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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. AnwZ (B) 63/99
  4. vom
  5. 16. Oktober 2000
  6. in dem Verfahren
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. _____________________
  11. BRAO § 89 Abs. 2 Nr. 1
  12. Bestimmt die Geschäftsordnung der Rechtsanwaltskammer, daß die Wahl
  13. der Mitglieder ihres Vorstandes geheim zu erfolgen hat, ist der Grundsatz
  14. der geheimen Wahl strikt zu beachten.
  15. Er ist verletzt, wenn durch Numerierung von Anwesenheitsliste und Stimmzetteln die Person des Wählers und seiner Wahlentscheidung aufgedeckt
  16. werden kann.
  17. BGH, Beschl. vom 16. Oktober 2000 - AnwZ (B) 63/99 - AGH Sachsen-Anhalt
  18. wegen Anfechtung einer Vorstandswahl
  19. - 2 -
  20. - 3 -
  21. Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den
  22. Präsidenten
  23. des
  24. Bundesgerichtshofs
  25. Prof. Dr. Hirsch,
  26. die
  27. Richter
  28. Basdorf, Terno und die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte
  29. Dr. Kieserling, Dr. Schott und Dr. Wüllrich
  30. am 16. Oktober 2000
  31. beschlossen:
  32. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den
  33. Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des
  34. Landes Sachsen-Anhalt in Naumburg vom 3. September
  35. 1999 wird zurückgewiesen.
  36. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu
  37. tragen und dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren
  38. entstandenen
  39. notwendigen
  40. außergerichtlichen
  41. Auslagen zu erstatten.
  42. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
  43. 35.000 DM
  44. festgesetzt.
  45. - 4 -
  46. Gründe:
  47. I.
  48. In
  49. der
  50. Jahreskammerversammlung
  51. der
  52. Antragsgegnerin
  53. am
  54. 28. Juni 1999 waren sieben der dreizehn Vorstandsmitglieder wegen
  55. Ablaufs der Amtszeit (§ 68 Abs. 1 BRAO) neu zu wählen. Nach § 12
  56. Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin erfolgt die
  57. Wahl der Vorstandsmitglieder "geheim mittels nicht unterschriebener
  58. Stimmzettel in einem einzigen Wahlgang".
  59. Der Antragsteller, Mitglied der Antragsgegnerin, hatte sich beim
  60. Einlaß zu dieser Versammlung mit seinem Namen in eine der ausliegenden Anwesenheitslisten einzutragen. Diese Listen sind durchnumeriert;
  61. vor dem Namen des Antragstellers ist die Zahl 125 vermerkt. Ob die Listen bereits bei Eintragung des Namens eine fortlaufende Numerierung
  62. aufwiesen oder ob sie erst im Nachhinein von einer Mitarbeiterin der
  63. Antragsgegnerin durchnumeriert worden sind, ist nicht mehr festzustellen.
  64. Zur Teilnahme an der Wahl wurde dem Antragsteller ein Stimmzettel ausgehändigt, der oben rechts die mit Bleistift eingetragene Zahl
  65. 125 aufwies; auch die übrigen Stimmzettel waren in dieser Weise mit einer Zahl versehen. Der Antragsteller gab bei der Wahl, die mit den ausgegebenen Stimmzetteln durchgeführt wurde, seinen Stimmzettel nicht
  66. ab.
  67. - 5 -
  68. Er hat mit am 5. Juli 1999 beim Anwaltsgerichtshof eingegangenen
  69. Schriftsatz beantragt, die Vorstandswahl vom 28. Juni 1999 für ungültig
  70. zu erklären. Zur Begründung hat er insbesondere geltend gemacht, bei
  71. Durchführung der Wahl sei der in § 12 Abs. 1 der Geschäftsordnung der
  72. Antragsgegnerin verankerte Grundsatz der geheimen Wahl verletzt worden. Der Anwaltsgerichtshof hat dem Antrag entsprochen. Dagegen
  73. richtet sich die - zugelassene- sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin.
  74. II.
  75. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 91 Abs. 6 BRAO), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
  76. 1. Der Anwaltsgerichtshof hat die am 28. Juni 1999 durchgeführte
  77. Wahl von Vorstandsmitgliedern der Antragsgegnerin mit Recht für ungültig erklärt.
  78. a) Die Bundesrechtsanwaltsordung enthält zwar über die Art und
  79. Weise, in der die Kammerversammlung den Vorstand zu wählen hat
  80. (§ 64 Abs. 1, § 89 Abs. 2 Nr. 1 BRAO), keine Regelung. Vielmehr bestimmt insoweit "das Nähere" die Geschäftsordnung der Kammer (§ 64
  81. Abs. 2 BRAO). Damit hat der Gesetzgeber in zulässiger Weise die Regelung der Wahlmodalitäten ausdrücklich der Satzungsautonomie der
  82. Rechtsanwaltskammern überlassen im Vertrauen darauf, daß die Stan-
  83. - 6 -
  84. desorganisation im Rahmen der ihr zugebilligten Verbandsautonomie eine angemessene und mit den Grundsätzen der Demokratie vereinbare
  85. Regelung treffen wird (BGHZ 52, 297, 299 f.). Mit ihrer Geschäftsordnung hat die Antragsgegnerin von ihrer Satzungsautonomie Gebrauch
  86. gemacht und mit den Regelungen unter § 12 das Wahlverfahren bei der
  87. Wahl von Vorstandsmitgliedern festgelegt. Ein Abweichen von diesem
  88. Verfahren läßt die Geschäftsordnung der Antragsgegnerin nicht zu. Die
  89. Wahl der Mitglieder ihres Vorstandes hatte danach "geheim" zu erfolgen
  90. (§ 12 Abs. 1 Satz 1 der Geschäftsordnung); bei der Ausgestaltung der
  91. Wahlhandlung selbst - und hier insbesondere dem Akt der Stimmabgabe - war demgemäß der Grundsatz der geheimen Wahl strikt zu beachten.
  92. b) Diesen Anforderungen genügte die am 28. Juni 1999 vorgenommen Wahlhandlung nicht; die Wahl der Vorstandsmitglieder ist deshalb unter Verletzung der Geschäftsordnung der Antragsgegnerin zustande gekommen (§ 90 Abs. 1 BRAO). Die auf dem Stimmzettel des
  93. Antragstellers vermerkte Zahl stimmte mit der seinem Namen zugeordneten Zahl auf der Anwesenheitsliste überein. Stimmzettel und Anwesenheitsliste konnten deshalb zur Aufdeckung der Person des Wählers
  94. und damit seiner Wahlentscheidung führen. Angesichts der Durchnumerierung von Anwesenheitslisten und Stimmzetteln kann nicht ausgeschlossen werden, daß auch die Wahlentscheidung anderer Wahlberechtigter in dieser Weise aufgedeckt werden konnte. Daß ein solches
  95. Verfahren den Grundsatz der geheimen Wahl nicht wahrt, bedarf keiner
  96. weiteren Begründung (vgl. nur Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz
  97. Art. 38 Rdn. 54).
  98. - 7 -
  99. Die Antragsgegnerin beanstandet die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs insoweit auch nicht.
  100. 2. Der Anwaltsgerichtshof hat aber auch - entgegen der mit der
  101. Beschwerde vertretenen Auffassung - die Antragsbefugnis des Antragstellers zutreffend bejaht.
  102. a) Die Bundesrechtsanwaltsordnung verlangt für die Zulässigkeit
  103. des Antrags, eine Wahl für ungültig zu erklären, nicht, daß der die Wahl
  104. Anfechtende vor dem Wahlakt einen Widerspruch zu Protokoll gegeben
  105. oder das Wahlverfahren als gegen die Satzung verstoßend gerügt hat.
  106. Die Antragsbefugnis steht vielmehr insoweit, ohne daß weitere Voraussetzungen zu erfüllen wären, jedem Kammermitglied zu (§ 90 Abs. 2
  107. Halbs. 1 BRAO). Anderes gilt nur, wenn der Antrag des Kammermitglieds
  108. einen Beschluß des Vorstands, des Präsidiums oder der Kammer betrifft,
  109. denn in diesem Falle ist das Mitglied nur dann antragsbefugt, wenn es
  110. durch den Beschluß in seinen Rechten verletzt ist (§ 90 Abs. 2 Halbs. 2
  111. BRAO). Schon diese Differenzierung macht deutlich, daß die Antragsbefugnis bei Anfechtung einer Wahl durch die Entscheidung des Gesetzgebers bewußt von weiteren Voraussetzungen freigehalten worden
  112. ist. Dadurch unterscheidet sich die hier in Rede stehende Vorschrift gerade von den Bestimmungen des Aktien- oder Genossenschaftsrechts
  113. (§§ 245 Abs. 1 Nr. 1 AktG, 51 Abs. 2 Satz 1 GenG), auf die die Antragsgegnerin hinweist.
  114. - 8 -
  115. Allerdings muß der Antrag des Mitglieds, eine Wahl für ungültig zu
  116. erklären, den in § 91 Abs. 2, 3 BRAO bestimmten Anforderungen genügen. Er ist demgemäß nur zulässig (vgl. Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl.
  117. § 91 Rdn. 8; Henssler/Prütting, BRAO § 91 Rdn. 10), wenn er die Gründe, aus denen die Wahl für ungültig zu erklären sei, bezeichnet und innerhalb eines Monats nach der Wahl beim Anwaltsgerichtshof eingegangen ist. Das Gebot, die gegen die Gültigkeit der Wahl streitenden Gründe anzugeben, ist grundsätzlich geeignet, mißbräuchlichen Anträgen
  118. entgegenzuwirken. Die in § 91 Abs. 3 BRAO bestimmte Frist sichert zudem, daß Zweifel an der Gültigkeit einer Wahl in überschaubarer Zeit
  119. geklärt werden können. Der Weg, die Gültigkeit einer Wahl durch gerichtliche Entscheidung klären zu lassen, steht danach zwar jedem
  120. Kammermitglied offen, er ist aber an die Einhaltung der in § 91 BRAO
  121. bestimmten weiteren Voraussetzungen geknüpft, die der Mißbrauchsverhütung und der Sicherung einer zeitnahen Entscheidung Rechnung tragen. Dieses gesetzliche Regelungsgefüge bietet weder Anhalt noch
  122. Raum dafür, einen Antrag bereits und nur deshalb als unzulässig oder
  123. rechtsmißbräuchlich anzusehen, weil der Anfechtende nicht bereits vor
  124. der Wahl einen Widerspruch zu Protokoll der Versammlung erklärt hat.
  125. Eine Regelungslücke ist insoweit nicht ersichtlich.
  126. - 9 -
  127. b) Ob und unter welchen Voraussetzungen einem Antrag nach
  128. §§ 90, 91 BRAO dennoch im Einzelfall der Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegengehalten werden kann, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Sind in einem Antrag, eine Wahl für ungültig zu erklären, hinreichende Gründe dafür dargetan, daß bei der Wahl gegen elementare, in der Geschäftsordnung der Kammer verankerte Wahlrechtsgrundsätze verstoßen worden ist - wie hier gegen den Grundsatz der geheimen Wahl -, scheidet Rechtsmißbrauch von vornherein aus. Das gilt
  129. auch dann, wenn ein Antragsteller aus anderen Gründen bereits zuvor
  130. und mehrfach erfolglose Anträge gegen die Kammer gerichtet haben
  131. sollte.
  132. Hirsch
  133. Basdorf
  134. Kieserling
  135. Terno
  136. Schott
  137. Otten
  138. Wüllrich