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1 year ago
  1. BGHR: ja
  2. BUNDESGERICHTSHOF
  3. BESCHLUSS
  4. III ZB 46/00
  5. vom
  6. 30. November 2000
  7. in dem Rechtsstreit
  8. - 2 -
  9. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. November 2000 durch
  10. den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick
  11. und Dörr
  12. beschlossen:
  13. Die weitere Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des
  14. 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. August
  15. 2000 - 15 W 2263/00 - wird als unzulässig verworfen.
  16. Gründe
  17. I.
  18. Die in der Ukraine geborene und auch heute dort lebende Klägerin wurde im Jahre 1942 in einem Sammeltransport aus ihrer Heimat nach Deutschland verbracht. Dort arbeitete sie in einem Betrieb der Beklagten bis zum
  19. Kriegsende 1945.
  20. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die von ihr 36 Monate lang
  21. geleistete Zwangsarbeit eine Entschädigung in Höhe von 39.272,72 DM sowie
  22. eine pauschale Entschädigung in Höhe von 6.000 DM wegen der Umstände
  23. der Unterbringung in einem umzäunten Lager und der schlechten Verpflegung.
  24. - 3 -
  25. Nach Verweisung des beim Arbeitsgericht anhängig gemachten Rechtsstreits an das Landgericht hat dieses der Klägerin mit Beschluß vom 31. Juli
  26. 2000 die beantragte Prozeßkostenhilfe versagt. Mit Beschluß vom 21. August
  27. 2000 hat das Oberlandesgericht die gegen die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe eingelegte Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat
  28. es ausgeführt, einem Klageerfolg stehe § 16 des am 12. August 2000 in Kraft
  29. getretenen Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung
  30. und Zukunft" (im folgenden: Stiftungsgesetz) vom 2. August 2000 (BGBl. I
  31. S. 1263) entgegen, wonach weitergehende Ansprüche ausgeschlossen seien.
  32. Dagegen richtet sich die (außerordentliche) weitere Beschwerde der Klägerin.
  33. II.
  34. Die (weitere) außerordentliche Beschwerde der Klägerin ist unzulässig.
  35. Gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte über die Beschwerde im Prozeßkostenhilfeverfahren gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist eine weitere Beschwerdemöglichkeit an den Bundesgerichtshof von Gesetzes wegen nicht eröffnet (§ 567 Abs. 4 Satz 1, § 568 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung
  36. ausnahmsweise eine im Gesetz nicht vorgesehene "außerordentliche Beschwerde" zuläßt, vorliegend nicht erfüllt.
  37. Auf der Grundlage ihres Vorbringens gehört die Klägerin, die 1942 aus
  38. ihrem Heimatstaat in das Gebiet des Deutschen Reiches deportiert und dort zu
  39. einem Arbeitseinsatz in einem gewerblichen Unternehmen gezwungen wurde,
  40. zu den leistungsberechtigten Personen nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Stiftungsgesetzes. Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes können Leistungsbe-
  41. - 4 -
  42. rechtigte Leistungen aus Mitteln der Stiftung (§ 9) nur nach diesem Gesetz erlangen; etwaige weitergehende Ansprüche im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Unrecht sind nach Satz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich ausgeschlossen.
  43. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, das auch und gerade
  44. dem Anliegen deutscher Unternehmen, umfassenden und dauerhaften Rechtsfrieden in und außerhalb Deutschlands zu erhalten, Rechnung tragen will (vgl.
  45. die amtliche Begründung BT-Drucks. 14/3206 S. 18), stehen der Klägerin Forderungen gegen das Unternehmen, das sie in den Kriegsjahren als Zwangsarbeiterin beschäftigt hat, nicht zu.
  46. Angesichts dieser klaren Gesetzeslage fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß die auf den in § 16 des Stiftungsgesetzes normierten Anspruchsausschluß abstellende Entscheidung des Oberlandesgerichts "greifbar gesetzwidrig", d.h. mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sein könnte, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist (vgl.
  47. BGHZ 109, 41, 43 f; 119, 372, 374; 131, 185, 188 sowie die weiteren in BGHR
  48. ZPO vor § 1/Rechtsmittel unter dem Schlagwort Gesetzwidrigkeit, greifbare
  49. abgedruckten Entscheidungen).
  50. 1.
  51. Vergeblich macht die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang
  52. geltend, das Stiftungsgesetz sei (insbesondere) deshalb verfassungswidrig,
  53. weil es den Leistungsberechtigten ihre gegen die Unternehmen bestehenden
  54. (weitergehenden) Ansprüche nehme und deshalb eine unzulässige Enteignung
  55. bewirke.
  56. - 5 -
  57. Der Gesetzgeber hat den in § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes enthaltenen Anspruchsausschluß unter dem Aspekt des Art. 14 GG geprüft. Er ist unter
  58. Hinweis auf die in BVerfGE 42, 263 veröffentlichte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (betreffend die Umformung privatrechtlicher Ansprüche
  59. durch das Gesetz über die Errichtung einer Stiftung "Hilfswerk für behinderte
  60. Kinder") zu dem Ergebnis gelangt, daß die von ihm gefundene Lösung verfassungsrechtlich unbedenklich sei, weil an die Stelle vermeintlicher Ansprüche
  61. gegen vielerorts nicht mehr existierende Anspruchsgegner eine angemessen
  62. ausgestattete Stiftung trete, die auch denjenigen ehemaligen Zwangsarbeitern
  63. offenstehe, deren früherer "Arbeitgeber" nicht mehr haftbar gemacht werden
  64. könne und auch nicht zu den Stiftungsunternehmen gehöre. Des weiteren hat
  65. der Gesetzgeber in seine Überlegungen den Umstand mit einbezogen, daß die
  66. Wiedergutmachungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland einen Entschädigungsanspruch wegen Zwangsarbeit nicht vorsähen, und außerdem berücksichtigt, daß bislang keine rechtskräftige Gerichtsentscheidung bekannt geworden sei, die einen gegen ein Unternehmen gerichteten Entschädigungsanspruch eines ehemaligen Zwangsarbeiters für begründet erachtet habe (BTDrucks. 14/3206 S. 17 f).
  67. Der Senat vermag schon nicht zu erkennen, daß diese Einschätzung der
  68. Verfassungslage durch den Gesetzgeber so verfehlt sein könnte, daß deshalb
  69. eine Vorlage nach § 100 Abs. 1 GG zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit des
  70. § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes in Betracht zu ziehen wäre (bloße Zweifel an
  71. der Verfassungsmäßigkeit einer Norm genügen nicht, vgl. nur BVerfGE 86, 52,
  72. 57 und 80, 54, 59 m.w.N.). Diese Frage braucht indes vorliegend nicht vertieft
  73. zu werden, weshalb auch eine nähere Auseinandersetzung mit der von der Beschwerdeführerin vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme zur Verfassungs-
  74. - 6 -
  75. mäßigkeit des Stiftungsgesetzes nicht geboten ist. Jedenfalls kann keine Rede
  76. davon sein, daß die Ausschlußnorm des § 16 Abs. 1 des Stiftungsgesetzes so
  77. evident verfassungswidrig ist, daß in der Anwendung dieses Gesetzes durch
  78. die Gerichte eine greifbare Gesetzwidrigkeit im Sinne der Rechtsprechung des
  79. Bundesgerichtshofs gesehen werden könnte.
  80. 2.
  81. Ebenfalls erfolglos bleibt der Hinweis der Beschwerdeführerin auf den
  82. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (1. Kammer des Ersten Senats) vom
  83. 2. März 2000 (NJW 2000, 2098). In diesem Beschluß hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, die Ablehnung der Prozeßkostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussicht verletze den Antragsteller dann, wenn die beabsichtigte
  84. Klage schwierige, bislang nicht hinreichend geklärte Rechts- und Tatsachenfragen aufwerfe, in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1
  85. GG i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz).
  86. Dieser Beschluß ist vorliegend schon deshalb nicht einschlägig, weil der
  87. einfachgesetzliche Ausschluß weitergehender Ansprüche völlig eindeutig und
  88. daher nicht klärungsbedürftig ist und die Frage der Verfassungsmäßigkeit oder
  89. Verfassungswidrigkeit dieser Norm im Zivilprozeß, sofern das Gericht nicht die
  90. zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG
  91. notwendige Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der Norm zu gewinnen vermag, einer endgültigen und abschließenden Klärung nicht zugeführt
  92. wird.
  93. Darüber hinaus ist festzuhalten, daß eine "bloß" falsche Entscheidung
  94. nicht schon deshalb als greifbar gesetzwidrig anzusehen ist, weil der Geset-
  95. - 7 -
  96. zesverstoß (auch) auf der Ebene des Verfassungsrechts liegt (vgl. BGH, Beschluß vom 28. Oktober 1998 - VIII ZR 190/98 - NJW 1999, 290, 291).
  97. Rinne
  98. Wurm
  99. Schlick
  100. Streck
  101. Dörr