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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. Urteil
  4. 4 StR 417/01
  5. vom
  6. 31. Januar 2002
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen versuchten Totschlags u.a.
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Januar
  12. 2002, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Tepperwien,
  15. Richter am Bundesgerichtshof
  16. Maatz,
  17. Dr. Kuckein,
  18. Richterin am Bundesgerichtshof
  19. Solin-Stojanoviæ,
  20. Richter am Bundesgerichtshof
  21. Dr. Ernemann
  22. als beisitzende Richter,
  23. Bundesanwalt
  24. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. als Verteidiger,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. 1.
  32. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 1. Juni 2001 werden verworfen.
  33. 2.
  34. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die
  35. dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen
  36. Auslagen trägt die Staatskasse. Der Angeklagte trägt die
  37. Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin
  38. insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
  39. Von Rechts wegen
  40. Gründe:
  41. I.
  42. Das Landgericht hat den Angeklagten – nach Beschränkung der Strafverfolgung (§ 154a Abs. 1, 2 StPO) - wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags in Tateinheit
  43. mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
  44. von sieben Jahren verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf
  45. von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil
  46. wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung sachlichen
  47. Rechts gestützten Revision insoweit, als das Landgericht den Angeklagten im
  48. ersten Fall (”Messereinsatz”) nicht wegen versuchten Heimtücke-, und im
  49. zweiten Fall (”absichtlich herbeigeführter Unfall”) nicht wegen versuchten
  50. -4-
  51. Verdeckungsmordes verurteilt und es in beiden Fällen minder schwere Fälle
  52. nach § 213 2. Alt. StGB angenommen hat. Das Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt nicht vertreten. Der Angeklagte rügt die Verletzung materiellen
  53. Rechts. Beide Revisionen haben keinen Erfolg.
  54. 1. Nach den Feststellungen lebte der Angeklagte in einer harmonischen
  55. Ehe, bis er im Januar/Februar des Jahres 2000 mit - der später geschädigten Tiziana W. eine intime Beziehung einging. Etwa im Juni 2000 waren sich beide über eine gemeinsame Zukunft einig. Sie informierten ihre jeweiligen Ehepartner hierüber, zogen aus den ehelichen Wohnungen aus, mieteten ab September 2000 eine Wohnung an und kauften dafür Möbel. Am 6. August 2000
  56. stellte der Angeklagte seinen Eltern Frau W. als seine neue Lebenspartnerin
  57. vor. Obwohl Tiziana W. den Glauben des Angeklagten an eine gemeinsame
  58. Zukunft bestärkte, war sie sich ab Mitte Juli 2000 nicht mehr sicher, ob sie
  59. wirklich mit dem Angeklagten zusammenziehen sollte. Sie scheute die endgültige Trennung von ihrem Ehemann; sie überlegte daher, zunächst eine eigene
  60. Wohnung zu beziehen, und deutete dies gesprächsweise auch dem Angeklagten gegenüber an, der derartige Überlegungen jedoch verdrängte.
  61. Am Abend des 8. August 2000 teilte Frau W. dem Angeklagten in einem Café mit, sie könne sich nicht von ihrem Ehemann lösen, und es sei vielleicht besser, wenn jeder seine eigene Wohnung hätte. Beide gingen danach
  62. zum Pkw des Angeklagten. Sie unterhielten sich in dem Fahrzeug, und Frau
  63. W. bat den Angeklagten, sie nach Hause zu fahren. Der Angeklagte stieg zunächst aus und rauchte eine Zigarette. In "affektiver Anspannung" faßte er
  64. dann den Entschluß, "die Zeugin W.
  65. aufgrund seiner starken Enttäuschung
  66. und Verärgerung über ihr Verhalten mittels eines Ausbeinmessers, das sich in
  67. -5-
  68. einem Schubfach unter dem Fahrersitz seines Pkws befand, und an das (er)
  69. sich nunmehr erinnerte, zu stechen, wobei er es für möglich hielt, daß (sie) dadurch getötet werden konnte". Er war dabei "in einer derartigen inneren Erregung, daß er sich hinsichtlich der weiteren Umstände, insbesondere über die
  70. Ausnutzung der gegebenen Situation keine Gedanken machte". Er ergriff das
  71. Messer - mit einer Klingenlänge von ca. 14 cm - und fügte Frau W.
  72. an der
  73. linken Seite ihres Halses - unmittelbar neben der Halsschlagader - eine ca.
  74. 8 cm tiefe Stichwunde zu, ohne hierbei jedoch lebenswichtige Organe zu verletzen. Er verhinderte dann, daß die aufschreiende Frau das Fahrzeug verließ.
  75. Sie fragte ihn, warum er das getan habe; er antwortete, "daß sie sein ganzes
  76. Leben zerstört habe". Als sie ihn bat, sie ins Krankenhaus zu fahren, war der
  77. Angeklagte unschlüssig, was er tun sollte. Er befand sich ”in einer besonderen
  78. gefühlsmäßigen Situation”, denn er liebte Frau W.
  79. immer noch. Er zündete
  80. sich eine Zigarette an, versuchte, seine Gedanken zu ordnen, und sagte ihr,
  81. daß sie jetzt sehen würde, wozu sie ihn bringe. Nach kurzer Zeit entschloß er
  82. sich, "durch einen zweiten Stich dem Leben der Zeugin W. ein Ende zu setzen". Welche "weiteren Motive neben der vorhandenen Enttäuschung und Verärgerung über (ihr) Verhalten den Angeklagten zu diesem Entschluß kommen
  83. ließen", konnte das Schwurgericht nicht aufklären. Der Angeklagte ergriff erneut das Messer und zielte bewußt und gewollt auf den Bauch von Frau W. ,
  84. um sie zu töten. Diese konnte sich jedoch nach rechts wegdrehen, so daß der
  85. Stich nicht den Bauchbereich, sondern ihre linke Thoraxseite traf und dort eine
  86. 8 cm tiefe Wunde verursachte. Durch den Stich wurden zwar keine lebenswichtigen Organe verletzt, der Angeklagte hielt es jedoch für möglich, daß Frau
  87. W. infolge der beiden Stichwunden und des von ihm erkannten hohen Blutverlustes in der Folgezeit sterben würde, falls sie keine ärztliche Hilfe erhielte.
  88. Ihrer Bitte, sie ins Krankenhaus zu bringen, gab der Angeklagte zwar vor nach-
  89. -6-
  90. zukommen; er fuhr jedoch auf die Autobahn und sagte ihr, nachdem sie ihn
  91. wiederholt gebeten hatte, sie irgendwo herauszulassen, "er müsse immer weiterfahren, bis der Tank leer sei". Als nach mehrstündiger Fahrt – während der
  92. der Angeklagte in seinem Empfinden zwischen Verärgerung und Enttäuschung,
  93. aber auch tiefer Zuneigung zu Frau W. schwankte - der Tankinhalt fast verbraucht war, sah er sich zu einer Entscheidung gedrängt. In einem Gefühl der
  94. Ausweglosigkeit und Verzweiflung beschloß er, sich und seiner Beifahrerin
  95. "mittels eines bewußt herbeigeführten Unfalls das Leben zu nehmen". Er fuhr
  96. sodann - gegen 03.30 Uhr - mit einer Geschwindigkeit von ca. 120 km/h bewußt und gewollt ungebremst gegen die linke Leitplanke, wodurch das Fahrzeug nach rechts abgewiesen wurde, sich mehrfach überschlug und auf dem
  97. Standstreifen mit Totalschaden zum Stehen kam.
  98. Durch den Unfall erlitt Frau W.
  99. weitere Verletzungen. Sie konnte je-
  100. doch den Pkw verlassen und ein Fahrzeug anhalten, dessen Insassen Hilfe
  101. herbeiholten. Während sie wartete, kam der Angeklagte auf sie zu, wobei er
  102. das Messer in der Hand hielt, und sagte zu ihr: " 'Bitte verrate mich nicht' ". Auf
  103. Aufforderung von Frau W. warf er sodann das Messer in ein Gebüsch.
  104. 2. Das Landgericht hat das Geschehen hinsichtlich der beiden Messerstiche als natürliche Handlungseinheit gewertet. Vom (beendeten) Tötungsversuch nach dem zweiten Stich sei der Angeklagte nicht strafbefreiend zurückgetreten, weil er die Vollendung der Tat nicht verhindert habe und er sich auch
  105. nicht freiwillig und ernsthaft bemüht habe, dies zu tun. Die absichtliche Herbeiführung des Unfalls stehe zu dem ersten Tatkomplex (Messereinsatz) in
  106. Tatmehrheit (§ 53 StGB), weil dieses Tatgeschehen aufgrund eines neuen Entschlusses erfolgt sei und zwischen dem ersten und dem zweiten Tatkomplex
  107. -7-
  108. ein Zeitraum von mindestens drei Stunden gelegen habe. Auch hier sei der
  109. Angeklagte von dem Tötungsversuch nicht strafbefreiend zurückgetreten; der
  110. Versuch sei nämlich gescheitert gewesen, weil das Fahrzeug als Tatmittel nicht
  111. mehr zur Verfügung gestanden habe und "durch die vor Ort bereits anwesenden Personen, die die Zeugin W. angehalten hatte, ... der Angeklagte auch
  112. nicht mehr auf die Zeugin W. unbeobachtet und ungehindert (habe) einwirken
  113. (können)" (UA 50).
  114. Mordmerkmale seien mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nicht festzustellen: Es lägen keine niedrigen Beweggründe vor, weil die
  115. Motivation des Angeklagten zu den Tötungsversuchen nicht als auf tiefster
  116. Stufe stehend angesehen werden könne. Heimtücke habe zwar beim ersten
  117. Messerstich objektiv vorgelegen; es habe aber nicht festgestellt werden können, daß der Angeklagte bei dem "spontan affektiv" geprägten Geschehen die
  118. Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewußt zur Tat ausgenutzt habe. Nach dem
  119. ersten Messerstich und vor dem Unfallgeschehen sei Frau W.
  120. nicht mehr
  121. arglos gewesen. Eine Verdeckungsabsicht sei nicht nachzuweisen: Der zweite
  122. Messerstich sei Teil einer einheitlichen Straftat gewesen; außerdem sei sowohl
  123. hier als auch bei dem beabsichtigten Unfall, bei dem er sich selbst das Leben
  124. habe nehmen wollen, ein Wille des Angeklagten zur Verdeckung einer anderen
  125. Straftat nicht sicher feststellbar.
  126. -8-
  127. II.
  128. 1. Revision der Staatsanwaltschaft
  129. a) Die Begründung, mit der das Landgericht Mordmerkmale verneint hat,
  130. hält rechtlicher Nachprüfung stand. Soweit die Staatsanwaltschaft meint, beim
  131. ersten Messerstich habe sich der Angeklagte nicht spontan zur Tat entschlossen, versucht sie, die Beweise anders als das Landgericht zu würdigen. Damit
  132. kann sie im Revisionsverfahren jedoch nicht gehört werden; durchgreifende
  133. Beweiswürdigungsfehler zeigt die Staatsanwaltschaft weder auf noch sind solche ersichtlich (vgl. hierzu BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2; BGH NStZ
  134. 1999, 205). Das Landgericht bewegt sich vielmehr im Rahmen möglicher und
  135. damit vom Revisionsgericht hinzunehmender tatrichterlicher Beweiswürdigung.
  136. Da das Schwurgericht nicht feststellen konnte, daß der Angeklagte die Argund Wehrlosigkeit des Tatopfers vor dem ersten Stich bewußt zur Tat ausgenutzt hat (UA 38), kam eine Verurteilung wegen versuchten (Heimtücke-) Mordes nicht in Betracht (vgl. BGHSt 6, 120, 121; BGH NStZ 1984, 20, 21; 1997,
  137. 490, 491; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 1, 26; BGH, Urteil vom
  138. 17. Oktober 2000 - 1 StR 406/00).
  139. Auch das Mordmerkmal "um eine andere Straftat zu verdecken" hat das
  140. Landgericht ohne Rechtsfehler verneint: Die Annahme, der zweifach mit Tötungsvorsatz vorgenommene Einsatz des Messers innerhalb weniger Minuten
  141. sei als natürliche Handlungseinheit und damit der zweite Stich als Teil einer
  142. einheitlichen Tat anzusehen (vgl. hierzu BGH NStZ 1990, 385; 1992, 127, 128;
  143. 2000, 498 f.; BGH, Urteil vom 12. Juni 2001 – 5 StR 432/00: keine Verdekkung), wird von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen;
  144. -9-
  145. ebenso auch die Wertung, dem Angeklagten, der sich selbst habe töten wollen,
  146. habe unter den gegebenen Umständen auch beim zweiten Tatkomplex eine
  147. Verdeckungsabsicht nicht nachgewiesen werden können (UA 46 f., 49). Was
  148. die Beschwerdeführerin hiergegen einwendet, erschöpft sich in dem unzulässigen Versuch, die tatrichterliche Würdigung durch eine eigene zu ersetzen.
  149. b) Die Angriffe der Revision zu den Strafzumessungserwägungen des
  150. Landgerichts greifen ebenfalls nicht durch. Das Landgericht hat in einer Gesamtwürdigung ausführlich erörtert, warum es jeweils einen minder schweren
  151. Fall des versuchten Totschlags für gegeben erachtet. Auch insoweit hat die
  152. Beschwerdeführerin keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufzuzeigen vermocht.
  153. 2. Revision des Angeklagten
  154. a) Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Schwurgericht hat mit rechtsfehlerfreien Erwägungen (UA 50
  155. f.) das nach mehrstündiger Fahrt auf der Autobahn aufgrund neuen (erweiterten) Entschlusses (mit einem anderen Tatmittel) eingeleitete Geschehen, das
  156. zu dem Unfall führte, als neue, weitere Tat gewertet (vgl. hierzu BGH, Urteil
  157. vom 12. Juni 2001 – 5 StR 432/00; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. vor § 52
  158. Rdn. 2 a ff. m. w. N.).
  159. Auch die Verneinung strafbefreienden Rücktritts von den beiden Totschlagsversuchen hält rechtlicher Überprüfung stand: Nach der gefestigten
  160. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch und damit für die Voraussetzun-
  161. - 10 -
  162. gen eines strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten
  163. Ausführungshandlung - in bezug auf die Tat im Sinne des materiell-rechtlichen
  164. Straftatbestandes (vgl. BGHSt 33, 142, 144) - davon ausgeht oder er es zumindest für möglich hält, daß ohne sein weiteres Zutun der tatbestandsmäßige
  165. ”Erfolg” eintritt (BGH NStE Nr. 38 zu § 24 StGB m.w.N.). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch ist ein Rücktritt ausgeschlossen (BGHSt 34, 53, 56; 39,
  166. 221, 228, 232; BGH, Beschluß vom 18. April 2000 - 5 StR 603/99; Tröndle/Fischer aaO § 24 Rdn. 6).
  167. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Angeklagte es
  168. nach dem zweiten Messerstich für möglich hielt, Frau W.
  169. werde infolge der
  170. beiden Stichwunden ohne ärztliche Hilfe sterben. Daher wären hinsichtlich des
  171. Messereinsatzes für einen strafbefreienden Rücktritt aktive Rettungsbemühungen erforderlich gewesen (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., Satz 2 StGB; vgl. BGH
  172. NStZ 1993, 279 f.), die der Angeklagte jedoch nicht unternommen hat. Der
  173. neuerliche Tötungsversuch mit dem Pkw war gescheitert; ein strafbefreiender
  174. Rücktritt war daher insoweit nicht möglich; das Messer – oder andere Tatmittel
  175. - konnte der Angeklagte nach dem Unfall wegen der "vor Ort bereits anwesenden Personen" nicht mehr einsetzen (UA 50).
  176. - 11 -
  177. b) Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls der Überprüfung stand; die
  178. sorgfältigen Erwägungen des Landgerichts hierzu lassen keinen Rechtsfehler
  179. erkennen.
  180. Tepperwien
  181. Maatz
  182. Solin-Stojanoviæ
  183. Kuckein
  184. Ernemann