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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 65/10
  4. vom
  5. 18. März 2010
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. 1.
  9. 2.
  10. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
  11. -2-
  12. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 18. März
  13. 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
  14. 1.
  15. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des
  16. Landgerichts Krefeld vom 6. November 2009 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die bisherigen
  17. Feststellungen aufrechterhalten.
  18. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der
  19. Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  20. 2.
  21. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
  22. Gründe:
  23. 1
  24. Das Landgericht hat die Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von jeweils drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten haben zum Strafausspruch Erfolg, zum Schuldspruch sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs.
  25. 2 StPO.
  26. 2
  27. 1. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat
  28. die gegen die Angeklagten verhängten Strafen jeweils dem Strafrahmen des
  29. -3-
  30. § 30 Abs. 1 BtMG entnommen und bei deren konkreter Bemessung beiden Angeklagten deren "Aufklärungsbereitschaft" strafmildernd zugute gebracht. Dagegen hat es die Anwendung des § 31 BtMG nicht für möglich gehalten. Dies
  31. hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
  32. 3
  33. a) Nach den Urteilsfeststellungen wurden die Angeklagten am 13. Juli
  34. 2009 nach der Einfuhr von etwa 3 kg Marihuana und 3 kg Amphetamin aus den
  35. Niederlanden in die Bundesrepublik festgenommen. Sowohl bei ihren polizeilichen Vernehmungen vom selben Tag wie auch im weiteren Ermittlungs- und im
  36. Zwischenverfahren leisteten die Angeklagten keine Aufklärungshilfe. Nach Anklageerhebung vom 28. Juli 2009 eröffnete das Landgericht Krefeld mit Beschluss vom 16. September 2009 das Hauptverfahren (§ 207 StPO). Erstmals
  37. in der am 6. November 2009 stattfindenden Hauptverhandlung machten beide
  38. Angeklagten Angaben zu ihrem Auftraggeber.
  39. 4
  40. Das Landgericht ist der Ansicht, dass es ausgeschlossen sei, auf diese
  41. Angaben eine Strafmilderung nach § 31 BtMG zu stützen; denn der späte Zeitpunkt der Aussagen erst in der Hauptverhandlung führe gemäß § 31 Satz 2
  42. BtMG, § 46 b Abs. 3 StGB i. V. m. Art. 316 d EGStGB (jeweils in der Fassung
  43. des 43. StrÄndG vom 29. Juli 2009, BGBl I 2288, in Kraft seit 1. September
  44. 2009) dazu, dass wegen der nunmehr geltenden zeitlichen Grenze der Berücksichtungsfähigkeit die "Vergünstigung des § 31 BtMG" den Angeklagten nicht
  45. mehr zugute kommen könne.
  46. 5
  47. b) Dem kann nicht gefolgt werden. Art. 316 d EGStGB bestimmt, dass
  48. § 46 b StGB und § 31 BtMG in der Fassung des 43. StrÄndG nicht auf Verfahren anzuwenden sind, in denen vor dem 1. September 2009 die Eröffnung des
  49. Hauptverfahrens beschlossen worden ist. Diese negativ formulierte Überleitungsvorschrift stellt eine - verfassungsrechtlich unbedenkliche (BVerfGE 81,
  50. -4-
  51. 132, 136 f.; BGHSt 42, 113, 120; Eser in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 2
  52. Rdn. 16) - Derogation des Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) dar,
  53. die die Gerichte in bereits rechtshängigen Verfahren von der gegebenenfalls
  54. schwierigen Bewertung entbinden soll, ob die alte oder neue Fassung des § 31
  55. BtMG nach den Umständen des konkreten Einzelfalls das mildere Gesetz sei
  56. (BTDrucks. 16/6268 S. 17: etwa im Hinblick auf die Frage einer Milderung nach
  57. § 49 Abs. 1 oder 2 StGB oder eines Absehens von Strafe).
  58. 6
  59. Sie bedeutet jedoch nicht, dass im Umkehrschluss die neuen Vorschriften - und damit auch die Präklusionsvorschrift des § 46 b Abs. 3 StGB - ohne
  60. weiteres auf Verfahren anzuwenden sind, in denen die Eröffnung des Hauptverfahrens nach dem 1. September 2009 beschlossen worden ist. Für die Frage
  61. des auf diese Verfahren anwendbaren Rechts gelten vielmehr die allgemeinen
  62. Regeln, nach denen grundsätzlich das zur Tatzeit geltende materielle Recht
  63. Anwendung findet (§§ 1, 2 Abs. 1 StGB), sofern das neuere Recht in seiner
  64. Gesamtheit keine für den Angeklagten günstigere Regelung darstellt (§ 2 Abs. 3
  65. StGB).
  66. 7
  67. Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung, nach der § 46 b Abs. 3
  68. StGB i. V. m. § 31 Satz 2 BtMG nF auch dann Anwendung finden soll, wenn
  69. dies zur Versagung einer nach alter Rechtslage gegebenen Milderungsmöglichkeit nach § 31 BtMG führt und damit eine für den Angeklagten nachteilige Änderung des zur Tatzeit geltenden materiellen Rechts darstellt, findet in der Gesetzesbegründung keine Stütze. Diese geht erkennbar nur von der Derogation des
  70. Meistbegünstigungsprinzips (§ 2 Abs. 3 StGB) aus. Auch die dortige Formulierung, dass § 46 b StGB in Strafverfahren "anwendbar" sei, in denen bei Inkrafttreten der Neuregelung am 1. September 2009 noch kein Eröffnungsbeschluss
  71. ergangen sei (BTDrucks. aaO), kann keinen Anwendungsautomatismus in Be-
  72. -5-
  73. zug auf die neuen Vorschriften begründen. Zwar wird die mit dem 43. StrÄndG
  74. eingeführte Kronzeugenregelung in Kriminalitätsbereichen, in denen es bislang
  75. keine entsprechenden bereichspezifischen Vorschriften gab, die mildere Regelung darstellen und daher gemäß § 2 Abs. 3 StGB in nach dem 1. September
  76. 2009 eröffneten Verfahren regelmäßig Anwendung finden. Dies ist jedoch in
  77. Bereichen, in denen schon bisher sog. "kleine Kronzeugenregelungen" galten (§
  78. 31 BtMG aF, § 261 Abs. 10 StGB aF), nicht der Fall. Hier ist im Einzelfall zu
  79. entscheiden, ob die neue oder die alte Regelung der Rechtsfolgen einer Aufklärungs- bzw. Präventionshilfe in ihrer Gesamtheit die für den Angeklagten günstigere Gesetzeslage darstellt.
  80. 8
  81. Einer Auslegung des Art. 316 d EGStGB dahin, dass in den ab dem
  82. 1. September 2009 eröffneten Verfahren stets § 31 BtMG nF anzuwenden ist,
  83. kann auch deshalb nicht gefolgt werden, weil dies eine Änderung der mit Verfassungsrang (Fischer, StGB 57. Aufl. § 2 Rdn. 2; Eser aaO Rdn. 1) versehenen Vorschrift des § 2 Abs. 1 StGB und damit einen Verstoß gegen das im
  84. Strafrecht absolut geltende Rückwirkungsverbot (Art. 103 Abs. 2 GG) darstellen
  85. würde. Zu den vom Rückwirkungsverbot erfassten Normen gehören auch jene
  86. Regeln, die über die Art und Weise der Rechtsfolgen der Erfüllung eines Straftatbestandes entscheiden und damit auch die Vorschriften über die Strafzumessung (vgl. BVerfGE 105, 135, 156 f.; Schulze-Fielitz in H. Dreier, Grundgesetz-Kommentar 2. Aufl. Art. 103 Abs. 2 Rdn. 24). Dass § 31 BtMG tatbestandlich an das Nachtatverhalten und einen etwaigen Aufklärungserfolg anknüpft,
  87. mithin an Sachverhalte, die (teilweise) in die Zeit nach Inkrafttreten des 43.
  88. StrÄndG fallen, ändert daran nichts. Mit der gesetzlichen Bestimmung der
  89. Strafbarkeit ist der gesamte sachliche Rechtszustand gemeint, von dem die
  90. Zulässigkeit und die Modalitäten der Ahndung einer Straftat abhängen (Fischer
  91. -6-
  92. aaO § 1 Rdn. 15; Eser aaO § 2 Rdn. 20; Rudolphi in SK-StGB § 2 Rdn. 8;
  93. Schmitz in MünchKomm-StGB § 2 Rdn. 10; Schulze-Fielitz aaO Rdn. 23 ff., 50).
  94. 2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch
  95. 9
  96. können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende Feststellungen, insbesondere zur Frage eines Aufklärungserfolges, möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
  97. Becker
  98. Pfister
  99. Hubert
  100. Sost-Scheible
  101. Mayer