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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. VI ZR 239/11
  5. Verkündet am:
  6. 3. Juli 2012
  7. Holmes
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. - 2 -
  13. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 3. Juli 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und
  15. Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr
  16. für Recht erkannt:
  17. Die Revision gegen das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 7. Juli 2011 wird auf Kosten der Beklagten
  18. zurückgewiesen.
  19. Von Rechts wegen
  20. Tatbestand:
  21. 1
  22. Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen einer Kapitalanlage.
  23. 2
  24. Nach Eingang der Klage am 19. August 2009 hat der Vorsitzende der mit
  25. der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts durch Verfügung vom
  26. 16. September 2009 das schriftliche Vorverfahren angeordnet. Er hat der Beklagten mitgeteilt, dass ihr eine Notfrist von zwei Wochen zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gesetzt werde und sie innerhalb von zwei Wochen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen
  27. Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und
  28. die Klageschrift sind der Beklagten am 8. Januar 2010 nach Maßgabe des
  29. - 3 -
  30. Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 15. November
  31. 1965 (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden HZÜ) zugestellt worden.
  32. Nach Ablauf der Frist zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft hat die Kammer des Landgerichts die Sache auf den Einzelrichter übertragen. Mit Versäumnisurteil vom 13. April 2010 ist die Beklagte antragsgemäß verurteilt und
  33. die Einspruchsfrist auf drei Wochen festgesetzt worden. Das Urteil ist nach dem
  34. Vermerk der Urkundsbeamtin am 15. April 2010 unter der Anschrift der Beklagten zur Post aufgegeben worden. Auf Antrag des Klägers ist das Versäumnisurteil am 29. November 2010 der Beklagten erneut förmlich auf diplomatischem
  35. Weg zugestellt worden. Am 17. Dezember 2010 hat die Beklagte Einspruch
  36. dagegen eingelegt. Mit Urteil vom 11. Januar 2011 hat das Landgericht den
  37. Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und das
  38. Urteil des Landgerichts vom 11. Januar 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit
  39. an das Landgericht zurückzuverweisen.
  40. Entscheidungsgründe:
  41. I.
  42. 3
  43. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO
  44. als unzulässig verworfen. Die im Versäumnisurteil gemäß § 339 Abs. 2 Alt. 1
  45. ZPO festgesetzte Rechtsbehelfsfrist von drei Wochen sei bei Eingang des Einspruchs am 17. Dezember 2010 bereits verstrichen gewesen. Nach § 184
  46. Abs. 2 Satz 1 ZPO gelte das Versäumnisurteil am 29. April 2010, nämlich zwei
  47. - 4 -
  48. Wochen nach der am 15. April 2010 erfolgten Aufgabe zur Post, als zugestellt.
  49. Die auf drei Wochen festgesetzte Einspruchsfrist sei am 20. Mai 2010 abgelaufen. Die Regelungen in § 184 ZPO seien weder verfassungswidrig noch verletze ihre Anwendung das HZÜ. Die Beklagte habe nach Zustellung der Klage
  50. unter Hinweis auf die Regelungen in § 184 ZPO mit Zustellungen im Inland
  51. durch Aufgabe zur Post im weiteren Verfahren rechnen müssen. Sie hätte eine
  52. rechtzeitige Kenntnisnahme von beschwerenden Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherstellen können.
  53. 4
  54. Die Anordnung nach § 184 ZPO verlange nicht zwingend die Form eines
  55. Gerichtsbeschlusses. Es genüge die Anordnung des Vorsitzenden. Das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206), durch das § 184 ZPO
  56. an die Stelle des § 174 Abs. 1 ZPO a.F. getreten ist, habe lediglich die in § 20
  57. Nr. 7 RPflG vorgesehene Zuständigkeitsübertragung auf den Rechtspfleger
  58. aufgehoben; ein Wille des Gesetzgebers, den gesamten Spruchkörper mit der
  59. Entscheidung zu befassen, lasse die Gesetzesbegründung hingegen nicht erkennen. Da der Vorsitzende auch sonst Zustellungen alleine anordne, sei nicht
  60. ersichtlich, warum gerade in Fällen des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Spruchkörper entscheiden müsse. Die getroffene Anordnung könnte zwar fehlerhaft
  61. sein, weil sie keine Begründung enthalte, die eine Ermessensausübung erkennen lasse. Der Fehler wiege aber nicht so schwer, dass er die Anordnung nichtig mache.
  62. 5
  63. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 13. April 2010, dem Vermerk
  64. des Justizwachtmeisters vom 15. April 2010 und der nachgeholten schriftlichen
  65. Bestätigung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 21. März 2011 ergebe sich, dass das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 13. April 2010
  66. zwecks Übersendung an die Beklagte am 15. April 2010 zur Post gegeben worden sei. Der unter dem Datum des 21. März 2011 nachgeholte Vermerk nach
  67. - 5 -
  68. § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO heile den zunächst bestehenden Mangel der Beurkundung, der von der Beklagten gerügt worden sei. Dass die Urkundsbeamtin
  69. der Geschäftsstelle den Vermerk erst nach Einlegung der Berufung auf Veranlassung des Berufungsgerichts niedergelegt habe, mache die Beurkundung
  70. nicht unwirksam. Erkenntnisgrundlage für die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle sei der entsprechende Aktenvermerk des Leiters der Wachtmeisterei über
  71. die Übergabe des Schriftstückes an das zuständige Postunternehmen. Der Urkundsbeamte müsse das Schriftstück nicht selbst der Post übergeben. Er dürfe
  72. sich angesichts des Massengeschäfts der Zustellung durch Aufgabe zur Post
  73. auf die Erklärung des zuständigen Justizwachtmeisters über die Übergabe zur
  74. Post in Form eines Aktenvermerks genauso verlassen wie auf eigene Wahrnehmungen.
  75. 6
  76. Die auf Antrag des Klägers erfolgte nochmalige Zustellung des Versäumnisurteils am 29. November 2010 habe die bereits verstrichene Einspruchsfrist nicht erneut in Lauf setzen können. Durch eine wiederholte Zustellung könne ein bereits rechtskräftiges Urteil seine formelle Rechtskraft nicht
  77. verlieren. Daran ändere die Rechtsmittelbelehrung nichts, mit der das Versäumnisurteil auch bei seiner erneuten Zustellung versehen gewesen sei. Die
  78. von einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung eventuell betroffenen Rechte
  79. der Verurteilten könnten durch Anwendung der Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausreichend gewahrt werden.
  80. 7
  81. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht,
  82. weil bei der Frage des Verschuldens zu berücksichtigen sei, dass die Beklagte
  83. aufgrund der Zustellung der Klageschrift und der Anordnung zur Benennung
  84. eines Zustellungsbevollmächtigten von zukünftig bevorstehenden Zustellungen
  85. Kenntnis gehabt habe.
  86. - 6 -
  87. 8
  88. Der unzulässige Einspruch nach § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei ohne
  89. Sachprüfung und ohne Prüfung des ordnungsgemäßen Zustandekommens des
  90. mit dem Einspruch angefochtenen Versäumnisurteils zu verwerfen. Auf die von
  91. der Beklagten erhobene Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit
  92. komme es nicht weiter an.
  93. II.
  94. 9
  95. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
  96. 10
  97. 1. Das Landgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das
  98. Versäumnisurteil gemäß § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob
  99. der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsgemäßen Form und Frist
  100. eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat,
  101. musste der Einspruch gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und
  102. ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2007 - II ZB 4/06,
  103. NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 ff.; Saenger/Pukall, ZPO, 4. Aufl., § 341 Rn. 1). Entgegen der Auffassung der Revision schmälert der beschränkte Prüfungsumfang
  104. nicht den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör und auf wirkungsvollen
  105. Rechtsschutz in rechtswidriger Weise (vgl. zur Einspruchsfrist in Verfahren vor
  106. dem Arbeitsgericht BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 1974 - 2 BvL 9/73,
  107. BVerfGE 36, 298, 301 ff.). Er beruht auf dem die rechtliche Ausgestaltung des
  108. Versäumnisverfahrens prägenden Gedanken, im Interesse der Prozessbeschleunigung eine - auch durch ein fehlerhaftes - Versäumnisurteil gewarnte
  109. Partei zu besonders sorgfältiger Prozessführung anzuhalten. Der Anspruch auf
  110. rechtliches Gehör der Partei, gegen die ein Versäumnisurteil ergangen ist, ist im
  111. Interesse an einem zügigen Verfahrensfortgang auf den fristgebundenen Ein-
  112. - 7 -
  113. spruch beschränkt. Wegen der Verletzung der prozessualen Mitwirkungspflichten sind der säumigen Partei die Rechtsnachteile durch ein vorläufig vollstreckbares Versäumnisurteil zuzumuten (vgl. Saenger/Pukall, ZPO, 4. Aufl., vor
  114. § 330 Rn. 1). Sie unterliegt im Einspruchsverfahren einer verschärften Prozessförderungspflicht (vgl. Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 340 Rn. 6). Der
  115. fristgemäße Einspruch genügt dem Anspruch auf rechtliches Gehör des Säumigen, denn er versetzt den Prozess in die Lage, in der er sich vor Eintritt der
  116. Säumnis befand (§ 342 ZPO).
  117. 11
  118. Die mit dem Einspruchsverfahren verbundenen allgemeinen Erschwernisse für die Inanspruchnahme des rechtlichen Gehörs, die sich aus der Einhaltung der Einspruchsfrist ergeben, treffen die im Ausland ansässige Partei - wie
  119. die Beklagte - grundsätzlich nicht schärfer als die im Inland ansässige Partei.
  120. Auch die inländische Partei ist an die Einspruchsfrist gebunden und kann bei
  121. Verfristung des Einspruchs nicht mehr geltend machen, ihr sei die Ladung zur
  122. mündlichen Verhandlung oder ein anderes das Verfahren betreffende Schriftstück nicht oder nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Ist - wie hier - die
  123. Klageschrift als verfahrenseinleitendes Schriftstück der beklagten Partei ordnungsgemäß zugestellt und die in § 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgesehene Belehrung erteilt worden, erfordert die Situation der im Ausland ansässigen Beklagten keinen weitergehenden Rechtsschutz. Das mit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks entstehende Prozessrechtsverhältnis begründet eine Prozessförderungspflicht auch des Prozessgegners, die es im Interesse der klagenden Partei an einem effektiven Rechtsschutz rechtfertigt, der im
  124. Ausland ansässigen Partei aufzuerlegen, eine inländische Zustellungsmöglichkeit zu schaffen. Die Wirksamkeit der Verpflichtung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, hängt allerdings von der wirksamen Zustellung des
  125. verfahrenseinleitenden Schriftstücks ab (vgl. Senatsurteil vom 10. November
  126. 1998 - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 511; OLG Stuttgart, Urteil vom 26. Sep-
  127. - 8 -
  128. tember 2011 - 5 U 166/10, juris Rn. 31; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 183
  129. Rn. 81). Im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes wird durch eine Inlandszustellung durch Aufgabe zur Post der Verfahrensverzögerung infolge den Verfahrensgang hemmender Zustellungen im Ausland entgegengesteuert. Aufgrund des Hinweises auf die Folgen der Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist der Adressat, dem Schriftstücke gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2
  130. ZPO durch Aufgabe zur Post zugestellt werden, hinreichend über die rechtlichen Folgen unterrichtet. Bei einem verspäteten Einspruch bedarf es danach
  131. auch unter Berücksichtigung des Anspruchs der im Ausland ansässigen Partei
  132. auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör keines über § 341 Abs. 1
  133. ZPO hinausgehenden Prüfungsumfangs. Dem gemäß § 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO
  134. belehrten Adressaten im Ausland bleibt es unbenommen, mit Hilfe des Antrags
  135. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei einer unverschuldeten Versäumnis der Einspruchsfrist, seine Rechte zu wahren.
  136. 12
  137. 2. Die Regelung des § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO, die eine Zustellung durch
  138. Aufgabe zur Post unter der Anschrift des außerhalb des Bundesgebiets und
  139. außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des
  140. Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur
  141. Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. 2007 L 327, S. 79; im
  142. Folgenden: EuZVO) ansässigen Zustellungsadressaten erlaubt, ist im Streitfall
  143. weder durch völkerrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen noch verletzt sie
  144. Verfahrensgrundrechte der Beklagten oder verstößt sie gegen Art. 6 Abs. 1
  145. EMRK.
  146. 13
  147. a) Die Beklagte ist in der Türkei und damit im Ausland außerhalb des
  148. Anwendungsbereichs der EuZVO (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuZVO) ansässig. Die in
  149. - 9 -
  150. § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgesehene Zustellung durch Aufgabe zur Post ist
  151. deshalb nicht durch die vorrangigen Regelungen der EuZVO (vgl. § 183 Abs. 5
  152. Satz 1 ZPO) ausgeschlossen. Der nationale Gesetzgeber hat ausdrücklich nur
  153. die von den europäischen Zustellungsvorschriften erfassten grenzüberschreitenden Zustellungen nicht in die zur Durchführung von Auslandszustellungen
  154. aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen getroffenen Regelungen des § 183
  155. ZPO integriert (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2011 - VIII ZR 190/10, BGHZ
  156. 188, 164 Rn. 17 ff. mwN). Die von der Revision in den Blick genommene Anwendung über den Wortlaut hinaus widerspräche dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass der Ausnahmecharakter einer Regelung einer vom Wortlaut
  157. nicht mehr gedeckten Anwendung widerspricht.
  158. 14
  159. b) Die Regelung des § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO verletzt weder den Anspruch der ausländischen Partei auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
  160. noch ihr Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem
  161. Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG). Den berechtigten Interessen beider
  162. Parteien eines Rechtsstreits auf effektiven Rechtsschutz wird im Einzelfall hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Zustellung durch Aufgabe zur
  163. Post nicht obligatorisch, sondern aufgrund einer im pflichtgemäßen Ermessen
  164. des Gerichts stehenden Anordnung erfolgt. Die nach § 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO
  165. bestehende Pflicht, über die Zustellungsfiktion zu belehren, stellt außerdem sicher, dass die im Ausland ansässige Partei sich der ihr drohenden Rechtsnachteile bewusst wird und diese dem Hinweis folgend durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten vermeiden kann.
  166. 15
  167. c) Auch Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt der Beklagten keine weitergehende
  168. Rechtsposition. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat es für
  169. Ausländer als zumutbar erachtet, Anstrengungen zu unternehmen, um sich
  170. über den Inhalt ihnen zugestellter amtlicher Schriftstücke Gewissheit zu ver-
  171. - 10 -
  172. schaffen. Dementsprechend muss ein im Ausland lebender Rechtsmittelführer
  173. selbst für die Einhaltung der Einlegungs- und Begründungsfristen sorgen. Ganz
  174. allgemein gilt, dass die prozessrechtliche Ausgestaltung des Fair-trial-Grundsatzes weitgehend den einzelnen Vertragsstaaten überlassen bleibt. Hierbei
  175. bestehen weite Gestaltungsspielräume (vgl. Senatsurteil vom 10. November
  176. 1998 - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 513 f. mwN). Allerdings sind auch sogenannte versteckte Diskriminierungen verboten, nämlich Regelungen, die die
  177. benachteiligende Rechtswirkung zwar nicht ausdrücklich an die Ausländereigenschaft anknüpfen, deren Voraussetzungen jedoch typischerweise nur bei
  178. Ausländern gegeben sind. Eine offene oder versteckte Diskriminierung enthält
  179. § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht. Eine solche scheidet schon deshalb aus, weil
  180. die Obliegenheit zur Bestellung von Zustellungsbevollmächtigten unter den
  181. Voraussetzungen von § 184 Abs. 1 ZPO auch Inländer trifft (siehe auch Roth,
  182. IPRax 1990, 90, 93). Abgesehen davon kann nur dann eine Diskriminierung
  183. vorliegen, wenn die vorgenommene Differenzierung nicht sachlichen Unterschieden des zu regelnden Sachverhalts Rechnung trägt (EuGH, Urteil vom
  184. 10. Februar 1994 - Rs. C - 398/92, NJW 1994, 1271 f.). Denn Art. 6 Abs. 1
  185. EMRK ist eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, wonach Gleiches gleich,
  186. Ungleiches seiner Eigenart nach verschieden zu behandeln ist. Die in § 184
  187. Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anknüpfung der Pflicht zur Benennung eines
  188. Zustellungsbevollmächtigten an den Umstand, dass keine inländische Zustellungsmöglichkeit besteht, trägt einem sachlichen Unterschied Rechnung. Dieser
  189. besteht in der Gefahr der ständigen Verzögerung eines Verfahrens, an dem
  190. eine im Ausland ansässige Partei beteiligt ist, wenn für jede gerichtliche Zustellung im Laufe des Verfahrens der gegenüber dem innerstaatlichen Zustellungsverfahren umständliche und langwierige Weg der internationalen Rechtshilfe
  191. beschritten werden muss (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Februar 1999 - VIII ZB
  192. 35/98, NJW 1999, 1871, 1872).
  193. - 11 -
  194. 16
  195. d) Die Zustellung gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstößt auch nicht
  196. gegen völkerrechtliche Vereinbarungen, die mit der Türkei hinsichtlich der Zustellung von Schriftstücken bestehen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom
  197. 28. April 2011 - 5 U 26/11, BeckRS 2011, 26882; OLG Hamm, Urteile vom
  198. 10. August 2011 - I-8 U 3/11, juris Rn. 20 ff. und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62,
  199. 63). Die Zustellung durch Aufgabe zur Post ist keine Auslandszustellung, sondern eine fingierte Form der Zustellung im Inland (vgl. Senatsurteil vom
  200. 10. November 1998 - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 511; Senatsbeschluss
  201. vom 13. November 2001 - VI ZB 9/01, VersR 2003, 345, 346; BGH, Urteil vom
  202. 2. Februar 2011 - VIII ZR 190/10, BGHZ 188, 164 Rn. 10; OLG Stuttgart, Urteil
  203. vom 26. September 2011 - 5 U 166/10, juris Rn. 55; Heiderhoff, EuZW 2006,
  204. 235, 236; a.A. Häublein in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 184
  205. Rn. 2). Das HZÜ steht der Anwendbarkeit des § 184 ZPO danach schon deshalb nicht entgegen, weil dort nur die Modalitäten einer Auslandszustellung geregelt sind (vgl. Art. 1 Abs. 1 HZÜ), nicht aber die Frage, ob überhaupt eine
  206. förmliche Zustellung im Ausland vorzunehmen ist. Letzteres ist vielmehr durch
  207. das nationale Recht autonom zu beantworten (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1998 - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 511).
  208. 17
  209. 3. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen
  210. Zivilkammer des Landgerichts für wirksam erachtet. Dass die Anordnung nach
  211. § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom Vorsitzenden alleine und nicht vom entsprechenden Spruchkörper getroffen worden ist, berührt jedenfalls nicht deren Wirksamkeit.
  212. 18
  213. a) Die Frage der Kompetenz für die Anordnung ist in Rechtsprechung
  214. und Literatur umstritten. Einigkeit besteht zunächst insoweit, dass in originären
  215. Einzelrichtersachen (§ 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO) die Anordnung nach § 184
  216. - 12 -
  217. Abs. 1 Satz 1 ZPO der Einzelrichter trifft, der als Prozessgericht vollständig an
  218. die Stelle des Kollegiums tritt (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 28. April 2011
  219. - 5 U 26/11, BeckRS 2011, 26882; OLG Hamm, Urteil vom 10. August 2011
  220. - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Ist für den Rechtsstreit ein Kollegialgericht
  221. zuständig, sieht eine Auffassung die Anordnung durch den für Verfahren und
  222. Entscheidung zuständigen Spruchkörper als Wirksamkeitsvoraussetzung an
  223. (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16. März 2009 - 14 W 27/09,
  224. NJW-RR 2010, 285; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl.,
  225. § 184 Rn. 8; Saenger/Eichele, ZPO, 4. Aufl., § 184 Rn. 2; Zimmermann, ZPO,
  226. 9. Aufl., § 184 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 184 Rn. 3). Die Gegenauffassung hält auch dann den Vorsitzenden für zuständig (Hüßtege in Thomas/
  227. Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 184 Rn. 3; MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 184
  228. Rn. 7; Rohe in Wieczorek/Schütze, 3. Aufl., § 184 Rn. 43; Roth in Stein/Jonas,
  229. ZPO, 22. Aufl., § 184 Rn. 5; Kessen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 184
  230. Rn. 2), zumindest sei die von ihm allein getroffene Anordnung wirksam (OLG
  231. Köln, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 18 U 55/10, MDR 2011, 1068, 1069). Die
  232. zuletzt genannte Auffassung trifft zu.
  233. 19
  234. aa) Zwar erfolgt nach dem Wortlaut des § 183 Abs. 1 Satz 2 ZPO die
  235. Auslandszustellung auf Ersuchen des "Vorsitzenden des Prozessgerichts", wohingegen § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, dem "Gericht" überträgt. Hieraus folgt jedoch noch
  236. nicht zwingend, dass in letzterem Fall nur ein vom zuständigen Spruchkörper
  237. gefasster Beschluss die Zustellung wirksam anordnet. Beide Regelungen gehen auf Vorschriften zurück, die früher nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang standen. So geht die Formulierung des geltenden § 183 Abs. 1 Satz 2
  238. ZPO, wonach der "Vorsitzende des Prozessgerichts" handelt, auf § 183 Abs. 1
  239. Nr. 2 ZPO in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001
  240. zurück. Die dortige Formulierung entspricht inhaltlich § 199 ZPO in seiner bis
  241. - 13 -
  242. zum Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes geltenden Fassung (vgl. BTDrucks. 14/4554, S. 23). Nach dieser Vorschrift erfolgte eine im Ausland zu bewirkende Zustellung mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden
  243. Staates oder des in diesem Staat residierenden Konsuls oder Gesandten des
  244. Bundes; dass der "Vorsitzende des Prozessgerichts" das Ersuchen verfasst,
  245. war damals also noch nicht ausdrücklich geregelt.
  246. 20
  247. Was die Zuständigkeit des "Gerichts" in § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die
  248. Anordnung der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten betrifft, orientierte sich der Gesetzgeber an § 174 ZPO in der bis zum Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes geltenden Fassung. In dieser Vorschrift, die weitgehend
  249. auf der Regelung des § 160 ZPO in der Fassung vom 30. Januar 1877 (RGBl.
  250. 1877, S. 83) beruhte, war von einer Zuständigkeit des "Gerichts" die Rede. Allein der Wortlaut des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach das „Gericht“ anordnen
  251. kann, dass die im Ausland ansässige Partei einen Zustellungsbevollmächtigten
  252. zu benennen hat, steht mithin noch nicht der Wirksamkeit der Anordnung des
  253. Vorsitzenden entgegen.
  254. 21
  255. bb) Dass unter dem vom Gesetzeswortlaut vorgegebenen Begriff "Gericht" nicht immer alle Mitglieder eines Spruchkörpers zu verstehen sind, sondern auch eine Wahrnehmung der Aufgabe durch den Vorsitzenden gemeint
  256. sein kann, ergibt sich aus den Regelungen zur Zuständigkeit der für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu treffenden Maßnahmen nach § 273
  257. ZPO. Nach § 273 Abs. 1 ZPO veranlasst diese das "Gericht". Aus § 273 Abs. 2
  258. ZPO folgt aber, dass der "Vorsitzende oder ein von ihm bestimmtes Mitglied
  259. des Prozessgerichts" die Maßnahmen ergreift. Typischerweise ist der Vorsitzende für die die mündliche Verhandlung vorbereitenden Maßnahmen zuständig. Dazu passt nicht, dass die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten
  260. zu bestellen, die häufig in die vorbereitende Phase des Prozesses fallen wird,
  261. - 14 -
  262. ausschließlich in die funktionelle Zuständigkeit des Spruchkörpers fallen soll.
  263. Für eine ausschließliche Zuständigkeit des Spruchkörpers spricht auch nicht
  264. entscheidend, dass das Zustellungsrecht für bestimmte Aufgaben die Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorsitzendem und Spruchkörper ausdrücklich regelt. So weist § 168 Abs. 2 ZPO die Befugnis, einen Gerichtsvollzieher oder
  265. eine andere Behörde mit einer Zustellung zu beauftragen, ausdrücklich dem
  266. "Vorsitzenden des Prozessgerichts oder einem von ihm bestimmten Mitglied"
  267. zu. Andere Normen regeln die funktionelle Zuständigkeit wiederum nicht ausdrücklich. Beispielsweise sieht § 166 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit vor, dass das
  268. "Gericht" die Zustellung solcher Dokumente anordnet, deren Zustellung nicht
  269. von Gesetzes wegen erforderlich ist. § 270 Satz 1 ZPO schreibt die formlose
  270. Mitteilung von Schriftsätzen, die keine Sachanträge enthalten, vor, wenn nicht
  271. das „Gericht“ die Zustellung anordnet. In den beiden letztgenannten Fällen entscheidet aber regelmäßig der Vorsitzende durch eine Verfügung (vgl. Roth in
  272. Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 166 Rn. 4; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO,
  273. 3. Aufl., § 166 Rn. 52).
  274. 22
  275. cc) Der Gesetzgeber des am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206) hat sich mit der hier in Rede stehenden Frage der funktionellen Zuständigkeit des Vorsitzenden oder aller
  276. Mitglieder des Prozessgerichts nicht befasst. Er hat die in § 20 Nr. 7 RPflG a.F.
  277. vorgesehene Übertragung der Aufgabe auf den Rechtspfleger gestrichen, weil
  278. die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (für im Inland
  279. ansässige Parteien) entfallen sei, und die Zuständigkeit des Gerichts für die
  280. - bei im Ausland ansässigen Parteien nunmehr im Ermessen stehende - Entscheidung, ob die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten angeordnet
  281. wird, begründet (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 27). Im Hinblick auf das Schweigen der Gesetzesbegründung zur Frage der funktionellen Zuständigkeit spricht
  282. viel dafür, dass sich der Gesetzgeber damit nicht auseinandergesetzt hat, wer
  283. - 15 -
  284. in funktioneller Hinsicht anstelle des bisher zuständigen Rechtspflegers die in
  285. § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anordnung treffen soll und ob dies auch
  286. durch eine Verfügung geschehen kann (vgl. OLG Köln, Urteil vom
  287. 16. Dezember 2010 - 18 U 55/10, MDR 2011, 1068, 1069).
  288. 23
  289. Nach den vorstehenden Ausführungen ist rechtlich nicht zu beanstanden,
  290. dass die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch
  291. den Vorsitzenden getroffen worden ist. Im Übrigen wäre die Verletzung der
  292. funktionellen Zuständigkeit kein so schwerwiegender Fehler, dass dadurch die
  293. Zustellung der Klageschrift und die Anordnung der Zustellung durch Aufgabe
  294. zur Post gegenüber der Beklagten unwirksam würden.
  295. 24
  296. dd) Zwar sind an die Einhaltung der Vorschriften über das Zustellungsverfahren insbesondere im Hinblick auf die von § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgelöste Fiktion und die Bedeutung, die der Zustellung für den Beginn der
  297. Rechtsmittelfristen zukommt, strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Senatsurteil vom 10. November 1998 - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 512; BGH, Urteil
  298. vom 8. März 1979 - IX ZR 92/74, BGHZ 73, 388, 390). Wird eine Vorschrift über
  299. das Verfahren bei Zustellungen verletzt, ist die Zustellung dennoch nur dann
  300. unwirksam, wenn der Zweck der verletzten Verfahrensvorschrift dies erfordert.
  301. Bei Verletzung der hier in Rede stehenden funktionellen Zuständigkeit innerhalb
  302. des Spruchkörpers ist dies nicht der Fall.
  303. 25
  304. Die Vorschriften über die Zustellung gewährleisten den Anspruch des
  305. Zustellungsadressaten auf rechtliches Gehör, indem sie sicherstellen, dass der
  306. Betroffene Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument nehmen und seine
  307. Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darauf einrichten kann (vgl. BVerfG,
  308. Beschluss vom 11. Juli 1984 - 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211). Wird die
  309. Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, von einem funk-
  310. - 16 -
  311. tionell nicht zuständigen Richter getroffen, wird dadurch die Möglichkeit des
  312. Zustellungsadressaten, von Dokumenten, die den Rechtsstreit betreffen,
  313. Kenntnis zu erlangen und rechtliches Gehör in Anspruch zu nehmen, in keiner
  314. Weise erschwert. Auch nach Anordnung durch den Vorsitzenden des Gerichts
  315. erhält der Zustellungsadressat das verfahrenseinleitende Schriftstück, die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, und die Belehrung
  316. über die Möglichkeit der Zustellung durch Aufgabe zur Post für den Fall, dass
  317. kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird. Er wird unabhängig davon, wer
  318. die Anordnung getroffen hat, jedenfalls über den Inhalt des Rechtsstreits informiert. Ihm wird verdeutlicht, dass er durch Bestellung eines Prozessbevollmächtigten oder durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten die Möglichkeit der Kenntnisnahme von weiteren den Rechtsstreit betreffenden Dokumenten zuverlässig sicherstellen soll und zur Wahrung seiner Rechte tätig werden muss. Die fehlende funktionelle Zuständigkeit des anordnenden Richters
  319. beeinträchtigt die prozessuale Rechtsposition der im Ausland ansässigen Partei
  320. mithin in keiner Weise. Sie berührt deshalb auch nicht die Wirksamkeit der Anordnung.
  321. 26
  322. b) Die Anordnung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht mit
  323. Gründen versehen worden ist. Allein der Mangel der Begründung führt nicht zur
  324. Nichtigkeit der Anordnung, zumal diese unanfechtbar ist (MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 184 Rn. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 184
  325. Rn. 5). Aus dem zulässigen Unterlassen einer Begründung kann auch nicht auf
  326. einen Ermessensfehler des im Übrigen nicht an die Anregung der Partei gebundenen Richters geschlossen werden.
  327. 27
  328. 4. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass das Versäumnisurteil gemäß § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO als am 29. April 2010 zugestellt
  329. gilt.
  330. - 17 -
  331. 28
  332. Die für den Eintritt der Zustellungsfiktion erforderliche Aufgabe zur Post
  333. unter der Anschrift der Partei ist durch den Zustellungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bewiesen. Der Zustellungsvermerk nach § 184 Abs. 2
  334. Satz 4 ZPO, in dem die Zeit und die Anschrift, unter der das Schriftstück zur
  335. Post gegeben wurde, zu vermerken ist, ersetzt die Zustellungsurkunde gemäß
  336. § 182 ZPO (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2001 - V ZB 20/01, VersR 2003,
  337. 345). Ebenso wie die Zustellungsurkunde (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 15) ist
  338. der Vermerk aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Zustellung, sondern
  339. dient lediglich deren Nachweis (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 26. September
  340. 2011 - 5 U 166/10, juris Rn. 54; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl.,
  341. § 184 Rn. 45; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 184 Rn. 17; Zöller/Stöber,
  342. ZPO, 29. Aufl., § 184 Rn. 9). Der Urkundsbeamte muss das Schriftstück nicht
  343. selbst zur Post aufgeben; es reicht aus, wenn er aufgrund einer Erklärung des
  344. Justizwachtmeisters oder eines sonstigen Gehilfen, der das Schriftstück zur
  345. Post aufgegeben hat, das Datum der Aufgabe und die Anschrift des Empfängers des Schriftstücks beurkundet (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1953
  346. - IV ZR 180/52, BGHZ 8, 314, 315; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl.,
  347. § 184 Rn. 47; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 184 Rn. 18). Er darf den
  348. Vermerk nachträglich anfertigen, sofern er die Verantwortung für die Richtigkeit
  349. übernimmt. Unerheblich ist, ob zwischenzeitlich ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, dessen Erfolg durch den Vermerk berührt wird (vgl. BGH, Beschlüsse
  350. vom 14. Oktober 1982 - III ZB 23/82, VersR 1983, 60; vom 24. Juli 2000 - II ZB
  351. 20/99, VersR 2001, 1050; MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 184 Rn. 14;
  352. Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 184 Rn. 49; Roth in Stein/Jonas,
  353. ZPO, 22. Aufl., § 184 Rn. 18; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 184 Rn. 12). Auch
  354. der Ablauf einer Fünf-Monatsfrist setzt der Nachholung entgegen der Auffassung der Revision keine zeitliche Grenze (vgl. zu Unterschriftsnachholung des
  355. Richters: BGH, Urteil vom 27. Januar 2006 - V ZR 243/04, NJW 2006, 1861).
  356. - 18 -
  357. Der Fall der Anfertigung eines Vermerks, für dessen Inhalt sich der Urkundsbeamte auf aktenmäßig niedergelegte tatsächliche Umstände stützt, ist nicht vergleichbar mit dem durch die richterliche Unterschrift gedeckten Inhalt von Urteilsgründen.
  358. 29
  359. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall die Tatsache der Aufgabe zur
  360. Post, an welche die Zustellungsfiktion geknüpft ist, durch den nachgeholten
  361. Vermerk der Urkundsbeamtin erwiesen. Die Nachholung der Beurkundung der
  362. Zustellung durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ist unter den gegebenen Umständen rechtlich unbedenklich. Diese hat durch schriftliche Verfügung
  363. vom 13. April 2010 die vollstreckbare Ausfertigung des Urteils an den/die Leiter/in der Wachtmeisterei zum Zwecke der Zustellung durch Aufgabe zur Post
  364. zugeleitet. Der beauftragte Justizwachtmeister hat am 15. April 2010 die Sendung bei dem zuständigen Postunternehmen zum Zwecke der Zustellung aufgegeben und diesen Umstand in einem schriftlichen Vermerk vom gleichen Tag
  365. bestätigt. Er hat allerdings irrigerweise an Stelle der hierfür zuständigen Urkundsbeamtin auch den Beurkundungsvermerk vom 15. April 2010 unterzeichnet. Auf der Grundlage der aktenmäßigen Niederlegung des Gangs der Zustellung konnte die Urkundsbeamtin den Beurkundungsvermerk am 21. März 2011
  366. nachholen. Mit der Beurkundung hat die Urkundsbeamtin die Verantwortung für
  367. die Erklärung übernommen, dass eine Ausfertigung des Versäumnisurteils am
  368. 15. April 2010 unter der Anschrift der Beklagten zur Post aufgegeben worden
  369. ist. Ein grundsätzlich möglicher Gegenbeweis (vgl. § 182 Abs. 1 Satz 2, § 418
  370. Abs. 2 ZPO) ist nicht geführt worden.
  371. 30
  372. 5. Die erneute förmliche Zustellung am 29. November 2010 vermag die
  373. bereits im Mai 2010 eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu
  374. durchbrechen. Eine erneute Zustellung und eine fehlerhafte Belehrung über
  375. eine nicht bestehende Möglichkeit eines Rechtsbehelfs setzen eine Frist nicht
  376. - 19 -
  377. nochmals in Lauf (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2005 - IX ZB 147/01,
  378. NJW-RR 2006, 563, 564; vom 20. November 2006 - NotZ 35/06, juris Rn. 7;
  379. Urteil vom 15. Dezember 2010 - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; OLG
  380. Stuttgart, Beschluss vom 11. Mai 2011 - 5 W 8/11, NJW-RR 2011, 1631, 1632;
  381. OLG Hamm, Urteile vom 10. August 2011 - I-8 U 3/11, juris Rn. 40 und - 8 U
  382. 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Allein die Belehrung über die nicht eröffnete Einspruchsmöglichkeit vermochte schon wegen der Widersprüchlichkeit zum Inhalt
  383. der im April 2010 erfolgten Belehrung über den möglichen Einspruch und die
  384. Folgen der Untätigkeit, deren Empfang von der Beklagten nicht in Frage gestellt
  385. worden ist, kein berechtigtes Vertrauen der Beklagten zu begründen.
  386. 31
  387. 6. Der Beklagten ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
  388. gemäß § 233 ZPO zu gewähren. Sie hat die Wiedereinsetzung begründende
  389. Tatsachen nicht gemäß § 236 Abs. 2 ZPO innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist
  390. nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgetragen. Solche sind auch nicht in der Weise offenkundig, dass von Amts wegen Wiedereinsetzung gemäß § 236 Abs. 2
  391. Satz 2 Halbsatz 2 ZPO gewährt werden müsste (vgl. BGH, Beschluss vom
  392. 8. Dezember 2010 - XII ZB 334/10, NJW-RR 2011, 568 Rn. 6 f.).
  393. 32
  394. Zwar kann grundsätzlich ein die Wiedereinsetzung hinderndes Verschulden nicht ohne Rücksicht auf die konkreten Hinderungsgründe für die Fristversäumung bereits aus dem Verstoß gegen die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, hergeleitet werden (vgl. BGH, Beschluss
  395. vom 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, VersR 2001, 1050). Mit dem im Rechtsstaatsgebot wurzelnden Grundsatz des fairen Verfahrens wäre es unvereinbar, einer
  396. im Ausland wohnenden Partei, die ein nach § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO als zugestellt geltendes Versäumnisurteil wegen Verlustes auf dem Postweg überhaupt
  397. nicht erhält, den Rechtsbehelf des Einspruchs endgültig abzuschneiden, und
  398. zwar allein deshalb, weil sie den Zustellungsbevollmächtigten nicht benannt hat
  399. - 20 -
  400. (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, VersR 2001, 1050; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 233 Rn. 40). So liegt der Fall hier
  401. nicht.
  402. 33
  403. Es kann offen bleiben, ob der frühere Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Schriftsatz vom 16. Dezember 2010 mit der Einlegung des Einspruchs auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die versäumte Einspruchsfrist beantragt hat. Dagegen spricht, dass nach der von ihm vertretenen
  404. Auffassung die Zustellung durch Aufgabe zur Post unwirksam war und mithin
  405. der Einspruch rechtzeitig eingelegt worden ist. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet aber in einem solchen Fall grundsätzlich
  406. mangels eines Wiedereinsetzungsbegehrens aus (vgl. BGH, Beschluss vom
  407. 24. September 1952 - III ZB 13/52, BGHZ 7, 194, 198). Die Regelung in § 236
  408. Abs. 2 Satz 1 ZPO erfordert jedenfalls, alle Tatsachen, die für die Gewährung
  409. der Wiedereinsetzung erforderlich sind, innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist
  410. vorzutragen und diese glaubhaft zu machen (Senatsbeschlüsse vom 29. Januar
  411. 2002 - VI ZB 28/01, juris Rn. 4; vom 13. November 2007 - VI ZB 19/07, juris
  412. Rn. 6; BGH, Beschluss vom 19. April 2011 - XI ZB 4/10, NJW-RR 2011, 1284
  413. Rn. 7). Entsprechenden Vortrag zeigt die Revision nicht auf. Die Beklagte hat
  414. - 21 -
  415. lediglich aus rechtlichen Gründen den Zugang des am 15. April 2010 zur Post
  416. gegebenen Versäumnisurteils für nicht gegeben erachtet.
  417. Galke
  418. Zoll
  419. Diederichsen
  420. Wellner
  421. Stöhr
  422. Vorinstanzen:
  423. LG Köln, Entscheidung vom 11.01.2011 - 22 O 455/09 OLG Köln, Entscheidung vom 07.07.2011 - 18 U 35/11 -