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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 228/03
Verkündet am:
12. Oktober 2006
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO §§ 17, 130 Abs. 1
Zu den Anforderungen an die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit durch den Tatrichter bei Insolvenzanfechtung.
BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03 - OLG Hamburg
LG Hamburg
-2-
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die
Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Vill und Dr. Detlev Fischer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats des
Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 26. September
2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 11. Zivilsenat
des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der
1
L.
GmbH & Co. Das Insolvenzverfahren
wurde am 26. Juni 2000 auf Antrag der Schuldnerin vom 1. Juni 2000 wegen
Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet.
2
Die Beklagte, die für die Schuldnerin als Wirtschaftsprüferin tätig war,
erhielt von der Schuldnerin am 3. Dezember 1999 den Auftrag, ein von ihr erstelltes Effizienzsteigerungsprogramm zu prüfen. Die Beklagte erstattete den
-3-
Prüfbericht unter dem 17. Januar 2000. Am 12. Januar 2000 stellte sie der
Schuldnerin hierfür 114.450,48 DM in Rechnung.
Die Schuldnerin stellte der Beklagten am 7. April 2000 und 28. April 2000
3
Schecks über 57.000 DM und 57.450,48 DM aus, die am 20. April 2000 und
4. Mai 2000 dem Konto der Schuldnerin belastet wurden.
Der Kläger hat die Zahlung gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ange-
4
fochten und Rückzahlung verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch in vollem Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
5
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6
Das Berufungsgericht meint, der Kläger habe die Voraussetzungen des
§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO nicht substantiiert vorgetragen. Eine Zahlungseinstellung liege nicht vor. Soweit der Kläger sich auf die Schreiben vom
12. April 2000 beziehe, mit denen die Schuldnerin die Krankenkassen mit der
Bitte um Stundung der Sozialversicherungsbeiträge für März 2000 angeschrie-
-4-
ben habe, lasse sich hieraus nicht die Erklärung ableiten, zu Zahlungen endgültig unvermögend zu sein, da ausdrücklich mitgeteilt worden sei, es werde auf
einige Zahlungseingänge gewartet. Dem Umstand, dass die Schuldnerin nach
Behauptung des Klägers die Löhne der gewerblichen Mitarbeiter für April 2000
nicht mehr ordnungsgemäß habe zahlen können, komme bereits deshalb nicht
die Bedeutung einer Zahlungseinstellung zu, weil die Schuldnerin die Gehälter
ihrer Angestellten unstreitig gezahlt habe.
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Die Feststellung einer Zahlungsunfähigkeit habe auf der Grundlage eines
Finanzstatuts zu erfolgen, das aus dem Rechnungswesen abzuleiten sei und
das verfügbare Finanzmittelpotential des Unternehmens sowie dessen Verbindlichkeiten inventarmäßig erfasse. Der Kläger sei seiner Pflicht zu substantiiertem Vortrag unzureichend nachgekommen, weil er zwar den Stand der Verbindlichkeiten, bezogen auf den 20. April und 4. Mai 2000, mitgeteilt und auch angegeben habe, dass der Kreditspielraum fast vollständig ausgeschöpft gewesen
sei. Diese Angaben reichten aber nicht aus. Es fehlten Angaben zu dem Bestand an fälligen Forderungen der Schuldnerin. Deren Kenntnis sei unverzichtbar, um die Zahlungsunfähigkeit feststellen zu können. Insoweit müsse auszuschließen sein, dass sich die Schuldnerin kurzfristig, innerhalb von zwei bis drei
Wochen, die erforderlichen flüssigen Mittel habe beschaffen können, um die
Verbindlichkeiten zu begleichen. Erforderlich seien deshalb Liquiditätsbilanzen
zum 20. April 2000 und zum 4. Mai 2000.
II.
8
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
-5-
9
Das Berufungsgericht ist, von der Revision unangegriffen, von einer kongruenten Deckung ausgegangen. Dies ist zutreffend, weil die Bezahlung einer
Schuld durch eigenen Scheck verkehrsüblich ist (BGHZ 123, 320, 324; v.
2. Februar 2006 - IX ZR 67/02, ZIP 2006, 578, z.V.b. in BGHZ 166, 125;
MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 131 Rn. 35; Kübler/Prütting/Paulus, InsO § 131
Rn. 13).
10
Beide Scheckeinlösungen lagen innerhalb der 3-Monatsfrist vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Anwendbar ist deshalb § 130
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Ein Bargeschäft liegt nicht vor, weil der erforderliche
enge zeitliche - unmittelbare - Zusammenhang zwischen Leistung (Annahme
des Auftrags oder Beginn der Tätigkeit) und Gegenleistung (vgl. BGH, Urt. v.
13. April 2006 - IX ZR 158/05, ZIP 2006, 1261, 1264) nicht bestand. Der Bericht
der Beklagten wurde ab 3. Dezember 1999 erstellt. Die Scheckhingabe und die
Scheckeinlösung lagen über 4 Monate später.
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Entscheidend ist daher, ob zu dem gemäß § 140 Abs. 1 InsO maßgeblichen Zeitpunkt der jeweiligen Scheckeinlösung (vgl. BGHZ 118, 171, 176 f;
MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 140 Rn. 11) Zahlungsunfähigkeit vorlag und die
Beklagte zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte.
12
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend zunächst gemäß § 17 Abs. 2
Satz 2 InsO geprüft, ob die Schuldnerin im Zeitpunkt der Scheckeinlösung die
Zahlungen eingestellt hatte. Die in dieser Vorschrift formulierte Vermutung gilt
auch im Rahmen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BGHZ 149, 178, 184; BGH, Urt.
v. 9. Januar 2003 - IX ZR 175/02, ZIP 2003, 410, 411). Liegt Zahlungseinstellung vor, begründet dies eine gesetzliche Vermutung für die Zahlungsunfähig-
-6-
keit (HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 24), die vom Prozessgegner zu widerlegen wäre.
Zahlungseinstellung ist dasjenige äußere Verhalten des Schuldners, in
13
dem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt. Es muss sich also
mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten
zu erfüllen (BGHZ 149, 178, 184 f; BGH, Urt. v. 9. Januar 2003 - IX ZR 175/02,
ZIP
2003,
410,
411;
HK-InsO/Kirchhof,
aaO
§ 17
Rn. 25;
zur
3-Wochen-Frist vgl. nunmehr BGHZ 163, 134, 139 f).
14
Die Zahlungseinstellung hat das Berufungsgericht mit unzutreffenden
Gründen abgelehnt.
15
a) Eigene Erklärungen des Schuldners, eine fällige Verbindlichkeit nicht
begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie
mit einer Stundungsbitte versehen sind (vgl. BGH, Urt. v. 4. Oktober 2001
- IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097, 2098; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 30).
16
Eine solche Erklärung kommt in den Schreiben der Schuldnerin vom
12. April 2000 an die Sozialversicherungsträger zum Ausdruck. In den Schreiben ist zwar ausgeführt, dass die Schuldnerin auf Zahlungseingänge warte. Es
wird aber auch klar zum Ausdruck gebracht, dass die Eingänge jedenfalls nicht
bis zur Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge am 15. April 2000 zu erwarten
seien, eine Zahlung bei Fälligkeit also keinesfalls erfolgen könne, sondern nur
drei monatliche Raten jeweils zum Monatsende angeboten werden könnten. Die
Schuldnerin war demzufolge gerade nicht in der Lage, ihren Verpflichtungen zur
Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge binnen drei Wochen nachzukommen.
-7-
17
Allerdings wurden die Anträge auf Stundung noch vor Fälligkeit gestellt.
Wurde ihnen rechtzeitig stattgegeben, fehlte es an der Fälligkeit der Forderungen. Hierzu und zu der Frage, ob es sich um einen erheblichen Teil der Verbindlichkeiten der Schuldnerin handelte, hat das Berufungsgericht jedoch keine
Feststellungen getroffen.
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b) Das Berufungsgericht hat auch dem Umstand keine Bedeutung beigemessen, dass nach Behauptung des Klägers die Schuldnerin zum 30. April
2000 die Löhne der gewerblichen Mitarbeiter nicht ordnungsgemäß gezahlt hat.
Dies sei unerheblich, weil sie gleichzeitig die Gehälter der Angestellten weitergezahlt habe.
19
Das Berufungsgericht hat offenbar angenommen, einzelne beträchtliche
Zahlungen schlössen die Zahlungseinstellung aus. Dies ist unzutreffend. Die
tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten
reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urt. v. 8. Oktober 1998 - IX ZR
337/97, ZIP 1998, 2008, 2009; v. 13. April 2000 - IX ZR 144/99, ZIP 2000,
1016, 1017; v. 4. Oktober 2001 - IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097, 2098). Dies gilt
auch dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber
im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urt. v. 25. Januar 2001 - IX ZR 6/00, ZIP 2001, 524, 525; v.
17. Mai 2001 - IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155; v. 4. Oktober 2001, aaO; v.
19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99, ZIP 2003, 488, 491; v. 10. Juli 2003 - IX ZR
89/02, ZIP 2003, 1666, 1668).
-8-
20
c) Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob unter dem Gesichtspunkt
der bis zuletzt nicht beglichenen Verbindlichkeiten der Schuldnerin eine Zahlungseinstellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vorliegt.
21
Nach den Behauptungen des Klägers hatte die Schuldnerin am 31. März
2000 fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 4,92 Mio. DM aus Lieferungen und
Leistungen offen stehen, die bis zuletzt unbedient blieben und deshalb zur Tabelle angemeldet wurden. Zum 7. April 2000 soll der Betrag dieser Forderungen
auf 5,13 Mio. DM, zum 20. April 2000 auf 5,45 Mio. DM, zum 28. April 2000 auf
5,65 Mio. DM und zum 4. Mai 2000 auf 5,78 Mio. DM angestiegen sein.
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Danach wäre die Schuldnerin bei Einlösung des ersten Schecks bereits
seit einer Frist von knapp drei Wochen ab dem 31. März 2000 nicht in der Lage
gewesen, fällige Verbindlichkeiten in Höhe von mindestens 4,92 Mio. DM zu
begleichen. Sie konnte sie auch in der Folgezeit nicht tilgen. Sofern es sich
hierbei nicht nur um einen unerheblichen Teil der Verbindlichkeiten der Schuldnerin gehandelt hat, lag deshalb bereits seit 31. März 2000 Zahlungseinstellung
vor (vgl. BGHZ 163, 134, 144 ff).
23
Eine einmal eingetretene Zahlungseinstellung hätte danach nur dadurch
wieder beseitigt werden können, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen allgemein
wieder aufgenommen hätte (BGHZ 149, 100, 101; 149, 178, 188). Das hätte
derjenige zu beweisen, der sich hierauf beruft (BGHZ 149, 100, 101).
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d) Das Berufungsurteil hat eine Zahlungseinstellung vor allem auch deshalb abgelehnt hat, weil die Nichtbegleichung der Verbindlichkeiten nicht nach
außen in Erscheinung getreten sei. Auch dies ist indessen unzutreffend. Durch
die Nichtzahlung der Sozialversicherungsbeiträge, der Löhne und der sonst fäl-
-9-
ligen Verbindlichkeiten über einen Zeitraum von mehr als drei Wochen nach
Fälligkeit ist für die beteiligten Verkehrskreise hinreichend erkennbar geworden,
dass die Nichtzahlung auf einem objektiven Mangel an Geldmitteln beruhte.
Gerade Sozialversicherungsbeiträge und Löhne werden typischerweise nur
dann nicht bei Fälligkeit bezahlt, wenn die erforderlichen Geldmittel hierfür nicht
vorhanden sind (zu den Sozialversicherungsbeiträgen vgl. etwa BGH, Beschl. v.
13. Juni 2006 - IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457, 1458). Einer ausdrücklichen Zahlungsverweigerung bedarf es nicht (BGH, Urt. v. 22. November 1990 - IX ZR
103/90, ZIP 1991, 39, 40).
III.
25
Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die
Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei macht der Senat von der
Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch. Das Berufungsgericht wird
die Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO erneut zu prüfen und die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hierfür
zu treffen haben.
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Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:
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1. Sofern eine Zahlungseinstellung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht
festgestellt werden kann, ist zu prüfen, ob die Schuldnerin zahlungsunfähig war,
§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO. Ist die Schuldnerin nicht in der Lage, sich innerhalb
von drei Wochen die zur Begleichung der fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel zu beschaffen, handelt es sich nicht mehr um eine rechtlich
- 10 -
unerhebliche Zahlungsstockung (BGHZ 163, 134, 139 f). Beträgt die innerhalb
von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke der Schuldnerin weniger
als 10 % ihrer fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig von Zahlungsfähigkeit auszugehen, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die
Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke der
Schuldnerin 10 % oder mehr, ist dagegen regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit
auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig
oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach
den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist (BGHZ 163, 134,
142 f).
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a) Die Frage, ob noch von einer vorübergehenden Zahlungsstockung
oder schon von einer (endgültigen) Zahlungsunfähigkeit auszugehen ist, muss
allein aufgrund der objektiven Umstände beantwortet werden (BGHZ 163, 134,
140; MünchKomm-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 6; HK-InsO/Kirchhof, aaO § 17
Rn. 5). Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2
Satz 1 InsO kann eine Liquiditätsbilanz aufzustellen sein. Dabei sind die im
maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu
machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen
und eingeforderten Verbindlichkeiten (vgl. BGHZ 163, 134, 138; HKInsO/Kirchhof, aaO § 17 Rn. 24; MünchKomm-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 10;
Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 17 Rn. 18). Eine solche Liquiditätsbilanz ist jedoch
nicht erforderlich, wenn anderweitig festgestellt werden kann, dass der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen
konnte. Die vom Berufungsgericht geforderte Liquiditätsbilanz ist nötig, wenn
eine Prognose erforderlich ist, also etwa im Rahmen der Frage, ob Insolvenzantrag zu stellen oder ein Insolvenzverfahren zu eröffnen ist (vgl. BGHZ 163, 134,
- 11 -
140). Im Anfechtungsprozess lässt sich auch auf andere Weise feststellen, ob
und was der Schuldner zahlen konnte. Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige
Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von der Zahlungsunfähigkeit zu diesem Zeitpunkt auszugehen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn auf Grund konkreter
Umstände, die sich nachträglich geändert haben, damals angenommen werden
konnte, der Schuldner werde rechtzeitig in der Lage sein, die Verbindlichkeiten
zu erfüllen. Dass nicht lediglich eine Zahlungsstockung vorlag, ist im Nachhinein
ohne weiteres feststellbar. Es bedarf insoweit keiner Prognose.
29
b) Der Kläger hat behauptet, dass im Zeitpunkt der Einlösung des ersten
Schecks am 20. April 2000 bei der Schuldnerin Verbindlichkeiten aus Lieferung
und Leistung in Höhe von ca. 5,45 Mio. DM fällig gewesen seien, die von den
Gläubigern hätten zur Tabelle angemeldet werden müssen, und die trotz aller
Einnahmen, die die Schuldnerin erzielt habe, nicht mehr hätten bedient werden
können. Bei Einlösung des zweiten Schecks am 4. Mai 2000 seien ca.
5,78 Mio. DM aus Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung fällig gewesen,
die bis zuletzt trotz der Eingänge unbedient geblieben seien. Trifft dies zu, lag in
den genannten Zeitpunkten Zahlungsunfähigkeit vor.
30
2. Anfechtungsvoraussetzung ist gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, dass
die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin kannte. Hierzu hat der
Kläger vorgetragen, das Berufungsgericht aber keine Feststellungen getroffen.
Für die Kenntnis genügt es, wenn die Beklagte aus den ihr bekannten Tatsachen und dem Verhalten der Schuldnerin bei natürlicher Betrachtungsweise den
zutreffenden Schluss gezogen hat, dass die Schuldnerin wesentliche Teile, d.h.
10 % und mehr, ihrer fällig gestellten Verbindlichkeiten in einem Zeitraum von
drei Wochen nicht wird tilgen können (HK-InsO/Kreft, aaO § 130 Rn. 23). Dieser
- 12 -
Kenntnis steht nach § 130 Abs. 2 InsO die Kenntnis von Umständen gleich, die
zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.
31
3. Das Berufungsgericht wird bei der Prüfung dieser Fragen auch das
von der Beklagten erstattete Gutachten zu berücksichtigen haben, in dem aus
deren Sicht ausgeführt ist, unter welchen Voraussetzungen Zahlungsunfähigkeit
der Schuldnerin gegeben war.
Dr. Gero Fischer
Vill
Dr. Ganter
Dr. Kayser
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 17.12.2002 - 327 O 206/02 OLG Hamburg, Entscheidung vom 26.09.2003 - 9 U 39/03 -