Monotone Arbeit nervt!
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

257 lines
11 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 5 StR 347/17
  5. vom
  6. 21. Februar 2018
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen gefährlicher Körperverletzung
  10. ECLI:DE:BGH:2018:210218U5STR347.17.0
  11. -2-
  12. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Februar 2018, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
  14. Richter am Bundesgerichtshof
  15. Prof. Dr. Sander,
  16. Richterin am Bundesgerichtshof
  17. Dr. Schneider,
  18. die Richter am Bundesgerichtshof
  19. Dölp,
  20. Dr. Berger
  21. als beisitzende Richter,
  22. Bundesanwalt
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt G.
  25. als Verteidiger,
  26. Rechtsanwalt F.
  27. als Vertreterin des Neben- und Adhäsionsklägers,
  28. Justizangestellte
  29. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  30. -3-
  31. für Recht erkannt:
  32. 1. Die Revisionen des Angeklagten und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. Januar 2017 werden verworfen, die des Angeklagten mit der
  33. Maßgabe, dass bezüglich des weitergehenden Adhäsionsantrags von einer Entscheidung abgesehen wird.
  34. 2. Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels
  35. zu tragen. Eine Auslagenerstattung findet nicht statt.
  36. - Von Rechts wegen -
  37. Gründe:
  38. 1
  39. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts
  40. Braunschweig vom 22. Mai 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt und darüber hinaus eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Rechtsmitteln rügen sowohl der Angeklagte als auch
  41. der Nebenkläger die Verletzung sachlichen Rechts, der Angeklagte beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Beide Revisionen haben keinen Erfolg.
  42. Auf die Revision des Angeklagten war lediglich der Tenor hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung zu ergänzen.
  43. -4-
  44. I.
  45. 2
  46. 1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
  47. 3
  48. a) Am 20. Mai 2014 begegnete der Angeklagte an einem Treffpunkt der
  49. Drogenszene in Braunschweig zufällig dem ihm bekannten Nebenkläger, der
  50. sich dort neben anderen auch mit dem Zeugen B.
  51. aufhielt. Zwischen unter
  52. anderem dem Nebenkläger und dem Angeklagten war es etwa zwei Wochen
  53. zuvor zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf der Angeklagte eine leichte Kopfverletzung erlitten hatte. Aus Verärgerung hierüber entschloss sich der Angeklagte spontan, dem Nebenkläger einen „Denkzettel“ zu
  54. verpassen und schlug dem Nebenkläger unvermittelt mit der Faust ins Gesicht.
  55. Hierdurch ging dieser zu Boden und fiel mit seinem Kopf auf eine gepflasterte
  56. Fläche. Der etwa 90 kg schwere Angeklagte trat sodann dem keinen Widerstand leistenden Nebenkläger mit seinen mit festem Schuhwerk versehenen
  57. Füßen mehrfach gegen den Kopf. Darüber hinaus sprang er mindestens fünfmal mit beiden Füßen auf den Kopf des Nebenklägers, um ihm eine Lehre zu
  58. erteilen. Der Zeuge B.
  59. versuchte einmal erfolglos, den Angeklagten von dem
  60. Nebenkläger wegzudrücken. In dieser Phase des Tatgeschehens wurde der
  61. Angeklagte durch ein kurzzeitiges Eingreifen seiner Ehefrau unterstützt, die in
  62. Kenntnis und mit Billigung des Angeklagten mit ihrer Handtasche nach dem
  63. Nebenkläger schlug und ihm einmal gegen den Kopf trat.
  64. 4
  65. Schließlich sah der Angeklagte aus für die Strafkammer nicht sicher feststellbaren Gründen von weiteren Einwirkungen auf den Nebenkläger ab und
  66. verließ mit seiner Ehefrau den Tatort. Möglicherweise tat er dies, weil er der
  67. Auffassung war, der Nebenkläger habe nun „genug“ bekommen, weil er
  68. – der Angeklagte – inzwischen Polizeisirenen wahrgenommen oder weil der
  69. -5-
  70. Zeuge B.
  71. einen zweiten Versuch unternommen hatte, dem Nebenkläger zur
  72. Hilfe zu kommen. Der Nebenkläger war zu diesem Zeitpunkt „erkennbar schwer
  73. verletzt, röchelte aber noch vernehmbar“. Mehrere Bekannte des Nebenklägers
  74. befanden sich am Tatort, so dass mit rascher Hilfe zu rechnen war, was dem
  75. Angeklagten auch bewusst war.
  76. 5
  77. Der Nebenkläger erlitt multiple Gesichtsfrakturen und befand sich fast
  78. zwei Wochen in stationärer Behandlung. Im Zeitpunkt der landgerichtlichen
  79. Entscheidung bestanden immer noch Einschränkungen des Kurzzeitgedächtnisses und ein nahezu vollständiger Verlust des Geschmackssinns.
  80. 6
  81. b) Das Landgericht hat einen freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags nach § 24 Abs. 1 StGB bejaht und den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4
  82. und 5 StGB verurteilt. Es hat in dubio pro reo angenommen, dieser sei davon
  83. ausgegangen, durch bloße Beendigung seiner Einwirkungshandlungen den Eintritt des Todeserfolgs verhindern zu können.
  84. 7
  85. Zu der Frage, aus welchem Beweggrund der Angeklagte die weitere Tatausführung beendet habe, hat es keine sicheren Feststellungen treffen können.
  86. Aufgrund des Zweifelssatzes sei daher zu Gunsten des Angeklagten davon
  87. auszugehen, er sei der Auffassung gewesen, der Nebenkläger habe mit der
  88. Zufügung erheblicher Verletzungen „genug“.
  89. II.
  90. 8
  91. Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift
  92. des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Sie führt lediglich zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Ergänzung des Tenors. Bei einem Grund- oder Teilur-
  93. -6-
  94. teil nach § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist im Tenor auszusprechen, dass im Übrigen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird (vgl.
  95. BGH, Urteil vom 23. Januar 2018 – 5 StR 488/17; Beschluss vom 4. November 2014 – 1 StR 432/14; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 406 Rn.
  96. 13a mwN).
  97. III.
  98. 9
  99. Auch die Revision des Nebenklägers hat keinen Erfolg.
  100. 10
  101. 1. Die Erwägungen des Landgerichts zum freiwilligen Rücktritt vom unbeendeten Totschlagsversuch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand.
  102. 11
  103. a) Insbesondere begegnet es keinen Bedenken, dass das Landgericht
  104. vom unbeendeten Versuch ausgegangen ist.
  105. 12
  106. aa) Es hat zutreffend den nach ständiger Rechtsprechung geltenden
  107. Maßstab für die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch
  108. zugrunde gelegt, der sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung, dem sogenannten Rücktrittshorizont, bestimmt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993
  109. – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227; Urteile vom 3. Dezember 1982
  110. – 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175; vom 12. November 1987 – 4 StR 541/87,
  111. BGHSt 35, 90, 91 f., und vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40,
  112. 304, 306). Wenn bei einem Tötungsdelikt der Täter den Eintritt des Todes bereits für möglich hält oder sich keine Vorstellungen über die Folgen seines Tuns
  113. macht, liegt ein beendeter Versuch vor. Die zum beendeten Versuch führende
  114. gedankliche Indifferenz des Täters gegenüber den von ihm bis dahin angestrebten oder doch zumindest in Kauf genommenen Konsequenzen ist eine innere
  115. -7-
  116. Tatsache, die festgestellt werden muss, wozu es in der Regel einer zusammenfassenden Würdigung aller maßgeblichen objektiven Umstände bedarf (BGH,
  117. Urteile vom 2. November 1994, 2 StR 449/94, aaO und vom 3. Juni 2008
  118. – 1 StR 59/08, NStZ 2009, 264; Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13,
  119. NStZ 2013, 703, 704, und vom 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13,
  120. NStZ-RR 2014, 202 f.).
  121. 13
  122. bb) Bei der an diesen Maßstäben ausgerichteten Gesamtwürdigung hat
  123. das Landgericht die für den Rücktrittshorizont relevanten Umstände aus dem
  124. festgestellten Lebenssachverhalt berücksichtigt und ist unter Anwendung des
  125. für den Rücktrittshorizont geltenden Zweifelssatzes (BGH, Beschluss vom
  126. 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704) rechtsfehlerfrei zur Annahme eines unbeendeten Versuchs gelangt.
  127. 14
  128. Zwar setzt die Annahme eines unbeendeten Versuchs gerade bei besonders gefährlichen Gewalthandlungen eines mit bedingtem Tötungsvorsatz
  129. handelnden Täters voraus, dass auch Umstände festgestellt werden, die im
  130. Rahmen der Gesamtwürdigung die Wertung zulassen, er habe nach Beendigung der Tathandlung den tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten
  131. (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Einen solchen Umstand
  132. hat die Strafkammer in wahrnehmbaren Lebenszeichen des Nebenklägers
  133. (Atemgeräuschen) gesehen und in ihre Gesamtwürdigung zum Rücktrittshorizont einbezogen. Dies ist vom Revisionsgericht hinzunehmen, auch wenn andere Schlüsse möglich gewesen wären oder gar näher gelegen hätten (BGH,
  134. Urteile vom 27. Juli 2017 – 3 StR 172/17, und vom 24. März 2015
  135. – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179).
  136. 15
  137. Soweit das Landgericht darüber hinaus schon bei der Abgrenzung des
  138. beendeten vom unbeendeten Versuch auf den Grundsatz in dubio pro reo zu-
  139. -8-
  140. rückgreift, begegnet auch dies keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken
  141. (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704;
  142. Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10). Denn dieser verbietet es in Fällen, in denen Vorstellungen des Angeklagten in Bezug auf den Erfolgseintritt
  143. nicht festgestellt werden können, auf deren Fehlen – und damit auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines beendeten Versuchs – zu schließen (BGH, Beschlüsse vom 22. Mai 2013 – 4 StR 170/13, NStZ 2013, 703, 704, und vom
  144. 27. Januar 2014 – 4 StR 565/13, NStZ-RR 2014, 202, 203; SSWStGB/Kudlich/Schuhr, 3. Aufl., § 24 Rn. 38). Für die zum beendeten Versuch
  145. führende Annahme der gedanklichen Indifferenz des Täters bedarf es deren
  146. eigenständiger
  147. Feststellung
  148. (BGH,
  149. Beschluss
  150. vom
  151. 27.
  152. Januar
  153. 2014
  154. – 4 StR 565/13, aaO), zu der das Landgericht jedoch – rechtfehlerfrei – gerade
  155. nicht gelangt ist.
  156. 16
  157. b) Die Erwägungen des Landgerichts zur Freiwilligkeit des Rücktritts halten revisionsgerichtlicher Überprüfung ebenfalls stand.
  158. 17
  159. Auch bei der Feststellung der Freiwilligkeit wirken sich Zweifel an dieser
  160. inneren Tatsache zu Gunsten des Täters aus (BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2006 – 4 StR 537/06, NStZ 2007, 265, 266 und vom 20. August 2004
  161. – 2 StR 281/04, NStZ-RR 2004, 361; SSW-StGB/Kudlich/Schuhr, aaO, § 24
  162. Rn. 67). Das Landgericht hat vorliegend drei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme mögliche Abläufe bzw. Motivationsfaktoren für das Ablassen des Angeklagten vom Nebenkläger in Betracht gezogen, wobei keine der erwogenen
  163. Konstellationen zur Überzeugung der Strafkammer letztlich festgestellt werden
  164. konnte. Auf dieser Beweisgrundlage hat die Strafkammer bei der Bewertung der
  165. Freiwilligkeit des Rücktritts rechtsfehlerfrei unter Anwendung des Zweifelssat-
  166. -9-
  167. zes die für den Angeklagten günstigste der drei Varianten („Opfer hatte genug“)
  168. zugrunde gelegt, die zur Annahme eines freiwilligen Rücktritts führt.
  169. 18
  170. c) Das Landgericht hat zudem zu Recht die Prüfung des Rücktritts vom
  171. Totschlagsversuch am Maßstab des § 24 Abs. 1 StGB ausgerichtet. Eine Beteiligung der Ehefrau am versuchten Tötungsdelikt, die zur Anwendung von § 24
  172. Abs. 2 StGB hätte führen können, wird durch die Feststellungen nicht belegt.
  173. 19
  174. 2. Die Entscheidung im Adhäsionsverfahren durch ein Grundurteil gemäß
  175. § 406 Abs. 1 Satz 2 StPO ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat ausreichend dargelegt, dass der Rechtsstreit über die Höhe des geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs nicht entscheidungsreif war (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2002 – 5 StR 291/02, BGHSt 47, 378, 380; Hilger in
  176. Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 406 Rn. 9; Velten in SK-StPO, 4. Aufl.,
  177. § 406 Rn. 8). Eine Hinweispflicht besteht bei Entscheidung durch Grundurteil
  178. nach § 406 Abs. 5 Satz 1 StPO nicht (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406
  179. Rn. 14; Stöckel in KMR-StPO, § 406 Rn. 28; Meyer/Dürre, JZ 2006, 18, 24).
  180. Mutzbauer
  181. Sander
  182. Dölp
  183. Schneider
  184. Berger