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5.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (Brfg) 23/12
  4. vom
  5. 23. Juni 2012
  6. in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
  7. wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
  8. - 2 -
  9. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
  10. des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter Prof. Dr. König und
  11. Seiters sowie die Rechtsanwälte Dr. Frey und Dr. Martini
  12. am 23. Juni 2012
  13. beschlossen:
  14. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das ihr
  15. am 8. März 2012 zugestellte Urteil des 1. Senats des Hessischen
  16. Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.
  17. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
  18. Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
  19. Gründe:
  20. I.
  21. 1
  22. Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihrer Rechtsanwaltszulassung wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung.
  23. - 3 -
  24. II.
  25. 2
  26. Der Antrag, mit dem die Klägerin den Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124
  27. Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, ist zulässig, aber unbegründet.
  28. 3
  29. 1. Über das Vermögen der Klägerin ist durch Beschluss des Amtsgerichts W.
  30. vom 8. Juli 2010 (
  31. IN
  32. ) wegen Zahlungsunfähigkeit
  33. das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird
  34. deshalb ein Vermögensverfall der Klägerin kraft Gesetzes vermutet. Solange
  35. das Insolvenzverfahren läuft, ist die Grundlage dieser Vermutung nicht entfallen. Geordnete Vermögensverhältnisse sind erst wieder hergestellt, wenn dem
  36. Schuldner entweder durch Beschluss des Insolvenzgerichts die Restschuldbefreiung angekündigt wurde (§ 291 Abs. 1 InsO) oder ein vom Insolvenzgericht
  37. bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen
  38. übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, ZInsO 2010, 1380 Rn. 12, vom
  39. 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 20/11, NZI 2012, 106 Rn. 8 und vom 4. April
  40. 2012 - AnwZ (Brfg) 62/11, juris Rn. 4). Diese Voraussetzungen lagen zu dem
  41. nach der Senatsrechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 29. Juni 2011 - AnwZ
  42. (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff. und vom 28. Oktober 2011, aaO Rn. 7)
  43. für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs maßgeblichen Zeitpunkt
  44. des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens - hier Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2011 - nicht vor; die Beurteilung zeitlich späterer - im Übrigen mit dem Zulassungsantrag nicht einmal behaupteter - Entwicklungen ist
  45. einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten. Soweit die Klägerin darauf
  46. verweist, dass der Insolvenzverwalter ihre Anwaltskanzlei am 30. August 2010
  47. - 4 -
  48. nach § 35 Abs. 2 InsO frei gegeben hat, beseitigt dies weder die Insolvenz noch
  49. den Vermögensverfall (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 26. November 2007
  50. - AnwZ (B) 96/06, juris Rn. 9, vom 21. März 2011 - AnwZ (B) 37/10, NZI 2011,
  51. 464 Rn. 7, und vom 28. September 2011 - AnwZ (Brfg) 29/11, ZInsO 2012, 140
  52. Rn. 4).
  53. 4
  54. 2. Wie der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu entnehmen ist,
  55. geht der Gesetzgeber grundsätzlich von einer Gefährdung der Interessen der
  56. Rechtsuchenden aus, wenn sich ein Rechtsanwalt in Vermögensverfall befindet. Die Freigabe durch den Insolvenzverwalter ist insoweit nicht entscheidungserheblich. Maßgeblich für diesen ist allein, welche der gesetzlichen Alternativen für die Masse vorteilhafter ist. Entscheidet er sich für den Verbleib in der
  57. Masse, so fließen dieser die Erträge aus der selbständigen Tätigkeit zu. Sie
  58. haftet dann aber auch für die hieraus resultierenden Verbindlichkeiten. Gibt er
  59. hingegen die selbständige Tätigkeit frei, so fließt zwar dem Insolvenzschuldner
  60. der Neuerwerb aus ihr zu. Er haftet jedoch nunmehr auch für die entstehenden
  61. Neuverbindlichkeiten. Darüber hinaus unterliegt er der Ablieferungspflicht nach
  62. § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO i.V.m. § 295 Abs. 2 InsO. Hieraus folgt, dass eine
  63. Kanzleifreigabe regelmäßig dann erfolgen wird, wenn der Verwalter die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit eher niedrig einschätzt und das Risiko
  64. vermeiden will, dass die Masse mit Verbindlichkeiten aus dieser Tätigkeit belastet wird. In diesem Sinne hat auch hier der Insolvenzverwalter seine Freigabeerklärung vom 30. August 2010 darauf gestützt, dass die berufliche Tätigkeit der Klägerin "unter Vollkostengesichtspunkten nicht zur Erwirtschaftung
  65. eines Übererlöses für die Insolvenzmasse führen wird. Jedoch ist bei Führung
  66. zu Lasten des Verfahrens mit erheblichen Ansprüchen Dritter, insbesondere der
  67. Finanzbehörden, zu rechnen". Eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden wird damit allein durch die Freigabe weder ausgeschlossen noch ver-
  68. - 5 -
  69. mindert (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 26. November 2007, aaO Rn. 10 und
  70. vom 21. März 2011, aaO Rn. 8). Auch der bloße Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung genügt insoweit nicht; die Gefährdung entfällt erst mit dem Beschluss nach § 289 InsO (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010, aaO Rn. 15
  71. m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass hier einer der seltenen Ausnahmefälle vorliegt, in denen ansonsten nach der Senatsrechtsprechung eine Gefährdung der
  72. Interessen der Rechtsuchenden durch den Vermögensverfall verneint werden
  73. kann (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 31. Mai 2010, aaO Rn. 16 und
  74. 28. September 2011, aaO Rn. 5, jeweils m.w.N.), sind nicht ersichtlich.
  75. III.
  76. 5
  77. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m.
  78. § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
  79. Tolksdorf
  80. König
  81. Frey
  82. Seiters
  83. Martini
  84. Vorinstanz:
  85. AGH Frankfurt, Entscheidung vom 08.03.2012 - 1 AGH 9/11 -