zwischen Dr. B. und seinem Strafverteidiger betraf keine Angelegenheit der Gesellschaft, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt. Die an
  635. den Vorstand Dr. v. H.
  636. gerichtete Frage lit. s zu dessen Kenntnisstand
  637. von der Strafanzeige und der Schadensersatzklage des Klägers zu 1 im Jahr
  638. - 30 -
  639. 2002 wurde beantwortet und war im Übrigen aus dem vorerwähnten Grund zur
  640. Meinungsbildung über die Wahl von Dr. B. in den Aufsichtsrat nicht erforderlich.
  641. 45
  642. e) Soweit die Revision schließlich unter Hinweis auf das Senatsurteil vom
  643. 25. November 2002 (BGHZ 153, 47, 51) rügt, das Berufungsgericht habe den
  644. Vortrag der Kläger zur materiellen Rechtswidrigkeit der Entlastungsbeschlüsse
  645. im Hinblick auf die pflichtwidrigen Interviewäußerungen des vormaligen Vorstandssprechers Dr. B. und auf die von dem Aufsichtsrat der Beklagten versäumte Sicherstellung von Regressansprüchen "ignoriert" bzw. irrig als verfristet gemäß § 246 Abs. 1 AktG angesehen, ist damit ein entsprechender Anfechtungsgrund gegenüber dem Beschluss über die Wahl des Aufsichtsrats nicht
  646. geltend gemacht, die im Übrigen auch nicht ohne weiteres aus diesem Grund
  647. anfechtbar wäre (vgl. BGHZ 153, 47, 52).
  648. 3. Wahl des Abschlussprüfers
  649. a) Ohne Erfolg rügt die Revision, der für das Geschäftsjahr 2003 gewähl-
  650. 46
  651. te Abschlussprüfer sei wegen Befangenheit (§ 319 Abs. 2 HGB) entsprechend
  652. den im Senatsurteil vom 25. November 2002 (BGHZ 153, 32 ff.) aufgestellten
  653. Grundsätzen nicht wählbar gewesen, weil er die Bilanz der Beklagten für das
  654. Vorjahr 2002 mit uneingeschränktem Prüfvermerk versehen habe, obwohl die
  655. Bilanz keine Rückstellungen wegen der von dem Kläger zu 1 gegen die Beklagte erhobenen (auf die Interviewäußerungen des Dr. B. gestützten) Feststellungsklage auf Schadensersatz ausgewiesen und bei Erteilung des Prüfvermerks sogar schon das erstinstanzliche Urteil in jenem Rechtsstreit vorgelegen
  656. habe.
  657. 47
  658. Das Berufungsgericht hat nicht das Senatsurteil vom 25. November 2002
  659. (aaO) "missverstanden", sondern zutreffend darauf hingewiesen, dass der vorliegende Fall entscheidungserhebliche Unterschiede gegenüber demjenigen
  660. - 31 -
  661. jenes Senatsurteils aufweise. Im dortigen Fall hatte der Abschlussprüfer an der
  662. Entstehung fehlerhaft vollendeter Tatsachen (Verschmelzungswertrelation) mitgewirkt und sich dadurch bereits Schadensersatzansprüchen in beträchtlicher
  663. Höhe ausgesetzt (aaO S. 43). Demgegenüber weist das Berufungsgericht ohne
  664. Rechtsfehler darauf hin, dass es im vorliegenden Fall um eine Wahrscheinlichkeitsbeurteilung des Bestehens von Schadensersatzansprüchen geht, die sich
  665. von Jahr zu Jahr ändern kann, ohne dass dies dem Eingeständnis eines früheren Fehlers gleichkommt und damit gerechnet werden muss, dass der Abschlussprüfer künftig in gleicher Weise verfahren werde. Hinzu kommt, dass der
  666. Prüfvermerk für das vor Erlass jenes Feststellungsurteils abgelaufene Geschäftsjahr 2002 zu erteilen und abzusehen war, dass der Nachweis eines bestimmten Schadens des Klägers zu 1 als Folge der Interviewäußerungen des
  667. Dr. B. auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stoßen wird. Bis heute liegt, worauf die Revisionserwiderung hinweist, noch kein erstinstanzliches Urteil zu dieser Kausalitätsfrage vor. Mag auch die Erhebung einer bloßen Feststellungsklage auf Schadensersatz die Erforderlichkeit einer Rückstellung nicht ausschließen, wie einer der Privatgutachter der Kläger zu 1 und 2 ausführt, so kann
  668. und muss doch bei der Wahrscheinlichkeitsbeurteilung des Bestehens von Ansprüchen nach dem jeweiligen Erkenntnisstand differenziert werden (vgl.
  669. Sen.Urt. v. 22. September 2003 - II ZR 229/02, ZIP 2003, 2068 f.; BFH DB
  670. 2002, 871).
  671. 48
  672. b) Soweit die Revision "die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Beschlüsse wegen nicht erteilter Auskünfte" geltend macht und dabei offenbar
  673. auch den Beschluss über die Wahl des Abschlussprüfers einbezieht, ist auf die
  674. entsprechenden Ausführungen zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder zu verweisen. Davon abgesehen ist schon nicht ersichtlich, welchen Bezug die in der
  675. Klageschrift bezeichneten Fragen zum Tagesordnungspunkt der Wahl des Abschlussprüfers haben sollen. Soweit die gestellten Fragen auf die Feststellung
  676. - 32 -
  677. einer von den Klägern vermuteten Pflichtverletzung und einer daraus resultierenden Schadensersatzverpflichtung der Organe der Beklagten in Zusammenhang mit dem Erwerb und der Teilveräußerung der an die Beklagte verpfändeten Aktien zielten, waren sie für die Beurteilung der Eignung und Zuverlässigkeit
  678. des bisherigen und des erneut zu wählenden Abschlussprüfers schon deshalb
  679. irrelevant, weil streitige Schadensersatzansprüche erst bei rechtskräftiger Titulierung in der Bilanz zu aktivieren sind (vgl. BFH DB 1989, 1949; Sen.Urt. v.
  680. 17. Dezember 2001 - II ZR 27/01, ZIP 2002, 802).
  681. II. Revision des Klägers zu 3
  682. 49
  683. Die von dem Kläger zu 3 mit seiner Revision weiterverfolgte Anfechtungsklage gegen die Entlastungsbeschlüsse hat Erfolg.
  684. 50
  685. 1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts, mit der sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt hat, hat der Kläger zu 3 die Klagefrist
  686. von einem Monat nach der Beschlussfassung vom 10. Juni 2003 (vgl. § 246
  687. Abs. 1 AktG) gewahrt.
  688. 51
  689. Zwar wurde die am 1. Juli 2003 - und damit innerhalb der Monatsfrist eingereichte Klageschrift dem Vorstand der Beklagten erst am 15. September
  690. 2003 zugestellt und die - gemäß § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 170 Abs. 1 ZPO
  691. zusätzlich erforderliche - Zustellung an ein Mitglied des Aufsichtsrats der Beklagten (vgl. § 170 Abs. 3 ZPO) erst am 12. Mai 2004 bewirkt. Diese Zustellungen sind jedoch jeweils als noch "demnächst" i.S. von § 167 ZPO und damit als
  692. fristwahrend anzusehen, weil der im vorliegenden Fall auf vermeidbare Verzögerungen im gerichtlichen Geschäftsablauf zurückzuführende Zeitraum dem
  693. Kläger zu 3 nicht angelastet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 20. April 2000
  694. - VII ZR 116/99, ZIP 2000, 1140).
  695. - 33 -
  696. 52
  697. a) Der Kläger zu 3, ein in Spanien ansässiger, aber im Inland zugelassener Rechtsanwalt, welcher sich selbst vertrat, hat in der Klage die Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder der Beklagten jeweils namentlich als gesetzliche
  698. Vertreter der Beklagten bezeichnet und dazu die Geschäftsadresse der Beklagten angegeben. Ob dies für die erforderliche Zustellung oder Ersatzzustellung
  699. an zumindest ein Aufsichtsratsmitglied (§ 170 Abs. 3 ZPO) nicht ausreichend
  700. war (so noch BGHZ 107, 296, 299), obwohl das Vorhandensein von "Geschäftsräumen" (§ 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) zumindest für den Aufsichtsratsvorsitzenden und die Weitergabe des Schriftstücks an ihn bei einer Gesellschaft wie
  701. der Beklagten erwartet werden kann (vgl. K. Schmidt/Lutter/Schwab, AktG
  702. § 246 Rdn. 7 m.Nachw. auch zur Gegenmeinung), kann im Hinblick auf den
  703. weiteren Ablauf dahinstehen. Denn der Kläger zu 3 hat spätestens am
  704. 14. August 2003 unter Bezugnahme auf eine beigefügte - im Original nicht bei
  705. den Akten befindliche - Telefaxkopie vom 10. Juli 2003 die Privatanschriften
  706. von zwei Aufsichtsratsmitgliedern der Beklagten mitgeteilt und um Zustellung
  707. der Klage auch unter diesen Adressen gebeten, wobei er für den Fall, dass weitere beglaubigte Abschriften benötigt würden, die Geschäftsstelle um deren
  708. Fertigung ersuchte und in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt die persönliche
  709. Haftung für die Kosten übernahm. Entgegen der Ansicht des Landgerichts kann
  710. keine Rede davon sein, dass der Schriftsatz vom 10. Juli 2003 das von dem
  711. Kläger zu 3 vor Einreichung seiner Anfechtungsklage eingeleitete Auskunftserzwingungsverfahren gemäß § 132 AktG betraf, weil in dem Schriftsatz auf die
  712. "Klageschrift" im Anfechtungsprozess, dem damals noch kein Aktenzeichen
  713. zugeteilt war, Bezug genommen wird. Die nachträgliche Adressangabe als solche hat zu keiner dem Kläger zuzurechnenden Zustellungsverzögerung geführt,
  714. weil die Klage dem Vorstand der Beklagten trotz einwandfreier Adressangabe in
  715. der Klageschrift erst am 15. September 2003 zugestellt wurde und bis dahin bei
  716. richtiger Sachbehandlung ohne weiteres auch an die von dem Kläger zu 3
  717. - 34 -
  718. nachträglich benannten Aufsichtsratsmitglieder hätte zugestellt werden können
  719. (vgl. auch BGH, Urt. v. 20. April 2000 aaO).
  720. 53
  721. b) Auch die späte Klagezustellung an den Vorstand der Beklagten beruht
  722. entgegen der Ansicht des Landgerichts auf Verzögerungen in dessen Verantwortungsbereich und nicht auf einer verspäteten Einzahlung des von dem Kläger zu 3 zu leistenden Gerichtskostenvorschusses, der von dem Landgericht
  723. erst mit Schreiben vom 6. August 2003 angefordert wurde. Innerhalb eines Zeitraums von circa drei Wochen nach Ablauf der Klagefrist des § 246 Abs. 1 AktG
  724. (10. Juli 2003) hätte der Kläger zu 3 in Erwartung einer Zahlungsaufforderung
  725. untätig bleiben dürfen, ohne sich dem Vorwurf nachlässiger Prozessführung
  726. auszusetzen (vgl. BGHZ 69, 361, 364 f.). Gemäß der vorliegenden Bestätigung
  727. der Gerichtskasse vom 22. Juli 2003 ging jedoch bereits an diesem Tag ein auf
  728. die Ha.
  729. Sparkasse gezogener Verrechnungsscheck über den vollstän-
  730. digen Betrag des geschuldeten Gerichtskostenvorschusses zu dem ursprünglichen Aktenzeichen des Anfechtungsprozesses (3/15 O 91/03) bei der Gerichtskasse ein, welche den Scheck relativ spät einlöste und am 12. August 2003
  731. Zahlungsanzeige erteilte. Unter dem 14. August 2003 bestimmte der Richter
  732. frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung. Die Terminsverfügung wurde der Beklagten bzw. ihrem Vorstand zusammen mit der Klageschrift der Beklagten, wie schon erwähnt, erst am 15. September 2003 zugestellt. Ein verzögerungsursächliches Verschulden des Klägers zu 3 ist damit nicht festzustellen.
  733. Da die Zahlungsanzeige der Gerichtskasse erst vom 12. August 2003 datiert
  734. und eine Klage in bürgerlich-rechtlichen Rechtsstreitigkeiten vor der Entrichtung
  735. des Vorschusses nicht zugestellt werden soll (§ 12 Abs. 1 Satz 1 GKG), kann
  736. im Übrigen auch unter diesem Aspekt die nachträgliche Bekanntgabe der Privatanschriften zweier Aufsichtsratsmitglieder am 14. August 2003 zu keiner
  737. nennenswerten Zustellungsverzögerung geführt haben.
  738. - 35 -
  739. 54
  740. c) Nachdem der Kläger zu 3 die ihm obliegenden Mitwirkungshandlungen
  741. zur Ermöglichung einer Zustellung an den Vorstand und den Aufsichtsrat der
  742. Beklagten erbracht hatte, war er grundsätzlich nicht mehr gehalten, das gerichtliche Verfahren zu kontrollieren und durch Nachfragen auf eine beschleunigte
  743. Zustellung hinzuwirken (vgl. BGHZ 168, 306, 312 Tz. 20 ff.), was er ungeachtet
  744. dessen in der Folgezeit immer wieder tat, nachdem er aus der Klageerwiderung
  745. erfuhr, dass die Klage dem Aufsichtsrat der Beklagten noch nicht zugestellt
  746. worden war. Da die Beklagte im weiteren Fortgang selbst vorgetragen hat, dass
  747. am 12. Mai 2004 die Zustellung an ein Mitglied des Aufsichtsrats habe bewirkt
  748. werden können, ist jedenfalls von einem tatsächlichen Zugang (§ 189 ZPO)
  749. auszugehen, ohne dass es darauf ankommt, ob schon die gemäß der Zustellungsurkunde vom 12. Mai 2004 vorgenommene Ersatzzustellung unter der Anschrift der Gesellschaft wirksam war (vgl. dazu oben a).
  750. 55
  751. 2. Die Anfechtungsklage ist auch im Übrigen begründet, ohne dass es
  752. auf die von dem Kläger zu 3 geltend gemachten Informationspflichtverletzungen
  753. wegen angeblicher Nichtbeantwortung zahlreicher von ihm (und anderen Aktionären) in der Hauptversammlung der Beklagten teils schriftlich, teils mündlich
  754. gestellter Fragen ankommt, weil der Erfolg der Anfechtungsklagen der Kläger
  755. zu 1 und 2 gegen die Entlastungsbeschlüsse auch dem Kläger zu 3 zugute
  756. kommt (vgl. Senat, BGHZ 122, 211, 240). Dies folgt daraus, dass zwischen
  757. mehreren Anfechtungsklägern eine notwendige Streitgenossenschaft i.S. des
  758. § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO besteht, weil gemäß § 248 Abs. 1 AktG ein Urteil, durch
  759. das ein Hauptversammlungsbeschluss für nichtig erklärt wird, für und gegen
  760. alle Aktionäre der verklagten Gesellschaft wirkt und deshalb die Entscheidung
  761. gegenüber mehreren Anfechtungsklägern einheitlich ergehen muss (Senat aaO
  762. m.w.Nachw.; vgl. auch Sen.Urt. v. 1. März 1999 - II ZR 305/97, ZIP 1999, 580;
  763. Zöller/Vollkommer, ZPO 27. Aufl. § 62 Rdn. 4). Etwas anderes gilt nur, wenn die
  764. Klage eines einzelnen Streitgenossen unzulässig oder gemäß § 246 Abs. 1
  765. - 36 -
  766. AktG verfristet ist oder dem Kläger die Anfechtungsbefugnis fehlt (vgl. Hüffer
  767. aaO § 246 Rdn. 3), weil insoweit nicht über das gemeinsame streitige Rechtsverhältnis (§ 62 Abs. 1 ZPO) zu entscheiden ist. Das ist hier nicht der Fall.
  768. Goette
  769. Kraemer
  770. Reichart
  771. Strohn
  772. Drescher
  773. Vorinstanzen:
  774. LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 21.12.2005 - 3/9 O 98/03 OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 17.07.2007 - 5 U 229/05 -