Monotone Arbeit nervt!
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 
 
 
 
 

116 lines
6.3 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 9/10
vom
2. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften u.a.
-2-
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. Februar 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der Jugendkammer des Landgerichts Münster beim Amtsgericht Bocholt vom 29. September 2009 im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer
zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung unter Einbeziehung einer rechtskräftig erkannten Strafe aus einem früheren Urteil zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie ferner wegen
Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer weiteren Freiheitsstrafe von
einem Jahr verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten
in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und verschiedene Gegenstände eingezogen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen
-3-
Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch mit der Sachrüge
Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat
zum Schuld- und zum Strafausspruch sowie zur Anordnung der Einziehung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insoweit verweist der
Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 13. Januar 2010.
3
2. Dagegen hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand.
4
Die Anordnung setzt nach ständiger Rechtsprechung die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus,
der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des
§ 21 StGB begründet, sowie ferner, dass der Täter in diesem Zustand eine
rechtswidrige Tat begangen hat, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB
rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist (vgl. nur BGHSt 34, 22,
27). Die Voraussetzungen zumindest des § 21 StGB zum Zeitpunkt der Anlasstat müssen danach zweifelsfrei festgestellt sein (vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 63
Rdn. 11 m.w.N.). Daran fehlt es.
5
a) Das Landgericht hat zur Schuldfähigkeit des Angeklagten - darin der
gehörten Sachverständigen folgend - angenommen, der Angeklagte habe sich
"aufgrund unterstellten permanenten Alkoholkonsums und einer weiteren seelischen Erkrankung (...) in einem Zustand (befunden), in dem seine Fähigkeit,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert war". Hierzu hat es näher ausgeführt, bei dem Angeklagten liege eine lang-
-4-
jährige Alkoholabhängigkeit vor, er habe "keine ausreichende Fähigkeit zur
Normachtung, Empathie oder Respektaufbringung gegenüber Dritten". Gerade
der Umstand, dass sich der Angeklagte während der JVA-Aufenthalte nach eigenem Bekunden sogar 'wohl fühlte', deute - so die Sachverständige - auf eine
massive Persönlichkeitsstörung des Angeklagten hin. Ferner habe die Sachverständige bei dem Angeklagten "eine (nicht ausschließliche) Pädophilie festgestellt". Abschließend heißt es: Jedenfalls habe der Angeklagte, "was seine pädophilen Neigungen angeht, nach den Ausführungen der Sachverständigen nahezu durchgängig, jedenfalls unter Einfluss von Alkohol, Probleme, seine Steuerungsfähigkeit zu kontrollieren. Die Kammer ist daher in Anwendung des Zweifelssatzes auch diesbezüglich von dem Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 21 StGB ausgegangen".
6
b) Die Anwendung des Zweifelssatzes steht der für die Anordnung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzten positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes vom Schweregrad zumindest
des § 21 StGB entgegen. Schon dies zwingt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs. Die bisher getroffenen Feststellungen belegen nur, dass der Angeklagte auf Grund seiner Persönlichkeitsstruktur "jedenfalls unter Einfluss von Alkohol" in einen Zustand geraten kann, der die Annahme erheblich verminderter
Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB rechtfertigt. Damit ist aber der für die
Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche positive Nachweis
eines andauernden Defekts vom Schweregrad zumindest des § 21 StGB nicht
erbracht (vgl. BGH, Beschl. vom 26. Juli 2005 - 5 StR 230/05). Der Senat
schließt auch aus, dass es sich bei dem Hinweis auf die „Anwendung des Zweifelssatzes“ lediglich um einen Missgriff im Ausdruck handelt. Dagegen spricht
bereits, dass das Landgericht auch einen „permanenten Alkoholkonsum“ lediglich „unterstellt“. Die Ausführungen im Urteil zu der „(nicht ausschließlichen)
-5-
Pädophilie“ und der angenommenen Persönlichkeitsstörung lassen auch nicht
erkennen, dass diese Störungsbilder etwa schon für sich genommen den
Schweregrad des § 21 StGB begründen. Davon ist nach den in der Rechtsprechung hierzu entwickelten Grundsätzen jedenfalls nicht ohne weiteres auszugehen (vgl. BGH NStZ 1999, 610 f.; NStZ-RR 2004, 201; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 32, 33 und § 63 Zustand 23, 28). Zudem lässt die Beschreibung der als Persönlichkeitsstörung gewerteten Auffälligkeiten in der Person
des Angeklagten jegliche nachvollziehbare Zuordnung nach einem der in der
forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen Klassifikationssysteme
(ICD-10, DSM-IV) vermissen.
-6-
7
c) Die Sache bedarf daher zum Maßregelausspruch insgesamt neuer
Prüfung und Entscheidung. Insoweit wird sich empfehlen, für das weitere Verfahren einen neuen Sachverständigen hinzuzuziehen. Sofern der neue Tatrichter die Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 63 StGB nicht festzustellen
vermag, wird mit Blick auf die festgestellte Alkoholabhängigkeit des Angeklagten auch dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) zu prüfen sein.
Tepperwien
Maatz
Solin-Stojanović
Athing
Ernemann