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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZR 328/07
  4. vom
  5. 22. April 2009
  6. in dem Rechtsstreit
  7. Nachschlagewerk: ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. AVB Unfallversicherung (hier AUB 94 § 11 II und IV)
  13. Im Rechtsstreit um die Erstfeststellung seiner Invalidität (hier nach § 11 II
  14. AUB 94) trifft den Versicherungsnehmer einer Unfallversicherung keine rechtliche Verpflichtung, bereits alle bis zum Abschluss der mündlichen Verhandlung eingetretenen Veränderungen seines Gesundheitszustandes geltend zu
  15. machen. Kann deshalb die Vertragspartei, welche später die Neubemessung
  16. der Invalidität verlangt, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass bestimmte Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers,
  17. auf die sich das Begehren stützt, noch nicht in die gerichtliche Erstbemessung
  18. eingeflossen sind, so sind diese Veränderungen im Rahmen der Neubemessung zu berücksichtigen.
  19. BGH, Beschluss vom 22. April 2009 - IV ZR 328/07 - OLG Hamm
  20. LG Paderborn
  21. -2-
  22. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und die
  23. Richterin Harsdorf-Gebhardt
  24. am 22. April 2009
  25. beschlossen:
  26. Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen
  27. das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
  28. Hamm vom 24. Oktober 2007 zugelassen.
  29. Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
  30. aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und
  31. Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  32. Streitwert: 45.590 €.
  33. Gründe:
  34. 1
  35. Der Kläger verlangt ergänzende Invaliditätsleistungen von seinem
  36. Unfallversicherer.
  37. -3-
  38. 2
  39. I. Er hatte am 28. Juni 2003 beim Sturz von einer hohen Leiter ein
  40. schweres Schädel-Hirntrauma, eine Aspirationspneumonie, einen distalen Mehrfragmentbruch der Speiche seines rechten Unterarms, einen
  41. Mehrfragmentbruch der Kniescheibe links und einen Kieferbruch erlitten.
  42. Am 14. Januar 2004 hatte sich der Kläger bei einem weiteren Sturz einen
  43. Beckenbruch rechts und Rippenbrüche zugezogen. Auf Grund seines
  44. fristgemäßen Antrags und von der Beklagten eingeholter Gutachten der
  45. Ärzte Dr. T.
  46. und Dr. W.
  47. von Januar und Februar 2005, denen
  48. zufolge der Invaliditätsgrad des Klägers zum damaligen Zeitpunkt insgesamt 49% betragen sollte, ohne jedoch bereits seinen Endzustand erreicht zu haben, leistete die Beklagte Vorschusszahlungen auf die Invaliditätsleistung in Höhe von insgesamt 35.890 € und kündigte an, sie werde zum Ablauf des dritten Jahres nach dem Unfall vom 28. Juni 2003 eine abschließende Beurteilung des Invaliditätsgrades in Auftrag geben.
  49. 3
  50. Der Kläger, welcher bereits damals der Auffassung war, sein Invaliditätsgrad betrage insgesamt 59%, erhob daraufhin eine auf weitere Invaliditätsentschädigung und Zahlung einer monatlichen Invaliditätsrente
  51. gerichtete Klage vor dem Landgericht Paderborn. Nach mündlicher Verhandlung vom 10. Oktober 2005 wies das Landgericht die Klage mit Urteil vom 14. November 2005 ab. Seiner Auffassung nach war die Invalidität des Klägers mit 49% zutreffend bemessen und die darauf bezogene
  52. Versicherungsleistung vollständig erbracht worden. Das Urteil wurde
  53. rechtskräftig.
  54. 4
  55. In der Folgezeit lehnte die Beklagte entgegen ihrer früheren Ankündigung mit Schreiben vom 17. Juli und 24. August 2006 die Einholung
  56. weiterer ärztlicher Gutachten für eine Neubemessung der Invalidität des
  57. -4-
  58. Klägers ab. Stattdessen gab der Kläger das aufgrund einer Untersuchung vom 5. Oktober 2006 am 26. Oktober 2006 erstattete fachchirurgischen Gutachten des Arztes Dr. S.
  59. in Auftrag. Dieses kam zu dem Er-
  60. gebnis, die Gesamtinvalidität des Klägers erreiche einen Grad von mindestens 60%. Als posttraumatische Diagnosen seien gegenüber den früher festgestellten Schäden verschlimmernd ein sogenannte SudeckSyndrom der rechten Hand (CRPS) im Stadium II, eine radiokarpale Arthrose am rechten Handgelenk sowie eine ausgeprägte femuropattellare
  61. Arthrose des linken Kniegelenks hinzugekommen.
  62. 5
  63. Nunmehr hat der Kläger auf der Grundlage eines Invaliditätsgrades
  64. von 60% weitere Invaliditätsentschädigung, ferner gestaffelte monatliche
  65. Rentenzahlungen für die Zeit vom 1. Juni 2003 bis einschließlich 1. Januar 2007 (insgesamt 40.590 € nebst Zinsen) verlangt. Er hat ferner beantragt festzustellen, dass er berechtigt sei, den Grad seiner Invalidität
  66. bezogen auf den 28. Juni 2006 neu feststellen zu lassen.
  67. 6
  68. Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Es hat
  69. angenommen, ihr stehe die Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Paderborn vom 14. November 2005 entgegen. Das Berufungsgericht hat die
  70. Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage
  71. unbegründet sei. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde
  72. des Klägers, mit der er sein Klagebegehren weiterverfolgt.
  73. 7
  74. II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist Gegenstand des
  75. Rechtsstreits allein die Neubemessung der Invalidität des Klägers nach
  76. § 11 (IV) der hier unstreitig vereinbarten AUB 94, weshalb die Rechts-
  77. -5-
  78. kraft des im Vorprozess ergangenen Urteils vom 14. November 2005,
  79. welches nur über die Erstbemessung der Invalidität entschieden habe,
  80. der Klage nicht entgegenstehe. Die Klage sei aber unbegründet. Der
  81. Kläger habe keinen Anspruch auf eine Neubemessung seiner Invalidität
  82. und darauf gestützte weitere Versicherungsleistungen.
  83. 8
  84. Es stehe rechtskräftig fest, dass der Invaliditätsgrad des Klägers
  85. am 10. Oktober 2005, dem Tage der letzten mündlichen Verhandlung im
  86. Vorprozess, 49% betragen habe. Eine konkrete Verschlechterung seines
  87. Gesundheitszustandes seither bis zum maßgeblichen Stichtag drei Jahre
  88. nach dem Unfall vom 28. Juni 2003 habe der Kläger mittels seiner lediglich pauschalen Bezugnahme auf das Privatgutachten nicht in beachtlicher Weise behauptet.
  89. 9
  90. Den in der Berufungsinstanz dazu vom Kläger gehaltenen Vortrag
  91. hat das Berufungsgericht nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen. Die
  92. vom Landgericht erstmals in dessen mündlicher Verhandlung vom
  93. 23. Mai 2007 geäußerte fehlerhafte Rechtsauffassung zur Zulässigkeit
  94. der Klage habe den unzureichenden Klägervortrag zur materiellen
  95. Rechtslage nicht beeinflusst, er beruhe mithin nicht auf einem Mangel
  96. des gerichtlichen Verfahrens. Im Übrigen habe der Kläger die Verschlechterung seines Zustandes gerade im allein maßgeblichen Zeitraum
  97. auch in zweiter Instanz nicht ausreichend dargelegt. Denn Dr. S.
  98. , der
  99. den Kläger am 5. Oktober 2006 untersucht habe, vergleiche seine Befunde lediglich mit dem Ergebnis der Untersuchung von Dr. T.
  100. vom 7. Januar 2005.
  101. -6-
  102. 10
  103. III. Das verletzt das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör.
  104. 11
  105. 1. Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Verfahrensbeteiligten, dass
  106. sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zum zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Dieses Recht ist
  107. verletzt, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an
  108. den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit
  109. denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach
  110. dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfG NJW
  111. 2003, 2524). Insoweit hat das Gericht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO darauf hinzuwirken, dass sich die Parteien rechtzeitig und vollständig über
  112. alle erheblichen Tatsachen erklären und insbesondere auch Angaben zu
  113. geltend gemachten Tatsachen ergänzen (Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2008 - IV ZR 272/06 - NJW-RR 2009, 244 Tz. 9). Ein solcher Hinweis erfüllt seinen Zweck nur dann, wenn der Partei anschließend die
  114. Möglichkeit eröffnet wird, ihren Sachvortrag unter Berücksichtigung des
  115. Hinweises zu ergänzen (BGH, Urteil vom 26. April 2001 - III ZR 102/00 VersR 2002, 444 unter II 2 b m.w.N.). Das Gebot, rechtliches Gehör zu
  116. gewähren, verpflichtet deshalb das Berufungsgericht dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung
  117. oder eine Verletzung der richterlichen Fürsorgepflicht das Ausbleiben
  118. des Vorbringens in der ersten Instanz mit verursacht hatte (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04 - NJW 2005, 2624 unter II 2 b).
  119. 12
  120. 2. Diesen Maßstäben hält das Vorgehen des Berufungsgerichts
  121. nicht stand.
  122. -7-
  123. 13
  124. a) Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist allein die Neubemessung der Invalidität des Klägers nach § 11 (IV) AUB 94. Wie das
  125. Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, stand der Klage deshalb der
  126. rechtskräftige Abschluss des Vorprozesses, welcher lediglich die Erstbemessung der Invalidität zum Gegenstand hatte, nicht entgegen. Die
  127. vom Landgericht in erster Instanz ausgesprochene Abweisung der Klage
  128. als unzulässig war daher rechtsfehlerhaft. Stattdessen kam es für die
  129. Entscheidung auf die materiellen Voraussetzungen der Neubemessung,
  130. insbesondere darauf an, ob sich der Gesundheitszustand des Klägers
  131. seit der Erstbemessung der Invalidität bis zum Stichtag drei Jahre nach
  132. dem Unfall verschlechtert hatte. Infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung zur Zulässigkeit der Klage hat es das Landgericht versäumt, auf
  133. vollständigen Klägervortrag zu den materiellen Voraussetzungen der
  134. Neubemessung durch einen geeigneten rechtlichen Hinweis hinzuwirken.
  135. 14
  136. b) Es hat zwar sein Urteil auch auf die Hilfserwägung gestützt, der
  137. Kläger habe überhaupt keine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes behauptet. Das trifft aber nicht zu. Der Kläger hatte sich zur Begründung seiner Klage auf das von ihm privat eingeholte Gutachten des
  138. Sachverständigen Dr. S.
  139. gestützt, dem zufolge gegenüber den früher
  140. festgestellten Schäden die oben genannten weiteren Schäden an der
  141. rechten Hand, am rechten Handgelenk sowie am linken Kniegelenk verschlimmernd hinzugekommen seien. Rechtlich ist ein solches Privatgutachten auch dann, wenn die Partei lediglich darauf Bezug nimmt, ohne
  142. den Inhalt mit eigenen Worten zu wiederholen, als besonders substantiierter, urkundlich belegter Parteivortrag einzuordnen (BGHZ 98, 32, 40;
  143. BGH, Urteile vom 10. Dezember 1991 - VI ZR 234/90 - VersR 1992, 722
  144. unter II 2 m.w.N.; vom 27. Mai 1982 - III ZR 201/80 - NJW 1982, 2874,
  145. -8-
  146. 2875 unter I 1 a und b, cc m.w.N.). Aus dem Klägervorbringen ergab sich
  147. mithin eine gesundheitliche Verschlechterung gegenüber den früher getroffenen ärztlichen Feststellungen.
  148. 15
  149. c) Die Besonderheit des Falles liegt allerdings darin, dass nach
  150. Auffassung des Berufungsgerichts zum einen infolge des Vorprozesses
  151. alle gesundheitlichen Veränderungen beim Kläger bis zum Tage der dortigen mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2005 bereits in die Erstbemessung der Invalidität hätten einfließen können, so dass für die Neubemessung der Invalidität nur noch auf Veränderungen habe abgestellt
  152. werden dürfen, die nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind. Zum anderen endet der maßgebliche Beobachtungszeitraum drei Jahre nach dem
  153. Unfall vom 28. Juni 2003, mithin am 28. Juni 2006, während der Privatgutachter Dr. S.
  154. den Kläger erst später, am 5. Oktober 2006, unter-
  155. sucht hat. Mit Hilfe des auf das Privatgutachten gestützten Klägervortrags ließ sich deshalb die Frage, ob die festgestellte Verschlechterung
  156. innerhalb des vom Berufungsgericht als allein maßgeblich angesehenen
  157. Zeitraums eingetreten war, noch nicht beantworten. Auf diesen besonderen zeitlichen Aspekt ist der Kläger entgegen der Annahme des Berufungsgerichts weder durch den Beklagtenvortrag erster Instanz noch das
  158. erstinstanzliche Urteil ausreichend hingewiesen worden. Die Beklagte
  159. hatte sich im Wesentlichen darauf beschränkt, gestützt auf einen Rechenfehler des Klägers bei Errechnung seines Gesamtinvaliditätsgrades
  160. jegliche Gesundheitsverschlechterung pauschal in Abrede zu stellen.
  161. 16
  162. d) Stattdessen hat erstmals das Berufungsgericht in seinem Hinweisbeschluss vom 3. August 2007 auf die vorgenannten zeitlichen
  163. Grenzen hingewiesen. Der Kläger hat daraufhin für die Behauptung,
  164. -9-
  165. dass seine Gesundheitsverschlechterungen "im Vergleich zum Vorgutachten … Dr. T.
  166. - welches der Entscheidung des LG im Vorpro-
  167. zess zugrunde lag -" bis zum Ablauf des "dritten Unfalljahres" hinzugetreten seien, Beweis angeboten durch Vernehmung des Privatgutachters
  168. Dr. S.
  169. als sachverständigen Zeugen und Einholung eines Sachver-
  170. ständigengutachtens. Darin liegt die Behauptung, dass das Landgericht
  171. im Vorprozess auch für den Tag der dortigen letzten mündlichen Verhandlung den von Dr. T.
  172. attestierten Gesundheitszustand des Klä-
  173. gers zugrunde gelegt habe und die nunmehr zusätzlich aufgetretenen
  174. Beschwerden erst seither in der Zeit bis zum 28. Juni 2006 eingetreten
  175. seien.
  176. 17
  177. Diesen Vortrag durfte das Berufungsgericht nach § 531 Abs. 2
  178. ZPO nicht unbeachtet lassen. Es ist schon fraglich, ob der Kläger insoweit neuen Vortrag im Sinne dieser Vorschrift gehalten hat, denn das ergänzende Vorbringen war lediglich darauf gerichtet, das bisherige Vorbringen zeitlich zu konkretisieren (vgl. dazu BGH, Beschluss vom
  179. 21. Dezember 2006 - VII ZR 279/05 - NJW 2007, 1532 Tz. 10). In jedem
  180. Falle hätte das Berufungsgericht den Vortrag aber deshalb beachten und
  181. den beantragten Beweis erheben müssen, weil das Landgericht es infolge seiner fehlerhaften Rechtsauffassung versäumt hatte, den Kläger bereits in erster Instanz auf die vermeintliche Lücke in seinem Vorbringen
  182. hinzuweisen (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Soweit das Berufungsgericht meint, die fehlerhafte Rechtsauffassung des Landgerichts habe sich
  183. deshalb nicht ausgewirkt, weil sie dem Kläger erst in der mündlichen
  184. Verhandlung erster Instanz offen gelegt worden sei, greift das zu kurz.
  185. Denn mit dieser Erwägung lässt sich allenfalls eine Irreführung des Klä-
  186. - 10 -
  187. gers, nicht jedoch das Unterlassen eines sachdienlichen rechtlichen
  188. Hinweises ausschließen.
  189. 18
  190. 3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
  191. 19
  192. Der Versicherungsnehmer kann zum einen die Erstfeststellung seiner Invalidität angreifen und versuchen, eine seiner Auffassung nach zutreffende Erstfeststellung im Klagewege durchzusetzen. Verlangt er daneben oder allein eine Neubemessung seiner Invalidität, so steht die
  193. Erstfeststellung unter dem Vorbehalt der endgültigen Bemessung drei
  194. Jahre nach dem Unfall (Knappmann in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 11
  195. AUB 94 Rdn. 8). Grundlage jeder Neubemessung der Invalidität sind
  196. Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber demjenigen Zustand, der der Erstbemessung zugrunde liegt.
  197. Dabei wird der maßgebliche Zustand durch die ärztlichen Befunde, die
  198. der ersten Feststellung der Invalidität zugrunde liegen, konkretisiert und
  199. eingegrenzt. Ist die Erstbemessung Gegenstand eines Rechtsstreits, so
  200. kann zwar der Tatrichter theoretisch alle bis zum Schluss der mündlichen
  201. Verhandlung eingetretenen Gesundheitsveränderungen in diese einfließen lassen. In diesem Falle kann eine spätere Neubemessung der Invalidität nur noch auf Veränderungen gestützt werden, die nach der mündlichen Verhandlung eingetreten sind. Vielfach wird sich jedoch die gerichtliche Erstfestsetzung der Invalidität schon wegen der Notwendigkeit
  202. einer gutachtlichen Bewertung des Gesundheitszustandes des Versicherungsnehmers allein auf das Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung
  203. stützen, die bereits eine geraume Zeit vor Abschluss der mündlichen
  204. Verhandlung stattgefunden hat. In diesem Falle sperrt die lediglich hypothetische Möglichkeit, nachträgliche gesundheitliche Veränderungen bis
  205. - 11 -
  206. zur mündlichen Verhandlung noch in die gerichtliche Entscheidung über
  207. die Erstbemessung einfließen zu lassen, deren Berücksichtigung bei einer späteren Neubemessung nicht. Denn anderenfalls wäre den Vertragsparteien bei einer entsprechend langen Dauer des Rechtsstreits über die Erstfestsetzung das Recht zur Neubemessung der Invalidität in
  208. allen Fällen faktisch abgeschnitten, in denen lediglich zu Prozessbeginn
  209. eine Begutachtung stattgefunden hatte. Eine rechtliche Verpflichtung,
  210. bereits alle seit der ärztlichen Untersuchung bis zum Abschluss der
  211. mündlichen Verhandlung über die Erstfeststellung eingetretenen Veränderungen schon im Erstprozess geltend zu machen, lässt sich den AUB
  212. 94 angesichts des in § 11 IV gerade mit Rücksicht auf die Veränderbarkeit des Invaliditätsgrades bereitgestellten Verfahrens zur Neubemessung der Invalidität nicht entnehmen. Kann deshalb die Vertragspartei,
  213. welche die Neubemessung der Invalidität verlangt, darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass Veränderungen im Gesundheitszustand des
  214. Versicherungsnehmers, auf die sich das Begehren stützt, noch nicht in
  215. - 12 -
  216. eine - auch gerichtliche - Erstbemessung eingeflossen sind, so sind diese Veränderungen im Rahmen der Neubemessung zu berücksichtigen.
  217. Terno
  218. Dr. Schlichting
  219. Felsch
  220. Wendt
  221. Harsdorf-Gebhardt
  222. Vorinstanzen:
  223. LG Paderborn, Entscheidung vom 23.05.2007 - 3 O 67/07 OLG Hamm, Entscheidung vom 24.10.2007 - 20 U 146/07 -