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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. Urteil
  4. 4 StR 375/08
  5. vom
  6. 6. November 2008
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen gefährlicher Körperverletzung
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. November
  12. 2008, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Tepperwien,
  15. Richter am Bundesgerichtshof
  16. Maatz,
  17. Prof. Dr. Kuckein,
  18. Richterin am Bundesgerichtshof
  19. Solin-Stojanović,
  20. Richter am Bundesgerichtshof
  21. Dr. Mutzbauer
  22. als beisitzende Richter,
  23. Staatsanwältin
  24. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwältin
  26. als Verteidigerin,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. 1.
  32. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau
  33. vom 5. März 2008 werden verworfen.
  34. 2.
  35. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und
  36. die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die Kosten des Rechtsmittels
  37. der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der
  38. Staatskasse zur Last.
  39. Von Rechts wegen
  40. Gründe:
  41. 1
  42. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
  43. Hiergegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass der Angeklagte nicht wegen versuchten Mordes bzw. Totschlags und wegen schwerer
  44. Körperverletzung verurteilt wurde. Der Angeklagte rügt die Verletzung formellen
  45. sowie materiellen Rechts und macht unter anderem geltend, dass ein minder
  46. schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung vorliege. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
  47. 2
  48. 1. Nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen stach der
  49. Angeklagte am 14. August 2007 vor dem Asylbewerberheim in F.
  50. mit
  51. einem 25 bis 30 cm langen Messer wuchtig in Richtung des Herzens des Nebenklägers. Da dieser „reflexartig" zum Schutz noch den rechten Arm hochrei-
  52. -4-
  53. ßen konnte, durchstach das Messer den Unterarm und drang wenige Millimeter
  54. tief in die Brustkorbvorderseite des Nebenklägers ein. Der Geschädigte ging so
  55. verletzt in das Büro der stellvertretenden Heimleiterin, die die dann stark blutende Wunde am Unterarm versorgte.
  56. 3
  57. Durch den Stich in den Unterarm wurden die Nerven für den Daumen
  58. und Zeigefinger der rechten Hand des Nebenklägers durchtrennt; diese beiden
  59. Finger fühlt er „wie eingeschlafen“ und kann die rechte Hand nur noch eingeschränkt benutzen.
  60. 4
  61. 2. Die Revision des Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt
  62. in der Antragsschrift vom 6. August 2008 dargelegten Gründen erfolglos. Eine
  63. zulässige Verfahrensrüge wurde von ihm nicht erhoben. Mit neuem Tatsachenvorbringen kann der Rechtsmittelführer in der Revision ebenso wenig gehört
  64. werden wie mit einer eigenen Beweiswürdigung.
  65. 5
  66. 3. Auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
  67. 6
  68. a) Zur Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch hat
  69. das Schwurgericht unter anderem ausgeführt, dass für den Angeklagten erkennbar gewesen sei, dass der Stich in bzw. durch den Arm gegangen sei und
  70. der Geschädigte zunächst nicht sehr stark geblutet habe; deshalb habe der Angeklagte aus seiner Sicht noch nicht alles für die Tötung des Nebenklägers Erforderliche getan. Da er weiter im Besitz des Messers gewesen sei und der Geschädigte, als er zum Büro der stellvertretenden Heimleiterin ging, „für einen
  71. Angriff noch zur Verfügung“ gestanden habe, liege ein freiwilliger Rücktritt vom
  72. unbeendeten Versuch vor.
  73. -5-
  74. Diese Ausführungen weisen keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere durf-
  75. 7
  76. te das Schwurgericht aus dem rechtsfehlerfrei festgestellten äußeren Geschehensablauf darauf schließen, dass der Angeklagte nach seiner letzten Ausführungshandlung davon ausging, noch nicht alles für den Erfolgseintritt Erforderliche getan zu haben, obwohl dies noch möglich gewesen wäre.
  77. b) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen hat das Schwurge-
  78. 8
  79. richt den Angeklagten zu Recht nicht wegen schwerer Körperverletzung verurteilt.
  80. 9
  81. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1
  82. Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden
  83. Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend
  84. unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlustes entsprechen (BGHSt 51, 252, 257
  85. m.w.N.).
  86. 10
  87. Dies hat das Schwurgericht nicht festgestellt. Dass Daumen und Zeigefinger vom Nebenkläger „wie eingeschlafen“ gefühlt werden und er diese Finger
  88. -6-
  89. nur noch eingeschränkt benutzen kann, belegt nicht deren weitgehende Unbrauchbarkeit (vgl. zur „Taubheit zweier Finger“ auch BGH, Beschluss vom
  90. 8. Juli 2008 – 3 StR 167/08).
  91. Tepperwien
  92. Maatz
  93. Solin-Stojanović
  94. Kuckein
  95. Mutzbauer