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- BUNDESGERICHTSHOF
- BESCHLUSS
- 1 StR 179/11
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- 18. Mai 2011
- in der Strafsache
- gegen
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- wegen versuchten Totschlags
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- Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Mai 2011 beschlossen:
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- Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 30. November 2010 nach § 349 Abs. 4
- StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
- Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
- über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
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- Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
- Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier
- Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat
- mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
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- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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- a) Der Angeklagte sowie die Geschädigten M.
- ten in einem Schnellrestaurant in H.
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- und U.
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- arbeite-
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- ; außerdem wohnten sie zusam-
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- men in einer Mietwohnung in einem Mehrfamilienhaus. Vor der Tat kam es zwischen M.
- war, dass M.
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- und dem Angeklagten immer wieder zu Konflikten. Hintergrund
- den Angeklagten bei der Arbeit ohne triftigen Grund ständig
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- schikanierte. Nachdem M.
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- wegen seines Verhaltens gegenüber dem An-
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- geklagten von dem Filialleiter des Schnellrestaurants zurechtgewiesen worden
- war, wollte er sich an dem Angeklagten rächen. Deshalb schrieb er an dessen
- Freundin eine E-Mail, in der er unter anderem wahrheitswidrig behauptete,
- dass der Angeklagte sie schon mehrfach mit anderen Frauen hintergangen habe. In der Tatnacht konfrontierte die Freundin den Angeklagten mit M.
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- Behauptungen und teilte ihm mit, dass sie sich deshalb von ihm trennen werde.
- „Wütend und erregt“ suchte der Angeklagte daraufhin M.
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- in dessen Zim-
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- mer auf und es kam zwischen ihnen zu einer körperlichen Auseinandersetzung.
- Als der Geschädigte U.
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- versuchte, die beiden auseinander zu bringen,
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- schlug ihm der Angeklagte ins Gesicht, so dass er einen Nasenbeinbruch erlitt.
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- Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung flüchtete M.
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- in das
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- Treppenhaus. Dort wurde er von dem Angeklagten zu Fall gebracht und lag auf
- der linken Körperseite in zusammengekrümmter Haltung auf dem Boden und
- schützte den Kopf mit seinen Händen. Der Angeklagte, der barfuß war, trat nun
- mindestens fünf Mal von oben auf M.
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- s rechte Kopfseite und traf diesen „in
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- Höhe der Schläfe“. Durch das Eingreifen eines Nachbarn wurde der Angeklagte
- schließlich von weiteren Tritten abgehalten. Beim Weggehen rief der Angeklagte dem Geschädigten noch zu: „Das ist nicht das Ende. Du kannst nur von
- Glück reden, dass du Freunde hast, die dich verteidigt haben.“
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- M.
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- erlitt durch die Tritte nur geringe Verletzungen. Auf der rechten
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- Kopfseite kam es zu Rötungen und Hautabschürfungen, unter anderem im Bereich der rechten Augenbraue. Auf der linken Kopfseite im Stirn- und Wangenbereich fanden sich nach der Tat mehrere Blutergüsse in Form von gelblichgrünlichen Verfärbungen, die durch das Aufschlagen der linken Kopfhälfte auf
- dem Boden verursacht wurden. Eine konkrete Lebensgefahr bestand für den
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- Geschädigten nicht; zu einer solchen Gefahr wäre es - so das Landgericht „nur bei Eintritt sehr fern liegender Umstände“ gekommen.
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- b) Das Landgericht hat die Tritte des Angeklagten gegen den Kopf des
- Geschädigten M.
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- rechtlich als einen versuchten Totschlag in Tateinheit mit
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- gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs.1 Satz 1 Nr. 5 StGB) gewertet. Den
- Schluss auf den bedingten Tötungsvorsatz hat es dabei aus der abstrakten Gefährlichkeit der Tatausführung für das Leben des Geschädigten gezogen; auch
- einem „medizinischen Laien“ sei es bekannt, „dass Tritte gegen den Kopf, vor
- allem gegen den empfindlichen Schläfenbereich, tödliche Folgen haben können“. Dem Angeklagten seien diese Folgen jedoch bei der Tatausführung
- gleichgültig gewesen; er habe sich „keine näheren Gedanken“ darüber gemacht, ob M.
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- die heftigen und zahlreichen Tritte überleben werde. Allein
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- der Umstand, dass der Angeklagte beim Zutreten barfuß gewesen sei, stehe
- einem bedingten Tötungsvorsatz nicht entgegen.
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- 2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem
- Tötungsvorsatz gehandelt, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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- a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es
- zwar anerkannt, dass bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen der Schluss
- auf einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz nahe liegt. Dabei ist jedoch
- auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde
- nicht eintreten. Der Schluss auf einen bedingten Tötungsvorsatz erfordert deshalb, dass das Tatgericht die der Sachlage nach ernsthaft in Betracht kommenden Tatumstände, zu denen auch die psychische Verfassung des Täters
- bei der Tatbegehung sowie seine Motive gehören, in seine Erwägungen einbe-
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- zogen hat. Das gilt namentlich für spontane, unüberlegte, in affektiver Erregung
- ausgeführte Handlungen.
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- b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Prüfung eines
- bedingten Tötungsvorsatzes werden die Ausführungen des Landgerichts im
- angefochtenen Urteil zu dem hier vorliegenden besonders gelagerten Fall nicht
- ausreichend gerecht.
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- aa) Das Landgericht hat sich im Rahmen der gebotenen Gesamtschau
- der für die Bewertung der Tat bedeutsamen objektiven und subjektiven Umstände nicht damit auseinandergesetzt, dass die barfuß ausgeführten Tritte hier
- keine hochgradig lebensgefährlichen Gewalthandlungen darstellten. Nach den
- Feststellungen des sachverständig beratenen Landgerichts sind wuchtige Tritte
- gegen den Kopf bzw. auf den Schläfenbereich zwar generell dazu geeignet,
- schwere Kopfverletzungen wie Impressionsfrakturen oder Gehirnverletzungen
- herbeizuführen. Auch kann es zu einer Bewusstlosigkeit des Opfers und einer
- damit verbundenen Gefahr der Einatmung von Blut (z.B. bei Verletzungen im
- Nasenraum) oder Erbrochenem kommen. Im vorliegenden Fall bestand aber
- aufgrund der nur oberflächlichen Verletzungen des Geschädigten (Blutergüsse
- und Hautrötungen im Gesicht), der zudem während des Tatgeschehens und
- auch danach stets bei Bewusstsein war, keine konkrete Lebensgefahr. Angesichts des Umstandes, dass es vorliegend gerade nicht zu schweren Kopfverletzungen gekommen ist, wie dies ansonsten bei wuchtigen Tritten gegen den
- Kopf zu erwarten gewesen wäre, hätte sich das Landgericht bei der Prüfung
- des bedingten Tötungsvorsatzes daher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die eher geringen Verletzungen des Geschädigten hier nicht dafür
- sprechen könnten, dass der Angeklagte die Tritte nicht mit der Wucht und Ent-
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- schlossenheit ausgeführt hat, die nötig gewesen wären, um seinem Opfer konkret lebensbedrohliche Verletzungen beizubringen.
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- bb) Das Landgericht hätte weiterhin prüfen müssen, ob die affektive Erregung des Angeklagten, ausgelöst durch das die Tat provozierende Verhalten
- des Geschädigten, Einfluss auf sein Vorstellungsbild über die Folgen seiner
- Handlungen oder seinen Willen zur Tat hatte. Da das Landgericht eine solche
- Erregung hier festgestellt hat, bestand Anlass zu einer näheren Erörterung dieses Umstandes in den Urteilsgründen.
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- An der insoweit bestehenden Prüfungspflicht des Landgerichts ändert es
- auch nichts, dass der Angeklagte trotz seiner starken Erregung weder in seiner
- Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist. Denn
- das Landgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung selbst festgestellt,
- dass sich der „wütende“ und „erregte“ Angeklagte im Augenblick des Zutretens
- „keine näheren Gedanken“ über die Folgen seiner Handlungen gemacht hat.
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- cc) Schließlich erörtert das Landgericht nicht, warum es bei dem Angeklagten während der Tatausführung zu einem Vorsatzwechsel gekommen ist.
- Nach den Feststellungen handelte der Angeklagte bei Beginn und auch noch
- im späteren Verlauf der Handgreiflichkeiten „nur“ mit Körperverletzungsvorsatz
- (UA S. 13: „In diesem Moment erschien der Angeklagte wieder im Zimmer, um
- M.
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- weiter zu verletzen.“). Weshalb der Angeklagte dann während des Ge-
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- schehens im Treppenhaus, bei dem er mehrfach barfuß gegen den Kopf des
- Geschädigten trat, seinen Willen gesteigert und einen (bedingten) Tötungsvorsatz gefasst haben sollte, ist im Urteil nicht näher ausgeführt.
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- 3. Da das Landgericht das Tatgeschehen - auch zum Nachteil des Geschädigten U.
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- - als einheitliche Tat angesehen hat, ist das Urteil auf die
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- Revision des Angeklagten insgesamt aufzuheben und an eine andere als
- Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zu erneuter Verhandlung
- und Entscheidung zurückzuverweisen.
- Nack
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- Wahl
- Jäger
-
- Graf
- Sander
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