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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ARZ 109/11
  4. vom
  5. 17. Mai 2011
  6. in dem Gerichtsstandbestimmungsverfahren
  7. Nachschlagewerk:
  8. ja
  9. BGHZ:
  10. nein
  11. BGHR:
  12. ja
  13. ZPO § 281 Abs. 2
  14. Ein Verweisungsbeschluss ist nicht schon deshalb unwirksam, weil das verweisende Gericht sich nicht mit der Frage befasst hat, ob es gemäß § 29 ZPO örtlich
  15. zuständig ist, wenn die Parteien weder die Frage des Erfüllungsorts thematisiert
  16. noch zum Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen haben.
  17. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011 - X ARZ 109/11 - OLG Brandenburg
  18. AG Neukölln
  19. AG Fürstenwalde
  20. -2-
  21. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Mai 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und
  22. Hoffmann sowie die Richterin Schuster
  23. beschlossen:
  24. Zuständig ist das Amtsgericht Neukölln.
  25. Gründe:
  26. 1
  27. I.
  28. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Vergütung für
  29. Mobilfunkleistungen in Anspruch.
  30. 2
  31. Der Beklagte schloss mit der Klägerin am 30. Juli 2008 einen schriftlichen Vertrag über die Erbringung von Mobilfunkleistungen. Unter der Rubrik
  32. "Anschrift" ist in dem Vertragsformular eine Adresse in Fürstenwalde eingetragen.
  33. 3
  34. Am 12. Januar 2010 wurde dem Beklagten unter einer anderen Adresse
  35. in Fürstenwalde antragsgemäß ein Mahnbescheid über eine Hauptforderung
  36. von 411,31 Euro zugestellt. Der Beklagte legte Widerspruch ein und teilte als
  37. Anschrift eine Adresse in Berlin mit. Nach Zahlung des Gerichtskostenvorschusses gab das Mahngericht das Verfahren an das im Mahnantrag benannte
  38. Amtsgericht Fürstenwalde ab. Dieses konnte die Anspruchsbegründung nicht
  39. unter der im Mahnbescheid angegebenen Adresse in Fürstenwalde zustellen.
  40. Die Klägerin teilte als neue Anschrift eine wiederum andere Adresse in Berlin
  41. -3-
  42. mit. Dort wurde die Anspruchsbegründung durch Einlegen in den Briefkasten
  43. zugestellt.
  44. 4
  45. Nach Zustellung der Anspruchsbegründung bat das Amtsgericht
  46. Fürstenwalde die Klägerin um Mitteilung, ob Verweisung an das Amtsgericht
  47. Neukölln beantragt werde, weil der Beklagte nach seinen Angaben bereits zum
  48. Zeitpunkt des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid in Berlin wohnhaft gewesen sei. Die Klägerin stellte Verweisungsantrag mit der Begründung, der Beklagte habe seinen Wohnsitz bereits zum Zeitpunkt des Widerspruchs nach
  49. Berlin verlegt; hier sei das Amtsgericht Neukölln örtlich zuständig. Das Amtsgericht Fürstenwalde erklärte sich für unzuständig und verwies den Rechtsstreit
  50. "an das nach §§ 12 ff. ZPO für den Wohnsitz des Beklagten zuständige" Amtsgericht Neukölln.
  51. 5
  52. Das Amtsgericht Neukölln teilte den Parteien mit, es halte den Verweisungsbeschluss für nicht bindend, weil das Amtsgericht Fürstenwalde gemäß
  53. § 29 ZPO weiterhin zuständig sei. Die Klägerin beantragte daraufhin, den
  54. Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenwalde zurückzuverweisen. Das Amtsgericht Neukölln erklärte sich für unzuständig und legte die Sache dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vor.
  55. 6
  56. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hält das Amtsgericht Neukölln
  57. für zuständig. Es sieht sich an einer entsprechenden Bestimmung des Gerichtsstandes durch Entscheidungen von vier anderen Oberlandesgerichten (OLG
  58. Frankfurt am Main, Beschluss vom 17. August 2001 - 21 AR 65/2001, NJW
  59. 2001, 3792; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. Februar 2006 - 1 W 98/05,
  60. OLGR Braunschweig 2006, 652; OLG München, Beschluss vom 09. Juli 2007
  61. - 31 AR 146/07, MDR 2007, 1278; KG, Beschluss vom 17. September 2007
  62. -4-
  63. - 2 AR 37/07, KGR 2008, 248) gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof vorgelegt (Beschluss vom 31. März 2011 - 1 AR 16/11, juris).
  64. 7
  65. II.
  66. Mit zutreffenden Erwägungen hat das vorlegende Gericht die Vo-
  67. raussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6
  68. ZPO und für eine Vorlage gemäß § 36 Abs. 3 ZPO bejaht.
  69. 8
  70. III.
  71. Zuständig ist das Amtsgericht Neukölln.
  72. 9
  73. 1.
  74. Wie das vorlegende Gericht zutreffend darlegt, ist im Falle eines
  75. negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit
  76. grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in
  77. dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Dies folgt
  78. aus der Regelung in § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wonach ein auf der Grundlage
  79. von § 281 ZPO ergangener Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das die
  80. Sache verwiesen wird, bindend ist. Die Bindungswirkung entfällt nur dann,
  81. wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des
  82. § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder
  83. jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet
  84. werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder
  85. fehlerhaft ist. Willkür liegt nur vor, wenn dem Verweisungsbeschluss jede rechtliche Grundlage fehlt und er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz
  86. beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich
  87. unhaltbar ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - X ARZ 45/08,
  88. NJW-RR 2008, 1309 Rn. 6).
  89. -5-
  90. 10
  91. 2.
  92. Zu Recht hat das vorlegende Gericht den Verweisungsbeschluss
  93. des Amtsgerichts Fürstenwalde bei Anlegung dieses Maßstabes nicht als willkürlich angesehen.
  94. 11
  95. Ein Verweisungsbeschluss kann allerdings als nicht mehr verständlich
  96. und offensichtlich unhaltbar zu beurteilen sein, wenn das verweisende Gericht
  97. eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen
  98. oder sich ohne weiteres darüber hinweggesetzt hat. Der Senat hat dies für den
  99. Fall bejaht, dass schon mehrere Jahre vor dem Verweisungsbeschluss eine
  100. Gesetzesänderung erfolgt ist, die Verweisungen der in Rede stehenden Art gerade
  101. verhindern
  102. soll
  103. (BGH,
  104. Beschluss
  105. vom
  106. 10. September 2002
  107. - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634, 3635).
  108. 12
  109. Eine vergleichbare Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
  110. Zwar ergibt sich sowohl aus dem Verweisungsbeschluss als auch aus dem zuvor erteilten Hinweis, dass das Amtsgericht Fürstenwalde für die Beurteilung
  111. der Zuständigkeitsfrage nur auf den Wohnsitz abgestellt und eine mögliche Zuständigkeit am Gerichtsstand des Erfüllungsorts (§ 29 ZPO) nicht in Erwägung
  112. gezogen hat. Dies begründet jedoch noch nicht den Vorwurf der Willkür. Eine
  113. Prüfung der Zuständigkeit anhand von § 29 ZPO mag nahegelegen haben, weil
  114. der Inhalt der zusammen mit der Anspruchsbegründung vorgelegten Kopien
  115. des Mobilfunkvertrages und der Rechnungen darauf hindeutet, dass der Wohnsitz des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses und damit gemäß § 269
  116. Abs. 1 BGB auch der Erfüllungsort für den Klageanspruch in Fürstenwalde lag.
  117. Eine Befassung mit dieser Frage drängte sich dennoch nicht derart auf, dass
  118. die getroffene Verweisungsentscheidung als schlechterdings nicht auf der
  119. Grundlage von § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann. Weder die Klägerin noch der Beklagte - der sich im streitigen Verfahren bislang nicht gemel-
  120. -6-
  121. det hat - hatten die Frage des Erfüllungsorts thematisiert oder zum Wohnsitz
  122. des Beklagten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgetragen. Das Amtsgericht Fürstenwalde war dadurch zwar nicht gehindert, diese Frage von sich
  123. aus aufzugreifen und die dafür maßgeblichen tatsächlichen Umstände durch
  124. Erteilung geeigneter Hinweise an die Parteien einer Klärung zuzuführen. Der
  125. Umstand, dass es von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, stellt
  126. jedoch allenfalls einen einfachen Rechtsfehler dar, lässt die getroffene Entscheidung aber nicht als nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar
  127. erscheinen.
  128. Meier-Beck
  129. Gröning
  130. Hoffmann
  131. Bacher
  132. Schuster
  133. Vorinstanzen:
  134. OLG Brandenburg, Entscheidung vom 31.03.2011 - 1 AR 16/11 -