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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. VI ZR 179/13
  4. vom
  5. 24. März 2015
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. März 2015 durch den
  9. Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Pauge, Stöhr, Offenloch und die Richterin Dr. Oehler
  10. beschlossen:
  11. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 4 wird als unzulässig verworfen.
  12. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 bis 3 wird
  13. das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg
  14. vom 27. März 2013 im Kostenpunkt - mit Ausnahme der Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu
  15. 5 und 6 - und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten zu 1 bis 3 erkannt worden ist.
  16. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
  17. und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der
  18. Nichtzulassungsbeschwerde - mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 4, die dieser zu tragen hat -, an das
  19. Berufungsgericht zurückverwiesen.
  20. Gegenstandswert: 1.636.134 €
  21. -3-
  22. Gründe:
  23. I.
  24. 1
  25. 1. Der Kläger nimmt - soweit im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
  26. noch von Interesse - die Beklagten zu 1 und 2 auf Zahlung von rund 4,5 Mio. €
  27. Schadensersatz und den Beklagten zu 3 auf Feststellung einer entsprechenden
  28. Schadensersatzforderung zur Tabelle wegen Submissionsbetrugs bei der Errichtung der Kläranlage "S.
  29. See" in R.
  30. in Anspruch. Hinsichtlich des
  31. Beklagten zu 4 ist der Rechtsstreit in der Berufungsinstanz übereinstimmend für
  32. erledigt erklärt worden.
  33. 2
  34. Die Beklagte zu 1 wurde - unter anderer Firmierung - am 10. Mai 1991
  35. vom Rechtsvorgänger des Klägers mit der Planung der Kläranlage "S.
  36. See"
  37. beauftragt. Der Beklagte zu 2 war damals Geschäftsführer der Beklagten zu 1.
  38. Der Beklagte zu 3 ist Konkursverwalter über das Vermögen der früheren St.
  39. GmbH & Co. KG (nachfolgend: Fa. St.
  40. -
  41. ). Der Beklag-
  42. te zu 4 war Geschäftsführer der Komplementärin der Fa. St.
  43. ,
  44. welche die Kläranlage im Auftrag des Rechtsvorgängers des Klägers errichtete.
  45. Dem am 1. November 1991 zu einem Pauschalpreis von netto 21,35 Mio. DM
  46. erteilten Auftrag war eine beschränkte Ausschreibung vorangegangen.
  47. 3
  48. Der Kläger behauptet insbesondere, es sei eine lediglich vorgetäuschte
  49. beschränkte Ausschreibung durchgeführt worden. Auf Weisung des Beklagten
  50. zu 4 seien im Büro der Fa. St.
  51. St.
  52. für die pro forma neben der Fa.
  53. beteiligten drei weiteren Unternehmen Leistungsverzeichnisse
  54. mit einem höheren Endpreis ausgefüllt worden, welche der Zeuge T.
  55. ab-
  56. sprachegemäß den zwei weiteren beteiligten Unternehmen, welche dann tatsächlich ein Angebot abgegeben haben, persönlich zur Unterschrift und zur Anfertigung eines Begleitschreibens vorbeigebracht habe. Der Submissionsvor-
  57. -4-
  58. schlag sei anschließend aus dem Büro der Fa. St.
  59. über die Be-
  60. klagten zu 1 und 2 an den Rechtsvorgänger des Klägers weitergeleitet worden.
  61. Durch die Machenschaften der Beklagten sei es zu einem weit überhöhten Gesamtpreis gekommen.
  62. 4
  63. Die Beklagten behaupten unter anderem, dass es an einem Schaden
  64. fehle, da die Kläranlage zu einem deutlich niedrigeren Preis pro Einwohnergleichwert gebaut worden sei als vergleichbare Anlagen.
  65. 5
  66. 2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da der hypothetische
  67. Wettbewerbspreis bei keiner Art der Kostenermittlung (nach Kostenkennwerten,
  68. nach Leistungsverzeichnis und nach Selbstkosten) unter dem submittierten
  69. Preis liege. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagten zu 1 und 2 zum Schadensersatz in Höhe von ca. 1,6 Mio. € und den Beklagten zu 3 zur Feststellung einer
  70. entsprechenden Forderung aus unerlaubter Handlung zur Tabelle verurteilt.
  71. Nach der Kostenentscheidung haben die Beklagten zu 1 bis 4 gesamtschuldnerisch 1/3 der Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der erstinstanzlichen außergerichtlichen Kosten der ehemaligen Beklagten zu 5 und 6 zu tragen. Das
  72. Berufungsgericht ist dabei von einem von den Beklagten zu 2 und 4 als Organen der Beklagten zu 1 und der Fa. St.
  73. gemeinschaftlich began-
  74. genen Submissionsbetrug ausgegangen. Den Schaden hat es als Differenz
  75. zwischen dem submittierten Preis (21,35 Mio. DM netto) und einem hypothetischen Wettbewerbspreis (18,15 Mio. DM netto) auf 3,2 Mio. DM (= 1.636.134 €)
  76. geschätzt.
  77. -5-
  78. II.
  79. 6
  80. 1. Die Beschwerde des Beklagten zu 4 ist nicht statthaft. Auch wenn wie
  81. im Streitfall eine Entscheidung nach § 91a ZPO als Teil einer Kostenmischentscheidung im Rahmen eines - auch gegen weitere Beklagte in der Hauptsache
  82. ergangenen - Urteils getroffen wurde, ist hiergegen nur das Rechtsmittel der
  83. sofortigen Beschwerde gem. § 91a Abs. 2 ZPO eröffnet, nicht jedoch das
  84. Hauptsacherechtsmittel (BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - VIII ZB 45/12,
  85. NJW 2013, 2361 Rn. 18 ff. mwN) bzw. eine auf dessen Zulassung abzielende
  86. Nichtzulassungsbeschwerde.
  87. 7
  88. Der von dem Beklagten zu 4 erhobene Rechtsbehelf kann allerdings
  89. auch nicht als sofortige Beschwerde (§ 567 ZPO) oder als Rechtsbeschwerde
  90. (574 ZPO) gegen die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts aufgefasst
  91. werden. Zwar gilt im Verfahrensrecht der Grundsatz, dass eine fehlerhafte
  92. Parteihandlung in eine zulässige und wirksame umzudeuten ist (analog § 140
  93. BGB), wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem
  94. maßgeblichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des
  95. Gegners entgegensteht (Senatsbeschluss vom 1. Juli 2013 - VI ZB 18/12, NJW
  96. 2013, 3181 Rn. 25 mwN). Eine sofortige Beschwerde gegen eine auf § 91a
  97. ZPO beruhende Entscheidung eines Oberlandesgerichts wäre aber ebenfalls
  98. unstatthaft (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2005 - II ZR 56/04, NJW-RR 2006,
  99. 566 Rn. 7; § 567 Abs. 1 ZPO). Eine Rechtsbeschwerde wiederum wurde weder
  100. vom Berufungsgericht zugelassen noch ist deren Statthaftigkeit im Gesetz ausdrücklich bestimmt (§ 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
  101. 8
  102. 2. Im Übrigen hat die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
  103. -6-
  104. 9
  105. a) Allerdings fehlt es - wie die Nichtzulassungsbeschwerde selbst einräumt -, am Vorliegen eines Zulassungsgrundes i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1
  106. ZPO, soweit das Berufungsgericht die Zeugenaussagen bewertet und sich davon überzeugt hat, dass der Zeuge T.
  107. im Auftrag des Beklagten zu 4
  108. Scheinangebote von Konkurrenzfirmen eingeholt, dass der Beklagte zu 2 von
  109. der manipulierten Ausschreibung, insbesondere der Submissionsabsprache,
  110. gewusst und sich hieran beteiligt hat, und dass mit Wissen des Beklagten zu 2
  111. nicht nur die wesentliche Planung, sondern auch der (Blanko-)Vergabevorschlag von der Fa. St.
  112. erstellt worden ist, um die Ausschrei-
  113. bung zu ihrem Vorteil zu manipulieren.
  114. 10
  115. b) Das Berufungsgericht hat jedoch den Anspruch der Beklagten zu 1
  116. bis 3 auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher
  117. Weise verletzt, indem es erheblichen Sachvortrag der Beklagten zur Frage des
  118. Vorliegens eines Schadens und der Schadenshöhe nicht berücksichtigt hat.
  119. 11
  120. aa) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
  121. ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall
  122. klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn
  123. grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung
  124. gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in
  125. den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen
  126. eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch
  127. bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (BVerfGE 65, 293, 295 f. mwN;
  128. BVerfGE 70, 288, 293; BVerfGE 86, 133, 146; vgl. auch BGH, Beschluss vom
  129. 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 300 f. mwN). Geht das Gericht
  130. -7-
  131. auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage,
  132. die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder
  133. aber offensichtlich unsubstantiiert war (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom
  134. 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 31, und - X ZB 15/05, BGHZ 173,
  135. 40 Rn. 8; ebenso bereits BVerfGE 86, 133, 146 mwN).
  136. 12
  137. bb) So verhält es sich im Streitfall.
  138. 13
  139. (1) Das Berufungsgericht hat zum einen das Vorbringen der Beklagten
  140. übergangen, dass der hypothetische Wettbewerbspreis über 21,35 Mio. DM
  141. beträgt. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2012 haben die Beklagten zu 3 und 4
  142. ausführlich und unter Beantragung einer erneuten Anhörung des Sachverständigen vorgetragen, dass zur Ermittlung des hypothetischen Wettbewerbspreises
  143. nicht ein "Marktpreis" der Kläranlage von 18,15 Mio. DM herangezogen werden
  144. könne, sondern dass dieser Preis vielmehr - schon nach den Ausführungen des
  145. gerichtlichen Sachverständigen - über 21,35 Mio. DM liege. Dennoch hat das
  146. Berufungsgericht der Schadensermittlung als maßgebliche Größe einen vom
  147. Sachverständigen
  148. nach
  149. Leistungsverzeichnis
  150. ermittelten
  151. "Baupreis"
  152. von
  153. 18,15 Mio. DM zugrunde gelegt.
  154. 14
  155. Zwar haben nur die Beklagten zu 3 und 4 den vorstehend genannten
  156. Vortrag gehalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jedoch
  157. in der Regel davon auszugehen, dass von einem Streitgenossen geltend gemachte Angriffs- oder Verteidigungsmittel für alle Streitgenossen vorgetragen
  158. sind, soweit sie alle angehen und die Übrigen nicht selbst eine Erklärung abgeben (BGH, Urteil vom 29. März 1961 - V ZR 171/59, LM ZPO § 61 Nr. 1; vgl.
  159. auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 61 Rn. 3, und Stein/Jonas/Bork,
  160. -8-
  161. ZPO, 23. Aufl., § 61 Rn. 9). In eine gegenteilige Richtung deutende Anhaltspunkte sind hier nicht ersichtlich.
  162. 15
  163. Obwohl der Vortrag der Beklagten damit die für das Verfahren zentrale
  164. Frage der Schadensentstehung und –höhe sowie explizit den vom Berufungsgericht herangezogenen Wert betroffen hat, hat sich dieses mit den entsprechenden Einwänden der Beklagtenseite überhaupt nicht auseinandergesetzt.
  165. 16
  166. (2) Zum anderen hat das Berufungsgericht das Beklagtenvorbringen
  167. nicht zur Kenntnis genommen, dass die sog. Baustellenergebnislisten nicht
  168. aussagekräftig genug seien, um hieraus Rückschlüsse auf den hypothetischen
  169. Wettbewerbspreis zu ziehen. In der Berufungserwiderung vom 28. November
  170. 2011 haben die Beklagten zu 3 und 4 auf Ausführungen des Sachverständigen
  171. in dessen Anhörung am 31. März 2009 Bezug genommen. Dort hatte dieser
  172. angegeben, dass ohne eine detaillierte Aufschlüsselung sämtlicher Kosten keine Rückschlüsse von den Listen auf den hypothetischen Wettbewerbspreis
  173. möglich sind.
  174. 17
  175. Eine Partei macht sich bei einer Beweisaufnahme zutage tretende ihr
  176. günstige Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen (st. Rspr.; vgl.
  177. zuletzt Senatsbeschluss vom 14. Januar 2014 - VI ZR 340/13, VersR 2014, 632
  178. Rn. 11 mwN). Davon kann hinsichtlich der Beklagten zu 1 bis 3 - erst recht bezüglich des Beklagten zu 3, der ausdrücklich auf die Beweisaufnahme Bezug
  179. genommen hat - ausgegangen werden. Denn die Ausführungen des Sachverständigen zur mangelnden Aussagekraft der Baustellenergebnislisten waren
  180. ihnen günstig. Dennoch hat das Berufungsgericht aus den fortgeführten Baustellenlisten zumindest ein Indiz für einen durch den Submissionsbetrug erzielten Mehrerlös in Höhe von mindestens 15 % des submittierten Betrages abgeleitet, ohne sich mit den seiner Sichtweise widersprechenden Ausführungen des
  181. Sachverständigen auseinanderzusetzen.
  182. -9-
  183. 18
  184. Die Frage, ob sich aus den Baustellenergebnislisten folgern lässt, dass
  185. die Fa. St.
  186. einen (erheblichen) Gewinn erzielt hat, betrifft einen
  187. für das Verfahren zentralen Punkt. Schließlich ist das Vorhandensein eines solchen Gewinns ein starkes Indiz für einen gegenüber dem hypothetischen Wettbewerbspreis überhöhten Submissionspreis. Nicht zuletzt deshalb haben sich
  188. sowohl Land- als auch Berufungsgericht - allerdings ohne den vorgenannten
  189. Gesichtspunkt zu beachten - mit dieser Thematik auseinandergesetzt.
  190. 19
  191. cc) Die Gehörsverletzungen sind entscheidungserheblich. Es kann nicht
  192. ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des
  193. übergangenen Sachvortrags der Beklagten zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2013 - VI ZR 230/12,
  194. VersR 2014, 586 Rn. 7 mwN).
  195. 20
  196. c) Die übrigen Rügen der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat ge-
  197. - 10 -
  198. prüft und für nicht durchgreifend erachtet; von einer Begründung wird insoweit
  199. abgesehen (§ 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO).
  200. Galke
  201. Stöhr
  202. Richter am Bundesgerichtshof
  203. Pauge ist mit Ablauf des 31. März 2015
  204. in den Ruhestand getreten und daher
  205. verhindert, seine Unterschrift beizufügen
  206. Galke
  207. Offenloch
  208. Oehler
  209. Vorinstanzen:
  210. LG Halle, Entscheidung vom 01.07.2011 - 3 O 385/96 OLG Naumburg, Entscheidung vom 27.03.2013 - 5 U 153/11 -