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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 498/16
  4. vom
  5. 3. Mai 2017
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung
  9. ECLI:DE:BGH:2017:030517B3STR498.16.0
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. Mai 2017 gemäß
  12. § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
  13. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Juni 2016 wird verworfen.
  14. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
  15. Gründe:
  16. 1
  17. Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Unterstützung einer
  18. terroristischen Vereinigung im Ausland in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet er
  19. sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die näher ausgeführte Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen unbegründet im Sinne
  20. des § 349 Abs. 2 StPO.
  21. 2
  22. Der näheren Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, mit der der Angeklagte die Unverwertbarkeit nach dem G-10-Gesetz gewonnener Erkenntnisse geltend macht.
  23. 3
  24. 1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
  25. -3-
  26. 4
  27. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führte Beschränkungsmaßnahmen nach dem G-10-Gesetz in Form der Telekommunikationsüberwachung
  28. gegen den Angeklagten sowie die Mitangeklagten R.
  29. und A.
  30. durch; es
  31. stützte sie auf § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a G 10 i.V.m.
  32. § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB. Die erhobenen Telekommunikationsüberwachungsdaten übermittelte es den Strafverfolgungsbehörden, worauf diese das gegenständliche Strafverfahren einleiteten.
  33. 5
  34. In der Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht hat die Verteidigerin des Angeklagten der Verwertung nach dem G-10-Gesetz gewonnener Erkenntnisse im Anschluss an einige (nicht alle) diesbezügliche Beweiserhebungen widersprochen. Sie hat dies damit begründet, dass die verschriftlichten Verfahrensvorgänge zu den G-10-Beschränkungsmaßnahmen (Antrag des Bundesamts für Verfassungsschutz, Anordnung des Bundesministeriums des Innern, Billigung der G-10-Kommission) nicht Akteninhalt geworden seien. Daraufhin hat die Senatsvorsitzende das Bundesamt für Verfassungsschutz zweimal um die Vorlage der entsprechenden Dokumente gebeten, was dieses jeweils abgelehnt hat. Hiergegen hat die Vorsitzende auf Antrag der Verteidigerin
  35. Gegenvorstellung bei dem Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben, die
  36. ebenso erfolglos geblieben ist.
  37. 6
  38. 2. Der Beschwerdeführer erachtet die Verwertung der nach dem G-10Gesetz gewonnenen Erkenntnisse deshalb für rechtsfehlerhaft, weil die Verfahrensbeteiligten ohne die beim Bundesamt für Verfassungsschutz angeforderten
  39. Dokumente nicht hätten überprüfen können, inwieweit die Anordnungen nach
  40. der damaligen Verdachtslage vertretbar gewesen seien. Soweit bei einzelnen
  41. Beweiserhebungen ein Widerspruch unterblieben sei, schade dies nicht; denn
  42. das Tatgericht habe die Verfahrenstatsachen von Amts wegen aufzuklären.
  43. -4-
  44. 7
  45. 3. Die Verfahrensrüge dringt nicht durch.
  46. 8
  47. a) Der Beschwerdeführer macht die Unverwertbarkeit der nach dem
  48. G-10-Gesetz gewonnenen Erkenntnisse ohne Erfolg geltend.
  49. 9
  50. aa) Ein generelles Verbot der Verwertung dieser Erkenntnisse besteht
  51. nicht. Die Ermächtigungsgrundlage für die Weitergabe der erhobenen Daten an
  52. die Strafverfolgungsbehörden regelt § 4 Abs. 4 Nr. 2 G 10. § 161 Abs. 2 Satz 1
  53. StPO gestattet ihre Verwendung zu Beweiszwecken im Strafverfahren. Die
  54. Verwertung setzt dabei im Grundsatz die Rechtmäßigkeit der vorausgegangenen Datenerhebung voraus (vgl. - zu präventiv-polizeilich gewonnenen Erkenntnissen - BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69,
  55. 83 Rn. 37 [bezüglich § 100d Abs. 5 Nr. 3 StPO]; Beschluss vom 26. Januar
  56. 2017 - StB 26 u. 28/14, juris, Rn. 52; KK-Griesbaum, StPO, 7. Aufl., § 161
  57. Rn. 40). Die Ermächtigungsgrundlage für die Überwachung und Aufzeichnung
  58. der Telekommunikation durch das Bundesamt für Verfassungsschutz regeln § 1
  59. Nr. 1, § 3 Abs. 1 und 2 G 10.
  60. 10
  61. bb) Nach diesem gesetzlichen Maßstab ist die Rechtswidrigkeit der G10-Beschränkungsmaßnahmen nicht erwiesen.
  62. 11
  63. Der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Anordnungen nicht durch
  64. die vom Bundesamt für Verfassungsschutz angeführten Vorschriften der § 1
  65. Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a G 10 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1,
  66. Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 StGB gedeckt waren, dass mithin
  67. zum Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahmen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für den Verdacht bestanden, der Angeklagte sowie die Mitangeklagten
  68. R.
  69. und A.
  70. unterstützten eine ausländische terroristische Vereinigung.
  71. Dies wird von der Revision schon nicht bestimmt behauptet. Zwar weist sie im
  72. Ansatz zutreffend darauf hin, dass dem Beschwerdeführer insoweit ein den An-
  73. -5-
  74. forderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügender Tatsachenvortrag unmöglich sei, weil ihm die entsprechenden Verfahrensvorgänge nicht bekannt
  75. seien. Die Unvollständigkeit der Akten zieht jedoch grundsätzlich kein Verwertungsverbot nach sich; denn es fehlt eine tatsächliche Grundlage für eine revisionsrechtliche Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnungen im Freibeweis
  76. (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, BGHSt 47, 362, 367;
  77. ferner BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - 3 StR 337/10, NStZ 2011, 471, 472;
  78. zum Beweismaß s. auch KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 41 mwN).
  79. 12
  80. b) Eine Rüge, das Oberlandesgericht habe es rechtsfehlerhaft unterlassen, die von den G-10-Beschränkungsmaßnahmen vorausgesetzte Verdachtslage zum Anordnungszeitpunkt zu rekonstruieren, ist hingegen nicht erhoben.
  81. 13
  82. Das Tatgericht hat die Verfahrenstatsachen, die für die Beurteilung der
  83. Verwertbarkeit der Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung maßgebend sind, aufzuklären und zum Gegenstand des Verfahrens zu machen. Das
  84. gilt auch dann, wenn die Erkenntnisse in einem fremden Verfahren angefallen
  85. sind. In einem solchen Fall sind regelmäßig Akten oder Aktenbestandteile dieses anderen Verfahrens in dem für die Beurteilung der Verwertbarkeit erforderlichen Umfang auszuwerten. Unterlässt das Tatgericht eine mögliche und zur
  86. Aufklärung gebotene Maßnahme, begründet dies einen eigenständigen Rechtsfehler (vgl. BGH, Beschluss vom 1. August 2002 - 3 StR 122/02, aaO,
  87. S. 367 f.).
  88. 14
  89. Freilich hat das Oberlandesgericht den aufgezeigten Prüfungsmaßstab
  90. nicht missachtet; es hat seine Pflicht, sich die Unterlagen zu den G-10-Beschränkungsmaßnahmen zu verschaffen, zutreffend erkannt. Um dies zu erreichen, hat es aber nicht alle ihm offen stehenden, nicht von vornherein aussichtslosen Möglichkeiten ausgeschöpft. Das Oberlandesgericht wäre - neben
  91. -6-
  92. den oder anstelle der diversen an das Bundesamt für Verfassungsschutz gerichteten Ersuchen - zur Herbeiführung einer Entscheidung des Bundesministeriums des Innern verpflichtet gewesen. Dieses allein wäre nach § 96 StPO als
  93. oberste Dienstbehörde des Bundesamts für Verfassungsschutz zu einer strafprozessual beachtlichen Sperrerklärung befugt gewesen. Zugleich war das
  94. Bundesministerium des Innern auch die Stelle, welche die G-10-Beschränkungsmaßnahmen angeordnet hatte. Gegebenenfalls wäre dort eine Gegenvorstellung zu erheben gewesen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Dezember
  95. 2009 - StB 51/09, NStZ 2010, 445, 448 Rn. 15; MüKoStPO/Hauschild, § 96
  96. Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 96 Rn. 9, jew. mwN).
  97. 15
  98. Mit der Stoßrichtung, das Oberlandesgericht habe nicht die ihm möglichen, nicht von vorneherein aussichtslosen Schritte zur Aufklärung der G-10Verfahrensvorgänge unternommen, ist die Verfahrensrüge indes nicht erhoben
  99. (zur Maßgeblichkeit der Angriffsrichtung s. BGH, Urteil vom 26. August 1998
  100. - 3 StR 256/98, NStZ 1999, 94 mwN). Ein derartiges rechtsfehlerhaftes Unterlassen wird nicht geltend gemacht und ist daher nicht Gegenstand der Rüge.
  101. Schon gar nicht legt die Revision dar, zu welchen Schritten Anlass bestanden
  102. hätte. Soweit sie ausführt, dass das Tatgericht die Verfahrenstatsachen von
  103. Amts wegen aufzuklären habe, steht dies im Zusammenhang mit dem Erfordernis eines - vom Angeklagten in der Hauptverhandlung bezüglich einzelner Beweiserhebungen nicht erklärten - Verwertungswiderspruchs.
  104. 16
  105. Ein entsprechendes Rügevorbringen war hier auch nicht ausnahmsweise
  106. entbehrlich. Mit dem dem Senatsbeschluss vom 1. August 2002 (3 StR 122/02,
  107. BGHSt 47, 362) zugrundeliegenden Sachverhalt ist der gegenständliche Fall
  108. schon deshalb nicht vergleichbar, weil hier das Oberlandesgericht den Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Verwertbarkeit gerade nicht grundlegend
  109. verkannt hat (vgl. hingegen dort S. 368).
  110. -7-
  111. 17
  112. c) Inwieweit ein Beweisverwertungsverbot ausnahmsweise für den Fall in
  113. Betracht kommen könnte, dass sämtliche zur Rekonstruktion der Verdachtslage
  114. gebotenen tatrichterlichen Maßnahmen erfolglos geblieben sind, braucht der
  115. Senat nach alledem nicht zu entscheiden. Insbesondere kann dahinstehen, inwieweit ein Angeklagter gehalten ist, einen Antrag auf Aussetzung der Hauptverhandlung zu stellen, um eine Sperrerklärung vor den Verwaltungsgerichten
  116. anzufechten; nur ihm, nicht dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft dürfte der
  117. Verwaltungsrechtsweg offen stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2007
  118. - 5 StR 383/06, NJW 2007, 3010, 3012 Rn. 28; ferner Meyer-Goßner/Schmitt,
  119. aaO, § 96 Rn. 14 mwN).
  120. Becker
  121. Spaniol
  122. Berg
  123. Tiemann
  124. RiBGH Hoch befindet sich
  125. im Urlaub und ist daher
  126. gehindert zu unterschreiben.
  127. Becker