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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 197/11
Verkündet am:
18. Oktober 2012
Bott
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
AEUV Art. 56, 340; BGB § 839 B
a) Die Behörden im Freistaat Bayern haben nicht dadurch in hinreichend qualifizierter Weise gegen Unionsrecht verstoßen, dass sie bis zum 31. Dezember
2007 den Vertrieb von Sportwetten durch andere Anbieter als die im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammen geschlossenen Lotterieunternehmen
der Länder untersagt haben. Auch ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839
Abs. 1, Art. 34 Satz 1 GG scheidet insoweit aus, weil die Untersagungsverfügungen zwar objektiv rechtswidrig waren, es jedoch am Verschulden der
Amtsträger fehlt.
b) Die bayerischen Verwaltungsgerichte, die die Untersagungsverfügungen und
die Anordnung ihrer sofortigen Vollziehbarkeit nicht aufgehoben haben, haben ebenfalls nicht in hinreichend qualifizierter Weise gegen Unionsrecht
verstoßen.
c) Auch der bayerische Gesetzgeber hat nicht in hinreichend qualifizierter Weise gegen Unionsrecht verstoßen, indem er das Sportwettenmonopol bis zum
31. Dezember 2007 aufrechterhalten hat.
BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 197/11 - OLG München
LG Passau
- 2 -
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. September 2012 durch den Vizepräsidenten Schlick und die Richter
Dr. Herrmann, Hucke, Tombrink und Dr. Remmert
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts München vom 15. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsrechtszugs hat die Klägerin zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin, eine in Gibraltar ansässige Anbieterin von Sportwetten,
macht gegen die Stadt P.
(Beklagte zu 1) sowie gegen den Freistaat Bay-
ern (Beklagter zu 2) aus eigenem und aus abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung europäischen Rechts geltend.
2
Die Klägerin verfügt über eine Erlaubnis der gibraltarischen Behörden für
die Veranstaltung von Sportwetten. Die von ihr unter anderem in Bayern angebotenen Wetten vertrieb sie - neben ihrer Präsenz im Internet - auch über Wettbüros, welche von selbständigen Geschäftsbesorgern geführt wurden. Ein solcher Geschäftsbesorger (im Folgenden: Zedent) betrieb im Gebiet der Beklag-
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ten zu 1 ein Wettbüro und trat der Klägerin später seine Schadensersatzansprüche ab.
3
Mit Verfügung vom 21. April 2005 untersagte die Beklagte zu 1 dem Zedenten die Vermittlung von Sportwetten und ordnete die sofortige Vollziehung
ihres Verwaltungsakts gemäß § 80 Abs. 4 VwGO an. Sie stützte sich auf die
Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes in Verbindung mit § 284 StGB und §§ 3, 5 Abs. 2 des Staatsvertrages zum
Lotteriewesen in Deutschland (gültig vom 1. Juli 2004 bis 31. Dezember 2007)
und führte an, dem Zedenten fehle die notwendige staatliche Erlaubnis zum
Vermitteln von Sportwetten.
4
Auf den gegen diese Verfügung gerichteten Widerspruch des Zedenten
hob die Beklagte zu 1 zwar die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit auf,
half dem Rechtsmittel jedoch im Übrigen nicht ab und legte den Vorgang der
Regierung von N.
als zuständiger Widerspruchsbehörde vor. Mit
Bescheid vom 9. Juni 2006 wies die Regierung von Niederbayern den Widerspruch des Zedenten gegen die Untersagungsverfügung zurück und ordnete
deren sofortige Vollziehung wieder an.
5
Der Zedent erhob daraufhin Klage gegen die Verfügung der Beklagten
zu 1 vor dem Verwaltungsgericht R.
und stellte den Antrag, die auf-
schiebende Wirkung seiner Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
Mit Beschluss vom 22. August 2006 wies das Verwaltungsgericht diesen Antrag
zurück. Zum 1. Oktober 2006 stellte der Zedent die Vermittlung von Sportwetten
der Klägerin ein. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2006 wies der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde des Zedenten gegen die Abweisung
seines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO zurück.
- 4 -
6
Die Klägerin sieht in dem Erlass der behördlichen Untersagungsverfügung, den im Folgenden ergangenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen
sowie in der Schaffung beziehungsweise Aufrechterhaltung der Vorschriften
des Staatsvertrags jeweils qualifizierte Verstöße gegen das Recht der Europäischen Union. Sie hat von den Beklagten als Gesamtschuldnern die Zahlung von
zunächst 30.000 € als Ersatz eigenen Schadens und solchen des Zedenten im
Jahr 2006 verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung
der Klägerin, mit der sie ihre Klageforderung um 120.000 € (Schadensersatz für
2007) erhöht hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt sie ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
7
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
8
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin Schadensersatz weder nach den Grundsätzen des gemeinschafts- beziehungsweise unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs noch aus § 839 BGB, Art. 34 GG oder
aus enteignungsgleichem Eingriff verlangen.
9
Im Hinblick auf einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch hat sich
das Berufungsgericht die Auffassung des Landgerichts zu eigen gemacht, die
Beklagten hätten zwar objektiv die europarechtlich gewährleistete Dienstleis-
- 5 -
tungsfreiheit der Klägerin und des Zedenten verletzt. Das Landgericht hat hierzu ausgeführt, nach Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom
8. September 2010 genüge das in den deutschen Ländern bestehende Sportwettenmonopol nicht der für einen gerechtfertigten Eingriff in die europäische
Dienstleistungsfreiheit erforderlichen Kohärenz, da Pferdewetten und bestimmte
andere Glückspiele (z.B. Automatenspiele) der Gewerbefreiheit unterlägen, obgleich sie ein höheres Suchtpotential beinhalteten, als die dem Monopol unterfallenden Sportwetten. In Übereinstimmung mit der Vorinstanz hat das Berufungsgericht gemeint, es fehle jedoch an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht. Bis zu den Urteilen des Gerichtshofs vom 8. September 2010 sei die Rechtsfrage, ob das Sportwettenmonopol gegen europäisches
Recht verstoße, nicht in dem Maße geklärt gewesen, als dass die Maßnahmen
der Beklagten als offenkundige Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht einzustufen gewesen seien.
10
Auch durch das das bayerische Sportwettenmonopol betreffende Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 sei der Beurteilungs- und
Ermessensspielraum der Beklagten nicht entfallen oder auf Null reduziert worden. Weder habe das Bundesverfassungsgericht darin ausdrücklich die Verletzung unionsrechtlicher Vorschriften festgestellt, noch beinhalteten die Feststellungen denknotwendig eine solche. Auch der Gerichtshof der Europäischen
Union habe ausgeführt, dass sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 28. März 2006 sowie in einem Beschluss vom 2. August 2006
nicht zur Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Unionsrecht geäußert habe. Das Berufungsgericht hat weiter ausgeführt, das Bundesverfassungsgericht habe ausdrücklich festgestellt, dass die maßgebliche bayerische
Norm nicht nichtig sei und während der eingeräumten Übergangsfrist Eingriffe
in das Grundrecht nach Art. 12 GG rechtfertige. Dass eine solche Übergangs-
- 6 -
frist auch auf europarechtlicher Ebene gerechtfertigt sein könne, habe der Gerichtshof der Europäischen Union erstmals in seiner Entscheidung vom 8. September 2010 in Sachen "Winner Wetten" verneint.
11
Soweit die Klägerin den Verwaltungsgerichten vorwerfe, eine Vorlage an
den Gerichtshof der Europäischen Union unterlassen zu haben, stelle dies
ebenfalls keinen offenkundigen Verstoß gegen europäisches Recht dar, da eine
Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV (nunmehr Art. 267 AEUV) für Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht bestehe.
12
Ansprüche aus § 839 BGB, Art. 34 GG und enteignungsgleichem Eingriff
schieden ebenfalls aus.
II.
13
14
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin
als (gibraltarische) Veranstalterin von Sportwetten und die für sie auf der
Grundlage von Geschäftsbesorgungsverträgen tätigen (deutschen) Vermittler
Dienstleistungen im Sinne von Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) angeboten haben (EuGH, Urteil vom 8. September 2010 - C 316/07 u.a. - Stoß u.a., NVwZ
2010, 1409 Rn. 56 ff). Weiterhin steht aufgrund der Urteile des Gerichtshofs der
Europäischen Union vom 8. September 2010 (C-46/08 - Carmen Media, NVwZ
2010, 1422; Stoß aaO; C-409/06 - Winner Wetten - NVwZ 2010, 1419) fest,
dass das in Bayern bis 2008 gemäß dem Staatsvertrag zum Lotteriewesen in
Deutschland vom 20. Juni 2004 (BayGVBl. S. 230) geltende Sportwetten-
- 7 -
monopol, aufgrund dessen ausschließlich die im Deutschen Lotto- und Totoblock zusammengeschlossenen Lotterieunternehmen der Länder Sportwetten
("ODDSET") anbieten und (über die Lottoannahmestellen sowie über das Internet) vertreiben durften, und damit die darauf beruhenden Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen der Bediensteten zu 1 und 2 objektiv mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar waren: Die Regelungen, die der Eindämmung der
Spielsucht dienen sollten, verstießen gegen das in den Urteilen des Gerichtshofs statuierte Kohärenzgebot, da eine Reihe von Glückspielen (insbesondere
Automatenspiele), die nicht unter das staatliche Monopol fielen, ein höheres
Suchtpotential aufweisen als jene, für die das Monopol galt. Zudem beanstandete der Gerichtshof in den die Rechtslage in Schleswig-Holstein und Hessen
betreffenden Entscheidungen Carmen Media und Stoß die Durchführung intensiver Werbekampagnen durch den Inhaber des staatlichen Monopols auf
Sportwetten.
15
2.
Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Verletzung der Dienstleis-
tungsfreiheit durch die Beklagten stelle keinen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das europäische Recht dar, wie er für einen gemeinschafts- beziehungsweise unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderlich sei (so auch
zur Rechtslage in Nordrhein-Westfalen OLG Köln, Urteil vom 3. Mai 2012 - 7 U
194/11, juris, Rn. 20 ff), ist im Ergebnis gleichfalls nicht zu beanstanden.
16
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht hinreichend qualifiziert, wenn der betreffende Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die
Grenzen, die der Ausübung seiner Befugnisse gesetzt sind, offenkundig und
erheblich überschritten hat (z.B. EuGH, Urteile vom 13. März 2007 - C-524/04
- Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, Slg. 2007, I-2157 Rn. 118;
- 8 -
vom 8. Oktober 1996 - C-178/94 u.a. - Dillenkofer u.a., Slg. 1996, I-4867
Rn. 25; vom 26. März 1996 - C-392/93 - British Telecommunications, Slg. 1996,
I-1654 Rn. 42; vom 5. März 1996 - C-46/93 u.a. - Brasserie du Pêcheur Slg.
1996, I-1131 Rn. 45, 55 ; siehe auch Senatsbeschluss vom 26. April 2012
- III ZR 215/11, juris Rn. 12; Senatsbeschluss vom 24. Juni 2010 - III ZR
140/09, NJW 2011, 772 Rn. 7; Senatsurteile vom 22. Januar 2009 - III ZR
233/07, NJW 2009, 2534 Rn. 22 und vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91,
BGHZ 134, 30, 38). Diesem restriktiven Haftungsmaßstab liegt die Erwägung
zugrunde, dass die Wahrnehmung gesetzgeberischer Tätigkeit, insbesondere
bei wirtschaftspolitischen Entscheidungen, nicht jedes Mal durch die Möglichkeit
von Schadensersatzklagen behindert werden darf, wenn Allgemeininteressen
den Erlass von Maßnahmen gebieten, die die Interessen des Einzelnen beeinträchtigen können (EuGH, Urteile in Sachen British Telecommunications aaO
Rn. 40 und Brasserie du Pêcheur aaO Rn. 45; Senatsbeschluss vom 26. April
2012 aaO). Nur wenn der Mitgliedstaat zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung
über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte, kann schon die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrechts
ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen (EuGH,
Urteile in Sachen Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation und Dillenkofer jew. aaO; Senat aaO).
17
Um festzustellen, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt, sind
alle Gesichtspunkte des Einzelfalls zu berücksichtigen, die für den dem nationalen Gericht vorgelegten Sachverhalt kennzeichnend sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen beziehungsweise zugefügt wurde oder nicht, die Frage, ob ein etwaiger
Rechtsirrtum entschuldbar ist oder nicht, und die Frage, ob möglicherweise das
- 9 -
Verhalten eines Gemeinschaftsorgans dazu beigetragen hat, dass nationale
Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise eingeführt
oder aufrecht erhalten wurden (z.B. EuGH, Urteile in Sachen Test Claimants in
the Thin Cap Group Litigation aaO Rn. 119; Brasserie du Pêcheur aaO Rn. 56
sowie vom 4. Dezember 2003 - C-63/01 - Evans, Slg. 2003, I-14492 Rn. 86;
Senat aaO mwN).
18
Die vom Gerichtshof entwickelten Grundsätze zur Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht gelten dabei für alle
Staatsgewalten unabhängig davon, ob der schadensverursachende Verstoß
dem Gesetzgeber, den Gerichten oder der Verwaltung des Mitgliedstaats anzulasten ist (vgl. EuGH, Urteil vom 30. September 2003 - C-224/01 - Köbler, Slg.
2003, I-10290 Rn. 31 f).
19
b) Ob an den vorstehenden Kriterien gemessen ein Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, haben die Tatsachengerichte
unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere an Hand
der vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten Leitlinien zu beurteilen (Senatsurteil vom 22. Januar 2009 - III ZR 233/07, NJW 2009, 2534 Rn. 23).
Die insoweit eingeschränkte revisionsrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils lässt im Ergebnis Rechtsfehler nicht erkennen.
20
aa) Da die Klägerin der Beklagten zu 1 keine über den bloßen Vollzug
der vom Beklagten zu 2 getroffenen Regelungen hinausgehenden Verstöße
vorwirft, hat sich das Berufungsgericht bei der Beurteilung des exekutiven und
legislativen Handelns der Beklagten sowie des materiellrechtlichen Inhalts der
Entscheidungen des Verwaltungsgerichts R.
und des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofs mit Recht auf die Frage der Vereinbarkeit der in
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Bayern im maßgeblichen Zeitraum geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht beschränkt.
21
bb) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass vorliegend
eine einfache Verletzung des Gemeinschaftsrechts zur Annahme eines qualifizierten Verstoßes nicht ausreicht. In Ermangelung einer abschließenden gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierung auf dem Gebiet des Glücksspielrechts
verblieb dem Beklagten zu 2 ein erheblicher Gestaltungsspielraum.
22
cc) Ebenfalls nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass in dem in Rede stehenden Zeitraum die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Grenzen zulässiger staatlicher Glückspielmonopole noch nicht so präzise geklärt hatte, dass die in Bayern seinerzeit
geltende Rechtslage aufgrund der Judikatur des Gerichtshofs als offenkundig
mit dem europäischen Recht unvereinbar gewertet werden musste.
23
Erst in seinen Entscheidungen vom 8. September 2010 (C-46/08 - Carmen Media, NVwZ 2010, 1422; C-316/07 u.a. - Stoß u.a. - NVwZ 2010, 1409;
C-409/06 - Winner Wetten - NVwZ 2010, 1419) hat sich der Gerichtshof mit der
Rechtfertigung des deutschen Sportwettenmonopols und dessen konkreter
Ausgestaltung befasst. In den vorangegangenen Entscheidungen zur staatlichen Regulierung und Monopolisierung von Sportwetten (Urteile vom 6. November 2003 - C-243/01 - Gambelli Slg. 2003, I-13076 = NJW 2004, 139; vom
21. Oktober 1999 - C-67/98 - Zenatti, Slg. 1999, I-7304 = EuZW 2000, 151; vom
21. September 1999 - C-124/97- Läärä, Slg. 1999, I-6104 = EuZW 2000, 148
und vom 24. März 1994 - C-275/92 - Schindler, Slg. 1994, I-1078 = NJW 1994,
2013) hat der Gerichtshof zwar abstrakte Grenzen für solche Reglementierungen aufgezeigt. Jedoch hat er zugleich betont, dass den Mitgliedstaaten unter
- 11 -
Berücksichtigung ihrer jeweiligen sittlichen, religiösen, kulturellen und soziokulturellen Besonderheiten ein Ermessen zustehe, festzulegen, welche Erfordernisse sich insbesondere bezüglich der Art und Weise der Veranstaltung von
Lotterien ergäben (Urteile in Sachen Gambelli aaO Rn. 63; Zenatti aaO
Rn. 14 f, 33 f; Läärä aaO, Rn. 13 f, 35 f, 39; Schindler aaO, Rn. 60 f). Nähere
Vorgaben zur Ausübung dieses Ermessens enthalten die Entscheidungen nicht.
Dies trifft insbesondere auch auf die von der Revision angeführten Urteile in
den Sachen Zenatti und Gambelli (jew. aaO) zu, die sich mit der Rechtslage in
Italien befassen.
24
(1) In dem Fall Zenatti hat der Gerichtshof ausgeführt, die Begrenzung
des Glückspielbetriebs zu den Zwecken, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in geordnete Bahnen zu lenken, die Risiken eines solchen Betriebs im Hinblick auf Betrug und andere Straftaten auszuschalten und die sich daraus ergebenden Gewinne gemeinnützigen Zwecken zuzuführen, diene europarechtlich
legitimen Zielen (aaO Rn. 35). Der Gerichtshof hat die Zulässigkeit von Beschränkungen des Wettbetriebs negativ dahingehend abgegrenzt, dass sie
wirklich dem Ziel dienen müssten, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern,
und dass die Erzielung von Einnahmen für soziale Aktivitäten nur eine erfreuliche Nebenfolge, nicht aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven
Politik sein dürfe (aaO Rn. 36). Schließlich hat der Gerichtshof betont, es sei
Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften gerechtfertigten Zielen dienten und die in ihnen enthaltenen Beschränkungen verhältnismäßig seien (aaO Rn. 37). Nähere inhaltliche Vorgaben, welche (weiteren) Ziele im Bereich der Regulierung von Wetten eine Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen können und welche Maßnahmen
zur Erreichung dieser Ziele zulässig sind, sind dem Urteil nicht zu entnehmen.
Im Gegenteil hat der Gerichtshof, ebenso wie im Urteil in der Sache Lärää
- 12 -
(aaO, Rn. 35 f, 39), den weiten Ermessens-, Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten bei der Zulassung von Lotterie- und Glückspielangeboten unterstrichen (Stein, Anmerkung zu dem Urteil in der Sache Zenatti,
EuZW 2000, 153, 154). Insbesondere auch die Monopolisierung bei einem Anbieter hat der Gerichtshof nicht für unzulässig gehalten (siehe Urteil in der Sache Zenatti aaO, Rn. 32 f; Urteil in der Sache Lärää aaO Rn. 34 f). Die Unvereinbarkeit der bayerischen Rechtslage betreffend die Sportwetten mit der
Dienstleistungsfreiheit ließ sich damit aus dem Urteil in der Sache Zenatti nicht
ableiten.
25
(2) Dies gilt in gleicher Weise für das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in der Sache Gambelli. Darin hat der Gerichtshof zunächst unter Bezugnahme auf seine Entscheidungen in den Sachen Schindler,
Lärää und Zenatti bekräftigt, dass den Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer jeweiligen sittlichen, religiösen, kulturellen und soziokulturellen Besonderheiten
ein Ermessen zustehe, Beschränkungen des Betriebs von Spielen und Wetten
zu statuieren (aaO Rn. 63). Weiterhin hat er betont, dass solche Beschränkungen durch zwingende Gründe, wie den Verbraucherschutz, die Betrugsvorbeugung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu überhöhten Ausgaben
für das Spielen gerechtfertigt sein können (aaO Rn. 67). Allerdings hat er weiter
ausgeführt, die Reglementierungen, die auf solche Gründe sowie auf die Notwendigkeit gestützt seien, Störungen der sozialen Ordnung vorzubeugen,
müssten auch geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu
gewährleisten, dass sie "kohärent" und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beitrügen (aaO).
26
Obgleich zur Begründung der Europarechtswidrigkeit der im maßgeblichen Zeitraum in Bayern geltenden Rechtslage angeführt wurde, sie genüge
- 13 -
nicht den Anforderungen der Kohärenz, konnte aus der "Gambelli-Entscheidung" noch nicht mit der notwendigen Klarheit abgeleitet werden, dass die in
Rede stehenden Regelungen zu Sportwetten einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit beinhalteten. Der Gerichtshof hat sich in diesem Urteil mit der Kohärenz, das heißt mit der Stimmigkeit, der dort maßgeblichen italienischen Rechtsvorschriften nur unter dem Gesichtspunkt befasst,
dass der italienische Staat im Fiskalinteresse eine Politik der Ausweitung des
Spielens und Wettens verfolge und sich in diesem Fall als Rechtfertigung seiner
Reglementierungen nicht auf die öffentliche Sozialordnung und die Notwendigkeit berufen könne, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern (aaO Rn. 68 f).
Die Kohärenz unter dem für den vorliegenden Sachverhalt maßgebenden Aspekt, dass Glücksspiele, die nicht unter das staatliche Monopol fallen, ein höheres Suchtpotential aufweisen als jene, für die das Monopol gilt, war in der
"Gambelli-Entscheidung" hingegen auch nicht andeutungsweise angesprochen.
Dieser Gesichtspunkt hat in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erst in den Urteilen vom 8. September 2010 (Carmen Media
aaO Rn. 67 f; Stoß aaO Rn. 100 ff, 106) Bedeutung erlangt. Dementsprechend
ließ sich dem "Gambelli-Urteil" kein - zumindest kein einen qualifizierten Verstoß begründender - Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die fraglichen Regelungen einen ungerechtfertigten Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit beinhalteten.
27
dd) Der Revision ist allerdings im Ausgangspunkt darin beizupflichten,
dass die Würdigung des Berufungsgerichts, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (BVerfGE 115, 276) habe sich ebenfalls nicht
mit der für einen gemeinschafts- beziehungsweise unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch erforderlichen Deutlichkeit die Unvereinbarkeit des bayerischen
Monopols für Sportwetten mit der europarechtlichen Dienstleistungsfreiheit er-
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geben, nicht mehr vom tatrichterlichen Beurteilungsspielraum gedeckt ist. Das
Bundesverfassungsgericht hat dort unter Bezugnahme auf Randnummer 62 der
"Gambelli-Entscheidung" des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften
(Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Slg. 2003, I-13076) ausgeführt, die durch die seinerzeitigen bayerischen Regelungen nicht erfüllten - Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts liefen parallel zu den vom Gerichtshof
zum Gemeinschaftsrecht formulierten Vorgaben, nach denen die Erzielung von
Einnahmen zur Finanzierung sozialer Aktivitäten nur nützliche Nebenfolge, nicht
aber der eigentliche Grund einer restriktiven Politik im Bereich von Wetten und
Glückspielen sein dürfe (BVerfGE 115, 276, 316 f). Zuzugeben ist der Revision
weiterhin, dass der Generalanwalt beim Gerichtshof Mengozzi in seinem
Schlussantrag in der Sache "Stoß u.a." unter Bezugnahme auf das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2008 ausgeführt hat, die Lektüre dieser Entscheidung lasse es als "unzweifelhaft" erscheinen, dass das (mit dem
bayerischen übereinstimmende hessische und baden-württembergische) Sportwettenmonopol nicht die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt habe, um als
kohärent und systematisch eingestuft zu werden (C-316/07, juris Rn. 64). Dies
ist richtig. Zwar stellt die von der Revision angeführte Passage aus dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts lediglich ein obiter dictum dar. Ferner hat das
Bundesverfassungsgericht hervorgehoben, ihm fehle die Zuständigkeit, einen
möglichen Verstoß gegen europäisches Gemeinschaftsrecht zu prüfen (aaO S.
299 f). Gleichwohl hat es sich ausdrücklich dahingehend festgelegt, dass die
von ihm festgestellten verfassungsrechtlichen Mängel der bestehenden Regelungen zum Sportwettenmonopol in gleicher Weise mit den vom Gerichtshof der
Europäischen Union entwickelten europarechtlichen Vorgaben unvereinbar seien. Damit konnte für die Rechtsanwender in der Judikative und der Exekutive
sowie für den Gesetzgeber auch der europarechtliche status quo nicht mehr
zweifelhaft sein.
- 15 -
28
Dennoch haben die Beklagten nicht in hinreichend qualifizierter Weise
gegen das europäische Recht verstoßen.
29
(1) Zwar hat die Verwaltung der Beklagten auch nach Bekanntwerden
des Urteils des Bundesverfassungsgerichts die Untersagungsverfügung aufrecht erhalten und es der Klägerin beziehungsweise ihrem Geschäftsbesorger
nicht - etwa durch Erteilung einer entsprechenden Genehmigung - ermöglicht,
Sportwetten zu vertreiben. Ein qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht ist ihr gleichwohl nicht anzulasten. Denn die Bediensteten der Beklagten
durften annehmen, dass es bis zu der vom Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegebenen Neuregelung des Wett- und Glückspielrechts, die spätestens zum 1. Januar 2008 erfolgen musste, auch mit dem materiellen europäischen Gemeinschaftsrecht in Einklang stand, das Angebot von Sportwetten
den bisherigen Monopolinhabern vorzubehalten. Es kann deshalb auf sich beruhen, ob insoweit die Rechtsauffassung vertretbar war, während der vom Bundesverfassungsgericht zugestandenen Übergangszeit bis zum 31. Dezember
2007 sei ein an sich materiell europarechtswidriger Regelungszustand aus
zwingenden Gründen der Rechtssicherheit (vgl. hierzu EuGH, Urteil vom
8. September 2010 - C-409/06 - Winner Wetten, NVwZ 2010, 1419, Rn. 66
mwN) gemeinschaftsrechtlich hinnehmbar, wie dies in dem Verfahren "Winner
Wetten" vor dem Gerichtshof offenbar alle Regierungen, die Erklärungen abgegeben haben, geltend gemacht haben (vgl. EuGH aaO Rn. 63; Schlussanträge
des Generalanwalts Bot, juris, Rn. 79 ff; siehe ferner VGH Kassel NVwZ 2006,
1435, 1439; OVG Münster NVwZ 2006, 1078, 1080).
30
Das Bundesverfassungsgericht hat während der von ihm zugestandenen
Übergangsfrist nicht die uneingeschränkte Fortgeltung der als verfassungswid-
- 16 -
rig - und aufgrund der Parallelität der Kohärenzanforderungen zugleich als gemeinschaftsrechtswidrig - erkannten Rechtslage gebilligt. Vielmehr hat es für
die Anwendbarkeit der bislang geltenden Normen Maßgaben statuiert, nach
denen unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits
und der tatsächlichen Ausübung des staatlichen Monopols andererseits herzustellen war (BVerfGE 115, 276, 319). Danach durften zwar - vor dem Hintergrund, dass die Errichtung eines staatlichen Wettmonopols für sich genommen
weder verfassungs- noch europarechtswidrig ist (vgl. BVerfGE aaO S. 309) das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Unternehmen und die
Vermittlung von Wetten, die nicht vom Beklagten zu 2 veranstaltet wurden, weiterhin als verboten angesehen und ordnungsrechtlich unterbunden werden, wobei das Bundesverfassungsgericht sogar eine Aufrechterhaltung der Strafbewehrung nicht für ausgeschlossen erachtete (aaO S. 319). Jedoch war damit zu
beginnen, das Wettmonopol konsequent an einer Bekämpfung der Wettsucht
und einer Begrenzung der Wettleidenschaft auszurichten. Der Staat durfte insbesondere die Übergangszeit nicht zu einer expansiven Vermarktung von Wetten nutzen. Daher waren bis zu einer Neuregelung die Erweiterung des Angebots staatlicher Wettveranstaltungen sowie eine Werbung, die über sachliche
Informationen zur Art und Weise der Wettmöglichkeit hinausgehend gezielt zum
Wetten aufforderte, untersagt. Ferner hatte die staatliche Lotterieverwaltung
umgehend aktiv über die Gefahren des Wettens aufzuklären (aaO).
31
Das Bundesverfassungsgericht hat die in der gesetzlichen Regelung angelegten und dementsprechend in der Praxis realisierten Defizite bei der Verwirklichung der das Wettmonopol grundsätzlich rechtfertigenden, vorgenannten
Ziele darin gesehen, dass es an einer aktiven Prävention fehlte (aaO S. 311 f)
und vor allem, dass die Geschäftspraxis des Monopolanbieters nach ihrem tat-
- 17 -
sächlichen Erscheinungsbild dem einer wirtschaftlich effektiven Vermarktung
einer grundsätzlich unbedenklichen Freizeitbeschäftigung entsprach (aaO
S. 314 ff). Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit die breit angelegte Werbung, in der das Wetten als sozialadäquate, wenn nicht sogar positiv bewertete
Unterhaltung dargestellt wurde (aaO S. 314), die breiten Vertriebswege und die
fehlende aktiv kommunizierte Prävention beanstandet (aaO S. 315 f).
32
Der Behebung eben jener Defizite dienten die im Vorgriff auf entsprechende gesetzliche Neuregelungen für die Übergangszeit aufgestellten Maßgaben. Ihr Inhalt zielte darauf ab, genau die Mängel der bestehenden Rechtslage
abzustellen, die maßgeblich zu deren Verfassungswidrigkeit führten. Da das
Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung nicht nur der Sache nach
die Kriterien der "Gambelli-Entscheidung" angewandt, sondern zugleich - wie
ausgeführt - die Parallelität der Anforderungen des deutschen Verfassungsrechts zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten betont hatte (aaO S. 316 f), lag für die Verwaltung der Beklagten die Annahme nahe, dass, sofern diese Maßgaben beachtet werden, auch vor dem
formellen Erlass der entsprechenden (Änderungs-)Gesetze in der Praxis ein
Zustand hergestellt werden kann, der nicht nur mit dem Grundgesetz, sondern
auch mit dem Europarecht in Einklang steht (so vor allem BayVGH, Beschluss
vom 23. August 2006 - 24 CS 06.1881, juris Rn. 53, 64; die dagegen eingelegte
Verfassungsbeschwerde wurde durch Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006, WM 2006, 2326, nicht zur Entscheidung
angenommen). Im Übrigen wäre wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts die Einräumung einer Übergangszeit durch das Bundesverfassungsgericht nicht nur ins Leere gegangen, sondern sogar für den Rechtsanwender irreführend gewesen. Dass die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Maßgaben tatsächlich zügig und vollständig umgesetzt wurden, hat
- 18 -
der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, vom Bundesverfassungsgericht gebilligt, der bayerischen Verwaltung in ständiger Rechtsprechung attestiert (z.B.
BayVGH, Beschlüsse vom 3. August 2006, NVwZ 2006, 1430, 1431 f; vom
23. August 2006 - 24 CS 06.1881, juris Rn. 35 f, 52; vom 2. Oktober 2007
- 24 CS 07.1986, juris Rn. 30 und vom 15. November 2007 - 24 CS 07.2792,
juris Rn. 29 f; BVerfG WM 2006, 2326, 2327 zum Beschluss des BayVGH vom
23. August 2006; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2006
- 1 BvR 1840/05, juris Rn. 5).
33
(2) Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die mit dem Antrag auf
Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Untersagungsverfügung der Beklagten zu 1 befassten Verwaltungsgerichte des Beklagten zu 2. Anders als die Revision geltend macht, liegt auch kein hinreichend qualifizierter Verstoß von Bediensteten des Beklagten zu 2 gegen europäisches Gemeinschaftsrecht vor,
weil der Bayerische Verwaltungsgerichtshof es unterlassen hat, das von dem
Zedenten angestrengte Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die
Untersagungsverfügung der Beklagten zu 1 gemäß Art. 234 Abs. 3 EG (jetzt
Art. 267 Abs. 3 AEUV) auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen
Union die Frage der Vereinbarkeit der in Bayern seinerzeit geltenden Regelungen über das Sportwettenmonopol mit dem europäischen Recht vorzulegen.
Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO letztinstanzlich entscheidendes Gericht (siehe § 152 Abs. 1 VwGO), das nach den
genannten Bestimmungen zur Vorlage an den Gerichtshof grundsätzlich verpflichtet ist, wenn über die Auslegung von Gemeinschafts- beziehungsweise
Unionsrecht zu befinden ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs entfällt
die Vorlageverpflichtung jedoch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes,
sofern es, wie hier, jeder Partei unbenommen bleibt, ein Hauptverfahren entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen, in dem jene im
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summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage bilden kann,
(EuGH, Urteile vom 24. Mai 1977 - 107/76 - Hoffmann-La Roche, Slg. 1977,
957 Rn. 5 f und vom 27. Oktober 1982 - 35 und 36/82 - Morson u.a., Slg. 1982,
3723 Rn. 8 ff; siehe auch BVerfG NJW 2007, 1521, 1522).
34
Das hiernach bestehende Ermessen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs war entgegen der Auffassung der Klägerin schon deshalb nicht auf
Null reduziert, weil aus den zuvor dargestellten Gründen ein offenkundiger Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht nicht vorlag.
35
(3) Soweit die Legislative des Beklagten zu 2 betroffen ist, ist ein solcher
Verstoß ebenfalls auszuschließen. Dabei kann dem Gesetzgeber insbesondere
nicht vorgehalten werden, er habe schnellstmöglich, also noch vor Ablauf der
vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Übergangszeit, eine "auch dem
Buchstaben nach" gemeinschaftsrechtskonforme Gesetzeslage schaffen müssen. Zunächst durfte auch der Gesetzgeber davon ausgehen, dass schon vor
Anpassung des Gesetzeswortlauts an die Vorgaben des Bundesverfassungsrechts die Exekutive willens und in der Lage ist, für die Übergangsphase einen
Zustand herzustellen, der europarechtlich keinen durchgreifenden Bedenken
(mehr) ausgesetzt ist. Zudem war ausreichende Zeit vonnöten, um den aus den
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgenden (national- wie europarechtlichen) Anpassungsbedarf sorgfältig zu ermitteln, die hieraus folgenden
Handlungsoptionen herauszuarbeiten und sich - gegebenenfalls auch nach Abstimmung mit den Rechtssetzungsorganen des Bundes - unter Abwägung der
jeweils in Rede stehenden Belange für eine Lösung zu entscheiden. So gab es
für die Schaffung einer im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union kohärenten Lösung für den Bereich der Sportwetten und
- 20 -
Glücksspiele eine Vielzahl von denkbaren Lösungen, da den Mitgliedstaaten
insoweit ein weiter Ermessensspielraum zusteht (EuGH, Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01 - Gambelli, Slg. 2003, I-13076 Rn. 63 mwN). Hinzu kommt,
dass die hier maßgeblichen Regelungen nach der Kompetenzordnung des
Grundgesetzes von den Ländern zu schaffen waren und diese Regelungen, um
einen - sinnvollen - bundeseinheitlichen Standard zu gewährleisten, in einem
Staatsvertrag aller deutschen Länder enthalten waren. Aufgrund dieser Ausgangslage ist dem Beklagten zu 2 insbesondere nicht anzulasten, dass sie auf
einen gesetzgeberischen "Alleingang" verzichtete und zusammen mit den übrigen Ländern wiederum eine - nunmehr den europarechtlichen Vorgaben entsprechende - bundeseinheitliche Regelung anstrebte. Unter Berücksichtigung
dieser Umstände war es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte zu 2 - ebenso wie alle anderen Bundesländer - die bis zum 31. Dezember 2007 eingeräumte Übergangsfrist ausschöpfte.
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ee) Der weitere Hinweis der Revision auf den Beschluss der 2. Kammer
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 2005 (WM
2005, 1141) ist für ihre Rechtsauffassung unbehelflich. Das Bundesverfassungsgericht hat darin unter Bezugnahme auf die "Gambelli-Entscheidung" lediglich geäußert, "erhebliche Zweifel" an der Vereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht könnten "nicht … ausgeschlossen"
werden (aaO S. 1142 f). Ein offenkundiger Verstoß der Beklagten gegen das
Gemeinschaftsrecht lässt sich angesichts dieser zurückhaltenden Formulierung
hieraus nicht ableiten.
37
ff) Die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens 2003/4350 durch
die Europäische Kommission mit dem von der Klägerin vorgelegten Schreiben
vom 4. April 2006 ist für die Rechtsposition der Klägerin ebenfalls unbehelflich.
- 21 -
Zwar mag sich hieraus ebenso wie aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 die Unvereinbarkeit des Sportwettenmonopols mit dem Gemeinschaftsrecht ergeben haben. Aus den vorstehenden
Gründen scheidet jedoch gleichwohl ein hinreichend qualifizierter Verstoß der
Beklagten gegen das europäische Recht aus. In dem Schreiben äußerte die
Kommission Zweifel an der Vereinbarkeit der in den einzelnen Bundesländern
geltenden Regelungen zum Sportwettenmonopol mit der Dienstleistungsfreiheit
nur unter den in der "Gambelli-Entscheidung" des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (Urteil vom 6. November 2003 - C-243/01, Slg. 2003,
I-13076) angesprochenen Aspekten. Die Kommission bemängelte, dass nach
ihr vorliegenden Erkenntnissen die Monopolveranstalter in Deutschland einen
erheblichen Werbeaufwand für die Sportwetten betrieben. Unter Bezugnahme
auf Randnummer 69 des "Gambelli-Urteils" (aaO) wies sie darauf hin, dass sich
die Mitgliedstaaten zur Rechtfertigung von Reglementierungen von Wetten nicht
auf die Notwendigkeit berufen dürften, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, wenn ihre Behörden die Verbraucher zugleich dazu anreizten und ermunterten, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zuflössen. Eben diese Defizite wurden jedoch abgestellt, so dass die Beklagten die Rechtspraxis vertretbar als gemeinschaftskonform ansehen konnten.
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c) Eine Vorlage der Sache an den Gerichtshof der Europäischen Union
gemäß Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist nicht erforderlich. Die von der Klägerin in
der mündlichen Verhandlung vor dem Senat als vorlagebedürftig angesehene
Frage, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht mit der Erwägung verneint werden könne, die Mitgliedstaaten hätten sich für berechtigt
halten dürfen, für eine Übergangszeit einen europarechtswidrigen Zustand aufrechtzuerhalten, stellt sich aus den unter b, dd (1) ausgeführten Gründen nicht.
- 22 -
Auch im Übrigen besteht keine Notwendigkeit, eine Vorabentscheidung gemäß
Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV einzuholen. Die Feststellung, ob die Voraussetzungen
für einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch im konkreten Einzelfall erfüllt sind, obliegt entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien grundsätzlich den nationalen Gerichten (EuGH, Urteile vom 13. März 2007
- C-524/04 - Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation - Slg. 2007, I-2157
Rn. 116 und vom 12. Dezember 2006 - C-446/04 - Test Claimants in the FII
Group Litigation, Slg. 2006, I-11814, Rn. 210 mwN). Unionsrechtliche Fragen,
die über die bloße Anwendung der Grundsätze des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs auf den konkreten Sachverhalt hinausgehen, wirft der Fall
nicht auf.
39
3.
Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten aus § 839 Abs. 1 BGB in
Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG bestehen gleichfalls nicht.
40
Zwar handelten die Verwaltungsbediensteten der Beklagten objektiv
pflichtwidrig, weil die Untersagungsverfügung mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar war. Jedoch fällt ihnen insoweit aus den oben (2 b dd (1)) genannten
Gründen keine Fahrlässigkeit zur Last, zumal sie sich bei ihrer Einschätzung
der Rechtslage im Einklang mit der Rechtsprechung des für sie zuständigen
Verwaltungsgerichtshofs befanden (vgl. Senatsurteil vom 13. Juli 1995 - III ZR
160/94, NJW 1995, 2918, 2920).
41
Eine Haftung des Beklagten zu 2 wegen legislativen Unrechts kommt
bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber lediglich Aufgaben der
Allgemeinheit wahrnimmt, denen die Richtung auf bestimmte Personen oder
Personenkreise fehlt, ihm daher grundsätzlich keine drittschützenden Amtspflichten im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB obliegen (vgl. z.B. Senatsbe-
- 23 -
schluss vom 12. Oktober 2006 - III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362 Rn. 23; Senatsurteile vom 24. Oktober 1996 - III ZR 127/91, BGHZ 134, 30, 32 und vom
7. Juni 1988 - III ZR 198/87, NJW 1989, 101). Die Amtshaftung für die Richter
des Beklagten zu 2 scheitert an § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB.
42
4.
Zu Recht haben die Vorinstanzen auch Ansprüche aus enteignungsglei-
chem Eingriff verneint. Insoweit erhebt die Revision ebenfalls keine Rügen.
Schlick
Herrmann
Tombrink
Hucke
Remmert
Vorinstanzen:
LG Passau, Entscheidung vom 04.11.2010 - 1 O 1118/09 OLG München, Entscheidung vom 15.07.2011 - 1 U 5279/10 -