Monotone Arbeit nervt!
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

168 lines
7.6 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 121/08
  5. Verkündet am:
  6. 6. November 2008
  7. Kiefer
  8. Justizangestellter
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. - 2 -
  13. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 6. November 2008 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
  15. Dr. Wurm, Dr. Herrmann, Wöstmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer
  18. des Landgerichts Wiesbaden vom 29. Februar 2008 aufgehoben.
  19. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
  20. Wiesbaden vom 26. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
  21. Der Beklagte hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
  22. Von Rechts wegen
  23. Tatbestand
  24. 1
  25. Die Klägerin beteiligte sich im Jahre 2003 an einer sogenannten
  26. "Schenkbörse", die ähnlich wie im Senatsurteil vom 13. März 2008 (III ZR
  27. 282/07 = NJW 2008, 1942) beschrieben organisiert war. Am 27. Juni 2003
  28. übergab sie - auf der Geberposition stehend - an den Beklagten, der in der
  29. "Chartliste" auf der Empfängerposition eingetragen war, einen Betrag von
  30. 5.000 €. Mit der vorliegenden Klage verlangt sie die Rückerstattung dieser Zuwendung.
  31. - 3 -
  32. Der Beklagte hat sich darauf berufen, dass nicht er, sondern seine Mutter
  33. 2
  34. Empfängerin der Leistung gewesen sei. Seine Eintragung in die Chartliste sei
  35. ohne sein Wissen vorgenommen worden. Das Geld habe er auf Bitten seiner
  36. Mutter entgegengenommen, die wegen eines gegen sie geführten Insolvenzverfahrens nicht habe in Erscheinung treten wollen.
  37. Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung an die
  38. 3
  39. Klägerin verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt
  40. die Klägerin ihre Forderung weiter.
  41. Entscheidungsgründe
  42. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Wiederherstellung des amtsge-
  43. 4
  44. richtlichen Urteils.
  45. Der Beklagte ist aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1
  46. 5
  47. Satz 1 Alt. 1 BGB - Leistungskondiktion) zur Rückgewähr der geleisteten
  48. "Schenkung" an die Klägerin verpflichtet.
  49. 6
  50. 1.
  51. Der Beklagte selbst - und nicht etwa seine Mutter - war hier Empfänger
  52. der von der Klägerin erbrachten Leistung gewesen.
  53. 7
  54. a) Für die Ermittlung des Leistungsempfängers kommt es in erster Linie
  55. auf die der Zuwendung gegebene Zweckbestimmung, also zunächst darauf an,
  56. welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum Ausdruck gekommenen Willen
  57. verfolgt haben. Stimmen die Vorstellungen der Beteiligten nicht überein, ist
  58. - 4 -
  59. nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine objektive Betrachtungsweise aus der Sicht des Zuwendungsempfängers geboten. Es kommt
  60. darauf an, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Zuwendung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen
  61. musste und durfte (Senatsurteil vom 21. Oktober 2004 - III ZR 38/04 = NJW
  62. 2005, 60 f m.w.N.).
  63. 8
  64. b) Beide Vorinstanzen haben unter Beachtung dieser Grundsätze in revisionsrechtlich nicht angreifbarer tatrichterlicher Würdigung hier eine Empfängereigenschaft des Beklagten bejaht. Diesem war - wie er selbst einräumt - zumindest bekannt, dass seine Mutter bei der Veranstaltung vom 27. Juni 2003
  65. nach außen nicht als Empfängerin in Erscheinung treten wollte. Die jeweiligen
  66. Geber, darunter auch die Klägerin, haben den Beklagten als denjenigen angesehen, den sie "beschenken" wollten. Dies ergab sich objektiv auch aus der
  67. "Chartliste", unabhängig davon, ob diese dem Beklagten bekannt war. Bei objektiver Betrachtungsweise musste daher dem Beklagten nach den vorstehend
  68. wiedergegebenen Grundsätzen klar sein, dass die Geldbeträge nach ihrer
  69. Zweckbestimmung zunächst ihm selbst zufließen sollten, wobei unerheblich ist,
  70. wie er selbst sie später verwendete, insbesondere, dass er sie an seine Mutter
  71. weiterleitete.
  72. 9
  73. c) Auf die von der Revisionserwiderung angesprochenen insolvenzrechtlichen Fragen kommt es angesichts dieser objektiven Sachlage nicht an. Die
  74. weiteren von der Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang erhobenen
  75. Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet; von
  76. einer näheren Begründung wird abgesehen (§ 564 ZPO).
  77. - 5 -
  78. 10
  79. 2.
  80. Diese Zuwendung war wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) nichtig. Bei
  81. den Schenkkreisen handelt es sich um ein Schneeballsystem, welches darauf
  82. angelegt ist, dass die ersten Mitglieder einen (meist) sicheren Gewinn erzielen,
  83. während die große Masse der späteren Teilnehmer ihren Einsatz verlieren
  84. muss, weil angesichts des Vervielfältigungsfaktors in absehbarer Zeit keine
  85. neuen Mitglieder mehr geworben werden können. Dies verstößt - wie in der
  86. Rechtsprechung allgemein anerkannt ist - gegen die guten Sitten (vgl. insbesondere Senatsurteile vom 10. November 2005 - III ZR 72/05 = NJW 2006, 45,
  87. 46 Rn. 9 und vom 13. März 2008 - III ZR 282/07 = NJW 2008, 1942 Rn. 6; jeweils m.w.N.). Dieser Verstoß gegen die guten Sitten fällt sowohl der Klägerin
  88. als der Leistenden als auch dem Beklagten als dem Empfänger zur Last.
  89. 11
  90. 3.
  91. Dies verkennt vom rechtlichen Ansatzpunkt her auch das Berufungsge-
  92. richt nicht. Es meint jedoch, der hierauf gestützte Bereicherungsanspruch scheitere an § 817 Satz 2 BGB. Darin vermag der Senat ihm nicht zu folgen. Der Senat hat vielmehr - nach Erlass des hier in Rede stehenden Berufungsurteils entschieden, dass die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB nicht
  93. nur bei Bereicherungsansprüchen entfällt, die sich gegen die Initiatoren eines
  94. "Schenkkreises" richten, sondern allgemein bei allen Zuwendungen im Rahmen
  95. derartiger Kreise, ohne dass es auf eine einzelfallbezogene Prüfung der Geschäftsgewandtheit und Erfahrenheit des betroffenen Gebers oder Empfängers
  96. ankommt (Senatsurteil vom 13. März 2008 aaO Rn. 10). An diesem Grundsatz
  97. ist - auch bei voller Würdigung der gegenteiligen Argumentation des Landgerichts und der Revisionserwiderung - festzuhalten. Die generelle Rückforderbarkeit der geleisteten Zuwendungen hat nach Einschätzung des Senats eine
  98. "generalpräventive" Funktion, die geeignet ist, diesem sozialschädlichen Treiben entgegenzuwirken.
  99. - 6 -
  100. 12
  101. 4.
  102. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Bereicherung bei
  103. ihm weggefallen sei, weil er die empfangenen Zuwendungen an seine Mutter
  104. weitergeleitet habe. Vielmehr gilt insoweit § 819 Abs. 2 BGB, wonach der Empfänger bereits vom Empfang der Leistung an verschärft haftet, wenn er durch
  105. die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten
  106. verstößt. Die Haftungsverschärfung gemäß § 819 Abs. 2 BGB setzt das Bewusstsein des Empfängers von der Rechts- oder Sittenwidrigkeit voraus
  107. (MünchKommBGB/Lieb, 4. Aufl. 2004 § 819 Rn. 14 m.w.N. in Fn. 32). Dieses
  108. Bewusstsein haben beide Vorinstanzen bei dem Beklagten in rechtsfehlerfreier
  109. tatrichterlicher Würdigung festgestellt. Dem Beklagten war entweder positiv bekannt, dass es sich bei dem "Schenkkreis" um ein sittenwidriges Schneeballsystem gehandelt hat, oder er hat sich dieser Erkenntnis in einer Weise verschlossen, die es ihm nach Treu und Glauben verwehrt, sich nunmehr auf ein fehlendes Bewusstsein zu berufen. Auch die in diesem Zusammenhang erhobenen
  110. Verfahrensrügen des Beklagten hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).
  111. - 7 -
  112. 13
  113. 5.
  114. Der Beklagte ist nach alledem mit Recht zur Rückzahlung an die Klägerin
  115. verurteilt worden; das verurteilende Erkenntnis des Amtsgerichts war unter Aufhebung des klageabweisenden Berufungsurteils wiederherzustellen.
  116. Schlick
  117. Wurm
  118. Wöstmann
  119. Herrmann
  120. Harsdorf-Gebhardt
  121. Vorinstanzen:
  122. AG Wiesbaden, Entscheidung vom 27.07.2007 - 92 C 1507/07-12- LG Wiesbaden, Entscheidung vom 29.02.2008 - 3 S 67/07 -