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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- 3 StR 164/11
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- 28. Juni 2011
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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- Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 28. Juni 2011 gemäß § 349 Abs. 4,
- § 355 StPO einstimmig beschlossen:
- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 18. Oktober 2010 mit den Feststellungen
- aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
- über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Schöffengericht - Wilhelmshaven zurückverwiesen.
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- Gründe:
- 1
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Einfuhr
- von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
- Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat wegen des Mangels
- einer von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensvoraussetzung Erfolg,
- so dass es auf die Rügen im Einzelnen nicht ankommt. Das Landgericht hat als
- sachlich unzuständiges Gericht entschieden.
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- Der Generalbundesanwalt hat hierzu in Anlehnung an eine frühere Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR
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- 273/98, BGHSt 44, 121 ff.; bestätigt durch Urteil vom 22. April 1999 - 4 StR
- 19/99, BGHSt 45, 58, 62) in seiner Antragsschrift ausgeführt:
- "[…] Die Annahme der Strafkammer, sie sei infolge des Beschlusses
- des Schöffengerichts vom 7. September 2010 zuständig geworden,
- war rechtsfehlerhaft. Eine Verweisung der Sache durch das Schöffengericht konnte nach § 270 StPO nicht erfolgen, weil diese Bestimmung - auch nach vorangegangener Aussetzung - erst nach Beginn
- der Hauptverhandlung anwendbar ist (dazu BGH, Beschluss vom
- 26. September 1980 - StB 32/80, BGHSt 29, 341, 344 f.; Urteil vom
- 31. Januar 1996 - 2 StR 621/95, BGHSt 42, 39, 40; Beschluss vom
- 14. Juli 1998 - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 122; Jäger in LR StPO
- 26. Aufl. § 225a Rdnr. 5; Gmel in KK StPO 6. Aufl. § 225a Rdnr. 3;
- Deiters in SK StPO 4. Aufl. § 225a Rdnr. 2; Meyer-Goßner StPO
- 53. Aufl. § 225a Rdnr. 4, jeweils mwN). Nach der verfahrensrechtlichen Situation (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 1991 - 4 StR
- 506/91, BGHSt 38, 172, 174) handelte es sich vielmehr um einen Vorlegungsbeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 StPO (zum
- umgekehrten Fall siehe OLG Hamm MDR 1993, 1002 f.). Einen die
- Zuständigkeit des Gerichts höherer Ordnung erst begründenden
- (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121,
- 123; Jäger in LR aaO Rdnr. 31; Meyer-Goßner aaO Rdnr. 17), ausdrücklichen Übernahmebeschluss gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2,
- Abs. 3 StPO, der erst nach Einhaltung des in § 225a Abs. 2 StPO
- vorgeschriebenen Verfahrens sowie nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten (§ 33 Abs. 2 und 3 StPO) hätte ergehen können und der
- dem Angeklagten entsprechend § 215 StPO förmlich zuzustellen gewesen wäre, hat das Landgericht nicht erlassen. Die in der strafprozessualen Literatur (dazu etwa Jäger in LR aaO Rdnr. 19; dagegen
- Deiters in SK aaO Rdnr. 20) umstrittene Frage, ob ein Übernahmebeschluss im Sinne von § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO auch stillschweigend
- ergehen kann, obwohl dieser grundsätzlich 'in zweifelsfreier Form erkennen lassen [muss], welches Gericht welchen Tatvorwurf mit welcher (vorläufigen) rechtlichen Würdigung abzuurteilen hat' (BTDrucks. 8/976, S. 49), bedarf hier keiner Entscheidung. Ein konkludenter Übernahmebeschluss - etwa durch die Anordnung der Haftfortdauer oder die Zurückweisung der 'Zuständigkeitsrüge' - scheidet
- schon deshalb aus, weil die Strafkammer sich, wie der Wortlaut ihres
- Beschlusses vom 30. September 2010 deutlich macht, an die Abgabeentscheidung des Schöffengerichts vom 7. September 2010 'gebunden' glaubte. Ein stillschweigender Übernahmebeschluss kann
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- aber nur dann angenommen werden, wenn der Erklärende überhaupt
- das Bewusstsein hat, eine solche Entscheidung treffen zu können.
- Dies war vorliegend nicht der Fall. Das Landgericht ist vielmehr fehlerhaft davon ausgegangen, dass es nur eine eingeschränkte Willkürprüfung gemäß § 270 StPO vornehmen kann und sah sich daher, da
- es das Vorliegen von Willkür verneint hat, an die Verweisung des
- Amtsgerichts gebunden. Aus dem gleichen Grund kommt eine schlüssige Übernahme der Sache in der von der Strafkammer durchgeführten Hauptverhandlung von vornherein nicht in Betracht, zumal darin
- ausweislich der Sitzungsniederschrift auch der 'Abgabebeschluss' des
- Schöffengerichts vom 7. September 2010 nicht verlesen wurde (vgl.
- BGH, Urteil vom 24. April 1974 - 2 StR 69/74, BGHSt 25, 309, 312
- und Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 123;
- Meyer-Goßner aaO § 243 Rdnr. 14). Der Feststellung der Unzuständigkeit des Landgerichts steht schließlich die Vorschrift des § 269
- StPO nicht entgegen. Zwar liegt dieser Norm der Gedanke zugrunde,
- dass die Verhandlung vor einem Gericht höherer Ordnung den Angeklagten generell nicht benachteiligen kann (RGSt 62, 265, 271; MeyerGoßner aaO § 269 Rdnr. 1); die Anwendbarkeit der Bestimmung setzt
- jedoch voraus, dass die Sache nicht mehr beim Gericht niederer Ordnung anhängig ist, sondern die Zuständigkeit des Gerichts höherer
- Ordnung prozessordnungsgemäß begründet wurde (BGH, Beschluss
- vom 24. April 1990 - 4 StR 159/90, BGHSt 37, 15, 20; Beschluss vom
- 12. Dezember 1991 - 4 StR 506/91, BGHSt 38, 172, 176 und Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 124). Daran fehlte es hier, weshalb das Landgericht überhaupt nicht zur Sache
- verhandeln durfte.
- […] Die mangelnde sachliche Zuständigkeit führt - im Gegensatz zu
- anderen Prozesshindernissen - nicht zu einer Einstellung des Verfahrens, sondern gemäß § 355 StPO zu einer Verweisung der Sache an
- das zuständige Gericht. Das Landgericht hat sich im Sinne der Vorschrift 'mit Unrecht für zuständig erachtet', da es bei objektiver Betrachtung nicht zuständig war (dazu BGH, Beschluss vom 14. Juli
- 1998 - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 124; Kuckein in KK aaO § 355
- Rdnr. 2 und Meyer-Goßner aaO § 355 Rdnr. 3, jeweils mwN); zuständig war das Amtsgericht - Schöffengericht - Wilhelmshaven. Dies entspricht auch dem jetzigen Verfahrensstand (BGH aaO), zumal bei
- neuer Verhandlung und Entscheidung eine höhere als die ausgesprochene Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist (§ 358 Abs. 2 StPO, §§ 24
- Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, 25, 28 GVG)".
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- Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an.
- Becker
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- von Lienen
- Mayer
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- Schäfer
- Menges
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