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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 4 StR 305/00
  4. vom
  5. 12. September 2000
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
  9. nicht geringer Menge u.a.
  10. -2-
  11. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. September 2000 gemäß
  12. § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  13. 1.
  14. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
  15. Landgerichts Essen vom 20. März 2000
  16. a)
  17. im Schuldspruch dahin geändert, daß hinsichtlich
  18. der Tat von Anfang September 1999 die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von
  19. Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt,
  20. b)
  21. im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
  22. 2.
  23. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  24. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  25. 3.
  26. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
  27. Gründe:
  28. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubter Einfuhr von
  29. Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringen Mengen in 19 Fällen sowie wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von
  30. Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringen Mengen in einem Fall" zu einer
  31. -3-
  32. Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen
  33. wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung
  34. des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  35. 1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat
  36. die Änderung des Schuldspruchs insoweit zur Folge, als das Landgericht den
  37. Angeklagten wegen der Tat von Anfang September 1999 auch wegen tateinheitlich verwirklichter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen hat. Dieser Tatbestand tritt als rechtlich unselbständiger Teilakt hinter dem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zurück (Weber BtMG § 30 a Rdn. 145 m.N.).
  38. 2. Der Rechtsfolgenausspruch hält insgesamt rechtlicher Prüfung nicht
  39. stand.
  40. a) Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, mit der sie eine
  41. Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht geltend macht. Das Landgericht hat
  42. strafschärfend gewertet, "daß die Taten von September 1998 bis September
  43. 1999 nicht insoliert da stehen, sondern im Ergebnis eine Fortsetzung gleichgelagerten Taten aus den Jahren 1997 bis Anfang 1998 darstellen" (UA 35).
  44. Hinsichtlich des zuletzt genannten Tatzeitraums hat die Strafkammer das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die in diesen Tatzeitraum fallenden Taten sind - was die Revision auch nicht in Zweifel zieht - in der
  45. Hauptverhandlung prozeßordnungsgemäß festgestellt worden (vgl. BGH, Beschluß vom 2. August 2000 - 5 StR 143/00; Schoreit in KK 4. Aufl. § 154
  46. -4-
  47. Rdn. 48). Die Revision rügt aber zu Recht, daß das Landgericht den Angeklagten nicht darauf hingewiesen hat, daß der ausgeschiedene Verfahrensstoff
  48. strafschärfend berücksichtigt werden könne (BGHSt 30, 197 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 154 Rdn. 25, § 154 a Rdn. 2 m.w.N.).
  49. Dieser Hinweis war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. dazu BGH
  50. NStZ 1987, 134 mit Anm. Rieß). Zwar hat der Angeklagte die Taten - wie das
  51. Urteil ausweist - gestanden. Deshalb konnte das Verteidigungsverhalten des
  52. Angeklagten zu den Tatvorwürfen durch die Beschränkung nach § 154 Abs. 2
  53. StPO nicht beeinflußt werden. Doch war der Hinweis erforderlich, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, durch Anträge auch zum Schuldgehalt der
  54. von der Einstellung betroffenen Taten auf die Strafhöhe Einfluß zu nehmen.
  55. Auf dem Verfahrensverstoß beruht der Strafausspruch auch. Zwar hat
  56. das Landgericht die früheren Taten ausdrücklich nur bei der Gesamtstrafenbemessung erörtert. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, daß diese Erwägungen auch die Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt
  57. haben.
  58. b) Im übrigen weisen die Strafzumessungserwägungen auch einen
  59. sachlich-rechtlichen Fehler auf, der zur Aufhebung des Strafausspruchs insgesamt führt. Das Landgericht hat nämlich bei der Bemessung der Einzelstrafen
  60. ganz wesentlich zu Lasten des Angeklagten die "besondere Verwerflichkeit des
  61. Vorgehens" berücksichtigt, die es darin erblickt hat, daß der Angeklagte zur
  62. Durchführung der Beschaffungsfahrten "die Arglosigkeit seines Vaters bedenkenlos" ausgenutzt habe (UA 32, 34 f.). Hiergegen wäre aus Rechtsgründen
  63. nichts einzuwenden, wenn die Arglosigkeit des Vaters des Angeklagten bei
  64. Durchführung der Beschaffungsfahrten zur Überzeugung der Strafkammer fest-
  65. -5-
  66. stünde. Davon kann nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe jedoch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Zwar hat das Landgericht den
  67. Vater des Angeklagten vom Vorwurf der strafbaren Beteiligung bei den Einfuhrfahrten aus subjektiven Gründen freigesprochen. Doch beruht der Freispruch im Ergebnis darauf, daß dem Gericht die "Indizien" für eine Verurteilung
  68. "nicht genüg(t)en" (UA 28). Dies legt jedenfalls nahe, daß das Landgericht zum
  69. Freispruch des Vaters nur aufgrund des Zweifelsgrundsatzes gelangt ist. Bei
  70. dieser Sachlage hätte das Landgericht den Zweifelsgrundsatz, der uneingeschränkt auch für die Feststellung der Strafzumessungstatsachen gilt (Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 46 Rdn. 17a m.N.), ebenfalls zu Gunsten des Angeklagten anwenden müssen. Danach hätte es unbeschadet der ersichtlich seinen Vater entlastenden Angaben des Angeklagten nicht davon ausgehen dürfen, daß der Vater arglos war.
  71. Über die Strafbemessung ist deshalb insgesamt neu zu befinden.
  72. 3. Keinen Bestand hat das Urteil ferner, soweit von der Anordnung der
  73. Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen worden ist. Nach den Feststellungen zum Drogenkonsum des Angeklagten lag die Prüfung der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in
  74. einer Entziehungsanstalt nahe. Der Angeklagte begann mit dem Drogenkonsum bereits während der Schulzeit. Zwei von ihm begonnene Lehren konnte
  75. der Angeklagte "wegen fortwährenden Drogengebrauchs" nicht zu Ende führen. Im Jahr 1992 begann er damit, "statt Haschisch nunmehr Heroin regelmäßig zu konsumieren ... . Sein Tagesablauf war im wesentlichen durch den Drogenkonsum bestimmt" (UA 6). Nach Verbüßung einer Haftstrafe bis 1994 "geriet der Angeklagte schnell wieder an Drogen und zwar Heroin", das er ab An-
  76. -6-
  77. fang 1996 auch spritzte. Trotz Substituierung mit Methadon erlitt der Angeklagte wiederholt "einen kompletten Rückfall in den alten Drogenkonsum" (UA
  78. 7). Auch das verfahrensgegenständliche Handeltreiben mit Betäubungsmitteln
  79. diente dem Angeklagten dazu, seinen "Beigebrauch" von Drogen neben der
  80. Methadon-Substituierung zu finanzieren. Die Substituierung mit Methadon wurde schließlich auch nach Festnahme des Angeklagten in der Untersuchungshaft fortgesetzt.
  81. Bei dieser Sachlage stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar,
  82. daß sich das Landgericht nicht mit der Frage des Vorliegens eines Hanges im
  83. Sinne des § 64 Abs. 1 StGB auseinandergesetzt hat. Daß der Drogenkonsum
  84. des Angeklagten nach der ersichtlich ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen getroffenen Einschätzung des Landgerichts nicht zu einer erheblichen
  85. Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt hat, steht der Annahme eines
  86. Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB nicht entgegen (st. Rspr.; BGHR StGB
  87. § 64 Ablehnung 6, 8; BGH, Urteil vom 17. August 2000 - 4 StR 233/00). Daß
  88. bei dem Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Die Tatsache, daß ausschließlich der Angeklagte Revision
  89. eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die
  90. -7-
  91. Nichtanwendung des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff auch nicht ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
  92. Meyer-Goßner
  93. Maatz
  94. Athing
  95. Kuckein
  96. Ernemann