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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 504/10
  4. vom
  5. 18. Januar 2011
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen schwerer räuberischer Erpressung
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 18. Januar 2011
  11. gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  13. Hildesheim vom 21. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
  14. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  15. über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  16. Gründe:
  17. 1
  18. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt.
  19. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Rüge Erfolg, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft über die Entlassung der Zeugin F.
  20. in Abwesenheit des während ihrer Vernehmung nach
  21. § 247 Satz 2 StPO aus dem Sitzungssaal entfernten Angeklagten verhandelt
  22. (§ 338 Nr. 5 StPO).
  23. 2
  24. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift Folgendes
  25. ausgeführt:
  26. -3-
  27. "a) Die Rüge ist zulässig erhoben. Der Revisionsvortrag genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die von der Revision
  28. mehrfach verwendete Formulierung 'ausweislich des Protokolls'
  29. kann als bloßer Hinweis auf das geeignete Beweismittel (§ 273 Abs.
  30. 1 Satz 1 StPO) verstanden werden, ohne dass dadurch die Ernsthaftigkeit der Tatsachenbehauptungen selbst in Frage gestellt wird
  31. (BGH StV 1982, 4, 5; NStZ 2005, 281). Nach der Entscheidung des
  32. Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom
  33. 21. April 2010 (NStZ 2011, 47) musste der Beschwerdeführer keinen konkreten Sachvortrag zu einer Beeinträchtigung seines Fragerechts infolge der mit der Rüge beanstandeten Verfahrensweise
  34. erbringen (BGH, 5. Strafsenat, Beschluss vom 27. April 2010 - 5
  35. StR 460/08). Die mangelnde Beanstandung der Entlassungsanordnung der Vorsitzenden durch die Verteidigung gemäß § 238 Abs. 2
  36. StPO schließt die Zulässigkeit nicht aus, da eine solche in dieser
  37. Fallkonstellation keine Rügevoraussetzung ist (BGH, 5. Strafsenat,
  38. a.a.O.). Eine 'besondere Verfahrensgestaltung', wie sie etwa der
  39. Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHR StPO § 247 Abwesenheit 23 zu Grunde lag, ist nicht gegeben. In jenem Fall hatte das
  40. Landgericht aus Gründen des Opferschutzes die bei der Beweiswürdigung verwerteten Angaben der Nebenklägerin maßgeblich ihrer auf Video aufgezeichneten polizeilichen Vernehmung entnommen, so dass es in der Hauptverhandlung möglicherweise nur noch
  41. zu einer 'vorher festgelegten ganz punktuellen Befragung' gekommen war, bei welcher weitere Nachfragen von vornherein fernlagen.
  42. b) Die Rüge ist darüber hinaus begründet. Nach der durch den
  43. Großen Senat für Strafsachen (a.a.O.) bestätigten Rechtsprechung
  44. des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGHR StPO § 247 Abwesenheit
  45. 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2007, 352, 353)
  46. gehört die Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit
  47. des Angeklagten vernommenen Zeugen nicht mehr zu seiner Vernehmung im Sinne des § 247 StPO, sondern bildet einen selbständigen Verfahrensabschnitt und regelmäßig einen 'wesentlichen Teil'
  48. der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus
  49. dem Sitzungssaal für die Dauer der Vernehmung der Zeugin angeordnet war, musste daher zur Verhandlung über die Entlassung der
  50. Zeugin wieder zugelassen werden. Dies ist hier ausweislich der Sitzungsniederschrift nicht geschehen. Der darin liegende Verfahrensfehler ist nicht geheilt worden. Der Angeklagte hat nach dem unwidersprochenen Sachvortrag der Revision weder von sich aus im
  51. Rahmen seiner Unterrichtung über die Abwesenheitsvernehmung
  52. -4-
  53. nach § 247 Satz 4 StPO noch auf Befragen ausdrücklich erklärt,
  54. keine Fragen mehr an die Zeugin stellen zu wollen (dazu BGH,
  55. Großer Senat, a.a.O.; BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18, 19; BGH
  56. NStZ 2000, 440). Auch ist eine erneute Vernehmung der Zeugin (in
  57. Anwesenheit des Angeklagten) dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen. Das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensmangel wird
  58. gemäß § 338 Nr. 5 StPO gesetzlich vermutet. Dass sich der Verfahrensverstoß vorliegend ausnahmsweise denkgesetzlich im Urteil
  59. nicht ausgewirkt hat (vgl. BGH NStZ 2006, 713), ist nicht anzunehmen. Zwar hat der Angeklagte das Tatgeschehen im Wesentlichen
  60. eingeräumt (UA S. 11). Eine Aufhebung allein des Strafausspruches kommt jedoch - anders als etwa in der Entscheidung BGHR
  61. StPO § 338 Beruhen 2 - nicht in Betracht. Denn der Senat wird
  62. nicht ausschließen können, dass die Strafkammer die Angaben der
  63. Zeugin zumindest bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Geständnisses des Angeklagten mitberücksichtigt hat. Einer vollständigen Aufhebung des Urteils steht schließlich nicht die Entscheidung
  64. des Senats in BGHSt 51, 81 entgegen, da diese lediglich den Fall
  65. der Anordnung der Nichtvereidigung einer Zeugin in Abwesenheit
  66. des Angeklagten betraf, nicht hingegen den ihrer Entlassung."
  67. 3
  68. Dem schließt sich der Senat an.
  69. Becker
  70. von Lienen
  71. Schäfer
  72. Hubert
  73. Mayer