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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VIII ZR 314/07
  5. Verkündet am:
  6. 8. Juli 2009
  7. Ring
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. ZPO §§ 138, 286 B, E
  19. Eine Beweiserhebung (hier: durch Zeugenvernehmung) ist nicht deshalb entbehrlich, weil die unter Beweis gestellten Tatsachen durch ein Privatgutachten
  20. belegt sind, dessen Richtigkeit der Gegner bestreitet, ohne die Unzulänglichkeit
  21. des Gutachtens substantiiert darzulegen.
  22. BGH, Urteil vom 8. Juli 2009 - VIII ZR 314/07 -
  23. LG Oldenburg
  24. AG Delmenhorst
  25. -2-
  26. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  27. vom 8. Juli 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Dr. Frellesen
  28. und Dr. Achilles, die Richterin Dr. Hessel sowie den Richter Dr. Schneider
  29. für Recht erkannt:
  30. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 9. Zivilkammer des
  31. Landgerichts Oldenburg vom 29. November 2007 aufgehoben.
  32. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  33. über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die
  37. 1
  38. von der Beklagten einseitig vorgenommen wurden. Die in D.
  39. woh-
  40. nenden Kläger bezogen als Tarifkunden Erdgas von der Beklagten, einem
  41. kommunalen Versorgungsunternehmen, das zum Zeitpunkt der streitigen
  42. Preiserhöhungen als einziges Unternehmen Privathaushalten im Stadtgebiet
  43. D.
  44. 2
  45. die leitungsgebundene Lieferung von Erdgas anbot.
  46. Die Beklagte erhöhte den Arbeitspreis für Erdgas im Heizgastarif zum
  47. 1. Oktober 2004 von 3,18 Cent/kWh auf 3,58 Cent/kWh, zum 1. Oktober 2005
  48. auf 4,16 Cent/kWh und zum 1. Januar 2006 auf 4,52 Cent/kWh (jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer). Die Kläger widersprachen der Preiserhöhung.
  49. -3-
  50. 3
  51. Mit ihrer Klage haben die Kläger die Feststellung begehrt, dass die von
  52. der Beklagten im dem zwischen den Parteien geschlossenen Gaslieferungsvertrag zum 1. Oktober 2004, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 vorgenommenen Erhöhungen des Arbeitspreises Erdgas unbillig und unwirksam seien. Die
  53. Beklagte hat Klageabweisung, hilfsweise die Bestimmung des zwischen den
  54. Parteien geltenden Arbeitspreises Erdgas zum 1. Oktober 2004 und 1. Oktober
  55. 2005 beantragt. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt,
  56. mangels Darlegung der Preiskalkulation der Beklagten könne es auch deren
  57. Hilfsantrag nicht entsprechen. Auf die vom Amtsgericht zugelassene Berufung
  58. der Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben die Kläger die Wiederherstellung
  59. des erstinstanzlichen Urteils.
  60. Entscheidungsgründe:
  61. 4
  62. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  63. I.
  64. 5
  65. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
  66. 6
  67. Das Feststellungsbegehren der Kläger sei zulässig, aber unbegründet.
  68. Die von der Beklagten festgesetzten Gaspreise unterlägen in - zumindest entsprechender - Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB der gerichtlichen Billigkeitskontrolle, die stattfinde, wenn einer Vertragspartei ein Leistungsbestimmungsrecht eingeräumt sei; ein solches Leistungsbestimmungsrecht ergebe sich aus
  69. § 4 AVBGasV. Die streitigen Preiserhöhungen hätten noch unter den in den
  70. -4-
  71. fraglichen Zeiträumen liegenden Bezugskostensteigerungen gelegen und hätten sich im Preisvergleich mit anderen Gasversorgern im Bundesgebiet als
  72. durchaus marktüblich erwiesen, so dass die erfolgten Erhöhungen im Entscheidungsrahmen der Beklagten noch den Billigkeitsgrundsätzen des § 315 Abs. 3
  73. BGB entsprochen hätten.
  74. 7
  75. Im Rahmen der Billigkeitsprüfung des § 315 Abs. 3 BGB sei anerkannt,
  76. dass jedenfalls die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an die Tarifkunden im Grundsatz der Billigkeit entspreche. Vorliegend habe die Beklagte zu
  77. den Bezugskostensteigerungen, die den Preiserhöhungen zum 1. Oktober
  78. 2004, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 zu Grunde lägen, dezidiert vorgetragen und ihre Bezugskostensteigerungen durch Vorlage eines entsprechenden
  79. Wirtschaftsprüfungsberichts unabhängiger Wirtschaftsprüfer nachgewiesen. Die
  80. Bescheinigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft über die Preisentwicklung in
  81. der Zeit vom 1. Januar 2004 bis 1. Oktober 2007 vermöge durchaus darzulegen
  82. und zu beweisen, dass eine entsprechende Bezugskostensteigerung stattgefunden habe. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen habe klargestellt, auf der
  83. Basis welcher vorgelegten Verträge, insbesondere der Erdgaslieferverträge,
  84. und Buchungsbelege die Prüfung erfolgt sei. Warum diese Unterlagen nicht
  85. aussagekräftig sein sollten beziehungsweise welche weiteren Unterlagen sie für
  86. erforderlich gehalten hätten, sei von den Klägern nicht substantiiert dargelegt
  87. worden. Das pauschale Bestreiten der ermittelten Ergebnisse sei in diesem Zusammenhang daher nicht beachtlich. Es bestehe keine Verpflichtung der Beklagten, ihre gesamten betriebswirtschaftlichen Unterlagen, insbesondere die
  88. Kalkulation des Gesamtpreises, offen zu legen.
  89. 8
  90. Aus den vorgelegten Preisvergleichen zum 1. Januar 2005, 1. Januar
  91. 2006 und 1. Januar 2007 ergebe sich für die Beklagte, dass sie im Vergleich
  92. zwischen rund 600 Gasversorgungsunternehmen im Bundesgebiet mit dem für
  93. -5-
  94. sie ermittelten Gaspreisindex jeweils auch im Landesdurchschnitt im Mittelfeld
  95. der Anbieter angesiedelt sei. Insoweit habe die Beklagte durch die Vorlage dieser unbestrittenen Preisvergleiche zudem nachgewiesen, dass ihr Preis als
  96. marktüblich anzusehen sei. Damit entspreche der von der Beklagten verlangte
  97. Gaspreis dem regelmäßig für vergleichbare Leistungen auf dem Markt verlangten Entgelt. Die verlangten Preiserhöhungen lägen also im Rahmen des Marktüblichen. Auch unter diesem Gesichtspunkt bewege sich die Beklagte mit den
  98. von ihr verlangten Erhöhungen im Rahmen des ihr durch § 315 BGB eingeräumten Entscheidungsspielraumes.
  99. 9
  100. Auch der Umstand, dass der von der Beklagten an ihre Lieferanten zu
  101. zahlende Gaspreis an den Preis für leichtes Heizöl gekoppelt sei, lasse die
  102. streitigen Preiserhöhungen nicht als unbillig im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB
  103. erscheinen. Entspreche der einseitig bestimmte Preis - wie hier - für sich genommen der Billigkeit, so könne die nur für das Vertragsverhältnis zwischen der
  104. die Leistung bestimmenden und der dieser Bestimmung unterworfenen Partei
  105. geltende Regelung des § 315 BGB nicht herangezogen werden, um auch die
  106. auf einer vorgelagerten Stufe der Lieferkette vereinbarten Preise einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.
  107. 10
  108. Schließlich seien die Preiserhöhungen nicht deshalb unbillig, weil etwa
  109. die bereits vor der Preiserhöhung geforderten Tarife der Beklagten unbillig
  110. überhöht gewesen wären. Voraussetzung für die Berücksichtigung auch des
  111. Sockeltarifs bei der Entscheidung über die Billigkeit der Preiserhöhungen sei,
  112. dass es sich auch insoweit um Tarife handele, die von der Beklagten einseitig
  113. nach billigem Ermessen zu bestimmen gewesen seien. Eine Überprüfung auch
  114. der bis zum 1. Oktober 2004 geltenden Tarife komme somit nicht in Betracht,
  115. weil es sich um vereinbarte Preise gehandelt habe.
  116. -6-
  117. 11
  118. Auch eine entsprechende Anwendung des § 315 BGB scheide aus. Es
  119. fehle insoweit an einer Monopolstellung der Beklagten als Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 315 BGB. Zwar möge die Beklagte im Einzugsbereich von leitungsgebundener Versorgung mit Gas keinen unmittelbaren
  120. Wettbewerber gehabt haben; sie habe aber - wie alle Gasversorgungsunternehmen - auf dem Wärmemarkt in einem Substitutionswettbewerb mit Anbietern konkurrierender Heizenergieträger wie Heizöl, Strom, Kohle und Fernwärme gestanden.
  121. II.
  122. 12
  123. Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die von
  124. den Klägern geltend gemachte Unbilligkeit der streitigen Gaspreiserhöhungen
  125. nicht verneint werden.
  126. 13
  127. 1. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Klage für zulässig gehalten.
  128. Insbesondere haben die Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung
  129. der Unwirksamkeit der Gaspreiserhöhungen (§ 256 Abs. 1 ZPO). Auf eine Leistungsklage können sie schon deshalb nicht verwiesen werden, weil das
  130. Rechtsschutzziel der hier gegebenen negativen Feststellungsklage mit einer
  131. Leistungsklage nicht erreicht werden kann (BGHZ 172, 315, Tz. 10).
  132. 14
  133. 2. Zu Recht hat das Berufungsgericht die streitigen Erhöhungen der Gastarife einer Billigkeitskontrolle gemäß § 315 Abs. 3 BGB unterzogen. Die Vorschrift findet Anwendung, denn mit den einseitig vorgenommenen Tariferhöhungen auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV vom
  134. 21. Juni 1979, BGBl. I S. 676), die auf den Streitfall noch anzuwenden ist, hat
  135. die Beklagte von einem ihr zustehenden Leistungsbestimmungsrecht im Sinne
  136. -7-
  137. von § 315 Abs. 1 BGB Gebrauch gemacht (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 13, 17; Senatsurteil vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, NJW 2009, 502, zur Veröffentlichung in BGHZ 178, 362 vorgesehen, Tz. 26).
  138. 15
  139. a) Zutreffend hat das Berufungsgericht nur die von der Beklagten zum
  140. 1. Oktober 2004, 1. Oktober 2005 und 1. Januar 2006 vorgenommenen Tariferhöhungen, denen die Kläger widersprochen hatten, einer Billigkeitskontrolle
  141. unterzogen. Entgegen der Auffassung der Revision erfasst die Billigkeitskontrolle im Streitfall nicht den gesamten von der Beklagten in Rechnung gestellten
  142. Gastarif einschließlich des Preissockels, der durch die Tarife gebildet wird, die
  143. vor dem 1. Oktober 2004 gegolten haben. Eine Preiserhöhung kann zwar auch
  144. deshalb der Billigkeit widersprechen, weil die bereits zuvor geltenden Tarife des
  145. Gasversorgers unbillig überhöht waren. Das gilt jedoch nicht, wenn die Preise
  146. bis zu der streitgegenständlichen Preiserhöhung von dem Versorger nicht einseitig festgesetzt, sondern zwischen den Parteien vereinbart worden sind
  147. (BGHZ 172, 315, Tz. 28 f.; Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 15).
  148. Um solche - vereinbarte - Preise handelt es sich im Verhältnis zwischen den
  149. Parteien bei den bis zum 30. September 2004 geltenden Tarifen.
  150. 16
  151. Vertraglich vereinbart haben die Parteien hier zunächst den bei Abschluss des Gasversorgungsvertrages von der Beklagten geforderten Preis,
  152. auch wenn es sich bei diesem Preis um den allgemeinen Tarif der Beklagten für
  153. die leitungsgebundene Versorgung mit Gas handelte. Soweit die Beklagte in
  154. der Folgezeit gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV einseitig Preiserhöhungen
  155. vorgenommen hat, haben die Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahresrechnungen unbeanstandet hingenommen. Indem sie weiterhin Gas bezogen haben, ohne in angemessener Zeit eine Überprüfung der Billigkeit etwaiger
  156. Preiserhöhungen nach § 315 BGB zu verlangen, ist entgegen der Auffassung
  157. der Revision auch über die von der Beklagten vor dem 1. Oktober 2004 gefor-
  158. -8-
  159. derten - gegenüber dem bei Vertragsschluss geltenden allgemeinen Tarif erhöhten - Preise konkludent eine vertragliche Einigung der Parteien zustande
  160. gekommen (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 36; Senatsurteil vom 19. November 2008,
  161. aaO, Tz. 16).
  162. 17
  163. b) Für eine Billigkeitskontrolle der von den Parteien bei Vertragsschluss
  164. oder später vereinbarten Preise in entsprechender Anwendung von § 315 BGB
  165. wegen einer Monopolstellung der Beklagten ist kein Raum. Allerdings stand den
  166. Klägern nach den Feststellungen des Amtsgerichts, auf die das Berufungsgericht gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen hat, im maßgeblichen
  167. Zeitraum ein anderer Gasanbieter nicht zur Verfügung. Die Beklagte war deshalb auf dem für die kartellrechtliche Beurteilung sachlich und räumlich relevanten Gasversorgungsmarkt marktbeherrschend (vgl. BGHZ 176, 244, Tz. 12;
  168. BGHZ 151, 274, 282). Gleichwohl ist eine entsprechende Anwendung des
  169. § 315 BGB nach der zu dieser Vorschrift entwickelten "Monopolrechtsprechung"
  170. (vgl. BGHZ 172, 315, Tz. 33 m.w.N.) nicht gerechtfertigt. Einer umfassenden
  171. gerichtlichen Kontrolle von allgemeinen Tarifen (Preisen) eines Gasversorgungsunternehmens in analoger Anwendung von § 315 Abs. 3 BGB steht entgegen, dass sie der Intention des Gesetzgebers zuwider liefe, der eine staatliche Prüfung und Genehmigung dieser Tarife wiederholt abgelehnt hat. Auch bei
  172. der gerichtlichen Kontrolle der Billigkeit der Tariffestsetzung fände für das betroffene Gasversorgungsunternehmen eine Preisregulierung statt, wenn der
  173. Tarif nach Auffassung des Gerichts unbillig überhöht und deshalb durch Urteil
  174. zu bestimmen wäre (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 19. November 2008,
  175. aaO, Tz. 17 - 23).
  176. 18
  177. 3. Die tatrichterlichen Ausführungen zur Anwendung von § 315 BGB im
  178. konkreten Fall können vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden, ob
  179. das Berufungsgericht den Begriff der Billigkeit verkannt, ob es die gesetzlichen
  180. -9-
  181. Grenzen seines Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem
  182. Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat
  183. und ob es von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgegangen ist, der ihm
  184. den Zugang zu einer fehlerfreien Ermessensentscheidung versperrt hat (BGHZ
  185. 172, 315, Tz. 20; Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 28). Im Streitfall ist bereits die Feststellung der für die Ermessensausübung erheblichen Tatsachen durch das Berufungsgericht - wie die Revision mit Recht rügt (vgl. dazu
  186. Senatsurteil vom 16. Oktober 1991 - VIII ZR 140/90, WM 1992, 32, unter II 1 b
  187. cc) - von Rechtsfehlern beeinflusst.
  188. 19
  189. a) Das Berufungsgericht hat allerdings die Darlegungs- und Beweislast
  190. dafür, dass die streitigen Preiserhöhungen der Billigkeit entsprechen, zutreffend
  191. der Beklagten als derjenigen auferlegt, die die Leistungsbestimmung gemäß
  192. § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen zu treffen hat (Senatsurteil vom
  193. 19. November 2008, aaO, Tz. 28 m.w.N.).
  194. 20
  195. Mit Recht hat das Berufungsgericht auch angenommen, dass die Billigkeit bei einer bloßen Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten, wie sie die
  196. Beklagte hier geltend macht, grundsätzlich zu bejahen ist (BGHZ 172, 315,
  197. Tz. 21 f.; Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 30). Die Beklagte hat
  198. dazu behauptet, die Steigerungen ihrer eigenen Bezugskosten nicht in vollem
  199. Umfang an ihre Kunden weitergegeben zu haben. Sie sei aufgrund einer langjährigen Bezugsverpflichtung an die Vorlieferantin s.
  200. AG gebunden; der an
  201. die Vorlieferantin zu zahlende Gaspreis sei an die Preisentwicklung des Ölpreises gekoppelt. Aufgrund dessen sei ihr Bezugspreis wie folgt gestiegen (jeweils
  202. bezogen auf den Bezugspreis vom 1. Januar 2004): Am 1. April 2004 um 0,06
  203. Cent/kWh, am 1. Oktober 2004 um 0,14 Cent/kWh, am 1. Januar 2005 um 0,41
  204. Cent/kWh, am 1. April 2005 um 0,71 Cent/kWh, am 1. Juli 2005 um 0,79
  205. Cent/kWh, am 1. Oktober 2005 um 0,90 Cent/kWh und am 1. Januar 2006 um
  206. - 10 -
  207. 1,33 Cent/kWh. Demgegenüber habe sie den Tarifpreis in diesem Zeitraum (bezogen auf den Preis vom 1. Januar 2004; ohne Berücksichtigung einer zum
  208. 1. April 2004 erfolgten Preissenkung um 0,1 Cent/kWh) nur am 1. Oktober 2004
  209. um 0,30 Cent/kWh, am 1. Oktober 2005 um 0,85 Cent/kWh und am 1. Januar
  210. 2006 um 1,24 Cent/kWh erhöht. Zur Substantiierung ihres Vortrags hat die Beklagte eine Bestätigung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgelegt.
  211. 21
  212. aa) Damit hat die Beklagte den Anforderungen an die schlüssige Darlegung einer Bezugskostensteigerung als Grundlage einer im Sinne von § 315
  213. BGB billigem Ermessen entsprechenden Preiserhöhung genügt. Entgegen der
  214. Auffassung der Revision bedurfte es nicht der Offenlegung sämtlicher Unterlagen, insbesondere der Kalkulation des Gesamtpreises. Auch auf die absolute
  215. Höhe der von dem Energieversorgungsunternehmen mit seinem Vorlieferanten
  216. vereinbarten und von ihm gezahlten Bezugspreise kommt es für das Vorliegen
  217. einer Bezugskostensteigerung in einem bestimmten Zeitraum und für die sich
  218. daran anknüpfende Beurteilung der Billigkeit einer Preiserhöhung gegenüber
  219. dem Abnehmer nach § 315 BGB nicht unmittelbar an. Ob die Preisänderungsklausel im Vorlieferantenverhältnis richtig angewandt, das heißt, die Bezugskostensteigerung danach zutreffend berechnet wurde, ist keine Rechtsfrage, für
  220. deren Beantwortung der Tatrichter die Ausgangspreise kennen und die Preisänderungsklausel selbst auslegen und anwenden müsste, sondern eine tatsächliche Frage, die er im Wege der Beweisaufnahme klären kann (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 36).
  221. 22
  222. Die Beklagte hat auch in zulässiger Weise (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 37 f.) Beweis für die dargelegte Bezugskostensteigerungen durch die Benennung eines ihrer Mitarbeiter sowie des Wirtschaftsprüfers, der die genannte Bestätigung unterzeichnet hat, als Zeugen angetreten.
  223. Allerdings vermag die Wirtschaftsprüferbestätigung als solche, anders als das
  224. - 11 -
  225. Berufungsgericht meint, die Bezugskostensteigerungen nicht zu beweisen. Die
  226. Bestätigung ist einem Privatgutachten vergleichbar, bei dem es sich um Parteivortrag, nicht um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO handelt. Die Bezugnahme des Gerichts auf eine als Parteivortrag zu behandelnde Bestätigung
  227. zu bestrittenen Tatsachen kann nicht dessen eigene Überzeugungsbildung
  228. durch Erhebung der angebotenen Beweise (hier: Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen) ersetzen (vgl. auch BVerfGE 91, 176, 181 ff.;
  229. BGHZ 116, 47, 58).
  230. 23
  231. bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger,
  232. wie die Revision mit Recht geltend macht, den Vortrag der Beklagten zu den
  233. Bezugskostensteigerungen einschließlich des Inhalts der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in prozessual ausreichender Weise bestritten. Eine
  234. Partei darf sich über Tatsachen, die - wie hier die Entwicklung der Bezugskosten der Beklagten für die Kläger - nicht Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind, nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären. Sie ist
  235. grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Tatsachen zu überprüfen, um sich näher
  236. zu ihnen äußern zu können. Eine so genannte sekundäre Behauptungslast, bei
  237. der die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und es deshalb dem Prozessgegner ausnahmsweise
  238. zumutbar ist, sich die benötigten Informationen zu verschaffen, kommt im Streitfall von vornherein nicht in Betracht, weil die primär darlegungsbelastete Beklagte die maßgeblichen Tatsachen aus eigener Anschauung kennt (vgl. Senatsurteil vom 20. September 2006 - VIII ZR 127/04, juris, Tz. 14 m.w.N.). Die
  239. Kläger mussten daher nicht weiter substantiiert darlegen, warum die in der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft benannten Unterlagen nicht aussagekräftig sein sollen und welche weiteren Unterlagen sie für erforderlich hielten. Die Klage hätte mithin nicht ohne Beweisaufnahme über die von der Beklagten behaupteten Bezugskostensteigerungen abgewiesen werden dürfen.
  240. - 12 -
  241. 24
  242. b) Mit Recht beanstandet die Revision ferner die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte bewege sich mit den von ihr verlangten Erhöhungen
  243. im Rahmen des ihr durch § 315 BGB eingeräumten Ermessensspielraums, weil
  244. die Preiserhöhungen im Rahmen des Marktüblichen lägen. Dabei kann offen
  245. bleiben, ob die Billigkeitskontrolle einer einseitigen Preiserhöhung nach § 315
  246. BGB auf der Basis eines Vergleichs mit den Gaspreisen anderer Versorgungsunternehmen erfolgen kann. Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an geeigneten Vergleichspreisen.
  247. 25
  248. Ein Marktpreis auf dem regionalen Gasversorgungsmarkt, den die Beklagte bedient, scheidet als Vergleichsmaßstab von vornherein aus, weil die
  249. Beklagte in dem hier maßgeblichen Zeitraum die alleinige Anbieterin leitungsgebundener Versorgung mit Erdgas war. Auch eine Beurteilung der Billigkeit
  250. der Preiserhöhung der Beklagten unter Heranziehung des Vergleichsmarktkonzeptes im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 2 Halbs. 2 GWB kommt nicht in Betracht.
  251. Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Vergleich zwischen rund 600 Gasversorgungsunternehmen im
  252. Bundesgebiet mit dem für sie ermittelten Gaspreisindex - jeweils auch im Landesdurchschnitt - im Mittelfeld der Anbieter angesiedelt ist. Denn es fehlt an
  253. Feststellungen dazu, inwiefern die in den Vergleich einbezogenen Versorgungsunternehmen mit der Beklagten und insbesondere die Räume, in denen
  254. diese ihre Leistungen anbieten, mit dem von der Beklagten versorgten Gebiet
  255. vergleichbar sind (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 48 - 51).
  256. 26
  257. c) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings ausgeführt, dass die
  258. nur für das Vertragsverhältnis zwischen der die Leistung bestimmenden und der
  259. dieser Bestimmung unterworfenen Partei geltende Regelung des § 315 BGB
  260. nicht herangezogen werden kann, um auch die auf einer vorgelagerten Stufe
  261. - 13 -
  262. der Lieferkette vereinbarten Preise einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen
  263. (BGHZ 172, 315, Tz. 27).
  264. 27
  265. Das schließt indessen nicht aus, dass jedenfalls die Weitergabe solcher
  266. Kostensteigerungen im Verhältnis zum Abnehmer als unbillig anzusehen ist, die
  267. der Versorger auch unter Berücksichtigung des ihm zuzubilligenden unternehmerischen Entscheidungsspielraums ohne die Möglichkeit einer Preiserhöhung
  268. aus betriebswirtschaftlichen Gründen vermieden hätte. Das Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AVBGasV kann nicht dazu dienen, dass das Energieversorgungsunternehmen zu beliebigen Preisen einkauft, ohne günstigere Beschaffungsalternativen zu prüfen, und im Verhältnis zu seinem Vorlieferanten Preisanpassungsklauseln und Preissteigerungen akzeptiert, die über das hinausgehen, was zur Anpassung an den Markt und die Marktentwicklung im Vorlieferantenverhältnis erforderlich ist (Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 43
  269. m.w.N.).
  270. 28
  271. Dafür, dass es sich bei den von der Beklagten geltend gemachten Bezugskostensteigerungen um im vorgenannten Sinne "unnötige" Kosten handelt,
  272. ergeben sich aber keine durchgreifenden Anhaltspunkte. Wenn sich die Beklagte, wie sie vorträgt, als kommunales Gasversorgungsunternehmen mit geringer
  273. Nachfragemacht der - branchenüblichen - Ölpreisbindung nicht entziehen konnte, scheidet die Möglichkeit eines Gasbezugs ohne eine solche Preisbindung
  274. als günstigere Beschaffungsalternative aus, sofern eine solche nach den
  275. Marktgegebenheiten überhaupt besteht. Ob die Ölpreisbindung in dem Vorlieferantenverhältnis korrekt umgesetzt worden ist, die Beklagte die von ihr geltende
  276. gemachte Preiserhöhung durch den Vorlieferanten nach den Bezugsverträgen
  277. also tatsächlich schuldete, wird im Rahmen der Beweisaufnahme über die von
  278. der Beklagten behauptete Bezugskostensteigerung zu klären sein (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008, aaO, Tz. 44).
  279. - 14 -
  280. III.
  281. 29
  282. Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
  283. ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da es weiterer tatsächlicher Feststellungen
  284. zur Erhöhung des Bezugspreises für die Beklagte und gegebenenfalls zur Entwicklung ihrer sonstigen Kosten der Gasversorgung bedarf, ist die Sache zur
  285. neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat
  286. auf Folgendes hin:
  287. 30
  288. 1. Es ist offen, ob die von der Beklagten angebotene Beweisführung ausreichen wird, um die Überzeugung des Tatrichters von einer Bezugskostensteigerung in dem von der Beklagten behaupteten Umfang zu begründen (§ 286
  289. ZPO). Sollte es im weiteren Verlauf des Rechtsstreits - beispielsweise aufgrund
  290. eines von der Beklagten angebotenen Sachverständigenbeweises - darauf ankommen, macht die Revision allerdings ohne Erfolg geltend, die Beklagte müsse im Rechtsstreit uneingeschränkt ihre gesamte Kalkulation offen legen. Das
  291. hängt vielmehr davon ab, bezüglich welcher Daten im Einzelnen ein geschütztes Interesse der Beklagten an der Geheimhaltung gegenüber dem Gericht,
  292. einem Sachverständigen, den Klägern oder der Öffentlichkeit besteht und inwiefern für die Beweisführung - auch unter Berücksichtigung der Ergebnisse der
  293. beantragten Zeugenvernehmung - gerade solche geschützten Daten einem
  294. Sachverständigen zugänglich gemacht werden müssten. Dafür bedarf es gegebenenfalls weiteren substantiierten Sachvortrags der Beklagten, bei Offenlegung welcher konkreten Geheimnisse sie welche Nachteile zu befürchten hätte.
  295. 31
  296. Unterstellt, die Beklagte müsste im Rahmen der Beweiserhebung Daten
  297. offen legen, an denen sie ein geschütztes Geheimhaltungsinteresse hat, bedürfte es sodann einer Abwägung zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, die auf einen
  298. - 15 -
  299. weitestgehenden Ausgleich gerichtet sein muss. Dabei ist zunächst eine Inanspruchnahme der prozessualen Möglichkeiten des Ausschlusses der Öffentlichkeit und der - strafbewehrten (§ 353d Nr. 2 StGB) - Verpflichtung der Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung nach § 172 Nr. 2, § 173 Abs. 2, § 174 Abs. 3
  300. Satz 1 GVG in Betracht zu ziehen (vgl. Senatsurteil vom 19. November 2008,
  301. aaO, Tz. 47 m.w.N.).
  302. Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich dem nicht entgegenhal-
  303. 32
  304. ten, die Beklagte sei nicht grundrechtsfähig, weil sie zu 100 Prozent der Stadt
  305. D.
  306. gehöre. Selbst wenn die Beklagte sich nicht auf die Grundrechte
  307. aus Art. 12 und 14 GG berufen könnte (vgl. dazu BVerfG, NJW 1990, 1783
  308. m.w.N.), bedeutete das nicht, dass ihr Interesse an der Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Sinne des § 172 Nr. 2 GVG von vornherein außer Betracht zu bleiben hätte. Denn das vorstehend dargestellte Gebot der Abwägung und des Ausgleichs zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes und dem Geheimnisschutz erfasst das rechtliche Interesse am Schutz
  309. von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen unabhängig davon, ob dieses auch
  310. verfassungsrechtlich abgesichert ist (vgl. BVerwGE 90, 96, 101 zur Berücksichtigung der Belange einer Gemeinde als Grundstückseigentümerin in der abfallrechtlichen Planfeststellung).
  311. 33
  312. Eine auf eine Bezugskostensteigerung gestützte Preiserhöhung kann allerdings unbillig sein, wenn und soweit der Anstieg durch rückläufige Kosten in
  313. anderen Bereichen ausgeglichen wird (BGHZ 172, 315, Tz. 26; Senatsurteil
  314. vom 19. November 2008, aaO, Tz. 39). Auf diesen Gesichtspunkt sind die Parteien bisher nicht eingegangen.
  315. 34
  316. 2. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass die
  317. Preiserhöhungen nicht der Billigkeit entsprechen, ist der Hilfsantrag der Beklag-
  318. - 16 -
  319. ten auf Bestimmung des zwischen den Parteien geltenden Arbeitspreises Erdgas zum 1. Oktober 2004 und 1. Oktober 2005 zu berücksichtigen.
  320. 35
  321. Eine gegebenenfalls dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofs vorbehaltene Stellungnahme zu der von den Klägern aufgeworfenen Frage eines etwaigen Preismissbrauchs der Beklagten (§ 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB) ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht veranlasst.
  322. Ball
  323. Dr. Frellesen
  324. Dr. Hessel
  325. Dr. Achilles
  326. Dr. Schneider
  327. Vorinstanzen:
  328. AG Delmenhorst, Entscheidung vom 04.08.2006 - 4A C 4063/06 (IV) LG Oldenburg, Entscheidung vom 29.11.2007 - 9 S 574/06 -