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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. XII ZR 164/04
  5. Verkündet am:
  6. 6. Dezember 2006
  7. Breskic,
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Familiensache
  12. Nachschlagewerk: ja
  13. BGHZ:
  14. ja
  15. BGHR:
  16. ja
  17. GG Artt. 2 Abs. 1, 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1; BGB § 1600 Abs. 2 und 3
  18. a) Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1600 Abs. 2 BGB, der es dem (angeblichen) leiblichen Vater verwehrt, die Vaterschaft eines rechtlichen Vaters anzufechten, wenn zwischen diesem und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht.
  19. b) Zum Verhältnis zwischen der Definition einer sozial-familiären Beziehung in
  20. § 1600 Abs. 3 Satz 1 BGB und den Regelannahmen des § 1600 Abs. 3
  21. Satz 2 BGB.
  22. c) Zur Unzulässigkeit einer isolierten Abstammungsfeststellungsklage, mit der
  23. keine statusrechtlichen Folgen begehrt werden.
  24. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2006 - XII ZR 164/04 - OLG Dresden
  25. AG Hohenstein-Ernstthal
  26. -2-
  27. Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  28. vom 6. Dezember 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die
  29. Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof. Dr. Wagenitz und Dose
  30. für Recht erkannt:
  31. Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats - Familiensenat des Oberlandesgerichts Dresden vom 10. August 2004 wird auf
  32. Kosten des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass es
  33. bei der vom Amtsgericht ausgesprochenen Abweisung des Hilfsantrages als unzulässig verbleibt.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tenor berichtigt durch anliegenden Beschluss.
  36. Tatbestand:
  37. 1
  38. Der Kläger hatte mit der Ehefrau des Beklagten zu 1, die am 3. Januar
  39. 2003 die Beklagte zu 2 gebar, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt und zu Urkunde des Jugendamts vom 4. September 2002
  40. anerkannt, Vater des damals noch ungeborenen Kindes zu sein. Er behauptet
  41. dies nach wie vor.
  42. 2
  43. Er hatte die Ehefrau des Beklagten zu 1 nach eigener Darstellung Anfang Februar 2002, nach Darstellung des Beklagten zu 1 Anfang April 2002
  44. kennen gelernt. Die Beziehung endete nach übereinstimmender Darstellung der
  45. -3-
  46. Parteien Anfang Juni 2002. Etwa zeitgleich nahmen der Beklagte zu 1 und seine Ehefrau, die seit 1998 verheiratet sind, ihr eheliches Zusammenleben wieder
  47. auf und wohnen seit der Geburt des Kindes mit diesem zusammen. Zuvor hatten sie nach Darstellung des Klägers von Anfang April bis Mitte Juni 2002 getrennt gelebt.
  48. 3
  49. Das Familiengericht wies die vom Kläger gegen den Beklagten zu 1 erhobene Klage auf Feststellung, dass dieser nicht der Vater des Kindes sei, unter Hinweis auf § 1600 BGB in der seinerzeit geltenden Fassung mangels Anfechtungsbefugnis als unzulässig ab.
  50. 4
  51. Auf die Berufung des Klägers setzte das Berufungsgericht das Verfahren
  52. aus, weil das Bundesverfassungsgericht diese Vorschrift einen Tag vor Verkündung des angefochtenen Urteils (mit Beschlüssen vom 9. April 2003 FamRZ
  53. 2003, 816 ff.) für teilweise verfassungswidrig erklärt und angeordnet hatte, dass
  54. bis zur gesetzlichen Neuregelung anhängige Verfahren, deren Entscheidung
  55. hiervon abhängt, auszusetzen sind.
  56. 5
  57. Nach der ab 30. April 2004 geltenden Neufassung des § 1600 BGB und
  58. der Wiederaufnahme des Verfahrens versicherte der Kläger an Eides Statt, der
  59. Mutter des Kindes innerhalb der Empfängniszeit, nämlich im Zeitraum März bis
  60. Mai 2002, beigewohnt zu haben, und erweiterte seine Klage gegen die Beklagte
  61. zu 2. Ferner beantragte er hilfsweise festzustellen, dass diese von ihm abstamme.
  62. 6
  63. Das Berufungsgericht wies die Berufung zurück. Dagegen richtet sich die
  64. zugelassene Revision des Klägers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.
  65. -4-
  66. Entscheidungsgründe:
  67. 7
  68. Die Revision hat keinen Erfolg.
  69. I.
  70. 8
  71. Das Berufungsgericht hat die Klage für insgesamt zulässig, aber sowohl
  72. den Haupt- als auch den Hilfsantrag für unbegründet gehalten. Der Kläger habe
  73. seine Anfechtungsklage zwar, wie in §§ 1600 e Abs. 1, 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB
  74. vorgeschrieben, sowohl gegen das Kind als auch gegen dessen Vater im Sinne
  75. des § 1592 Nr. 1 BGB erhoben. Er sei aber nach § 1600 Abs. 2 BGB zur Anfechtung nicht berechtigt, weil zwischen den beiden Beklagten eine sozialfamiliäre Beziehung bestehe. Das sei nach § 1600 Abs. 3 Satz 1 BGB der Fall,
  76. wenn der Vater im Rechtssinne für das Kind tatsächliche Verantwortung trage.
  77. Davon sei nach § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Regel auszugehen, wenn der
  78. rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet sei oder mit dem Kind
  79. längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt habe. Beide Voraussetzungen seien hier erfüllt, da der Beklagte zu 1 mit der Mutter der Beklagten
  80. zu 2 seit 1998 verheiratet sei und die Beklagte zu 2 seit ihrer Geburt im Januar
  81. 2003 mit diesen in der gemeinsamen Wohnung lebe, was auch der Kläger nicht
  82. in Abrede stelle.
  83. 9
  84. Diese gesetzlichen Regelungen seien, soweit sie den vorliegenden Fall
  85. beträfen, verfassungsrechtlich unbedenklich. Mit ihnen habe der Gesetzgeber
  86. die ihm vom Bundesverfassungsgericht (Beschlüsse vom 9. April 2003 aaO)
  87. gemachten Vorgaben zutreffend umgesetzt. Insbesondere habe er damit das
  88. hier vom Kläger beanspruchte Recht auf Klärung der biologischen Abstammung
  89. gegen den durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützten unbeeinträchtigten Fortbestand
  90. -5-
  91. der aus dem Vater im Rechtsinne, dem Kind und dessen Mutter bestehenden
  92. sozial-familiären Verantwortungsgemeinschaft abgewogen und in nicht zu beanstandender Weise diesem Schutz den Vorrang vor der Möglichkeit der Vaterschaftsanfechtung eingeräumt, indem er diese nur in Fällen zulasse, in denen
  93. keine sozial-familiäre Beziehung zwischen dem rechtlichen Vater und dem Kind
  94. bestehe.
  95. 10
  96. Diese Wertung gebiete zugleich die Abweisung des Hilfsantrages, da
  97. auch die begehrte Feststellung, dass die Beklagte zu 2 vom Kläger abstamme,
  98. diese sozial-familiäre Beziehung gefährde. Auch insoweit müsse ein möglicherweise aus dem Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) des angeblichen
  99. biologischen Vaters herzuleitendes Recht, die Abstammung des Kindes von
  100. ihm gerichtlich klären zu lassen, hinter dem durch Art. 6 Abs. 2 GG gebotenen
  101. Schutz der Familie der Beklagten und dem auch dem Kind zustehenden Persönlichkeitsrecht zurücktreten, das es auch einschließe, ungestört in der durch
  102. seine Familie gewährleisteten Geborgenheit aufwachsen zu können.
  103. II.
  104. 11
  105. Das hält der rechtlichen Prüfung und den Angriffen der Revision im Ergebnis - bis auf die Beurteilung des Hilfsantrages als zulässig - stand.
  106. 12
  107. 1. Die angefochtene Entscheidung ist nicht schon deshalb (insgesamt)
  108. aufzuheben, weil sie der minderjährigen Beklagten zu 2 noch nicht wirksam zugestellt wäre, wie dies die Revisionserwiderung zur Amtsprüfung durch den Senat stellt. Würde es - etwa mangels Vertretungsbefugnis ihrer (rechtlichen) Eltern - an einer wirksamen Zustellung an die Beklagte zu 2 fehlen, hätte aller-
  109. -6-
  110. dings auch noch keine Entscheidung über die gegen den Beklagten zu 1 erhobene Klage getroffen werden dürfen. Dies ergibt sich aus der Notwendigkeit
  111. einheitlicher Prozessführung und Entscheidung, § 1600 e Abs. 1 Satz 1 BGB
  112. und § 640 h Abs. 2 ZPO.
  113. 13
  114. Bedenken gegen die wirksame Vertretung der Beklagten zu 2 durch den
  115. Beklagten zu 1 und dessen Ehefrau und damit auch gegen die Wirksamkeit der
  116. von ihnen namens des Kindes erteilten Prozessvollmacht bestehen hier aber
  117. nicht. Die dem Beklagten zu 1 und seiner Ehefrau gemeinsam zustehende elterliche Sorge für das Kind umfasst auch dessen Vertretung, § 1629 Abs. 1
  118. Satz 1 und 2 BGB.
  119. 14
  120. Ein Fall, in dem dies nach § 1629 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1795 BGB ausnahmsweise gesetzlich ausgeschlossen ist, liegt hier nicht vor. Die Vorinstanzen haben dem Beklagten zu 1 und seiner Ehefrau die Vertretung des Kindes
  121. auch nicht nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB entzogen. Auf die Frage, ob
  122. dies wegen eines erheblichen Interessengegensatzes zwischen ihnen und dem
  123. Kind geboten gewesen wäre, kommt es nicht an, da die Vertretungsbefugnis
  124. erst mit der Entziehung und nicht bereits mit dem Auftreten des Interessengegensatzes entfällt (vgl. OLG Celle FamRZ 1976, 97; Palandt/Diederichsen BGB
  125. 66. Aufl. § 1796 Rdn. 6; Staudinger/Engler BGB [1999] § 1796 Rdn. 18 m.w.N.).
  126. Im Übrigen ist ein solcher erheblicher Interessengegensatz, für den im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte vorliegen müssten (vgl. MünchKomm/Huber BGB
  127. § 1629 Rdn. 68 m.N.), hier nicht ersichtlich. Ein Interesse des jetzt knapp vierjährigen Kindes, seine Abstammung zu klären und gegebenenfalls statusrechtlich dem Kläger zugeordnet zu werden, kann noch nicht ohne weiteres unterstellt werden; sollte es mit zunehmender Verstandesreife ein solches Interesse
  128. entwickeln, ist dieses durch die Möglichkeit, sein eigenes Anfechtungsrecht
  129. nach Erreichen der Volljährigkeit selbst wahrzunehmen, hinreichend gewahrt
  130. -7-
  131. (vgl. BayObLG FamRZ 1999, 737, 739). Ein dem Interesse des Kindes möglicherweise zuwiderlaufendes Interesse der Mutter, einen bislang verschwiegenen Ehebruch nicht durch ein Abstammungsgutachten offenbar werden zu lassen, scheidet hier aus, da sie den Ehebruch hier auch gegenüber ihrem Ehemann nicht in Abrede gestellt hat. Eine Entziehung der Vertretung ist auch nicht
  132. angebracht, wenn die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern trotz eines möglichen Interessenwiderstreits in der Lage sind, eine dem Wohl des Kindes entsprechende Entscheidung zu treffen (vgl. MünchKomm/Huber aaO § 1629
  133. Rdn. 68; OLG Stuttgart FamRZ 1983, 831); davon ist hier mangels entgegenstehender Anhaltspunkte auszugehen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass auch
  134. der das Kindschaftsverfahren beherrschende Amtsermittlungsgrundsatz geeignet ist, die Interessen des Kindes zu wahren (vgl. OLG Celle aaO).
  135. 15
  136. 2. Der Senat schließt sich der Auffassung des Berufungsgerichts an,
  137. dass das ein Anfechtungsrecht des Klägers ausschließende Bestehen einer
  138. sozial-familiären Beziehung zwischen den beiden Beklagten eine Frage der Begründetheit und nicht schon der Zulässigkeit ist (ebenso Staudinger/Rauscher
  139. BGB [2004] § 1600 Rdn. 40; Höfelmann FamRZ 2004, 745, 748 f.; Seidel FPR
  140. 2005, 181, 184 und Palandt/Diederichsen aaO § 1600 Rdn. 7: "negative Tatbestandsvoraussetzung"; Weinreich/Klein/Pieper Kompaktkommentar Familienrecht 2. Aufl. § 1600 BGB Rdn. 3; ders. in FA-FamR 5. Aufl. Kap. 3 Rdn. 131 c;
  141. a.A. Wieser FamRZ 2004, 1773, 1774).
  142. 16
  143. Hierfür spricht die Begründung der Neufassung des § 1600 BGB durch
  144. Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung
  145. der Vaterschaft etc. vom 23. April 2004 (BGBl. 2004 I 598), derzufolge die positive Feststellung des Bestehens einer solchen Beziehung eine Anfechtung
  146. durch den leiblichen Vater auch für die Zukunft ausschließen soll (BT-Drucks.
  147. 15/2253 S. 11; Palandt/Diederichsen aaO § 1600 Rdn. 7). Diese Folge ist aber
  148. -8-
  149. nur zu erreichen, wenn eine Entscheidung in der Sache ergeht. Nach der Intention des Gesetzes ist deshalb davon auszugehen, dass das Nichtbestehen einer solchen Beziehung nicht schon Voraussetzung der Prozessführungsbefugnis des Klägers und damit der Zulässigkeit seiner Anfechtungsklage nach
  150. § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist, sondern erst ihrer Begründetheit.
  151. 17
  152. 3. Zutreffend und von der Revision nicht angegriffen ist auch der (vom
  153. Berufungsgericht unausgesprochen zugrunde gelegte) Ausgangspunkt, dass es
  154. für die Frage, ob die negative Voraussetzung des Anfechtungsrechts (§ 1600
  155. Abs. 2 BGB) gegeben ist, entsprechend den allgemeinen Regeln (vgl. auch Senatsurteil vom 25. Oktober 2006 - XII ZR 5/04 -, zur Veröffentlichung bestimmt)
  156. auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt und nicht etwa
  157. auf den Zeitpunkt, in dem sie rechtshängig wird (vgl. Staudinger/Rauscher aaO
  158. § 1600 Rdn. 41).
  159. 18
  160. Denn die Anfechtung der Vaterschaft ist keine rechtsgestaltende Willenserklärung, bei der es allein auf die Sachbefugnis im Zeitpunkt ihrer Abgabe
  161. ankäme. Die bestehende rechtliche Zugehörigkeit eines Kindes zu einem bestimmten Mann als dessen Vater kann nur durch eine gerichtliche Entscheidung
  162. im Statusverfahren aufgehoben werden, nicht aber schon durch die Erhebung
  163. der Anfechtungsklage selbst.
  164. 19
  165. Wäre es anders, könnte beispielsweise einer unmittelbar nach Geburt
  166. des Kindes erhobenen Anfechtungsklage die Regelannahme des § 1600 Abs. 3
  167. Satz 2 BGB, dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das
  168. Kind zumindest schon übernommen hat, nur in den Fällen des § 1592 Nr. 1
  169. BGB entgegengehalten werden, wenn also der rechtliche Vater mit der Mutter
  170. des Kindes verheiratet ist. Beruht dessen rechtliche Vaterschaft hingegen auf
  171. einem Anerkenntnis (§ 1592 Nr. 2 BGB), kommt die Regelannahme des § 1600
  172. -9-
  173. Abs. 3 Satz 2 2. Alt. BGB noch nicht in Betracht, weil der rechtliche Vater zu
  174. dem Zeitpunkt, in dem die Anfechtungsklage rechtshängig wird, naturgemäß
  175. noch nicht längere Zeit mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben
  176. kann. Dies könnte zur Folge haben, dass auf die zunächst schlüssige Klage ein
  177. gerichtliches Gutachten eingeholt wird, das die Vaterschaft des Klägers und
  178. zugleich die Nichtvaterschaft des beklagten Mannes ergibt, die Klage aber
  179. gleichwohl abgewiesen werden muss, weil der rechtliche Vater inzwischen längere Zeit mit dem Kind zusammengelebt hat und daraus eine sozial-familiäre
  180. Beziehung entstanden ist.
  181. 20
  182. Diese Gefahr, die dem Zweck der gesetzlichen Regelung evident zuwiderläuft, ist deutlich geringer, wenn die Voraussetzung, dass keine derartige
  183. Beziehung besteht, im Laufe des Verfahrens erfüllt bleiben muss. Denn ein längeres Zusammenleben mit dem Kind ist zwar ein Indiz, nicht aber eine notwendige Voraussetzung für das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung. Diese
  184. kann bereits auch bei kürzerem Zusammenleben bejaht werden, wenn dieses
  185. noch andauert und der Tatrichter überzeugt ist, dass der rechtliche Vater die
  186. tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat und in einer Weise
  187. trägt, die auf Dauer angelegt erscheint.
  188. 21
  189. 4. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Neuregelung des § 1600
  190. BGB werde der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der gegenläufigen
  191. Interessen in mehrfacher Weise nicht gerecht:
  192. 22
  193. Zum einen werde durch die gesetzlichen Vermutungen und Regelannahmen des § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB eine nicht widerlegbare Priorität des
  194. Schutzes eines nur vermuteten Familienverbandes begründet, wobei diese
  195. Vermutung in der ersten Alternative der Regelung nicht etwa auf die Belange
  196. - 10 -
  197. des Kindes abstelle, sondern lediglich auf das formale Bestehen einer Ehe zwischen seiner Mutter und deren Ehemann.
  198. 23
  199. Zum anderen führe dies angesichts der Anfechtungsfrist von zwei Jahren
  200. dazu, dass einem biologischen Vater, dem die gegen die Vaterschaft des Ehemannes sprechenden Umstände von Anfang an bekannt gewesen seien, eine
  201. Anfechtung bereits dann für immer verwehrt bleibe, wenn die Ehe der Kindesmutter über das zweite Lebensjahr des Kindes hinaus zumindest formal Bestand habe. Auch wenn die Ehe und/oder die sozial-familiäre Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater nach Ablauf der Anfechtungsfrist zerbreche,
  202. lebe das Anfechtungsrecht nämlich nicht wieder auf, so dass der biologische
  203. Vater selbst einer Freigabe des Kindes zur Adoption durch Dritte tatenlos zusehen müsste.
  204. 24
  205. a) Nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht beide die gesetzliche Regelannahme des § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB begründenden Alternativen
  206. geprüft und bejaht hat, obwohl für die Vermutung, dass der Beklagte zu 1 tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen habe, bereits die Tatsache
  207. ausgereicht hätte, dass er mit dessen Mutter verheiratet ist. Die zweite Alternative (ein längeres, nicht notwendigerweise aber noch fortbestehendes Zusammenleben mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft) bedarf insoweit nur dann
  208. der Prüfung, wenn nicht schon die erste Alternative diese Vermutung rechtfertigt, etwa weil die Ehe inzwischen geschieden ist oder eine Ehe - im Fall der
  209. rechtlichen Vaterschaft durch Anerkenntnis, § 1592 Nr. 2 BGB - nicht bestanden hat.
  210. 25
  211. b) Soweit die Revision in der gesetzlichen Regelung eine "nicht widerlegbare Priorität eines (nur vermuteten) Familienverbandes" sieht, differenziert
  212. sie nicht hinreichend zwischen zwei Fragen, nämlich einerseits der Wertung
  213. - 11 -
  214. des Gesetzes, das in der Tat einem bestehenden Familienverband den Vorrang
  215. vor den Interessen des Anfechtenden einräumt, und andererseits der Frage der
  216. Widerlegbarkeit der gesetzlichen Regelannahme in § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB.
  217. Diese Regelannahme betrifft nur die Übernahme der tatsächlichen Verantwortung, begründet ihrerseits aber noch keine weitere Annahme dafür, dass die
  218. übernommene Verantwortung weiterhin getragen wird. Werden allerdings vom
  219. Anfechtungskläger keine Umstände dargelegt und sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich, die gegen eine fortdauernd wahrgenommene tatsächliche Verantwortung sprechen, wird der Tatrichter auch ohne weitere Amtsermittlung davon ausgehen dürfen, dass der rechtliche Vater die übernommene Verantwortung weiterhin trägt. Im Einzelnen:
  220. 26
  221. aa) Die der bestehenden sozial-familiären Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind in § 1600 Abs. 2 BGB eingeräumte Priorität begegnet aus
  222. der Sicht des Senats keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, weil sie sich im
  223. Rahmen des vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Gestaltungsspielraums hält, den der Gesetzgeber bei der Abwägung gegenläufiger, verfassungsrechtlich geschützter Interessen und Rechte nach seinem Ermessen ausfüllen darf. Die getroffene Regelung ist auch sachgerecht.
  224. 27
  225. Zwar mögen die im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
  226. (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützten gegenläufigen und gegeneinander abzuwägenden Interessen des Kindes und des Anfechtenden einander gleichwertig sein.
  227. Das im Regelfall zu vermutende Interesse des Kindes am Erhalt seines Status
  228. (auch im weiteren Sinne einer "possession d'état", vgl. Art. 311-1 frz. Code Civil) und der Abwehr von Störungen seiner fortbestehenden oder zumindest für
  229. längere Zeit vorhanden gewesenen sozial-familiären Beziehung steht aber unter dem zusätzlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Die Bereitschaft des (mutmaßlichen) leiblichen Vaters, Verantwortung tragen zu wollen, und sein
  230. - 12 -
  231. Wunsch, eine sozial-familiäre Beziehung zwischen ihm und dem Kind erst entstehen zu lassen, verdienen diesen Schutz hingegen nicht (BVerfG FamRZ
  232. 2006, 1661, 1662) oder zumindest nicht in gleichem Maße.
  233. 28
  234. Soweit der leibliche Vater sich grundsätzlich auch auf seine durch Art. 6
  235. Abs. 2 GG geschützte Elternschaft berufen kann, umfasst dieser Schutz zwar
  236. auch sein Interesse, die Rechtsstellung als Vater des Kindes einzunehmen, und
  237. damit den Zugang zu einem Verfahren, das dies ermöglicht. Dem steht aber
  238. das mindestens gleichwertige Interesse des rechtlichen Vaters gegenüber, der
  239. diese Rechtsstellung bereits einnimmt und die sich daraus ergebende Verantwortung auch wahrnimmt (vgl. BVerfG FamRZ 2003 aaO 818 f. unter C I 1 b).
  240. Träger des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 GG kann aber nur einer von beiden
  241. sein (vgl. BVerfG FamRZ 2003 aaO 819 unter C I 2 a), und zwar derjenige, der
  242. zugleich die Elternverantwortung bereits wahrnimmt, unabhängig davon, ob
  243. sich die Elternverantwortung auf Abstammung oder auf Rechtszuweisung gründet. Trägt der rechtliche Vater diese Verantwortung, verliert er sein Elternrecht
  244. nicht allein dadurch, dass sich ein anderer Mann als leiblicher Vater herausstellt
  245. (vgl. BVerfG FamRZ 2006 aaO 1661 und FamRZ 2003 aaO 819 unter C I 2 b).
  246. Das Bundesverfassungsgericht hat § 1600 BGB a.F. daher nur insoweit
  247. 29
  248. als mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar erklärt, als diese Vorschrift dem
  249. leiblichen Vater das Recht auf Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft auch
  250. dann vorenthielt, wenn die rechtlichen Eltern oder auch nur der rechtliche Vater
  251. mit dem Kind keine soziale Familie bilden, die es nach Art. 6 Abs. 1 GG - vorrangig - zu schützen gilt (BVerfG FamRZ 2003 aaO 820 f. unter C I 5, 6 und
  252. 6 a).
  253. 30
  254. Dieser Vorgabe entspricht die Neuregelung in § 1600 Abs. 2 BGB. Dem
  255. steht auch nicht entgegen, dass bereits das Bestehen einer sozialen Familie
  256. - 13 -
  257. aus rechtlichem Vater und Kind ein Anfechtungsrecht des biologischen Vaters
  258. ausnahmslos ausschließt, so dass eine Einzelabwägung zwischen dem dieser
  259. Familie gebührenden Schutz und dem damit in Konflikt stehenden Elternrecht
  260. des leiblichen Vaters gerade nicht mehr stattzufinden hat. Dem Gesetzgeber ist
  261. es von Verfassungs wegen nicht verwehrt, eine solche Abwägung generalisierend vorwegzunehmen, auch um die bestehende Familie davor zu schützen,
  262. deren Interna im Einzelnen aufdecken zu müssen (a.A. Staudinger/Rauscher
  263. aaO § 1600 Rdn. 40).
  264. 31
  265. Verfassungsrechtlich bedenklich könnte insoweit allenfalls sein, dass die
  266. Neufassung des § 1600 Abs. 2 BGB das Nichtbestehen einer sozial-familiären
  267. Beziehung zwischen rechtlichem Vater und Kind als negative Tatbestandsvoraussetzung ausgestaltet hat mit der Folge, dass eine non-liquet-Situation sich
  268. zu Lasten des anfechtenden leiblichen Vaters auswirkt (vgl. Palandt/Diederichsen aaO § 1600 Rdn. 7; Hoppenz/Müller Familiensachen 8. Aufl. § 1600 BGB
  269. Rdn. 9; Höfelmann aaO 745, 749). In einem solchen Fall steht gerade nicht fest,
  270. ob dem Begehren des leiblichen Vaters eine familiäre Beziehung zwischen dem
  271. Kind und seinem rechtlichen Vater entgegensteht, die vorrangig zu schützen ist.
  272. Allerdings ist auch insoweit zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht
  273. § 1600 BGB a.F. nur in der Hinsicht für mit Art. 6 Abs. 2 GG unvereinbar erklärt
  274. hat, als er dem leiblichen Vater das Recht auf Anfechtung der rechtlichen Vaterschaft auch dann vorenthält, wenn die rechtlichen Eltern mit dem Kind keine
  275. soziale Familie bilden, die es nach Art. 6 Abs. 1 GG zu schützen gilt (FamRZ
  276. 2003 aaO 821 unter C I 6). Für die - voraussichtlich sehr seltenen - Einzelfälle,
  277. in denen dies auch bei Ausschöpfung des Amtsermittlungsgrundsatzes ebenso
  278. wenig festgestellt werden kann wie das Gegenteil, ist der Entscheidung des
  279. Bundesverfassungsgerichts daher kein Gebot zu entnehmen, dieses Verfahrensrisiko zu Lasten des rechtlichen Vaters gehen zu lassen.
  280. - 14 -
  281. 32
  282. bb) Unbedenklich ist insoweit auch, dass das Bestehen einer sozialfamiliären Beziehung aufgrund ihrer gesetzlichen Definition in § 1600 Abs. 3
  283. Satz 1 BGB - unwiderleglich - stets zu bejahen ist, wenn der rechtliche Vater für
  284. das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder im Falle seines Todes bis dahin
  285. getragen hat. Dies schließt es im übrigen nicht aus, das (Fort-)Bestehen einer
  286. sozial-familiären Beziehung auch dann zu bejahen, wenn - etwa in den von der
  287. Revisionserwiderung angesprochenen Fällen sehr später Vaterschaftsanfechtung - vom rechtlichen Vater eine tatsächliche Verantwortung für das inzwischen volljährige und voll im Berufsleben stehende Kind in der Vergangenheit
  288. getragen wurde und inzwischen weitgehend gegenstandslos geworden ist.
  289. 33
  290. cc) Verfehlt wäre es jedoch, die gesetzliche Regelannahme des § 1600
  291. Abs. 3 Satz 2 BGB und ihr Zusammenspiel mit Abs. 3 Satz 1 dieser Vorschrift
  292. unter Außerachtlassung des unterschiedlichen Wortlauts dieser beiden Sätze
  293. dahin zu verstehen, dass bei fortbestehender Ehe der Kindesmutter mit dem
  294. rechtlichen Vater oder dessen längerem Zusammenleben mit dem Kind in häuslicher Gemeinschaft bereits zu vermuten sei, dass der rechtliche Vater tatsächliche Verantwortung im Sinne des § 1600 Abs. 3 Satz 1 BGB trage und deshalb
  295. eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne des Absatzes 2 dieser Vorschrift bestehe. § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB enthält lediglich eine Regelannahme dafür,
  296. dass der rechtliche Vater die tatsächliche Verantwortung für das Kind übernommen hat. Dies allein reicht indes für das Bestehen einer sozial-familiären
  297. Beziehung nicht aus, weil diese nach § 1600 Abs. 3 Satz 1 BGB voraussetzt,
  298. dass der rechtliche Vater diese tatsächliche Verantwortung für das Kind (noch)
  299. trägt oder bis zu seinem Tod getragen hat. Dies kann nach Auffassung des Senats nur bedeuten, dass die übernommene Verantwortung auch über den Zeitpunkt ihrer erstmaligen Übernahme hinaus weiterhin wahrgenommen wird (vgl.
  300. Staudinger/Rauscher aaO § 1600 Rdn. 42, 44).
  301. - 15 -
  302. 34
  303. Mit anderen Worten: Zwar besteht unter den Voraussetzungen des
  304. § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB eine der Lebenserfahrung entsprechende gesetzliche Regelannahme der (ursprünglichen) Übernahme der tatsächlichen Verantwortung. Diese ist jedoch widerleglich. Das ermöglicht eine sachgerechte, auf
  305. den Einzelfall bezogene Lösung auch jener Fälle, in denen die Ehe zwischen
  306. den rechtlichen Eltern des Kindes nur formal besteht (z.B. Scheinehe) und deshalb einen Ausschluss des Anfechtungsrechts allein aufgrund dieses Kriteriums
  307. schwerlich rechtfertigen könnte, wie die Revision zu Recht ausführt.
  308. 35
  309. Insoweit ist auch nicht ersichtlich, dass es dem Anfechtenden regelmäßig
  310. faktisch unmöglich wäre, die Regelannahme zu entkräften. Denn hierfür können
  311. auch nach außen in Erscheinung tretende und damit für den Anfechtenden erkennbare Umstände wie z.B. getrennte Wohnungen der Eheleute hinreichende
  312. Anhaltspunkte bieten, denen das Gericht dann wegen des im Vaterschaftsanfechtungsverfahren geltenden Grundsatzes der Amtsermittlung (§§ 640 Abs. 1,
  313. 616 Abs. 1, 640 d ZPO) von sich aus nachzugehen hat.
  314. 36
  315. Die Übernahme der tatsächlichen Verantwortung begründet aber ihrerseits noch keine Regelannahme dahin, dass diese Verantwortung auch weiterhin wahrgenommen wird und somit eine sozial-familiäre Beziehung im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung noch besteht.
  316. 37
  317. Der Anfechtende braucht daher insoweit entgegen der Auffassung der
  318. Revision keine gesetzliche Vermutung zu widerlegen, kann sich andererseits
  319. aber nicht darauf beschränken, das Bestehen einer solchen Beziehung mit
  320. Nichtwissen zu bestreiten. Dass er die (negativen) Voraussetzungen seines
  321. Anfechtungsrechts (§ 1600 Abs. 2 BGB) zumindest schlüssig darlegen muss
  322. und es nicht etwa den Anfechtungsbeklagten obliegt, ihre sozial-familiäre Beziehung im einzelnen darzulegen und notfalls zu beweisen, beeinträchtigt seine
  323. - 16 -
  324. Möglichkeit, die rechtliche Vaterstellung zu erlangen, nicht in verfassungsrechtlich bedenklicher Weise. Wie bereits ausgeführt, kann er objektive Umstände
  325. vortragen wie etwa, dass das Kind nicht bei seinem Vater lebe, sondern bei
  326. seiner Mutter und deren neuem Partner; dem wird das Gericht aufgrund seiner
  327. Amtsermittlungspflicht nachzugehen haben.
  328. 38
  329. Damit ist auch der Kritik an der gesetzlichen Neuregelung, die eine Abwägung zwischen dem Elternrecht des biologischen Vaters und einer wirklich
  330. existierenden sozialen Familie von Kind und rechtlichem Vater fordert (vgl.
  331. Staudinger/Rauscher BGB [2004] § 1600 Rdn. 16 m.w.N.), der Boden entzogen. Denn ob eine solche Familie wirklich existiert, ist bei richtigem Verständnis
  332. des § 1600 Abs. 2 und 3 BGB im Wege der Amtsermittlung zu prüfen, sobald
  333. Anhaltspunkte ersichtlich sind, die Anlass geben, daran zu zweifeln. Dass eine
  334. Anhörung des Jugendamtes, die noch im Regierungsentwurf als § 640 d Abs. 2
  335. ZPO vorgesehen war (BT-Drucks. 15/2253 S. 6), nach Kritik des Bundesrates
  336. (BT-Drucks. aaO S. 16 f.) nicht in das Gesetz übernommen wurde, bedeutet
  337. nicht, dass sie zu unterbleiben hat. Vielmehr hat das Gericht, soweit dies
  338. zweckmäßig erscheint, auch das Jugendamt zu befragen (vgl. BT-Drucks aaO
  339. S. 21; Friederici jurisPR-FamR 7/2004 Anm. 6). Die von der Kritik erhobene
  340. Forderung erweist sich damit als hinreichend erfüllt.
  341. 39
  342. c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, die Verfassungswidrigkeit
  343. des § 1600 Abs. 2 BGB n.F. ergebe sich auch aus der Konsequenz, dass ein
  344. leiblicher Vater, dem diese Vorschrift die Anfechtung der Vaterschaft des rechtlichen Vaters verwehre, gegebenenfalls eine spätere Freigabe des Kindes zur
  345. Adoption durch Dritte nicht verhindern könne. Dies mag in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich sein (vgl. Staudinger/Rauscher § 1600 Rdn. 14 a.E.; Hoppenz/Müller aaO § 1600 Rdn. 11), stellt aber nicht die Verfassungsmäßigkeit
  346. - 17 -
  347. des § 1600 Abs. 2 BGB, sondern allenfalls die des § 1747 Abs. 1 Satz 2 BGB in
  348. Frage.
  349. 40
  350. Entgegen der Auffassung der Revision ist es auch verfassungsrechtlich
  351. unbedenklich, dass die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600 b BGB durch
  352. das Bestehen einer sozial-familiären Beziehung im Sinne des § 1600 Abs. 2
  353. BGB nicht gehemmt wird. Mit der Intention, bei positiver Feststellung des Bestehens einer solchen Beziehung durch das Gericht eine Anfechtung durch den
  354. leiblichen Vater auch für die Zukunft auszuschließen (vgl. BT-Drucks. aaO
  355. S. 11), geht das Gesetz zwar im Falle der Vaterschaftsanfechtung nach § 1600
  356. Abs. 1 Nr. 2 BGB noch über die allgemeine Beschränkung der Anfechtung
  357. durch die Frist des § 1600 b BGB hinaus; auch dies erscheint jedoch im Interesse der Rechtssicherheit und des Schutzes der bestehenden sozialen Familie, das auch der Fristenregelung zugrunde liegt (vgl. Staudinger/Rauscher aaO
  358. § 1600 b Rdn. 4), sachgerecht und zumutbar (vgl. auch EGMR FamRZ 2006,
  359. 181 Rdn. 39, 44).
  360. 5. Auch die Angriffe der Revision gegen die Abweisung des Hilfsantra-
  361. 41
  362. ges, die Abstammung des Kindes vom Kläger festzustellen, bleiben im Ergebnis
  363. ohne Erfolg. Diese hilfsweise erhobene Abstammungsfeststellungsklage ist allerdings bereits unzulässig, weil mit ihr keine statusrechtlichen Folgen begehrt
  364. werden. Eine solche isolierte (folgenlose) Abstammungsfeststellungsklage sieht
  365. das deutsche Recht - zumindest de lege lata - nicht vor (vgl. OLG Hamm
  366. FamRZ 1999, 1365), auch nicht als "normale" Feststellungsklage nach § 256
  367. ZPO (vgl. Gaul FamRZ 2000, 1461, 1474; OLG Düsseldorf FamRZ 2003, 1578,
  368. 1579).
  369. 42
  370. § 1600 d Abs. 1 BGB stellt eine abschließende Sonderregelung für die
  371. Abstammungsfeststellung dar (vgl. OLG Düsseldorf aaO; OLG Köln NJW-RR
  372. - 18 -
  373. 2002, 4, 5; OLG Hamm FamRZ 1999 aaO 1366). Danach ist die gerichtliche
  374. Feststellung der Vaterschaft nur zulässig, soweit keine andere Vaterschaft nach
  375. §§ 1592 Nr. 1 und 2, 1593 BGB besteht. Hier besteht jedoch die Vaterschaft
  376. des Beklagten zu 1, weil er zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes
  377. verheiratet war, § 1592 Nr. 1 BGB. Diese ist auch vorrangig gegenüber dem
  378. vorgeburtlichen Anerkenntnis des Klägers, § 1594 Abs. 1 BGB. Nur in Verbindung mit einer erfolgreichen Anfechtung dieser Vaterschaft nach § 1600 Abs. 1
  379. Nr. 2 BGB kann der leibliche Vater die Feststellung seiner Vaterschaft erreichen, § 640 h Abs. 2 ZPO. Der darauf gerichtete Hauptantrag des Klägers hat
  380. aber keinen Erfolg.
  381. 43
  382. Auch dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Ist dem Kläger in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise der Zugang zum Verfahren
  383. der Vaterschaftsanfechtung verwehrt, mit dessen Hilfe allein er auch rechtlich
  384. die Vaterstellung einnehmen könnte, ist das mit dem Hilfsantrag verfolgte Begehren, allein Kenntnis und Gewissheit über die Abstammung des Kindes zu
  385. erlangen und diese feststellen zu lassen, jedenfalls nicht durch Art. 6 Abs. 2
  386. Satz 1 GG geschützt (BVerfG FamRZ 2003 aaO 820 unter C I 3 b).
  387. 44
  388. Soweit das Bundesverfassungsgericht es hat dahinstehen lassen (aaO),
  389. ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1
  390. GG einen Anspruch gewähren kann, die Abstammung des Kindes klären zu
  391. lassen, bedarf diese Frage auch hier keiner Entscheidung. Selbst wenn ein solcher Anspruch zu bejahen wäre, müsste er hier nämlich hinter den aufgezeigten
  392. und durch Art. 6 GG geschützten Belangen der Beklagten zurückstehen. Denn
  393. auch die bloße gerichtliche Feststellung, dass das Kind nicht von seinem rechtlichen Vater, sondern von einem anderen Mann abstammt, gefährdet den Zusammenhalt des bisherigen Familienverbandes und erschwert dem Kind die für
  394. - 19 -
  395. seine Entwicklung bedeutsame Orientierung, zu wem es letztlich gehört (vgl.
  396. BVerfG FamRZ 2003 aaO 821 unter C I 5 b).
  397. Hahne
  398. Sprick
  399. Wagenitz
  400. Weber-Monecke
  401. Dose
  402. Vorinstanzen:
  403. AG Hohenstein-Ernstthal, Entscheidung vom 10.04.2003 - 1 F 134/03 OLG Dresden, Entscheidung vom 10.08.2004 - 20 UF 255/03 -