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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. II ZR 311/14
  5. Verkündet am:
  6. 3. Mai 2016
  7. Stoll
  8. Justizhauptsekretärin
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 823 Abs. 2 Be; StGB § 266a Abs. 1
  19. Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen aus
  20. § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1 StGB in Anspruch nimmt, trägt für den Vorsatz des
  21. Beklagten die Darlegungs- und Beweislast auch dann, wenn die objektive Pflichtwidrigkeit des beanstandeten Verhaltens feststeht.
  22. BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 185 Nr. 1
  23. Durch eine öffentliche Zustellung der Klageschrift, die unwirksam ist, weil ihre Voraussetzungen - für das bewilligende Gericht erkennbar - nicht vorgelegen haben,
  24. wird die Verjährung nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt (Anschluss an
  25. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 324).
  26. BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 - II ZR 311/14 - KG
  27. LG Berlin
  28. ECLI:DE:BGH:2016:030516UIIZR311.14.0
  29. -2-
  30. Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  31. vom 3. Mai 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, die
  32. Richterin Caliebe sowie die Richter Prof. Dr. Drescher, Born und Sunder
  33. für Recht erkannt:
  34. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
  35. 25. Zivilsenats des Kammergerichts vom 13. Oktober 2014
  36. aufgehoben.
  37. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
  38. auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  39. Von Rechts wegen
  40. Tatbestand:
  41. 1
  42. Die Klägerin macht als zuständige Einzugsstelle einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten wegen des Nichtabführens der für mehrere Arbeitnehmer der U.
  43. GmbH für den Monat September 2002 geschul-
  44. deten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung geltend. Der Beklagte war
  45. (jedenfalls) seit Anfang September 2002 - nach seinen Angaben als Lagerarbeiter und Fahrer - für die GmbH tätig. Er erwarb von dem Schwager seiner Ehe-
  46. -3-
  47. frau, N.
  48. D.
  49. , der Mehrheitsgesellschafter blieb, einen zehnprozenti-
  50. gen Geschäftsanteil an der GmbH. Auf der Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses vom 19. September 2002 wurde der Beklagte am 18. November
  51. 2002 anstelle des N.
  52. D.
  53. als Geschäftsführer der U.
  54. GmbH im Handelsregister eingetragen. Am 28. Februar 2003 wurde er als Geschäftsführer wieder abberufen; am gleichen Tag veräußerten der Beklagte und
  55. N.
  56. 2
  57. D.
  58. ihre Geschäftsanteile an J.
  59. Die U.
  60. D.
  61. .
  62. GmbH beschäftigte, wie strafrechtliche Ermittlungen
  63. ergaben, im Zeitraum von April bis September 2002 in erheblichem Umfang
  64. Arbeitnehmer, ohne die anfallenden Sozialversicherungsbeiträge an die Klägerin abzuführen. Am 15. März 2003 stellte sie ihren Geschäftsbetrieb nach vorangegangener Beschlagnahme ihrer Geschäftskonten ein. Am 10. April 2003
  65. wurde die vorläufige Insolvenzverwaltung über das Vermögen der Gesellschaft
  66. angeordnet.
  67. 3
  68. Die Klägerin hat die Klageschrift am 23. August 2005 beim Landgericht
  69. eingereicht und deren öffentliche Zustellung beantragt, da der Aufenthaltsort
  70. des Beklagten unbekannt sei. Zum Beleg hat sie zwei Mitteilungen der Stadt
  71. St.
  72. vom 27. Mai und 8. Juli 2004 beigefügt, wonach der Beklagte mit un-
  73. bekannter Anschrift nach S.
  74. in Bosnien-Herzegowina verzogen sei. Fer-
  75. ner hatte die Klägerin den Aufenthaltsort des Beklagten vergeblich durch Auskunftsersuchen an das Bundeszentralregister und die Creditreform zu ermitteln
  76. versucht. Das Landgericht hat die öffentliche Zustellung der Klage bewilligt und
  77. die Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens angeordnet. Die für die Bewirkung der Zustellung maßgebende Frist (§ 188 ZPO) endete am 23. Januar
  78. 2006. Durch Versäumnisurteil vom 24. Februar 2006 hat das Landgericht den
  79. Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 28.730,43 € nebst Zinsen verurteilt
  80. und festgestellt, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaub-
  81. -4-
  82. ten Handlung beruhe. Des Weiteren hat das Landgericht die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils angeordnet.
  83. 4
  84. Der Beklagte hat am 12. November 2013 Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und geltend gemacht, die öffentliche Zustellung des
  85. Versäumnisurteils sei unwirksam. Das Landgericht hat den Einspruch wegen
  86. Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig verworfen. Auf die Berufung des
  87. Beklagten hat das Berufungsgericht in der Sache entschieden und das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner
  88. vom Senat zugelassenen Revision.
  89. Entscheidungsgründe:
  90. 5
  91. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
  92. und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  93. 6
  94. I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
  95. 7
  96. Der Einspruch des Beklagten sei nicht verfristet, da die wegen der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils nach § 339 Abs. 2 ZPO erforderliche
  97. Bestimmung der Einspruchsfrist unterblieben sei. In der Sache sei das Versäumnisurteil aber zu Recht ergangen. Der Beklagte sei in Höhe der im September 2002 angefallenen und von der U.
  98. GmbH nicht abgeführten
  99. Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB zum
  100. Schadensersatz verpflichtet.
  101. -5-
  102. 8
  103. Der Beklagte sei am 19. September 2002 durch einen notariell beurkundeten Gesellschafterbeschluss zum Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt
  104. worden. Er habe nicht nachvollziehbar dargetan, dass er keine auf die Übernahme der Geschäftsführerposition gerichtete Erklärung abgegeben habe. Das
  105. Schreiben des Notars W.
  106. vom 23. Oktober 2002 belege vielmehr, dass es am
  107. 19. September 2002 unter Beteiligung des Beklagten zu Beurkundungen gekommen sei, die zu seiner Eintragung als Geschäftsführer im Handelsregister
  108. geführt hätten. Sollte der Beklagte eine entsprechende Erklärung nicht habe
  109. abgeben wollen, so habe er es (nach Kenntniserlangung) versäumt, die Erklärung durch Anfechtung rückwirkend zu beseitigen, und stattdessen lediglich für
  110. seine Abberufung mit Gesellschafterbeschluss vom 28. Februar 2003 gesorgt.
  111. 9
  112. Weiter sei davon auszugehen, dass der Beklagte mit dem für die Verwirklichung von § 266a StGB erforderlichen, zumindest bedingten, Vorsatz gehandelt habe. Für das Verschulden trage zwar grundsätzlich der Geschädigte
  113. die Beweislast. Stehe aber - wie hier - die objektive Pflichtwidrigkeit des beanstandeten Verhaltens fest, indiziere dies im Allgemeinen den Schuldvorwurf.
  114. Der das Schutzgesetz Übertretende müsse dann in aller Regel Umstände darlegen und beweisen, die geeignet seien, die Annahme seines Verschuldens
  115. auszuräumen. Dies sei dem Beklagten im Streitfall nicht gelungen. Es sei weder
  116. ersichtlich, dass dem Beklagten die allgemein bekannte Verpflichtung eines
  117. Arbeitgebers zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen unbekannt gewesen sei, noch, dass ihm verborgen geblieben sei, dass die U.
  118. GmbH im September 2002 in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigt
  119. habe. Der Beklagte könne sich auch nicht damit exkulpieren, dass er nur formal
  120. nach außen hin Geschäftsführer gewesen sei und keine Kenntnis von der Geschäftsführung gehabt habe, die de facto weiterhin von dem früheren Geschäftsführer N.
  121. D.
  122. wahrgenommen worden sei. Denn die Verant-
  123. wortlichkeit nach § 266a StGB bestehe unabhängig von der gesellschaftsinter-
  124. -6-
  125. nen Zuständigkeitsverteilung oder einer Delegation auf andere Personen und
  126. treffe auch den formellen Geschäftsführer.
  127. 10
  128. Die Behauptung des Beklagten, er habe erst am 5. Februar 2003 erfahren, dass er zum Geschäftsführer bestellt worden sei, entlaste ihn schon deshalb nicht, weil er weiterhin bis zu seiner Abberufung Ende Februar 2003 untätig geblieben sei und nicht für die Abführung der für September 2002 geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge gesorgt habe. Es sei nichts dafür dargetan,
  129. dass der Beklagte hätte annehmen dürfen, es seien keine entsprechenden
  130. Rückstände bei den Sozialversicherungsträgern entstanden. Im Übrigen sei
  131. unklar und einer Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung nicht zugänglich,
  132. was der Beklagte mit „nicht hinreichenden Sprachkenntnissen“ meine, derentwegen er die Beurkundung seiner Bestellung zum Geschäftsführer am
  133. 19. September 2002 angeblich inhaltlich nicht erfasst habe. Immerhin habe der
  134. Beklagte nicht erst seit Anfang September 2002 im deutschsprachigen Raum
  135. gelebt, sondern sei aus Österreich nach St.
  136. zugezogen. Seiner Behaup-
  137. tung unzureichender Deutschkenntnisse stehe zudem entgegen, dass die vorgelegte notarielle Urkunde vom 28. Februar 2003 keine dahingehende Feststellung gemäß § 16 Abs. 1 BeurkG enthalte.
  138. 11
  139. Schließlich sei der Anspruch der Klägerin auch nicht, wie vom Beklagten
  140. geltend gemacht, verjährt. Die Verjährungsfrist habe nach Kenntnis der Klägerin
  141. von der Verletzungshandlung erst mit dem Ende des Jahres 2003 begonnen
  142. und sei vor ihrem Ablauf am 31. Dezember 2006 rechtzeitig durch die Erhebung
  143. der vorliegenden Klage gehemmt worden. Die öffentliche Zustellung der Klage
  144. im Januar 2006 sei wirksam gewesen. Der Aufenthaltsort des Beklagten bei
  145. Klageerhebung müsse schon deshalb als unbekannt gelten, weil der Beklagte
  146. einerseits vorgetragen habe, sich am 8. Juli 2003 nach Bosnien-Herzegowina
  147. abgemeldet zu haben, zugleich aber vorgetragen habe, ab April 2003 wieder in
  148. -7-
  149. Österreich gemeldet gewesen zu sein. Wo er tatsächlich gewohnt habe, bleibe
  150. im Dunkeln. Schon gar nicht erhelle, wie irgendjemand seinen etwaigen Umzug
  151. von Bosnien-Herzegowina nach Österreich in Erfahrung hätte bringen sollen.
  152. 12
  153. II. Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der
  154. vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann Vorsatz des Beklagten
  155. nicht bejaht werden. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet außerdem die Ansicht des Berufungsgerichts, die Verjährung der Klageforderung sei
  156. im Januar 2006 durch Klageerhebung gehemmt worden.
  157. 13
  158. 1. Das Berufungsgericht ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass
  159. eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB zumindest bedingten
  160. Vorsatz erfordert und dass die Klägerin als Geschädigte grundsätzlich die Beweislast für das Verschulden trägt. Die nachfolgende Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich umfassend zu exkulpieren und er habe den
  161. daraus folgenden Darlegungsanforderungen nicht entsprochen, ist jedoch von
  162. Rechts- und Verfahrensfehlern beeinflusst.
  163. 14
  164. a) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aus der Feststellung der
  165. objektiven Pflichtwidrigkeit gefolgert, es sei Sache des Beklagten, darzulegen
  166. und ggf. zu beweisen, dass er nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt
  167. habe. Damit hat das Berufungsgericht die für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB
  168. i.V.m. § 266a StGB maßgebende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast
  169. verkannt.
  170. 15
  171. aa) Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer GmbH
  172. wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung in Anspruch nimmt und sich hierbei, wie die Klägerin im Streitfall, auf eine deliktische
  173. Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat grundsätzlich alle
  174. Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der
  175. -8-
  176. einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt; den in Anspruch
  177. genommenen Geschäftsführer trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast
  178. (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14;
  179. Urteil vom 11. Dezember 2001 - VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525 f. mwN). Die
  180. Darlegungs- und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des Beklagten (BGH, Urteil vom
  181. 18. Dezember 2012 - II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14 mwN).
  182. 16
  183. Die vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 4. April 1967 - VI ZR 98/65, VersR 1967, 685; Urteil vom
  184. 26. November
  185. 1968
  186. - VI ZR 212/66,
  187. BGHZ 51,
  188. 91,
  189. 103 f.;
  190. Urteil
  191. vom
  192. 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83, WM 1985, 590 f. = VersR 1985, 452 f.) stehen dem nicht entgegen. Diesen Entscheidungen kann zwar zu der Vorschrift
  193. des § 823 Abs. 2 BGB die Aussage entnommen werden, dass bei objektiv feststehender Verletzung eines Schutzgesetzes der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen müsse, die geeignet seien,
  194. die daraus folgende Annahme seines Verschuldens auszuräumen. Dieser an
  195. die Beweislastverteilung nach § 282 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB)
  196. angelehnte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Schadensersatzanspruch
  197. - wie im Streitfall - Vorsatz voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember
  198. 2012
  199. - II ZR 220/10,
  200. ZIP 2013,
  201. 412
  202. Rn. 15;
  203. Urteil
  204. vom
  205. 1. Juli
  206. 2008
  207. - XI ZR 411/06, ZIP 2008, 1673 Rn. 23; Urteil vom 23. März 2010 - VI ZR 57/09,
  208. ZIP 2010, 1122 Rn. 38).
  209. 17
  210. Die danach erforderliche positive Feststellung, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt habe, ist im Berufungsurteil unterblieben. Das Berufungsgericht hat stattdessen in Verkennung der Darlegungs- und Beweislast darauf abgestellt, dass der Beklagte nicht schlüssig dargetan habe, nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt zu haben.
  211. -9-
  212. 18
  213. bb) Dieser Rechtsirrtum des Berufungsgerichts erweist sich nicht deshalb
  214. ohne weiteres als unschädlich, weil den Geschäftsführer einer GmbH, der wegen des Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 823 Abs. 2
  215. BGB i.V.m. § 266a StGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird,
  216. grundsätzlich
  217. eine
  218. sekundäre
  219. Darlegungslast
  220. trifft
  221. (BGH,
  222. Urteil
  223. vom
  224. 18. Dezember 2012 - II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14).
  225. 19
  226. Die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast findet ihre Rechtfertigung darin, dass der primär darlegungsbelastete Geschädigte außerhalb des
  227. von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis
  228. der maßgebenden Umstände besitzt, während der Anspruchsgegner die wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es
  229. ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGH, Urteil vom
  230. 7. Dezember 1998 - II ZR 266/97, BGHZ 140, 156, 158; Urteil vom 22. März
  231. 2004 - II ZR 75/02, juris Rn. 12; Urteil vom 8. Januar 2014 - I ZR 169/12,
  232. BGHZ 200, 76 Rn. 17 - BearShare; Urteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 343/13,
  233. ZIP 2015, 790 Rn. 11; Urteil vom 1. März 2016 - VI ZR 34/15, juris Rn. 47;
  234. Beschluss vom 3. März 2016 - IX ZB 65/14, WM 2016, 753 Rn. 22). Eine sekundäre Darlegungslast besteht nicht, soweit für die primär darlegungsbelastete
  235. Partei eine weitere Sachverhaltsaufklärung möglich und zumutbar ist (vgl. BGH,
  236. Urteil vom 8. Januar 2014 - I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 Rn. 17 - BearShare;
  237. Urteil vom 10. Februar 2015 - VI ZR 343/13, ZIP 2015, 790 Rn. 11; Urteil vom
  238. 1. März 2016 - VI ZR 34/15, juris Rn. 47).
  239. 20
  240. Ob Parteivortrag der sekundären Darlegungslast genügt, hat der Tatrichter im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist zu beachten, dass sich der Umfang der
  241. sekundären Darlegungslast einerseits nach der Intensität des Sachvortrags der
  242. beweisbelasteten Partei richtet und er andererseits seine Grenze in der Zumutbarkeit der den Prozessgegner treffenden Offenbarungspflicht findet (BGH,
  243. - 10 -
  244. Beschluss vom 17. Januar 2012 - XI ZR 254/10, WM 2012, 746 Rn. 4 mwN;
  245. Urteil vom 8. Januar 2015 - VII ZR 6/14, WM 2015, 1073 Rn. 29). An die Erfüllung der sekundären Darlegungslast dürfen keine die Verteilung der Vortragslast umkehrenden Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom
  246. 18. April 2005 - II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1028). Diesen Vorgaben gerecht
  247. werdende Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
  248. 21
  249. b) Ein vorsätzliches Handeln des Beklagten erschließt sich auch nicht
  250. daraus, dass die U.
  251. GmbH unstreitig in erheblichem Umfang
  252. Schwarzarbeiter beschäftigte und dies den für die Geschäftsführung Verantwortlichen nicht verborgen bleiben konnte. Das Berufungsgericht hat in diesem
  253. Zusammenhang, wie die Revision zu Recht rügt, Beweisangebote des Beklagten verfahrensfehlerhaft übergangen.
  254. 22
  255. aa) Das Berufungsgericht hat allerdings von der Revision unbeanstandet
  256. festgestellt, dass der Beklagte am 19. September 2002 unter seiner Beteiligung
  257. zum Geschäftsführer bestellt worden ist.
  258. 23
  259. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der
  260. auch das Berufungsgericht ausgeht, handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt
  261. und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 16
  262. mwN). Dem Einwand des Beklagten, er habe von Geschäftsführungsangelegenheiten und der Beschäftigung von Schwarzarbeitern keine Kenntnis gehabt,
  263. weil er durchgängig nur als Fahrer und Lagerarbeiter eingesetzt worden sei,
  264. während N.
  265. D.
  266. die Geschäfte der GmbH de facto weitergeführt ha-
  267. be, hat das Berufungsgericht entgegengehalten, dass den Geschäftsführer, der
  268. - 11 -
  269. die Erfüllung seiner Aufgaben anderen überlasse, eine Überwachungspflicht
  270. treffe, der der Beklagte im Streitfall nicht nachgekommen sei. Diese Erwägungen sind zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend, berücksichtigen das
  271. Vorbringen des Beklagten aber in einem entscheidenden Punkt nicht ausreichend.
  272. 24
  273. bb) Überlässt es der Geschäftsführer anderen für das Unternehmen tätigen Personen, für die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu sorgen, muss er (jedenfalls) im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch die intern damit betrauten Personen nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der
  274. Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (vgl. BGH,
  275. Urteil vom 2. Juni 2008 - II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11; Urteil vom
  276. 18. Dezember 2012 - II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 17; Urteil vom 9. Januar
  277. 2001 - VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 424).
  278. 25
  279. Eine vorsätzliche Verletzung derartiger Überwachungspflichten setzt indes voraus, dass der Geschäftsführer von seiner Bestellung Kenntnis hatte.
  280. Weiß er nichts von seiner Bestellung, entfällt auch sein Wissen um die tatsächliche Grundlage der aus der Stellung als Geschäftsführer folgenden Pflichten.
  281. 26
  282. Der Beklagte hat die Kenntnis seiner Bestellung bestritten und unter der
  283. Benennung von Zeugen vorgetragen, dass N.
  284. D.
  285. ihm versichert ha-
  286. be, er werde lediglich zu einem geringen Teil Gesellschafter, nicht jedoch außerdem Geschäftsführer; die in Widerspruch hierzu (möglicherweise) erfolgte
  287. notarielle Beurkundung seiner Geschäftsführerbestellung habe er mangels aus-
  288. - 12 -
  289. reichender Deutschkenntnisse nicht wahrgenommen. Erst am 5. Februar 2003
  290. habe er durch ein Schreiben erfahren, dass er (formell) zum Geschäftsführer
  291. bestellt worden sei.
  292. 27
  293. Das Berufungsgericht durfte nicht ohne Erhebung der von dem Beklagten angebotenen Beweise zu der Annahme gelangen, der Beklagte habe bereits durch die Beurkundungen vom 19. September 2002 von seiner Bestellung
  294. zum Geschäftsführer erfahren. Zwar spricht der Umstand, dass der Notar in der
  295. von dem Beklagten vorgelegten Urkunde vom 28. Februar 2003 keine Feststellung nach § 16 Abs. 1 BeurkG getroffen und offenbar keine Übersetzung der
  296. Urkunde veranlasst hat, dafür, dass der Beklagte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, gut fünf Monate nach dem 19. September 2002, nach der Einschätzung
  297. des Notars der deutschen Sprache hinreichend kundig war. Auch der vorherige
  298. Aufenthalt des Beklagten in Österreich mag ausreichende Sprachkenntnisse
  299. nahelegen; nach den vorgelegten Meldebescheinigungen war der Beklagte vom
  300. 25. Januar bis zum 23. Juli 2002 in S.
  301. (Österreich) gemeldet.
  302. Derartige Indiztatsachen, die gegen die Darstellung des Beklagten sprechen
  303. können, rechtfertigen jedoch keine vorweggenommene Beweiswürdigung unter
  304. Übergehung der Beweisangebote des Beklagten. Es ist als mögliches Ergebnis
  305. der noch vorzunehmenden Beweisaufnahme jedenfalls nicht von vornherein
  306. auszuschließen, dass dem Beklagten seine Bestellung zum Geschäftsführer
  307. verheimlicht werden sollte und erfolgreich verheimlicht wurde.
  308. 28
  309. c) Die Annahme des Berufungsgerichts, es entlaste den Beklagten nicht,
  310. wenn er erst am 5. Februar 2003 von seiner Bestellung zum Geschäftsführer
  311. erfahren habe, weil dies jedenfalls seine weitere Untätigkeit bis zu seiner Abberufung Ende Februar 2003 nicht entschuldige, ist gleichfalls von Rechtsirrtum
  312. beeinflusst.
  313. - 13 -
  314. 29
  315. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, es sei nichts dafür
  316. dargetan, dass der Beklagte davon habe ausgehen können, dass in der Zeit, in
  317. der er formal die Position des Geschäftsführers der GmbH bekleidet habe, keine Schwarzarbeiter für diese tätig gewesen seien. Damit ist das Berufungsgericht erneut von einer unzutreffenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ausgegangen, indem es dem Beklagten auferlegt hat, sich von dem Vorwurf vorsätzlichen Handelns umfassend zu entlasten. Im Übrigen hat das Berufungsgericht lediglich als unstreitig festgehalten, dass die U.
  318. GmbH
  319. von April bis September 2002 in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigt habe. Zum nachfolgenden Zeitraum hat das Berufungsgericht keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Auf dieser Grundlage kann nicht ohne
  320. weiteres angenommen werden, der Beklagte habe aufgrund im Februar 2003
  321. vorliegender Anhaltspunkte gewusst oder damit gerechnet, dass seit Mitte
  322. Oktober 2002 bzw. den in § 23 Abs. 1 SGB IV a.F. anderweitig genannten Terminen fällige Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt worden waren.
  323. 30
  324. Die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, es sei nicht ersichtlich,
  325. dass dem Beklagten als (unstreitig) in dem Unternehmen Tätigen verborgen
  326. geblieben sei, dass in ganz erheblichem Umfange Schwarzarbeiter beschäftigt
  327. waren, erweist sich im Kern als bloße Vermutung. Der Beklagte hat eingeräumt,
  328. seit Anfang September 2002 als Fahrer und Lagerarbeiter tätig gewesen zu
  329. sein. Eine solche Tätigkeit vermittelt nicht notwendigerweise die Kenntnis, dass
  330. das Unternehmen in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigte.
  331. 31
  332. 2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klageforderung sei nicht verjährt, weil die Verjährung durch wirksame öffentliche Zustellung der Klageschrift
  333. im Januar 2006 - rechtzeitig vor dem Ablauf der Verjährungsfrist Ende 2006 gehemmt worden sei, ist gleichfalls rechtsfehlerhaft. Die Wirksamkeit der öffent-
  334. - 14 -
  335. lichen Zustellung kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht
  336. bejaht werden.
  337. 32
  338. a) Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung durch die Erhebung der Klage, mithin durch Zustellung der Klageschrift (§ 253 Abs. 1 ZPO),
  339. gehemmt. Die Zustellung muss den entsprechenden Bestimmungen der ZPO
  340. genügen, eine danach unwirksame Zustellung vermag die Verjährung nicht zu
  341. hemmen (Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2014, § 204 Rn. 32).
  342. 33
  343. Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung
  344. ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - zumindest wenn die
  345. Fehlerhaftigkeit der Zustellung für das Gericht erkennbar war - jedenfalls in dem
  346. Sinne unwirksam, dass sie die Zustellungsfunktion des § 188 ZPO nicht auslöst
  347. und dementsprechend keine Fristen in Lauf setzt (BGH, Urteil vom
  348. 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 321 f.; Urteil vom
  349. 6. Oktober 2006 - V ZR 282/05, WM 2007, 276 Rn. 12; Urteil vom 4. Juli 2012
  350. - XII ZR 94/10, NJW 2012, 3582 Rn. 19; Beschluss vom 6. Dezember 2012
  351. - VII ZR 74/12, NJW-RR 2013, 307 Rn. 21; Beschluss vom 18. November 2013
  352. - AnwZ (B) 3/13, NJW-RR 2014, 377 Rn. 5).
  353. 34
  354. Eine (erkennbar) unzulässige öffentliche Zustellung der Klage bewirkt
  355. zudem keine Hemmung der Verjährung (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001
  356. - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 324 f. zur Verjährungsunterbrechung nach
  357. § 209 BGB a.F.; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, Neubearb. 2014, § 204
  358. Rn. 33; MünchKommBGB/Grothe, 7. Aufl., § 204 Rn. 24; Palandt/Ellenberger,
  359. BGB, 75. Aufl., § 204 Rn. 6; a.A. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 187 Rn. 9; s.a.
  360. MünchKommZPO/Häublein, 4. Aufl., § 185 Rn. 17). Dem stehen die - als obiter
  361. dictum zu wertenden - Ausführungen des V. Zivilsenats im Urteil vom
  362. 6. Oktober 2006 (V ZR 282/05, WM 2007, 276 Rn. 13) zur teilweisen Wirksam-
  363. - 15 -
  364. keit einer unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordneten öffentlichen Zustellung
  365. nicht entgegen, da sie sich nicht konkret auf die Hemmung der Verjährung beziehen, um die es im Streitfall geht.
  366. 35
  367. Den verjährungshemmenden Tatbeständen des § 204 BGB liegt der
  368. Rechtsgedanke zugrunde, dass der Gläubiger durch aktives Betreiben seines
  369. Anspruchs seinen Rechtsverfolgungswillen so deutlich macht, dass der Schuldner gewarnt wird und sich auf eine Inanspruchnahme noch nach Ablauf der ursprünglichen
  370. Verjährungsfrist
  371. einstellen
  372. muss
  373. (MünchKommBGB/Grothe,
  374. 7. Aufl., § 204 Rn. 3; s.a. zu § 209 BGB aF: BGH, Urteil vom 20. November
  375. 1997 - IX ZR 136/97, BGHZ 137, 193, 198 mwN). Diese Warnfunktion wird verfehlt, wenn eine Klage öffentlich zugestellt wird, obwohl der Aufenthaltsort des
  376. Beklagten nicht allgemein unbekannt ist und eine Zustellung auf anderem Wege
  377. möglich gewesen wäre. Berechtigte Interessen des Gläubigers erfordern es
  378. demgegenüber nicht, einer erkennbar unzulässigen öffentlichen Zustellung der
  379. Klageschrift verjährungshemmende Wirkung beizumessen, da es dem Gläubiger oblag, die erforderlichen Nachforschungen anzustellen und so die Voraussetzungen für eine wirksame Zustellung der Klageschrift zu schaffen (BGH,
  380. Urteil vom 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 325).
  381. 36
  382. b) Die danach maßgebende Frage, ob die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung gemäß § 185 Nr. 1 ZPO hier vorlagen, hat das Berufungsgericht zu Unrecht bejaht.
  383. 37
  384. aa) Eine öffentliche Zustellung gemäß § 185 Nr. 1 ZPO ist nur dann zulässig, wenn der Aufenthaltsort des Beklagten unbekannt ist. Der Aufenthaltsort
  385. einer Partei ist unbekannt im Sinne des Gesetzes, wenn er nicht nur dem Gegner und dem Gericht, sondern allgemein unbekannt ist (BGH, Urteil vom
  386. 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 314; Urteil vom 4. Juli
  387. - 16 -
  388. 2012 - XII ZR 94/10, NJW 2012, 3582 Rn. 16). Dabei ist es zunächst Sache der
  389. Partei, die durch die Zustellung begünstigt wird, alle geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen anzustellen, um den Aufenthalt des Zustellungsempfängers zu ermitteln und ihre ergebnislosen Bemühungen dem Gericht darzulegen (BGH, Urteil vom 4. Juli 2012 - XII ZR 94/10, NJW 2012, 3582 Rn. 16).
  390. 38
  391. bb) Das Argument des Berufungsgerichts, der Aufenthaltsort des Beklagten bei Klageerhebung müsse schon deshalb als unbekannt gelten, weil er einerseits vortrage, sich am 8. Juli 2003 nach Bosnien-Herzegowina abgemeldet
  392. zu haben, andererseits aber vortrage, er sei ab April 2003 wieder in Österreich
  393. gemeldet gewesen, ist nicht tragfähig. Die Revision weist zu Recht darauf hin,
  394. dass es auf den Wohnort und mögliche Wohnsitzwechsel des Beklagten im
  395. Jahr 2003 nicht ankommt, da die Klageschrift erst im August 2005 eingereicht
  396. wurde. Nach seinem durch die Vorlage entsprechender Meldebestätigungen
  397. belegten Vortrag war der Beklagte seit dem 1. September 2005 in der Ortsgemeinde T.
  398. S.
  399. 39
  400. (Österreich) und zuvor in der Ortsgemeinde
  401. (Österreich) gemeldet.
  402. Anders als die Revision meint, folgt hieraus allerdings noch nicht, dass
  403. der Wohnort des Beklagten in der maßgeblichen Zeit bekannt gewesen sei. Die
  404. Frage, ob der Aufenthaltsort des Zustellungsadressaten allgemein unbekannt
  405. ist, kann nicht ohne Berücksichtigung der einem Kläger zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten beantwortet werden. Dementsprechend hat sich
  406. der Bundesgerichtshof in der von der Revision zur Unterstützung ihrer Ansicht
  407. zitierten Entscheidung auch - bejahend - mit der Frage befasst, ob der Kläger
  408. und das Gericht den Wohnort des dortigen Beklagten in Erfahrung bringen
  409. konnten (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149,
  410. 311, 314 f.). Jedenfalls rechtfertigt die ordnungsgemäße Anmeldung eines
  411. Wohnsitzes im Ausland für sich genommen noch nicht die - eine öffentliche Zu-
  412. - 17 -
  413. stellung ausschließende - Feststellung, der Aufenthaltsort sei nicht allgemein
  414. unbekannt.
  415. 40
  416. cc) Die Voraussetzungen des § 185 Nr. 1 ZPO sind auch durch die mit
  417. der Klageschrift vorgetragenen Nachforschungen nicht dargetan worden. Aufgrund der wenigen Angaben der Klägerin in der Klageschrift hätte die öffentliche Zustellung nicht bewilligt werden dürfen. Die Klägerin hat zwei Auskünfte
  418. des Einwohnermeldeamtes eingeholt, die zum Zeitpunkt der Klageeinreichung
  419. mehr als ein Jahr zurücklagen und schon deshalb nicht als zeitnaher Nachweis
  420. für einen unbekannten Aufenthalt genügten (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember
  421. 2001 - VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 315). Im Übrigen ist eine unergiebig
  422. gebliebene Anfrage beim Einwohnermeldeamt grundsätzlich nicht ausreichend
  423. (BGH, Urteil vom 4. Juli 2012 - XII ZR 94/10, NJW 2012, 3582 Rn. 17). Die ergebnislose Recherche der Klägerin über die Creditreform lag noch länger als
  424. ein Jahr zurück. Jüngeren Datums war lediglich die Auskunft aus dem Bundeszentralregister, die aber nur einen eingeschränkten Aussagewert hatte. Zu weiteren Bemühungen der Klägerin, den Aufenthaltsort des Beklagten zu ermitteln,
  425. hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
  426. 41
  427. Die Klägerin hätte alle der Sache nach geeigneten und ihr zumutbaren
  428. Nachforschungen anstellen müssen, um den Aufenthalt des Zustellungsadressaten zu ermitteln. Die durch die Zustellung begünstigte Partei kann beispielsweise gehalten sein, durch persönliche Nachfragen beim ehemaligen Arbeitgeber, bei dem letzten Vermieter oder bei Hausgenossen und Verwandten des
  429. Zustellungsadressaten dessen Aufenthalt zu ermitteln. Das Ergebnis ist dem
  430. Gericht darzulegen (BGH, Urteil vom 4. Juli 2012 - XII ZR 94/10, NJW 2012,
  431. 3582 Rn. 17). Solche Bemühungen sind hier weder festgestellt, noch von der
  432. Klägerin behauptet worden. Sie hat es - nach den bisherigen Feststellungen unterlassen, den Insolvenzverwalter der U.
  433. GmbH zu kontaktieren,
  434. - 18 -
  435. der aus den Unterlagen der Gesellschaft Informationen über den Verbleib des
  436. Beklagten haben oder jedenfalls in der Lage sein konnte, den Kontakt zu anderen Mitarbeitern oder Geschäftsführern der Gesellschaft herzustellen, bei denen
  437. die Klägerin dann hätte nachfragen können. Die Klägerin hat auch unter der
  438. ehemaligen Wohnanschrift des Beklagten in St.
  439. keine Nachforschungen
  440. angestellt, obwohl der ehemalige Vermieter, Nachmieter oder Nachbarn möglicherweise Auskunft hätten geben können, und sie hat schließlich auch keine
  441. Auskunft aus dem beim Bundesverwaltungsamt geführten Ausländerzentralregister eingeholt.
  442. 42
  443. dd) Angesichts der aufgezeigten Unzulänglichkeiten war für die Klägerin
  444. und das Landgericht ohne weiteres erkennbar, dass die bisher dargelegten
  445. Nachforschungen der Klägerin nicht genügten, um die Bewilligung der öffentlichen Zustellung zu rechtfertigen.
  446. 43
  447. III. Die Berufungsentscheidung ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1
  448. ZPO). Die Sache ist, da sie nicht entscheidungsreif ist, an das Berufungsgericht
  449. zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 und 3 ZPO), damit dieses die noch
  450. erforderlichen Feststellungen treffen kann.
  451. 44
  452. Bei erneuter Prüfung der Frage der Verjährung ist den Parteien Gelegenheit zu geben, dazu vorzutragen, ob die Klägerin den Aufenthaltsort des
  453. Beklagten hätte ausfindig machen können, wenn sie die gebotenen Nachforschungen unternommen hätte. In diesem Zusammenhang wird die Klägerin
  454. auch zu erläutern haben, wie sie - nach dem Erlass des Versäumnisurteils - die
  455. aus dem vom Beklagten vorgelegten Forderungsschreiben vom 16. August
  456. - 19 -
  457. 2007 ersichtliche Kenntnis der zutreffenden Wohnanschrift des Beklagten erlangt hat und warum ihr dies zwei Jahre zuvor noch nicht möglich gewesen ist.
  458. Strohn
  459. Caliebe
  460. Born
  461. Drescher
  462. Sunder
  463. Vorinstanzen:
  464. LG Berlin, Entscheidung vom 26.02.2014 - 24 O 513/05 KG, Entscheidung vom 13.10.2014 - 25 U 30/14 -