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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. IV ZR 233/09
  4. vom
  5. 21. März 2012
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
  9. Wendt, Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann
  10. und die Richterin Dr. Brockmöller
  11. am 21. März 2012
  12. beschlossen:
  13. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 8. Zivilsenats des
  14. Oberlandesgerichts Celle vom 19. November 2009 wird
  15. zurückgewiesen.
  16. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der
  17. durch die Nichtzulassungsbeschwerde verursachten Ko sten der Streithelfer der Beklagten tragen
  18. die Klägerin zu 1 zu 97%, die Klägerin zu 2 zu 0,8%,
  19. die Klägerin zu 3 zu 0,4%, die Klägerin zu 4 zu 0,3%,
  20. die Klägerin zu 5 zu 0,3%, die Klägerin zu 6 zu 0,1%,
  21. die Klägerin zu 7 zu 0,1%, die Klägerin zu 8 zu 0,1%
  22. und die verbleibenden 0,9%
  23. die Klägerinnen zu 9 bis 41 zu gleichen Teilen.
  24. Streitwert: 30.000.000 € (§ 39 Abs. 2 GKG).
  25. -3-
  26. Gründe:
  27. 1
  28. I. Die Klägerinnen fordern von der Beklagten als führendem Vers icherer anteilige Versicherungsleistungen und Schadensersatz aus einer
  29. von der HEROS-Gruppe mit mehreren Versicherungsunternehmen abgeschlossenen "Valorenversicherung", deren Bedingungen auszugsweise
  30. im Senatsurteil vom 25. Mai 2011 (IV ZR 117/09 - Geldtransporte
  31. HEROS I, VersR 2011, 918 Rn. 1) und im Senatsbeschluss vom 21. September 2011 (IV ZR 38/09 - Geldtransport II HEROS II, juris Rn. 1) wiedergegeben sind, und aus den ihnen erteilten Versicherungsbestätigungen. Sie sind Versicherte dieses Vertrages. Sie gehören - teilweise als
  32. Eigen-, teilweise als Partnergesellschaften - sämtlich zur R
  33. -Unter-
  34. nehmensgruppe, die Verbrauchermärkte betreibt. Einzelne Klägerinnen
  35. (1-6) unterhalten mehrere unselbständige Niederlassungen. Die Kläg erinnen hatten Unternehmen der HEROS-Gruppe, insbesondere die HEROS-Transport GmbH, unter anderem damit beauftragt, Bargeld von ihren Filialen abzuholen und nach Auszählung zu Bundesbankfilialen zu
  36. transportieren, ferner ihre Filialen mit Münzgeld zu versorgen. Nach ihrer
  37. Behauptung haben sie infolge vertragswidrigen Verhaltens der HEROS Gruppe sowohl im Rahmen der Bargeldentsorgung als auch der Bargel dversorgung erhebliche Schäden erlitten, deren Erstattung sie sowohl als
  38. anteilige Versicherungsleistung als auch als Schadensersatz von der B eklagten verlangen.
  39. 2
  40. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht
  41. die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der
  42. die Klägerinnen ihr Klagebegehren weiterverfolgen.
  43. -4-
  44. 3
  45. II. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch e rfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen
  46. Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2
  47. Satz 1 ZPO). Eine Zulassung der Revision war schon im Zeitpunkt der
  48. Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht geboten, so dass es auf
  49. die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Revision im Übrigen nicht a nkommt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - IV ZR
  50. 386/02, VersR 2005, 809 unter 2 m.w.N.).
  51. 4
  52. 1. Das Berufungsgericht hat die Klage in erster Linie abgewiesen,
  53. weil die Beklagte den unter der Police Nr. 7509 geführten Versicherungsvertrag mit ihrem an den Insolvenzverwalter der HEROS -Gruppe
  54. gerichteten Schreiben vom 8. Januar 2007 wirksam wegen arglistiger
  55. Täuschung angefochten habe. Bei diesem mit Wirkung zum 1. Dezember
  56. 2001 geschlossenen Vertrag habe es sich ungeachtet des bereits zuvor
  57. unter der Police Nr. 7265 bestehenden langjährigen Versicherungsverhältnisses um einen Neuabschluss gehandelt, bei dem die Verantwortl ichen der HEROS-Gruppe der Beklagten das von der HEROS-Gruppe seit
  58. langem praktizierte Schneeballsystem des fortlaufenden vertragswidrigen
  59. Zugriffs auf Kundengelder und die dadurch verursachten Liquiditätsl ücken (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Mai 2011 aaO Rn. 5) arglistig verschwiegen hätten. Insoweit deckt die Beschwerde keine Rechtsfehler
  60. auf, die die Zulassung der Revision erfordern.
  61. 5
  62. a) Keiner grundsätzlichen Klärung bedarf, inwieweit die Arglista nfechtung in Ziffer 13.4 der Versicherungsbedingungen wirksam ausgeschlossen werden konnte. Der Bundesgerichtshof hat einen vergleichba-
  63. -5-
  64. ren vertraglichen Anfechtungsausschluss bereits mit Urteil vom 17. Januar 2007 (VIII ZR 37/06, VersR 2007, 1084 Rn. 17 ff.) für unwirksam erachtet. Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen. Ergänzend
  65. wird dazu auf den Senatsbeschluss vom 21. September 2011 (aaO
  66. Rn. 27-33) verwiesen. Da ein Ausschluss der Arglistanfechtung nicht
  67. wirksam vereinbart werden konnte, kommt es auf die von der Beschwe rde erörterte Frage, ob das Berufungsgericht die genannte Klausel unz utreffend ausgelegt, dabei Vortrag der Klägerinnen übergangen und abweichend von Urteilen der Oberlandesgerichte Hamm (vom 18. Dezember 2009 - 20 U 137/08, juris Rn. 100 ff.; vgl. dazu Senatsurteil vom
  68. 9. November 2011 - IV ZR 16/10, juris Rn. 45, 46) und Düsseldorf (vom
  69. 5. November 2008 - 18 U 188/07, juris Rn. 139 ff.; vgl. dazu Senatsurteil
  70. vom 9. November 2011 - IV ZR 251/08, juris Rn. 60 ff.) entschieden hat,
  71. nicht an.
  72. 6
  73. Auch mit den - einzelnen Klägerinnen übersandten - "R.
  74. -Versi-
  75. cherungsbestätigungen" hat die Beklagte gegenüber den jeweiligen Empfängerinnen nicht wirksam auf die Geltendmachung der Arglistanfec htung verzichtet. Ein solcher Verzicht setzt - ähnlich wie die Bestätigung
  76. anfechtbarer Rechtsgeschäfte gemäß § 144 BGB - in der Regel die
  77. Kenntnis vom Anfechtungsgrund voraus (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB
  78. 71. Aufl. § 144 Rn. 2). Diese Kenntnis hat das Berufungsgericht nicht
  79. feststellen können. Ein ausnahmsweise möglicher konkludenter Verzicht
  80. ist den Versicherungsbestätigungen nicht zu entnehmen. Ein Motiv der
  81. Beklagten für einen solchen Verzicht ist ohnehin nicht ersichtlich.
  82. 7
  83. b) Zu Recht hat das Berufungsgericht weiter angenommen, es sei
  84. für die Wirksamkeit der Anfechtung ohne Bedeutung, ob die Klägerinnen
  85. -6-
  86. den Anfechtungsgrund kannten. § 123 Abs. 2 BGB ist hier nicht anzuwenden. Sowohl § 123 Abs. 2 Satz 1 als auch Abs. 2 Satz 2 BGB setzen
  87. voraus, dass die Täuschung von einem Dritten ausgeht, und können d aher nicht eingreifen, wenn allein eine Täuschung durch den Erklärung sgegner - hier die HEROS-Gruppe als Versicherungsnehmerin - in Rede
  88. steht (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011 aaO Rn. 34; BGH,
  89. Urteil vom 8. Dezember 1959 - VIII ZR 134/58, BGHZ 31, 321, 327 f.).
  90. 8
  91. c) Durch die Senatsrechtsprechung ist weiter geklärt, dass den
  92. Versicherer keine Nachfrageobliegenheit trifft, wenn ihn der Versicherungsnehmer
  93. bei
  94. Anbahnung
  95. des
  96. Versicherungsvertrages
  97. arglistig
  98. täuscht (Senatsbeschlüsse vom 15. März 2006 - IV ZA 26/05, VersR
  99. 2007, 96; vom 4. Juli 2007 - IV ZR 170/04, VersR 2007, 1256 unter 2
  100. m.w.N.). Seine früher anderslautende Rechtsprechung (BGHZ 117, 385,
  101. 387) hat der Senat aufgegeben.
  102. 9
  103. Ist der Versicherer bei Vertragsschluss infolge des arglistigen Ve rhaltens des Versicherungsnehmers nicht gehalten nachzufragen, so
  104. kann auch ein erst nachträglich in den Schutzbereich des mittels Arglist
  105. erschlichenen Versicherungsvertrages eintretender Dritter (Versicherter)
  106. nicht mehr geltend machen, der Versicherer habe seine Nachfrageobli egenheit verletzt. Ob eine Nachfrageobliegenheit besteht und der Versicherer dagegen verstößt, richtet sich allein nach der Sachlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses.
  107. 10
  108. d) Die Angriffe der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die - für die
  109. Anwendbarkeit des § 123 Abs. 1 BGB entscheidende - Feststellung des
  110. Berufungsgerichts, es sei mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2001 zum
  111. -7-
  112. Neuabschluss des Versicherungsvertrages (Police Nr. 7509) und nicht
  113. lediglich zu einer Änderung des seinerzeit schon bestehenden Vertrages
  114. (Police Nr. 7265) gekommen, erfordern ebenfalls nicht die Zulassung der
  115. Revision. Der Senat hat insbesondere die damit in Zusammenhang st ehenden Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten (Art. 103
  116. Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG) geprüft und für nicht durchgreifend erachtet.
  117. Dazu weist er ergänzend auf folgendes hin:
  118. 11
  119. aa) Ein neuer Vertrag liegt vor, wenn der aus den gesamten Fallumständen zu ermittelnde Wille der Vertragsparteien darauf gerichtet
  120. war, die vertraglichen Beziehungen auf eine selbständige neue Grundl age zu stellen und nicht, einzelne Regelungen des bestehenden Ve rtrages
  121. zu modifizieren. Für einen neuen Vertrag spricht die Veränderung wesentlicher Vertragsinhalte, etwa des versicherten Risikos, des versiche rten Objekts, der Vertragsdauer, der Vertragsparteien und der Gesam tversicherungssumme (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2011, IV
  122. ZR 38/09 aaO Rn. 21; Senatsurteil vom 19. Oktober 1988 - IVa ZR
  123. 111/87, r+s 1989, 22, 23; OLG Saarbrücken VersR 2007, 1681, 1682;
  124. OLG Köln VersR 2002, 1225; BK/Riedler, VVG § 38 Rn. 9; Knappmann in
  125. Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 37 Rn. 5; Römer in Römer/Langheid, VVG
  126. 2. Aufl. § 38 Rn. 6).
  127. 12
  128. bb) Unter Beachtung dieser Maßstäbe und Heranziehung der den
  129. Einzelfall prägenden Umstände ist das Berufungsgericht ohne durchgre ifenden Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die Police Nr. 7509 sei als
  130. neuer, zum 1. Dezember 2001 in Kraft getretener Vertrag anzusehen.
  131. Entscheidungserheblichen Vortrag oder relevante Beweisangebote der
  132. Klägerinnen hat es - entgegen dem Vorwurf der Beschwerde - nicht
  133. -8-
  134. übergangen. Vielmehr hat es sich mit den Tatsachen, die als Indizien
  135. gegen einen Neuabschluss des Versicherungsvertrages vorgetragen und
  136. unter Beweis gestellt worden sind, im Rahmen seiner Abwägung der
  137. Fallumstände befasst, ohne jedoch daraus die von den Klägerinnen gewünschten Schlüsse zu ziehen. Die dagegen gerichteten Angriffe der
  138. Beschwerdeführerinnen erschöpfen sich im Wesentlichen in dem revis ionsrechtlich unbehelflichen Versuch, die Beweiswürdigung des Ber ufungsgerichts unter abweichender Bewertung einzelner Indizien durch
  139. eine vermeintlich bessere eigene Würdigung zu ersetzen. Die Beschwerdeführerinnen verkennen insbesondere, dass ihr Einwand, zahlreiche
  140. vom Berufungsgericht als Indiz für den Neuabschluss herangezogene
  141. Änderungen des Vertragswerkes seien ihrer Art nach auch schon bei a nderer Gelegenheit im Rahmen des laufenden Vertrages vorgekommen,
  142. eine indizielle Wirkung dieser Umstände für einen Neuabschluss im
  143. Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht entfallen lässt.
  144. 13
  145. cc) Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht vorgenommenen
  146. Gesamtschau der entscheidungserheblichen Umstände, die sich insb esondere nicht als willkürlich i.S. von Art. 3 Abs. 1 GG erweist, schließt
  147. der Senat weiter aus, dass einzelne von der Beschwerde herausgegriffene Aspekte das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung veranlasst hätten, mögen sie auch - für sich betrachtet - auf eine Verlängerung
  148. der früheren Police hindeuten.
  149. 14
  150. (1) Das gilt zum einen, soweit das Berufungsgericht übersehen
  151. hat, dass Werttransporte von und zu einer Bank in Dänemark bereits se it
  152. 1996 auf der Grundlage einer Zusatzvereinbarung von der Police
  153. Nr. 7265 umfasst waren, weshalb seine Annahme, die in Ziffer 4.1.11 der
  154. -9-
  155. Police Nr. 7509 getroffene "Sondervereinbarung Dänemark" spreche für
  156. eine Neuregelung, nicht trägt. Es gilt zum anderen, soweit das Berufungsgericht - ebenfalls nicht ganz unbedenklich - angenommen hat, die
  157. anlässlich der Währungsumstellung von DM zu Euro abgeschlossenen
  158. zusätzlichen Versicherungsverträge hätten das mit dieser Währungsumstellung verbundene Versicherungsrisiko nur unzureichend abgedeckt.
  159. Es gilt schließlich für die Frage, ob die Erweiterung des Versicherungsschutzes auf Subunternehmer der HEROS-Gruppe bereits zur Zeit der
  160. Geltung der Police Nr. 7265 vereinbart worden war. Der Senat schließt
  161. aus, dass das Berufungsgericht, hätte es die genannten Punkte anders
  162. behandelt, auch insgesamt zu einer anderen Bewertung der Police
  163. Nr. 7509 gelangt wäre.
  164. 15
  165. (2) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde in diesem Zusammenhang
  166. mehrfach, es sei angebotener Zeugenbeweis übergangen worden. Von
  167. einer näheren Begründung sieht der Senat insoweit nach § 564 Satz 1
  168. ZPO ab.
  169. 16
  170. e) Die Erörterungen des Berufungsgerichts zum arglistigen Verhalten des HEROS-Geschäftsführers W.
  171. und dazu, dass es nach § 166
  172. Abs. 2 BGB für die Arglistanfechtung nicht auf eine etwaige Unkenntnis
  173. der Mitarbeiter der Versicherungsmaklerin vom Schneeballsystem a nkommt, setzen sich erkennbar mit dem dazu gehaltenen Vortrag der Kl ägerinnen auseinander. Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG liegt insoweit nicht vor.
  174. 17
  175. f) Ohne Rechtsfehler nimmt das Berufungsgericht weiter an, die
  176. HEROS-Gruppe habe der Beklagten bei Abschluss der Police Nr. 7509
  177. - 10 -
  178. ihr bis dahin praktiziertes Schneeballsystem offenbaren müssen (vgl. d azu Senatsbeschluss vom 21. September 2011 - IV ZR 38/09 aaO Rn. 3540).
  179. 18
  180. g) Im Ergebnis ohne Erfolg bleiben auch die Angriffe der B eschwerde gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, die Beklagte
  181. habe Ende 2001 von dem Schneeballsystem der HEROS-Gruppe nichts
  182. gewusst und ihre Vertragserklärung sei durch diesen Irrtum verursacht.
  183. Ein Revisionszulassungsgrund ist damit nicht dargetan.
  184. 19
  185. aa) Allerdings durfte das Berufungsgericht den Irrtum der Bekla gten nicht im Wege des Anscheinsbeweises feststellen, weil der dafür v orausgesetzte typische Geschehensablauf hier nicht vorliegt, vielmehr die
  186. in Rede stehenden außergewöhnlichen Vorgänge einer Typisierung nicht
  187. zugänglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 1995 - II ZR 209/94,
  188. NJW 1996, 1051 unter 2 m.w.N.).
  189. 20
  190. Im Ergebnis hat sich dieser Rechtsfehler des Berufungsgerichts
  191. aber nicht ausgewirkt; das Berufungsurteil beruht darauf nicht.
  192. 21
  193. (1) Es ist tatrichterliche Aufgabe festzustellen, ob die Beklagte Ende 2001 wusste, dass sie mit dem Abschluss der Police ein Geldtran sportunternehmen versicherte, das schon seit Jahren systematisch auf
  194. Kundengelder zugriff und hierdurch eine ungedeckte Finanzlücke in drei stelliger Millionenhöhe verursacht hatte. Insoweit obliegt der Beklagten,
  195. wie das Berufungsgericht im Ansatz noch zutreffend angenommen hat,
  196. der Beweis für ihren behaupteten Irrtum.
  197. - 11 -
  198. 22
  199. Verübt der Erklärungsgegner seine Täuschung durch Verschweigen, besteht der Irrtum des Erklärenden in einem Nichtwissen. Will er
  200. sich auf die Unkenntnis der verschwiegenen Umstände berufen, muss er
  201. mithin darlegen und unter Beweis stellen, er habe diese Umstände nicht
  202. gekannt. Hierfür gelten die Regeln über Darlegung und Beweis von N egativtatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2000 - V ZR 285/99,
  203. NJW 2001, 64 unter III; Palandt/Ellenberger, BGB 71. Aufl. § 123
  204. Rn. 30). Dabei genügt der Anfechtende seiner Darlegungslast zunächst
  205. mit der Behauptung, die betreffenden Umstände seien ihm vom Erkl ärungsgegner verschwiegen worden und auch nicht auf andere Weise zur
  206. Kenntnis gelangt. Sodann ist es Aufgabe des Gegners, Umstände darzulegen, aus denen sich das Wissen des Anfechtenden um die verschwi egenen Tatsachen ergibt. Diese in erster Linie den Erklärungsgegner,
  207. mithin die Versicherungsnehmerin (HEROS), treffende sekundäre Darlegungslast trifft auch denjenigen Versicherten, der - wie die Klägerinnen an Stelle der Versicherungsnehmerin Rechte aus dem angefochtenen
  208. Vertrag herleiten will.
  209. 23
  210. (2) Das Berufungsgericht hätte, nachdem sich die Beklagte auf einen durch Verschweigen des Schneeballsystems hervorgerufen en Irrtum
  211. berufen hatte, prüfen müssen, ob der Klagvortrag insoweit geeignet war,
  212. substantiiert und schlüssig darzulegen, dass die Beklagte entgegen ihrer
  213. Behauptung Wesen und Ausmaß des von HEROS im Jahre 2001 unte rhaltenen Schneeballsystems kannte.
  214. 24
  215. (3) Das Berufungsgericht hat bei seiner rechtsirrtümlichen Prüfung,
  216. ob der von ihm herangezogene Anscheinsbeweis erschüttert sei, den
  217. Vortrag der Klägerinnen zu den behaupteten Indizien als wahr unterstellt
  218. - 12 -
  219. und anschließend unter Abwägung der Gesamtumstände zugrunde gelegt, dass selbst dann, wenn sich alle Behauptungen der Klägerinnen
  220. beweisen ließen, daraus nicht folge, dass die Beklagte Ende 2001 vom
  221. Schneeballsystem der HEROS-Gruppe in seiner tatsächlichen Dimension
  222. positive Kenntnis gehabt habe. Es hat damit im Ergebnis festgestellt, der
  223. Vortrag der Klägerinnen reiche letztlich nicht aus, um die Irrtumsbehauptung der Beklagten ernstlich zu erschüttern. Der Senat schließt aus,
  224. dass es - hätte es erkannt, dass die Klägerinnen nicht lediglich einen
  225. Anscheinsbeweis erschüttern, sondern eine sekundäre Darlegungslast
  226. erfüllen mussten - zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten der Klägerinnen liegt darin nicht. Misst
  227. der Tatrichter dem Parteivortrag nach Würdigung aller Umstände keine
  228. ausreichende Indizwirkung für das Vorliegen einer entscheidungserhebl ichen Tatsache bei, ist der Vortrag damit nicht unter Verstoß ge gen
  229. Art. 103 Abs. 1 GG übergangen; er kann vielmehr analog § 244 Abs. 3
  230. StPO davon absehen, Beweis über die dann bedeutungslosen Indiztatsachen zu erheben (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1993 - XII ZR
  231. 241/91, BGHZ 121, 266, 270 f.).
  232. 25
  233. (4) Zwar hat der Senat in der Sache IV ZR 38/09 (Beschluss vom
  234. 21. September 2011 aaO), in der die Klage einer anderen Versicherten
  235. vom Berufungsgericht ebenfalls mit der Begründung abgewiesen worden
  236. war, die Beklagte habe den Versicherungsvertrag mit der HEROS Gruppe wirksam angefochten, die Revision zugelassen. Alleiniger Zula ssungsgrund war jedoch, dass das Berufungsgericht einen Beweisantritt
  237. auf Vernehmung zweier Zeugen zur Frage der Kenntnis der Beklagten
  238. vom Anfechtungsgrund übergangen und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG
  239. verstoßen hatte (aaO Rn. 12 ff.). Der Senat hat deshalb das dortige Be-
  240. - 13 -
  241. rufungsurteil nach § 544 Abs. 7 ZPO im Beschlusswege aufgehoben und
  242. die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Eine solche Ve rfahrensrüge erhebt die Beschwerdeführerin hier nicht (vgl. dazu auch
  243. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2012 - IV ZR 41/11, juris Rn. 10-17).
  244. 26
  245. bb) Keine Bedenken bestehen dagegen, dass das Berufungsgericht die Kausalität des Irrtums der Beklagten für ihre Vertragserklärung
  246. im Wege des Anscheinsbeweises als erwiesen angesehen hat.
  247. 27
  248. (1) Zwar hat der II. Zivilsenat im Urteil vom 20. November 1995
  249. (II ZR 209/94, NJW 1996, 1051 unter 2) darauf hingewiesen, dass der
  250. ursächliche Zusammenhang zwischen Täuschung und Vertragsabschluss
  251. meist nicht mittels Anscheinsbeweises festgestellt werden könne (vgl.
  252. dazu auch BGH, Urteile vom 10. April 1958 - II ZR 324/56, WM 1958,
  253. 991, 992; vom 20. September 1968 - V ZR 137/65, NJW 1968, 2139).
  254. Dies hat seinen Grund darin, dass diese Beweisführung einen typischen
  255. Geschehensablauf voraussetzt, während die einem Vertragsschluss z ugrunde liegende Willensentschließung in der Regel von individuellen
  256. Umständen des Einzelfalles abhängt. Der II. Zivilsenat hat aber nicht in
  257. Abrede gestellt, dass bei bestimmten Rechtsgeschäften und unter besonderen Umständen aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung dennoch eine ausreichende Typizität gegeben sein kann.
  258. 28
  259. (2) So liegt der Fall hier. Es versteht sich, dass der Versicherer einer Geldtransportfirma nicht bereit ist, Versicherungsschutz zu gewä hren, der unter anderem auch die Unterschlagung von Kundengeldern
  260. durch die Versicherungsnehmerin umfassen soll, wenn er weiß, dass
  261. diese Versicherungsnehmerin bereits seit Jahren durch systematischen
  262. - 14 -
  263. rechtswidrigen Zugriff auf Kundengelder Millionenschäden verursacht
  264. hat. Die Annahme des Berufungsgerichts, hier sei nach der Lebenserfahrung die Täuschung geeignet gewesen, die Vertragserklärung der Beklagten zu beeinflussen, ist deshalb nicht zu beanstanden und steht mit
  265. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang (vgl. dazu
  266. BGH, Urteile vom 12. November 1957 - VIII ZR 311/56, NJW 1958, 177;
  267. vom 5. Dezember 1975 - V ZR 34/74, WM 1976, 111; vom 12. Mai 1995
  268. - V ZR 34/94, NJW 1995, 2361).
  269. 29
  270. h) Die Rügen, das Berufungsgericht habe die Indizien für eine
  271. Kenntnis der Beklagten vom Anfechtungsgrund bei der Prüfung des B eginns der Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 1 BGB unzureichend gewürdigt und zu Unrecht eine Bestätigung des anfechtbaren Vertrages nach
  272. § 144 Abs. 1 BGB verneint, zeigen keinen Revisionszulassungsgrund,
  273. insbesondere keinen Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte auf.
  274. 30
  275. i) Im Beschluss vom 21. September 2011 (aaO Rn. 53-59) hat der
  276. Senat allerdings im Rahmen eines rechtlichen Hinweises die Begründung
  277. beanstandet, mit der das Berufungsgericht es - wie auch im vorliegenden
  278. Rechtsstreit - verneint hat, dass die Arglistanfechtung über den Abschluss des Versicherungsvertrages Nr. 7509 hinaus auch die zeitgleiche
  279. einvernehmliche Aufhebung der Vorgänger-Police Nr. 7265 erfasst und
  280. im Ergebnis zu deren Wiederaufleben führt. Soweit dem Berufungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 139 BGB ein Rechtsfehler unterlaufen ist, gebietet dies nicht die Zulassung der Revision.
  281. 31
  282. An einer grundsätzlichen Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1
  283. Nr. 1 ZPO fehlt es schon deshalb, weil die allein auf Umständen des Ei n-
  284. - 15 -
  285. zelfalles beruhende Entscheidung nur für die beiden zwischen der
  286. HEROS-Gruppe und der Beklagten abgeschlossenen Versicherungspol icen und die dazu erklärte Arglistanfechtung bedeutsam ist. Zwar ist , wie
  287. gerade das vorliegende Verfahren zeigt, mittelbar eine Reihe Versicherter dieser beiden Verträge nach ihrer Behauptung mit erheblichen Schäden betroffen, doch handelt es sich insoweit sämtlich um ehemalige Au ftraggeber der Versicherungsnehmerin (HEROS-Gruppe) und damit um
  288. einen abgeschlossenen Kreis von Geschädigten, weshalb sich di e vom
  289. Berufungsgericht entschiedene Rechtsfrage nicht in einer unbestimmten
  290. Vielzahl weiterer Fälle stellt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2002
  291. - XI ZR 71/02, BGHZ 152, 182, 191; vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02,
  292. BGHZ 151, 221, 223). Einen verallgemeinerungsfähigen unrichtigen
  293. Rechtssatz hat das Berufungsgericht bei Prüfung der Voraussetzungen
  294. des § 139 BGB nicht aufgestellt. Seine Entscheidung steht deshalb nicht
  295. in Divergenz zum Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom
  296. 16. Mai 2007 (VersR 2007, 1681), so dass die Zulassung der Revision
  297. auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgen
  298. muss (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Dass das Berufungsgericht
  299. Verfahrensgrundrechte der Klägerinnen bei der Prüfung des § 139 BGB
  300. verletzt hätte, ist nicht ersichtlich.
  301. 32
  302. 2. Soweit das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche der
  303. Klägerinnen gegen die Beklagte sowohl aus dem angefochtenen Vertrag
  304. als auch den Versicherungsbestätigungen verneint hat, zeigt die B eschwerde keinen Rechtsfehler auf, der die Zulassung der Revision erfordert. Ergänzend verweist der Senat auf das Senatsurteil vom 25. Mai
  305. 2011 (IV ZR 117/09 aaO Rn. 68).
  306. - 16 -
  307. 33
  308. 3. Die Rügen der Verletzung von Verfahrensgrundrechten hat der
  309. Senat auch im Übrigen geprüft, sie greifen nicht durch. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
  310. 34
  311. 4. Da nach allem die Abweisung der Klage infolge der Arglistanfechtung der Prüfung im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde
  312. standhält, kommt es auf Fragen des Versicherungsfalles nicht an.
  313. Wendt
  314. Felsch
  315. Lehmann
  316. Harsdorf -Gebhardt
  317. Dr. Brockmöller
  318. Vorinstanzen:
  319. LG Hannover, Entscheidung vom 31.10.2008 - 13 O 20/07 OLG Celle, Entscheidung vom 19.11.2009 - 8 U 238/08 -