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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZR 366/02
  4. vom
  5. 1. April 2003
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 1; BGB §§ 823 Ah Abs. 1, 1004; StGB
  13. § 218 a Abs. 1
  14. Die auf Handzetteln öffentlich verbreitete Äußerung, in einer - namentlich benannten -gynäkologischen Praxis würden „rechtswidrige Abtreibungen“ durchgeführt, kann
  15. gegen den betroffenen Arzt eine nicht hinnehmbare Prangerwirkung entfalten und
  16. deshalb gerichtlich untersagt werden. Dem steht nicht entgegen, daß Schwangerschaftsabbrüche, die nach der Beratungsregelung des § 218 a Abs. 1 StGB vorgenommen werden, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig sind.
  17. BGH, Beschluß vom 1. April 2003 - VI ZR 366/02 - OLG Stuttgart
  18. LG Heilbronn
  19. -2-
  20. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. April 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen
  21. und die Richter Stöhr und Zoll
  22. beschlossen:
  23. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
  24. Stuttgart vom 18. September 2002 wird zurückgewiesen.
  25. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  26. Streitwert: 40.000
  27. Gründe:
  28. I.
  29. Der Kläger betreibt in H. eine gynäkologische Praxis. In deren unmittelbarer Nähe verteilte der Beklagte im Oktober 2001 durch Einwerfen in Briefkästen und Anheften an Fahrzeuge Handzettel. Auf deren Deckblatt hieß es:
  30. „Stoppt rechtswidrige Abtreibungen in der Praxis Dr. [es folgen Name und Anschrift des Klägers]“. Weiter hieß es auf dem Handzettel u.a.: „Wußten Sie
  31. schon, daß in ... der Praxis von Dr. ... rechtswidrige Abtreibungen durchgeführt
  32. werden?“. Das Landgericht hat den Beklagten auf die Klage des Klägers verurteilt, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen
  33. und / oder zu verbreiten, der Kläger führe in seiner Praxis rechtswidrige Abtreibungen aus. Das Oberlandesgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des
  34. -3-
  35. Beklagten zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet
  36. sich die Beschwerde des Beklagten.
  37. II.
  38. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist statthaft und
  39. in förmlicher Hinsicht nicht zu beanstanden (§ 544 Abs. 1, 2 ZPO). In der Sache
  40. hat sie keinen Erfolg, weil der Beklagte keinen Grund für die Zulassung der Revision dargelegt hat (§ 544 Abs. 2 Satz 3, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
  41. 1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1
  42. Nr. 1 ZPO). Sie wirft keine entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und
  43. klärungsfähigen Rechtsfragen auf, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung für
  44. die Allgemeinheit haben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Juli 2002 - V ZR 75/02
  45. und V ZB 16/02 - NJW 2002, 2957 und 3029, sowie vom 1. Oktober 2002
  46. - XI ZR 71/02 - NJW 2003, 65, 67). Die grundlegenden Voraussetzungen, unter
  47. denen Äußerungen im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts oder sonstiger geschützter Grundrechtspositionen eines Dritten durch
  48. gerichtliche Entscheidung untersagt werden können, sind geklärt (vgl. nur
  49. BVerfGE 97, 391; 99, 185; BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, NJW 1999, 2358
  50. und VersR 2000, 778; Senatsurteil vom 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - VersR
  51. 2000, 1162; jeweils mit weiteren Nachweisen). Neue klärungsbedürftige Fragen
  52. stellen sich im Streitfall nicht. Insoweit ist auch eine Zulassung der Revision zur
  53. Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) nicht angezeigt.
  54. 2. Die Revision ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Dabei kann dahinstehen, unter wel-
  55. -4-
  56. chen Voraussetzungen dieser Revisionsgrund bei Fehlern des Tatrichters im
  57. Rahmen der Abwägung zwischen den Grundrechten der Parteien aus Art. 2
  58. Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gegeben
  59. sein kann. Die Einschränkung, die die Äußerungsfreiheit des Beklagten durch
  60. die vom Berufungsgericht bestätigte Verurteilung erfährt, ist zumindest im Ergebnis hinnehmbar. Ein Einschreiten des Revisionsgerichts ist daher nicht erforderlich.
  61. Der Nichtzulassungsbeschwerde ist zuzugeben, daß unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 88, 203)
  62. die in der Praxis des Klägers durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche, soweit sie unter den Voraussetzungen des § 218 a Abs. 1 StGB erfolgen, nicht als
  63. rechtmäßig angesehen werden können und deshalb rechtswidrig sind (vgl. auch
  64. Senatsurteil vom 19. Februar 2002 - VI ZR 190/01 - VersR 2002, 767, 768; ferner Senatsurteil BGHZ 129, 178, 182 ff. zu § 218 a Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 StGB
  65. a.F.). In der beanstandeten Äußerung des Beklagten wird der erforderliche Bezug zu dieser Rechtsprechung jedoch nicht hergestellt. Die außerkontextuelle
  66. Verwendung des Wortes „rechtswidrig“ ist deshalb am allgemeinen Sprachgebrauch zu messen. Das Berufungsgericht meint, daß der durchschnittliche
  67. Adressat die Äußerung als Hinweis auf verbotene Schwangerschaftsabbrüche
  68. im Sinne strafbarer Handlungen verstehe. Ob dieses Verständnis zwingend ist,
  69. kann dahinstehen.
  70. Jedenfalls hat der Beklagte den durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geprägten Begriff der Rechtswidrigkeit, der im Rahmen der
  71. in § 218 a Abs. 1 StGB geregelten Beratungslösung ein legales, strafloses
  72. Handeln des Arztes nicht ausschließt, in einer Weise verwendet, die ersichtlich
  73. eine Prangerwirkung gegen den als Einzelperson genannten Arzt erzeugt hat
  74. und auch erzeugen sollte. Darin liegt im vorliegenden Fall eine Verletzung des
  75. -5-
  76. Persönlichkeitsrechts des Klägers, die so schwer wiegt, daß das Grundrecht
  77. des Beklagten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zurücktreten muß (zur Bedeutung
  78. einer Prangerwirkung bei Abwägung der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG vgl. etwa BVerfGE
  79. 97, 391, 406; BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, NJW 1999, 2358, 2359; Senatsurteile vom 12. Oktober 1993 - VI ZR 23/93 - VersR 1994, 57, 58 f. und
  80. vom 12. Juli 1994 - VI ZR 1/94 - VersR 1994, 1116, 1117 f.).
  81. III.
  82. Die Beschwerde ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
  83. Müller
  84. Wellner
  85. Stöhr
  86. Diederichsen
  87. Zoll