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25 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 143/10
Verkündet am:
9. Juni 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
Rettungsdienstleistungen II
BGB § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 280 Abs. 1 Satz 1; GWB § 97 Abs. 7
Der auf Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen Vergabevorschriften gestützte Schadensersatzanspruch des Bieters ist nach der Kodifikation der gewohnheitsrechtlichen Rechtsfigur der culpa in contrahendo durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht mehr daran geknüpft, dass der klagende Bieter auf die Einhaltung
dieser Regelungen durch den Auftraggeber vertraut hat, sondern es ist dafür auf die
Verletzung von Rücksichtnahmepflichten durch Missachtung von Vergabevorschriften abzustellen (Weiterentwicklung von BGH, Urteil vom 8. September 1998
- X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283; Urteil vom 27. November 2007 - X ZR 18/07,
VergabeR 2008, 219 Leitsatz e).
BGH, Urteil vom 9. Juni 2011 - X ZR 143/10 - OLG Naumburg
LG Magdeburg
-2-
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung
vom
9. Juni
2011
durch
den
Vorsitzenden
Richter
Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie
die Richterin Schuster
für Recht erkannt:
Die Revision des Beklagten gegen das am 28. Oktober 2010 verkündete Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Klägerin macht aufgewendete Rechtsanwaltskosten als Schadensersatz geltend, nachdem ein vom Beklagten durchgeführtes Vergabeverfahren,
an dem sie sich beteiligt hatte, wegen Verwendung vergaberechtswidriger Wertungskriterien aufgehoben wurde.
2
Der Beklagte schrieb im offenen Verfahren Rettungsdienstleistungen für
den Zeitraum von Anfang Juli 2009 bis Ende Juni 2015 losweise aus. Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilt werden. Die
Vergabeunterlagen sahen folgende Wirtschaftlichkeitskriterien mit jeweils zugeordneter Gewichtung vor:
-3-
1. Preis. Gewichtung 40
2. Mitarbeit bei Großschadenslagen und Massenanfall von Verletzten. Gewichtung 35
3. Erfahrung im Rettungsdienst. Gewichtung 10
4. Qualitätsmanagement. Gewichtung 5
5. Qualifikation des Personals. Gewichtung 5
6. Arbeitszeit des Personals. Gewichtung 5
3
Nachdem die Klägerin die Vergabeunterlagen angefordert hatte, übermittelte sie diese ihrem jetzigen Prozessbevollmächtigten mit der Bitte um Überprüfung (Schreiben vom 7. Juli 2008). Durch sein Schreiben vom 10. Juli 2008
rügte die Klägerin, in dem Bewertungsschema für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit würden vergaberechtswidrig Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien miteinander vermischt. Ihren kurz darauf gestellten (ersten) Nachprüfungsantrag nahm die Klägerin zurück, nachdem die Vergabekammer ihn als
unzulässig eingeschätzt hatte. Nach Ablauf der Angebotsfrist reichte die Klägerin ein Angebot für ein Los des ausgeschriebenen Auftrags ein und stellte erneut einen Nachprüfungsantrag, der in der Beschwerdeinstanz Erfolg hatte. Der
Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg sprach in seinem Beschluss
vom 3. September 2009 (VergabeR 2009, 933) aus, dass der inzwischen mit
einem anderen Anbieter geschlossene Vertrag über die ausgeschriebenen Leistungen nichtig sei, und verpflichtete den Beklagten, das Vergabeverfahren aufzuheben. Diese Maßnahmen begründete der Vergabesenat im Wesentlichen
mit einem Verstoß gegen die vergaberechtlich gebotene Trennung von Eignungs- und Wirtschaftlichkeitskriterien. Zumindest die Zuschlagskriterien zu
Nr. 2, 3, 5 und 6 seien bieterbezogen, das Kriterium zu Nummer 4 sei intransparent, die Auswahl des günstigsten Angebots hänge somit zu mindestens
55 % nicht von dessen Inhalt, sondern von der Person des Bieters ab. Den Kos-
-4-
tenstreitwert des Nachprüfungsverfahrens setzte das Oberlandesgericht auf bis
zu 800.000 € fest.
4
Nach Aufhebung des Vergabeverfahrens verlangte die Klägerin vom Beklagten die Erstattung einer 2,3-fachen Gebühren nach Nr. 2300 VV-RVG
(10.687,15 €) für die Beauftragung ihres Prozessbevollmächtigten mit der
Überprüfung der Vergabeunterlagen vor Einleitung des ersten Nachprüfungsverfahrens. Nachdem der Beklagte die Zahlung ablehnte, hat die Klägerin Klage
erhoben, mit der sie diese Summe zuzüglich eines Betrags von 962,71 € für die
vorprozessuale Geltendmachung dieses Schadensersatzanspruchs (beide Gebühren zuzüglich Umsatzsteuer) verlangt hat.
5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht ihr
stattgegeben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
6
Die Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
7
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung sinngemäß wie folgt begründet. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens
aus dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo zu. Danach könnten einem
Bieter Ansprüche auf Erstattung von Kosten zustehen, wenn er sich ohne Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens nicht oder nicht wie geschehen daran beteiligt hätte. Nicht schutzwürdig sei ein Bieter lediglich dann,
-5-
wenn er sich in Kenntnis eines Vergabeverstoßes taktierend am Verfahren beteilige. So verhalte es sich hier aber nicht. Die Klägerin habe sich nicht auf das
als vergaberechtswidrig erkannte Vergabeverfahren eingelassen, sondern ein
Angebot erst gar nicht und am Ende nur deshalb abgegeben, um den Status
eines Bieters zu erhalten und dadurch die vergaberechtliche Antragsbefugnis
sicherzustellen. Sie habe aber von vornherein die von ihr als vergaberechtswidrig erkannten Fehler gerügt. Der entsprechende prozessuale Prüfungsauftrag
habe somit entgegen der Ansicht des Beklagten nicht der "Torpedierung" des
Vergabeverfahrens gedient. Der geltend gemachte Gebührentatbestand sei
auch nicht bereits anderweitig kostenrechtlich erfasst. Nach der Kostenentscheidung des Vergabesenats im Nachprüfungsverfahren könne die Klägerin
zwar die Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erstattet verlangen. Dass der Prüfungsauftrag vom 7. August 2008 bereits die Vertretung im
Nachprüfungsverfahren umfasst habe, sei aber weder dessen Wortlaut zu entnehmen noch naheliegend. Eine Verbindung mit anderen Gebührentatbeständen lasse sich somit nicht feststellen.
8
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe sind nicht begründet.
9
1. Der Klägerin steht dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch aus
§ 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 Nr. 1 und § 280 Abs. 1 BGB zu.
10
a) Der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Naumburg hat im Nachprüfungsverfahren rechtskräftig entschieden, dass die Beklagte vergaberechtswidrige Wertungskriterien für die Zuschlagsentscheidung vorgesehen hatte. Diese
Beurteilung ist für die ordentlichen Gerichte im Schadensersatzprozess bindend
(§ 124 Abs. 1 GWB). Infolge der festgestellten Vergaberechtsverstöße musste
das Vergabeverfahren aufgehoben werden. Die Aufhebung aus einem solchen
Grund ist von der einschlägigen Vergabe- und Vertragsordnung nicht vorgese-
-6-
hen (vgl. § 26 Nr. 1 und 2 VOL/A 2006, § 17 Abs. 1 VOL/A 2009) und deshalb
nicht von vornherein sanktionsfrei.
11
b) Mit der Aufstellung von Wertungskriterien, die eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht zuließen und die deshalb die Aufhebung des
Vergabeverfahrens nach sich ziehen musste, hat der Beklagte gegen seine
Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Danach kann ein Schuldverhältnis
einen Teil zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des
anderen Teils verpflichten. Ein solches Schuldverhältnis entsteht auch durch
Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB), und darum
handelt es sich - in je nach Verfahrensart mehr oder minder stark formalisierter
Form - bei der Durchführung eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Mit der in der mündlichen Verhandlung weiter verfochtenen Ansicht, zur
Klägerin habe ein solches vorvertragliches Schuldverhältnis nicht bestanden,
weil dieser nur an der Unterminierung des Vergabeverfahrens gelegen gewesen sei, unternimmt die Revision den ihr verschlossenen Versuch, die Sachverhaltswürdigung des Berufungsgerichts durch die eigene zu ersetzen.
12
c) Werden die auf diese Weise formalisierten Vertragsverhandlungen auf
der Grundlage der vom Auftraggeber ausgearbeiteten und den Bietern zur Teilnahme überlassenen Vergabeunterlagen geführt, wie es für das Vergabeverfahren typisch ist, trifft den öffentlichen Auftraggeber aus § 241 Abs. 2 BGB die
Verpflichtung, diese Unterlagen vergaberechtskonform so auszuarbeiten, dass
keine Wirtschaftlichkeitskriterien aufgestellt werden, die eine ordnungsgemäße
Wertung der Angebote nicht zulassen und deshalb bei Beanstandung eine Aufhebung des Vergabeverfahrens unausweichlich machen. Durch die Aufhebung
wird der je nach Auftragsgegenstand unter Umständen ganz beträchtliche Ausschreibungsaufwand der Bieter zunichte gemacht anstatt, seinem eigentlichen
-7-
Zweck entsprechend, für den Wettbewerb um den ausgeschriebenen Auftrag
eingesetzt zu werden. Die Bieter und Bewerber haben aber - in den Grenzen
der von den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannten Tatbestände - ein
von § 241 Abs. 2 BGB geschütztes Interesse daran, dass der öffentliche Auftraggeber das Verfahren so anlegt und durchführt, dass die genannten Aufwendungen der Bieter dem Wettbewerbszweck entsprechend tatsächlich verwendet
werden können.
13
d) Infolge seines Verstoßes gegen die ihn treffenden Rücksichtnahmepflichten ist der Beklagte verpflichtet, der Klägerin den hierdurch entstandenen
Schaden zu ersetzen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Verpflichtung trifft den
Schuldner im Allgemeinen nur dann nicht, wenn er die Pflichtverletzung nicht zu
vertreten hat. Dazu haben die Instanzgerichte keine Feststellungen getroffen
und die Revision macht nicht geltend, dass insoweit erheblicher Vortrag des
Beklagten unberücksichtigt geblieben wäre. Daher bedarf an dieser Stelle die
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keiner Erörterung,
wonach die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 in der
durch die Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 geänderten Fassung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht,
die den Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes eines öffentlichen Auftraggebers gegen Vergaberecht von der Schuldhaftigkeit des Verstoßes abhängig
macht (EuGH, VergabeR 2011, 71).
14
e) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats setzt der aus Verschulden bei Vertragsanbahnung hergeleitete Schadensersatzanspruch ein zusätzliches Vertrauenselement aufseiten des Schadensersatz verlangenden Bieters voraus (vgl. etwa BGH, Urteil vom 8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ
139, 280, 283). Schadensersatz nach Aufhebung eines Vergabeverfahrens, für
-8-
die, wie hier, kein vergaberechtlich anerkannter Grund (§ 17 VOL/A 2009, § 20
VOL/A-EG 2009, § 17 VOB/A 2009) vorlag, konnte ein Bieter nur dann verlangen, wenn er sich ohne Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens daran entweder gar nicht oder nicht so wie geschehen beteiligt hätte (vgl.
BGH, Urteil vom 27. November 2007 - X ZR 18/07, VergabeR 2008, 219
Rn. 39). Diese Rechtsprechung knüpfte daran an, dass die auf die gewohnheitsrechtlich anerkannte Rechtsfigur der culpa in contrahendo gestützte Haftung im Allgemeinen die Gewährung von in Anspruch genommenem Vertrauen
voraussetzte (vgl. Palandt/Heinrichs, 61. Aufl., § 276 BGB aF Rn. 65 f.). An
dem tatbestandlichen Erfordernis eines solchen zusätzlichen Vertrauenselements hält der Senat für Schadensersatzansprüche, die auf ein vergaberechtliches Fehlverhalten des öffentlichen Auftraggebers vor Vertragsschluss gestützt
sind, nicht fest.
15
Der aus § 280 Abs. 1 in Verbindung mit § 241 Abs. 2 und § 311 Abs. 2
Nr. 1 BGB hergeleitete Schadensersatzanspruch knüpft nach dem Wortlaut der
gesetzlichen Regelung an die Verletzung einer aus dem Schuldverhältnis herrührenden Rücksichtnahmepflicht der Beteiligten an. Dafür, dass dem Gläubiger
nur dann Schadensersatz zustehen soll, wenn er bei Verletzung einer solchen
Rücksichtnahmepflicht zusätzlich gewährtes Vertrauen in Anspruch genommen
hat, ist der gesetzlichen Regelung nichts zu entnehmen. Für das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe besteht auch kein Bedürfnis dafür, das Vertrauen
des Bieters etwa als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal weiter zu fordern.
Denn dieses Gebiet ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass der Ablauf
der Vertragsverhandlungen und die dem Auftraggeber dabei auferlegten Verhaltenspflichten eingehend geregelt sind. Oberhalb der gemäß § 2 VgV vorgesehenen Schwellenwerte gelten die Bestimmungen des Vierten Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Vergabeverordnung sowie der
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Vergabe- und Vertragsordnungen für Bauleistungen und Leistungen und der
Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen, und für Vergabeverfahren unterhalb dieser Werte sind die Vorschriften der Vergabe- und Vertragsordnungen
für Bauleistungen und Leistungen einschlägig, sofern der Auftraggeber - was
allgemein üblich ist - ankündigt, die Vergabe auf der Grundlage dieser Vorschriften durchzuführen. Im Geltungsbereich des Vierten Teils des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der für das Vergabeverfahren einschlägig
ist, auf das sich der Streitfall bezieht, haben die Unternehmen Anspruch darauf,
dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält
(§ 97 Abs. 7 GWB). An die daraus resultierenden Verhaltenspflichten knüpfen
die Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB an. Der Inanspruchnahme
besonderen Vertrauens als eines Tatbestands, an dessen Erfüllung die Haftung
wegen Verschuldens bei Vertragsanbahnung überhaupt erst festgemacht werden könnte, bedarf es deshalb nicht. Inwieweit der für Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo nach altem Recht vorausgesetzte Vertrauenstatbestand für andere Fallgruppen, die im Rahmen dieser Rechtsfigur entwickelt
worden sind, weiterhin Bedeutung hat, bedarf im Streitfall keiner Klärung. Entsprechendes gilt nach den Umständen des Streitfalls auch für die Frage, unter
welchen Voraussetzungen sich der klagende Bieter ein Mitverschulden (§ 254
BGB) entgegenhalten lassen muss.
16
f) Dass die Klägerin den ausgeschriebenen Auftrag nicht hätte erhalten
können, weil sie nicht innerhalb der Angebotsfrist ein Angebot eingereicht hat,
steht ihrem Anspruch auf Schadensersatz nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Senats kommt gerade auch in Fällen der ungerechtfertigten Aufhebung des Vergabeverfahrens eine Ausnahme von dem Grundsatz in Betracht,
dass nicht nur der auf das Erfüllungsinteresse, sondern auch der auf das negative Interesse gerichtete Schadensersatzanspruch nur dem Bieter zusteht, der
- 10 -
bei regulärem Verlauf des Vergabeverfahrens den Zuschlag hätte erteilt bekommen müssen (BGH, VergabeR 2008, 219 Rn. 37 f.; vgl. insoweit auch
Scharen in Kompaktkommentar Vergaberecht, 13. Los Rdn. 54).
17
g) Die Gebührenforderung, die durch den von der Klägerin erteilten Auftrag zur Prüfung der Vergabeunterlagen und der Rüge ihrer Vergaberechtswidrigkeit gegenüber dem Beklagten ausgelöst worden ist, ist nach dem Schutzzweck der einschlägigen Norm (§ 241 Abs. 2 BGB) als Schaden erstattungsfähig. Mit den sich daraus für den öffentlichen Auftraggeber ergebenden Rücksichtnahmepflichten ist es, wie ausgeführt (oben II 1 b) unvereinbar, in die Wirtschaftlichkeitsprüfung Eignungskriterien einfließen zu lassen (BGH, Urteil vom
8. September 1998 - X ZR 99/96, BGHZ 139, 280, 283; Urteil vom 15. April
2008 - X ZR 129/06, VergabeR 2008, 641 - Sporthallenbau). Zieht der mit solchen Wertungskriterien konfrontierte Bieter deshalb einen Rechtsanwalt zurate,
sind die aus dessen Beauftragung resultierenden Kosten ein durch den Pflichtenverstoß adäquat kausal herbeigeführter Schaden. Dafür ist unerheblich,
dass der Bieter sich der Vergaberechtswidrigkeit der Vergabeunterlagen bei
Beauftragung des Rechtsanwalts regelmäßig nicht sicher sein wird, sondern
diesbezüglich erfahrungsgemäß allenfalls Zweifel hegen wird. Entscheidend ist,
dass er aufgrund der objektiv gegebenen Vergaberechtswidrigkeit der Vergabeunterlagen Anlass hat, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
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h) Der Anspruch setzt im Streitfall nach dem der Regelung in § 286
Abs. 2 Nr. 4 BGB zugrunde liegenden Rechtsgedanken keine Mahnung des
Gläubigers voraus. Vorvertragliche Rücksichtnahmepflichten, wie sie hier in
Rede stehen, sind aus in der Natur der Sache liegenden Gründen sofort zu erfüllen. Jedenfalls dann, wenn die Frage, ob die Verletzung einer Rücksichtnahmepflicht vorliegt, nur aufgrund vertiefter Kenntnisse auf dem Gebiet des
- 11 -
Vergaberechts beantwortet werden kann, ist es, auch mit Blick auf die regelmäßig engen zeitlichen Dispositionsmöglichkeiten im laufenden Vergabeverfahren,
nicht interessengerecht, den am Auftrag interessierten Unternehmen abzuverlangen, den vermeintlichen Mangel zunächst selbst gegenüber dem Auftraggeber zu rügen, bevor sie einen Rechtsanwalt in erstattungsfähiger Weise mit der
weiteren Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragen können. Ob das Gleiche
in allen denkbaren Fallgestaltungen, insbesondere auch bei Verstößen gilt, die
im Sinne von § 107 Abs. 3 Nr. 2 und 3 GWB erkennbar (vgl. dazu etwa MünchKomm.BeihVgR/Jaeger, § 107 Rn. 54) sind, ist hier nicht zu entscheiden.
19
i) Der Beklagte kann sich gegenüber der Gebührenersatzforderung nicht
mit Erfolg darauf berufen, die fraglichen Kosten wären der Klägerin auch entstanden, wenn er, der Beklagte, sich vergaberechtskonform verhalten hätte. Auf
den darin zu sehenden Einwand, der geltend gemachte Schaden wäre auch bei
rechtmäßigem Verhalten des Schädigers entstanden, kann dieser sich ausnahmsweise dann nicht berufen, wenn dies mit dem Schutzzweck der verletzten Norm nicht vereinbar wäre (BGH, Urteil vom 24. Oktober 1986
- IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157 ff.). So verhält es sich hier. Dem hier durchgeführten Vergabeverfahren, bei dem ein vergaberechtswidriges Wertungsschema
verwendet worden ist, kann nicht im Wege einer fiktiven Alternativbetrachtung
ein solches mit vergaberechtlich unbedenklichen Wertungskriterien gegenübergestellt und die hypothetische Prüfung daran angeschlossen werden, ob die
Klägerin auch in einem solchen als korrekt fingierten Fall ihren Prozessbevollmächtigten mit der Prüfung der Vergabeunterlagen beauftragt hätte. Der Schutz
des § 241 Abs. 2 BGB greift schon dann ein, wenn die Vergabeunterlagen, wie
hier, in der Weise fehlerhaft sind, dass eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht mehr möglich ist. Im Übrigen hat das Berufungsgericht keine
Feststellungen getroffen, aufgrund deren die Haftung des Beklagten unter dem
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Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens fraglich erscheinen könnte, und die Revision zeigt nicht auf, dass das Berufungsgericht insoweit konkreten Vortrag des Beklagten, der nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungsund Beweislast für den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens trägt (vgl.
BGH, Urteil vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, NJW 2005, 1718), übergangen
hätte.
20
2. a) Ohne Erfolg wendet die Revision sich dagegen, dass das Berufungsgericht die Berechnung der geltend gemachten Gebühr nach einem Wert
von 800.000 € gebilligt hat. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts,
denen die Revision nicht entgegentritt, entspricht dieser Betrag dem für Beschwerdeverfahren nach § 116 GWB gesetzlich vorgegebenen Streitwert von
5 % der Bruttoauftragssumme (§ 50 Abs. 2 GKG). Diesem Streitwert entspricht
der Gegenstandswert für die anwaltliche Vertretung des Bieters im erstinstanzlichen Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer (vgl. Kulartz/Kus/Portz
Komm. zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 128 Rn. 41; Hardraht in Kompaktkommentar Vergaberecht, 14. Los § 50 Abs. 2 GKG Rn. 2). Da der Bieter das
Vergabeverfahren mit einer gegenüber dem Auftraggeber nach § 107 Abs. 3
GWB erhobenen Rüge im Interesse seiner Chance auf den Auftrag in gleicher
Weise in korrekte Bahnen lenken will, wie mit einem Nachprüfungsantrag nach
§ 107 Abs. 1 GWB, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, diesen Wert
auch für die Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG heranzuziehen.
21
b) Dass das Berufungsgericht die Erstattung einer 2,3-fachen Gebühr
nach Nr. 2300 VV-RVG zugesprochen hat, greift die Revision nicht mit stichhaltigen Rügen an. Dass die außergerichtliche Tätigkeit schon am 16. Juli 2008
endete, muss nicht auf einen spürbar geringen Umfang oder Schwierigkeitsgrad
der Sache hindeuten. Das gesamte Vergabeverfahren ist vom vergaberechtli-
- 13 -
chen Beschleunigungsgrundsatz beherrscht, der den Bietern unter anderem
auferlegt, erkannte Vergabeverstöße unverzüglich zu rügen (§ 107 Abs. 3
GWB) und der es dem für den Bieter tätigen Rechtsanwalt nahelegt, den ihm
unterbreiteten Sachverhalt, zu dem häufig umfangreiche Vergabeunterlagen
gehören, rasch auf Vergabeverstöße hin zu prüfen und Rügen gegebenenfalls
umgehend zu erheben, insbesondere auch dann, wenn, was hier ersichtlich der
Fall war, der Ablauf der Angebotsfrist bevorstand.
22
Ob es, wie das Berufungsgericht meint, regelmäßig angemessen ist, in
Vergabeverfahren eine überdurchschnittliche Schwierigkeit für die anwaltliche
Tätigkeit anzunehmen, die regelmäßig eine deutliche höhere Gebühr als die
Mittelgebühr rechtfertigt, kann allerdings in dieser Pauschalität zweifelhaft sein.
Es kann insoweit nicht unberücksichtigt bleiben, dass auch vergaberechtliche
Streitigkeiten in der Gesamtschau hinsichtlich ihres Umfangs und Schwierigkeitsgrads ganz unterschiedlich gelagert sind und es nicht angemessen erscheint, diesen Fällen pauschal einen Schwierigkeitsgrad beizumessen, dem
regelmäßig eine Gebühr im oberen oder obersten Bereich der einschlägigen
Rahmengebühr zu entsprechen hat. Das gilt umso mehr, als das Angebot anwaltlicher Dienstleistungen in inzwischen fast allen Lebensbereichen und
Rechtsmaterien durch eine Spezialisierung gekennzeichnet ist, die im eigenen
wettbewerblichen Interesse erfolgt und die deshalb berechtigterweise bei der
Bewertung des Schwierigkeitsgrads nicht ganz außer Betracht bleiben kann.
Zweifelhaft kann ferner sein, den Aufwand bei der Vertretung im Vergabeverfahren generell auch daran zu messen, welche Probleme sich im anschließenden Nachprüfungsverfahren ergeben haben, weil die Auseinandersetzung hinsichtlich des Umfangs und Schwierigkeitsgrads dynamisch verlaufen sein kann.
Dass das Berufungsgericht im Streitfall diesbezügliches oder in die gleiche
- 14 -
Richtung weisendes Vorbringen des Beklagten übergangen hätte, zeigt die Revision indes nicht auf.
23
c) Soweit die Revision die Versäumung der Anrechnung dieser Gebühr
nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG beanstandet, ist nicht die im anschließenden Nachprüfungsverfahren entstandene Gebühr auf die Geschäftsgebühr
nach Nr. 2300 VV-RVG anzurechnen, sondern, nach dem eindeutigen Wortlaut
von Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG, die Geschäftsgebühr auf die später entstandene (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 23. September 2008
- X ZB 19/07, VergabeR 2009, 39 - Geschäftsgebühr im Nachprüfungsverfahren). Dass die Zuerkennung der 2,3-fachen Gebühr für die Vertretung im
Vergabeverfahren mit Blick auf die Kostenerstattung im (zweiten) Nachprüfungsverfahren zu einer Überzahlung geführt hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom
22. März 2011 - VI ZR 63/10), macht die Revision nicht geltend.
24
3. Ohne Erfolg wendet die Revision sich dagegen, dass das Berufungsgericht der Klägerin auch die auf die Gebühren entfallende Umsatzsteuer zuerkannt hat. Ausweislich des vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Tatbestands des landgerichtlichen Urteils hat die Klägerin beide klageweise geltend gemachten Gebühren einschließlich der darauf entfallenden Umsatzsteuer
verlangt. Streitiges Vorbringen dokumentieren weder die Entscheidung des
Landgerichts noch das Berufungsurteil. Das entspricht, wie die Revisionserwiderung aufzeigt, dem Sach- und Streitstand schon bei Beendigung der ersten
Instanz, nachdem die Klägerin dort nämlich erklärt hatte, sie sei nach dem Gegenstand der von ihr erbrachten Leistungen gemäß § 4 Nr. 17b UStG nicht zum
Vorsteuerabzug berechtigt. Das Berufungsgericht hat demgegenüber keinen
Sachverhalt festgestellt, aus dem sich die Vorsteuerabzugsberechtigung der
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Klägerin ergäbe. Dass das Berufungsgericht hierzu Vortrag des Beklagten
übergangen hätte, macht die Revision ebenfalls nicht geltend.
25
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Gröning
Hoffmann
Grabinski
Schuster
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 02.06.2010 - 36 O 25/10 OLG Naumburg, Entscheidung vom 28.10.2010 - 1 U 52/10 (Hs) -