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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. II ZR 51/07
  4. vom
  5. 28. April 2008
  6. in dem Rechtsstreit
  7. -2-
  8. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. April 2008 durch
  9. den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
  10. Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher
  11. gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
  12. beschlossen:
  13. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil
  14. des 10. Zivilsenats des Kammergerichts vom 12. Februar 2007
  15. aufgehoben.
  16. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  17. über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an
  18. den 23. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
  19. Gründe:
  20. 1
  21. Das Berufungsgericht hat in vielfältiger Weise Vortrag des Klägers übergangen und dadurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103
  22. GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
  23. 2
  24. I. 1. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  25. hat das Berufungsgericht - zunächst noch zutreffend - erkannt, dass das halbjährige Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen ohne weiteres eine
  26. Zahlungsunfähigkeit indiziert (siehe zuletzt BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006
  27. - IX ZB 238/05, ZIP 2006, 1457 ff. Tz. 5 f. m.w.Nachw.). Es hat dann aber übergangen, dass der Kläger mehrfach, nämlich erstinstanzlich auf GA 50 und ausdrücklich erneut im Rahmen der Aufstellung der nicht beglichenen Forderungen
  28. -3-
  29. auf GA 106 vorgetragen hat, dass jedenfalls gegenüber der AOK B.
  30. bereits
  31. seit dem 1. Januar 2002 Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt worden
  32. sind, was zusätzlich durch den ebenfalls in Bezug genommenen Strafbefehl
  33. (Anlage K 4 Seite 6) belegt wird. Hätte das Berufungsgericht diesen Vortrag
  34. berücksichtigt, ist nicht ausgeschlossen, dass es die Zahlungsunfähigkeit der
  35. GmbH im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Kläger (Juli 2002) bereits
  36. aufgrund dieser Tatsache angenommen hätte.
  37. 3
  38. 2. Ebenfalls in entscheidungserheblicher Weise hat das Berufungsgericht
  39. den Vortrag des Klägers im Zusammenhang mit dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in Höhe von 511.291,88 € übergangen.
  40. 4
  41. Zwar unterstellt es im Rahmen der Prüfung der Überschuldung das Bestehen dieser Forderung, so dass von einem vollständigen Nichtzurkenntnisnehmen des Vortrags nicht gesprochen werden kann. Ein Verstoß gegen
  42. Art. 103 GG liegt aber auch dann vor, wenn das Berufungsgericht Parteivortrag
  43. zwar nicht völlig außer Acht lässt, ihn jedoch in einer Weise abtut, die deutlich
  44. macht, dass es den wesentlichen Kern dieses Vortrags zu einer zentralen Frage nicht richtig erfasst und nicht ausreichend berücksichtigt hat (BVerfG,
  45. ZIP 2004, 1762, 1763 m.w.Nachw.).
  46. 5
  47. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hätte das Bestehen dieser
  48. Forderung - auch - bei der Prüfung der Zahlungseinstellung berücksichtigen
  49. müssen. Die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger kann bereits
  50. ausreichen, wenn diese Forderung von insgesamt nicht unerheblicher Höhe ist
  51. (BGHZ 149, 178, 184 f. m.w.Nachw.). Angesichts des vom Beklagten behaupteten Kontoguthabens in Höhe von ca. 240.000,00 € ist bei Berücksichtigung einer Forderung in Höhe von über 500.000,00 € nicht ausgeschlossen, dass das
  52. -4-
  53. Berufungsgericht - auch - aufgrund dieser Tatsache die Zahlungseinstellung
  54. festgestellt hätte.
  55. 6
  56. 3. Zu Unrecht und unter Verstoß gegen Art. 103 GG hat das Berufungsgericht
  57. ferner
  58. den
  59. Vortrag
  60. des
  61. Klägers
  62. zu
  63. den
  64. (Grunderwerbs-)
  65. Steuerrückständen, die ebenfalls ein Indiz für die Zahlungseinstellung sein
  66. konnten, nicht zur Kenntnis genommen, indem es diesen zu Unrecht als unsubstantiiert abgetan hat. Dass diese Steuer im April 2002 rückständig war, ist
  67. hinreichend dadurch dargetan, dass dieser Vorwurf Gegenstand des Strafbefehls war, dessen Berechtigung der Beklagte insoweit nicht angegriffen hat.
  68. Gegen diesen substantiierten Vortrag konnte sich der Beklagte, anders als das
  69. Berufungsgericht meint, nicht, jedenfalls nicht in erheblicher Weise mit dem
  70. bloßen Hinweis verteidigen, der Kaufvertrag sei rückabgewickelt worden.
  71. 4. Im Zusammenhang mit dem Vortrag des Klägers zu Gehaltsrückstän-
  72. 7
  73. den der GmbH gegenüber ihren Mitarbeitern, die ebenfalls Indizwirkung für eine
  74. Zahlungseinstellung haben, hat das Berufungsgericht weiteren entscheidungserheblichen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 GG übergangen. Der Kläger
  75. hat nämlich nicht lediglich Gehaltsrückstände gegenüber dem Arbeitnehmer
  76. Y.
  77. vorgetragen, den das Berufungsgericht berücksichtigt hat, sondern so-
  78. wohl erst- als auch zweitinstanzlich (GA 49, 106) darauf hingewiesen, dass in
  79. den Monaten Mai, Juni und Juli 2002 weiteren Arbeitnehmern die Gehälter nicht
  80. gezahlt worden sind.
  81. 8
  82. II. Im Zusammenhang mit der Behauptung des Klägers, die GmbH sei im
  83. Zeitpunkt des Vertragsschlusses überschuldet im Sinne des § 19 Abs. 2
  84. InsO gewesen, hat das Berufungsgericht ebenfalls Vortrag des Klägers unter
  85. Verstoß gegen Art. 103 GG übergangen. Es hat insoweit lediglich den Vortrag
  86. zu der Forderung gegen die GmbH aus dem notariellen Kaufvertrag zur Kennt-
  87. -5-
  88. nis genommen und gemeint, selbst unter deren Berücksichtigung sei die Bilanz
  89. 2001 nicht falsch. Den weiteren Vortrag des Klägers, die Forderung gegen die
  90. Firma M.
  91. in Höhe von 1,3 Mio. € sei nicht realisierbar gewesen mit
  92. der Folge, dass sie in der Bilanz nicht habe aktiviert werden dürfen, hat es hingegen übergangen. Die dadurch bedingte Verkürzung der Bilanzsumme zusammen mit der - vom Berufungsgericht gesehenen - Passivierungspflicht hinsichtlich der Kaufpreisforderung hätte bereits Ende 2001 zu einer rechnerischen
  93. Überschuldung der GmbH geführt. Auch das Übergehen dieses Vortrags ist
  94. entscheidungserheblich. Die nach dem Vortrag des Klägers unrichtige Jahresbilanz ist ein Indiz dafür, dass in dem entsprechenden Zeitpunkt die Gesellschaft
  95. auch im insolvenzrechtlichen Sinn überschuldet war. Gegengründe für die danach anzunehmende Insolvenzreife sind bisher weder vorgetragen noch festgestellt worden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist angesichts der
  96. Kürze der Zeitspanne zwischen dem Bilanzstichtag (Ende 2001) und dem Vertragsschluss (Juli 2002) grundsätzlich davon auszugehen, (siehe nur Sen.Urt. v.
  97. 12. März 2007 - II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 ff. Tz. 15 m.w.Nachw.), dass die
  98. Gesellschaft auch bei Vertragsschluss noch insolvenzreif war, sofern dieser
  99. Zustand
  100. bereits
  101. Ende
  102. 2001
  103. bestanden
  104. hat.
  105. -6-
  106. 9
  107. III. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des
  108. § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
  109. Goette
  110. Kurzwelly
  111. Caliebe
  112. Kraemer
  113. Drescher
  114. Vorinstanzen:
  115. LG Berlin, Entscheidung vom 20.03.2006 - 30 O 429/05 KG Berlin, Entscheidung vom 12.02.2007 - 10 U 79/06 -