|
|
- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- 2 StR 132/18
- vom
- 16. Mai 2018
- in der Strafsache
- gegen
-
- wegen versuchter Nötigung
-
- ECLI:DE:BGH:2018:160518B2STR132.18.0
-
- -2-
-
- Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Mai 2018 gemäß § 349 Abs. 4
- StPO einstimmig beschlossen:
-
- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
- Frankfurt am Main vom 15. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch
- über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
-
- Gründe:
- 1
-
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten Nötigung in drei Fällen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
-
- 2
-
- 1. Nach den Urteilsfeststellungen berührte der Angeklagte am 24. August
- 2016 in einem Schwimmbad mehrere Mädchen im Alter zwischen elf und 14
- Jahren, indem er ihnen jeweils kurzzeitig unter Wasser an den Oberschenkel
- griff und versuchte, seine Hand in Richtung der Genitalien zu bewegen
- (Geschädigte B.
-
- ), versuchte, sie zu umklammern und ihnen an den Ober-
-
- schenkel zu greifen (Geschädigte L.
- sich zog (Geschädigte E.
-
- und B.
-
- ) bzw. sie umarmte und an
-
- ). Darüber hinaus tauchte er zwischen den
-
- Beinen eines der Mädchen hindurch, ohne dass hierzu genauere Feststellun-
-
- -3-
-
- gen getroffen werden konnten. Sachverständig beraten ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der an einem schizophrenen Residuum leidende
- Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung „nicht oder wesentlich weniger in der
- Lage gewesen sei, den Tatanreizen Widerstand entgegen zu setzen“ und seine
- Steuerungsfähigkeit daher erheblich eingeschränkt oder sogar – jedenfalls nicht
- ausschließbar – ganz aufgehoben gewesen sei.
- 3
-
- 2. Der Maßregelausspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht
- stand.
-
- 4
-
- a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
- darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB)
- war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Der erforderliche symptomatische
- Zusammenhang besteht, wenn der festgestellte, für die Schuldfähigkeit bedeutsame Zustand des Täters für die Anlasstat kausal geworden ist, wobei Mitursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2017 – 1 StR 658/16, NStZ-RR
- 2017, 272 f.). In den Urteilsgründen ist darzulegen, wie sich die festgestellte
- psychische Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die
- Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom
- 4. August 2016 – 4 StR 230/16, juris Rn. 11; Beschluss vom 26. Juli 2016
- – 3 StR 211/16, R&P 2016, 268 f.; Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR
- 265/15, NStZ-RR 2016, 76; Senat, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR
- 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
-
- -4-
-
- 5
-
- b) Das Landgericht hat den für eine Unterbringungsanordnung vorausgesetzten symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der
- psychischen Erkrankung des Angeklagten nicht tragfähig belegt.
-
- 6
-
- aa) Dem Sachverständigen Dr. Ba.
-
- folgend ist es davon ausgegan-
-
- gen, dass der Angeklagte an einer „schizophrenen Spektrumserkrankung“ nach
- ICD-10: F20 leidet, die sich – in Ermangelung feststellbaren Wahnerlebens –
- als ein „schizophrenes Residuum“ (ICD-10: F20.5) darstelle. Die beim Angeklagten zu beobachtende „ausgeprägte Negativsymptomatik“ sei durch eine
- affektive Nivellierung, eine Simplifizierung der Gedankengänge, durch Apathie,
- Sprachverarmung sowie „ein Gedankenabreißen und bis an die Zerfahrenheit
- […] heranreichende[n] assoziative Lockerungen“ gekennzeichnet und das
- Störungsbild durch eine starke emotionale Nivellierung und „Versandung der
- Persönlichkeit“ des Angeklagten geprägt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen setze die Diagnose eines schizophrenen Residuums wenigstens
- eine eindeutige psychotische Episode voraus; angesichts eines biographisch
- beschriebenen „Leistungsknicks“ könne eine Erstepisode zu Studienzeiten
- „unterstellt“ werden. Abweichend von den Ausführungen des Sachverständigen
- Dr. Ba.
-
- hat das Landgericht die Angaben des Angeklagten, die Mädchen im
-
- Schwimmbad hätten ihn gestisch und mimisch zur Kontaktaufnahme aufgefordert, nicht als ein „paranoides Uminterpretieren von Begebenheiten“ gedeutet,
- welches „die Charakteristik einer paranoid-halluzinatorischen Symptomatik in
- sich trage“; vielmehr ist es zu der Überzeugung gelangt, dass diese Äußerung
- eine erdachte Rechtfertigung des Angeklagten für sein Handeln sei. Insoweit
- hat
-
- das
-
- Dr. Eu.
-
- Landgericht
-
- auf
-
- die
-
- Ausführungen
-
- der
-
- Sachverständigen
-
- verwiesen, die den Angeklagten während der vorläufigen
-
- Unterbringung behandelte und während der mehrmonatigen Dauer der Unterbringung keinerlei Wahnerleben festzustellen vermochte. Auf der Grundlage
- beider sachverständiger Ausführungen ist das Landgericht zu der Überzeugung
-
- -5-
-
- gelangt, dass der Angeklagte zur Tatzeit aufgrund der „Versandung“ seiner
- Persönlichkeit in seiner Fähigkeit, seiner (sexuellen) Begierde etwas entgegen
- zu setzen, erheblich eingeschränkt gewesen sei.
- 7
-
- bb) Damit ist der erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem zum Tatzeitpunkt bestehenden psychischen Defekt und den Anlasstaten nicht tragfähig belegt. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang
- darauf verweist, dass der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung den Tatanreizen wesentlich weniger oder gar keinen Widerstand entgegen setzen konnte,
- erscheint dies insbesondere mit Blick auf den Umstand, dass das Landgericht
- den sachverständigen Ausführungen des Dr. Ba.
-
- nicht gefolgt ist, wonach
-
- der Angeklagte sich durch Mimik und Gestik der Mädchen zur Kontaktaufnahme
- aufgefordert fühlte, nicht nachvollziehbar und entbehrt in Ermangelung näherer,
- die soziale Leistungsfähigkeit des Angeklagten und die Einschränkungen in der
- Affektregulation umfassend in den Blick nehmenden Ausführungen einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
- 8
-
- Bei dieser Sachlage kann dahin stehen, dass die beschriebenen Symptome des psychischen Defekts in einem nicht aufgelösten Spannungsverhältnis
- zum Verhalten des Angeklagten während des Tatgeschehens sowie zu den
- – etwa durch die Bezugsbetreuerin des Angeklagten beschriebenen – sonstigen
- Aktivitäten des Angeklagten stehen.
-
- 9
-
- 3. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Die Sache bedarf – naheliegender Weise unter Hinzuziehung
- eines anderen Sachverständigen – neuer Verhandlung und Entscheidung.
-
- 10
-
- Mit Blick auf § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO hebt der Senat auch den Freispruch des Angeklagten auf. Es ist nicht auszuschließen, dass die neue tatgerichtliche Verhandlung und die zur Erstellung einer aktuellen Gefährlichkeits-
-
- -6-
-
- prognose erforderliche erneute Begutachtung des Angeklagten eine abweichende Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten ergeben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2018 – 5 StR 54/18, juris Rn. 7).
- Das neue Tatgericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung der isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die
- Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (BGH,
- Beschluss vom 24. Oktober 2013 – 3 StR 349/13, BeckRS 2013, 21437).
- 11
-
- Der Senat sieht von der Aufrechterhaltung der für sich genommen
- rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Tatgeschehen ab, um dem neu
- zur Entscheidung berufenen Tatgericht insgesamt eine neue und widerspruchsfreie Sachentscheidung zu ermöglichen.
- Schäfer
-
- Krehl
- Grube
-
- Bartel
- Schmidt
-
|