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1 year ago
  1. Nachschlagewerk: ja
  2. BGHSt
  3. : ja
  4. Veröffentlichung : ja
  5. StGB § 266 Abs. 1
  6. EGBGB Art. 233 § 2 Abs. 3
  7. Zur Untreue bei behördlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit gesetzlicher Vertretung nach Art. 233 § 2 Abs. 3
  8. EGBGB.
  9. BGH, Urteil vom 9. November 2016
  10. – 5 StR 313/15
  11. LG Leipzig –
  12. ECLI:DE:BGH:2016:091116U5STR313.15.0
  13. BUNDESGERICHTSHOF
  14. IM NAMEN DES VOLKES
  15. URTEIL
  16. 5 StR 313/15
  17. vom
  18. 9. November 2016
  19. in der Strafsache
  20. gegen
  21. 1.
  22. 2.
  23. 3.
  24. 4.
  25. wegen Untreue u.a.
  26. ECLI:DE:BGH:2016:091116U5STR313.15.0
  27. -2-
  28. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. November 2016, an der teilgenommen haben:
  29. Richter Prof. Dr. Sander
  30. als Vorsitzender,
  31. Richter Dölp,
  32. Richter Prof. Dr. König,
  33. Richter Bellay,
  34. Richter Dr. Feilcke
  35. als beisitzende Richter,
  36. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  37. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  38. Rechtsanwältin R.
  39. als Verteidigerin der Angeklagten D.
  40. ,
  41. Rechtsanwältin G.
  42. als Verteidigerin der Angeklagten H.
  43. ,
  44. Rechtsanwalt K.
  45. als Verteidiger des Angeklagten M.
  46. Rechtsanwalt
  47. ,
  48. W.
  49. als Verteidiger der Angeklagten T.
  50. ,
  51. Justizhauptsekretärin
  52. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  53. -3-
  54. für Recht erkannt:
  55. 1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  56. Landgerichts Leipzig vom 17. Dezember 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit freigesprochen
  57. worden sind
  58. a) die Angeklagte D.
  59. im Fall 2.5 des ersten Tatkom-
  60. plexes der Urteilsgründe,
  61. b) die Angeklagten H.
  62. und M.
  63. in den Fällen 2.1,
  64. 2.2 und 2.5 des ersten Tatkomplexes der Urteilsgründe.
  65. Die weitergehenden Revisionen betreffend diese Angeklagten und die Revision betreffend die Angeklagte T.
  66. wer-
  67. den verworfen.
  68. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  69. 3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels betreffend die Angeklagte T.
  70. sowie die dieser Angeklagten in-
  71. soweit entstandenen notwendigen Auslagen.
  72. - Von Rechts wegen -
  73. -4-
  74. Gründe:
  75. Das Landgericht hat die Angeklagten von Untreue- und Betrugsvorwür1
  76. fen aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die
  77. Staatsanwaltschaft mit ihren auf Verfahrensbeanstandungen und die Sachrüge
  78. gestützten Revisionen. Das die Angeklagte T.
  79. betreffende Rechtsmittel
  80. bleibt erfolglos; die Revisionen hinsichtlich der Angeklagten D.
  81. und M.
  82. , H.
  83. haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg.
  84. A.
  85. I. Den Angeklagten liegt Folgendes zur Last:
  86. 2
  87. 1. Den Angeklagten D.
  88. 3
  89. , H.
  90. und M.
  91. wird vorgeworfen,
  92. gemeinschaftlich handelnd zwischen Juli 2006 und Mai 2009 in insgesamt fünf
  93. Fällen als Mitarbeiter des Rechtsamts der Stadt
  94. nach Art. 233 § 2
  95. Abs. 3 EGBGB ohne ausreichende Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen
  96. und unter billigender Inkaufnahme der Verletzung entsprechender Prüfpflichten
  97. gesetzliche Vertreter für vermeintlich unbekannte Grundstückseigentümer bestellt bzw. an deren Bestellung mitgewirkt zu haben und von den bestellten Vertretern vorgenommene Grundstücksveräußerungen genehmigt bzw. an diesen
  98. Genehmigungen mitgewirkt zu haben. Der Angeklagten D.
  99. wird inso-
  100. weit ihr Tätigwerden im Rahmen der Fälle 2.4 und 2.5, der Angeklagten H.
  101. werden ihre Handlungen bei den Taten 2.1, 2.2, 2.4 sowie 2.5 und dem
  102. Angeklagten M.
  103. sein Handeln bei den Taten 2.1 bis 2.5 zum Vorwurf ge-
  104. macht. Der Angeklagten T.
  105. als im Fall 2.4 zur gesetzlichen Vertreterin be-
  106. stellten Rechtsanwältin wird vorgeworfen, die Grundstücksveräußerung vorgenommen zu haben, obwohl ihr ein Miteigentümer des Grundstücks und damit
  107. -5-
  108. das Fehlen der Vertretungsvoraussetzungen bekannt gewesen seien (Tatkomplex 1).
  109. 2. Weiter wird den Angeklagten D.
  110. 4
  111. , H.
  112. und M.
  113. vor-
  114. geworfen, die im Zuge der Grundstücksveräußerungen für (vermeintlich) unbekannte Grundstückseigentümer vereinnahmten und auf städtischen Konten
  115. verwahrten Erlöse in insgesamt 43 Fällen entgegen den gesetzlichen Vorschriften ohne die aufgelaufenen Zinsen an die Berechtigten ausgekehrt zu haben.
  116. Auch hierbei hätten die Angeklagten die Verletzung ihrer Pflicht zur Zinsauskehr
  117. und die Schädigung der Auskehrberechtigten billigend in Kauf genommen. Den
  118. Angeklagten D.
  119. und M.
  120. wird hier zudem vorgeworfen, in jeweils
  121. einem Fall zugleich Anspruchsberechtigten gegenüber bewusst wahrheitswidrig
  122. eine Verzinsungspflicht in Abrede gestellt und diese dadurch getäuscht zu haben (Tatkomplex 2).
  123. 3. Schließlich liegt dem Angeklagten M.
  124. 5
  125. zur Last, in 173 Fällen be-
  126. dingt vorsätzlich entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung für die städtische
  127. Verwaltungstätigkeit im Zusammenhang mit der Bestellung gesetzlicher Vertreter gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB keine Verwaltungsgebühr nach der
  128. Tarifstelle 3.3. des kommunalen Kostenverzeichnisses (KommKVz) der Stadt
  129. in Höhe von jeweils 125 bis 1.000 Euro festgesetzt zu haben (Tatkomplex 3).
  130. II. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getrof-
  131. 6
  132. fen:
  133. 1. In den 1990er und 2000er Jahren ließen sich Grundstückseigentümer
  134. 7
  135. in den neuen Ländern vielfach nur schwer ermitteln, weil in der DDR zahlreiche
  136. Immobilien im Volkseigentum gestanden hatten, Grundbücher nicht oder nur
  137. -6-
  138. unvollständig geführt worden und zudem Restitutions- und Entschädigungsansprüche zu klären waren. Überdies lagen viele Grundstücke, deren eigentumsrechtliche Zuordnung unklar war, gänzlich brach oder waren mit leerstehenden
  139. oder stark sanierungsbedürftigen Gebäuden bebaut; dies führte für die verkehrssicherungspflichtigen Kommunen zu finanziellen und organisatorischen
  140. Belastungen. Zu deren Verringerung und um eine nachhaltige wirtschaftliche
  141. Entwicklung der Stadt
  142. zu ermöglichen, in der es eine große Nachfrage
  143. nach Immobilien gab, bestand bei der
  144. Stadtverwaltung ein erhebli-
  145. ches Interesse an einem funktionierenden städtischen Grundstücksmarkt.
  146. Seit Ende 1993 galt mit Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB eine gesetzliche Re8
  147. gelung, die es Kommunen erlaubte, in Fällen der Nichtfeststellbarkeit eines
  148. Grundstückseigentümers oder seines Aufenthalts bei Bestehen eines Bedürfnisses für diesen einen gesetzlichen Vertreter zu bestellen. Die Wirksamkeit der
  149. von solchen Vertretern vorgenommenen Grundstücksveräußerungen hing von
  150. der Genehmigung durch die Bestellungsbehörde ab.
  151. Im zuständigen Rechtsamt der Stadt
  152. 9
  153. storbene frühere Rechtsamtsleiterin B.
  154. nahm die inzwischen verbis zu ihrem Eintritt in den
  155. Ruhestand Ende Oktober 2006 die Bestellung gesetzlicher Vertreter vor und
  156. traf Entscheidungen über Genehmigungsersuchen bestellter Vertreter für von
  157. ihnen vorgenommene Grundstücksveräußerungen. Sie hinterließ ihren Nachfolgern „chaotische Verhältnisse“ (UA S. 34) insoweit, als Arbeitsabläufe zum
  158. Teil nicht organisiert waren, keine schriftlichen Dienstanweisungen existierten
  159. und Akten teilweise gar nicht oder falsch registriert bzw. unvollständig waren
  160. oder ihr Ablageort unklar war.
  161. -7-
  162. Nachdem der Zeuge L.
  163. 10
  164. kurzzeitig das Rechtsamt geleitet hatte, nahm
  165. seit Februar 2007 die Angeklagte H.
  166. übergangsweise die Aufgaben der
  167. Rechtsamtsleiterin wahr. Sie hatte in der DDR ein juristisches Studium absolviert und war seit Mitte 1996 stellvertretende Rechtsamtsleiterin. Am
  168. 7. Mai 2007 übernahm die Angeklagte D.
  169. , eine Volljuristin, die Leitung
  170. des Rechtsamts und damit auch die interne Zuständigkeit für die Bestellung von
  171. gesetzlichen Vertretern sowie für Genehmigungsentscheidungen. Für die jeweiligen Leiter des Rechtsamts bereitete seit November 2001 der Angeklagte
  172. M.
  173. , ein Verwaltungsmitarbeiter ohne juristische Ausbildung, die Bestel-
  174. lungs- und Genehmigungsentscheidungen inhaltlich vor.
  175. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum wurde im Rechtsamt der Be11
  176. reich der gesetzlichen Vertretung regulär von nur zwei Mitarbeitern bearbeitet
  177. – nämlich dem jeweiligen Rechtsamtsleiter unterstützt durch den Angeklagten
  178. M.
  179. . Im Zeitpunkt des tatgerichtlichen Urteils waren zur Erfüllung derselben
  180. Aufgaben insgesamt neun Verwaltungsangehörige nach einem von Justiziaren
  181. erstellten Prüfschema tätig.
  182. 2. In insgesamt fünf Fällen (Tatkomplex 1) bestellten die frühere Rechts12
  183. amtsleiterin B.
  184. (Fall 2.1), der Zeuge L.
  185. und 2.2), die Angeklagte D.
  186. 2.5) und die Angeklagte H.
  187. als ihr Vertreter (Fälle 2.1
  188. als Rechtsamtsleiterin (Fälle 2.3, 2.4 und
  189. als stellvertretende Rechtsamtsleiterin
  190. (Fall 2.4) Rechtsanwälte als gesetzliche Vertreter gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3
  191. EGBGB. Die Angeklagte D.
  192. 2.4), die Angeklagte H.
  193. genehmigte in zwei Fällen (Fälle 2.3 und
  194. in vier Fällen (Fälle 2.1, 2.2, 2.4 und 2.5) von
  195. gesetzlichen Vertretern vorgenommene Grundstücksveräußerungen.
  196. Die Bestellungen der gesetzlichen Vertreter bereitete jeweils der Ange13
  197. klagte M.
  198. inhaltlich vor. In vier Fällen (Fälle 2.1, 2.2, 2.3 und 2.5) führte er
  199. -8-
  200. vor der Bestellungsentscheidung keine eigenen Recherchen zur Feststellung
  201. des Grundstückseigentümers, seiner Erben oder deren Aufenthalt durch, sondern vertraute auf die Angaben der die gesetzliche Vertretung beantragenden
  202. Erwerbsinteressenten, die Grundstückseigentümer seien unbekannt.
  203. In einem Fall (Fall 2.4) wurde dem Angeklagten M.
  204. 14
  205. durch eine von
  206. ihm veranlasste Anfrage bei der Stadtkämmerei der mögliche Mitberechtigte
  207. He.
  208. bekannt, der angab, Erbe eines Anteils an einer einen hälftigen Miteigen-
  209. tumsanteil an dem Grundstück haltenden BGB-Gesellschaft zu sein. Der Angeklagte M.
  210. bereitete aber in Abstimmung mit der Angeklagten T.
  211. als
  212. bereits für andere Berechtigte bestellter gesetzlicher Vertreterin unter Hinweis
  213. auf Zweifel an der Rechtsstellung des möglichen Erben auch insoweit eine Vertreterbestellung vor. Das Landgericht hat hier das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB bejaht. Denn da der ermittelte mögliche
  214. Mitberechtigte seine Miterbenstellung nicht ausreichend nachgewiesen hatte,
  215. insbesondere keinen ihn legitimierenden Erbschein vorgelegt hatte, sei der
  216. Grundstückseigentümer hier unbekannt gewesen.
  217. Auch die Genehmigungen der durch die gesetzlichen Vertreter vorge15
  218. nommenen Grundstücksveräußerungen bereitete der Angeklagte M.
  219. vor.
  220. In einem Fall (Fall 2.1) konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Angeklagte dabei zur Prüfung des Verkaufspreises auf wirtschaftliche Angemessenheit telefonisch beim Amt für Geoinformation und Bodenordnung kundig
  221. gemacht hatte. In den übrigen Fällen lagen dem Angeklagten Verkehrswertgutachten vor, die dem später festgelegten Verkaufspreis entsprechende Grundstückswerte auswiesen. In den Fällen 2.1 bis 2.4 führte der Angeklagte M.
  222. vor den Genehmigungsentscheidungen keine weiteren Ermittlungen zu den vertretenen Eigentümern durch. Im Fall 2.5 wartete er das Ergebnis nachträglich
  223. -9-
  224. veranlasster Ermittlungen nicht ab; diese hatten allerdings keinen konkreten
  225. Hinweis auf einen Eigentümer zum Hintergrund.
  226. 16
  227. Der Angeklagte M.
  228. hielt sich für berechtigt, keine (Fälle 2.1, 2.2 und
  229. 2.3) bzw. nur in geringem Maße (Fälle 2.4, 2.5) Eigentümer- oder Erbenermittlungen anzustellen. Er wollte entsprechend den Instruktionen durch die frühere
  230. Rechtsamtsleiterin B.
  231. und seinem Verständnis der Vertretungsrege-
  232. lung des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB als Beschleunigungsnorm möglichst
  233. schnell die Bestellung der gesetzlichen Vertreter vorbereiten. Mit einer Schädigung der Berechtigten rechnete er nicht. Auch betreffend die Vorbereitung der
  234. Genehmigungsentscheidungen ging er nicht von einer Schädigung der Eigentümer aus, da er entweder durch Verkehrswertgutachten oder in einem Fall
  235. nicht ausschließbar infolge von Informationen des Amtes für Geoinformation
  236. und Bodenordnung den Verkaufspreis geprüft hatte.
  237. Die Angeklagten D.
  238. 17
  239. und H.
  240. verließen sich auf die ord-
  241. nungsgemäße und fehlerfreie Zuarbeit des Angeklagten M.
  242. und rechneten
  243. nicht damit, dass für die vorbereiteten Vertreterbestellungen und Genehmigungserklärungen die gesetzlichen Voraussetzungen fehlen könnten. Die Angeklagte T.
  244. ging davon aus, dass auch hinsichtlich des möglichen Mitbe-
  245. rechtigten He.
  246. die Voraussetzungen für eine Vertreterbestellung vorlagen, da
  247. dieser nur eine Mitberechtigung als Mit-Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft
  248. durch Erbfolge vorgetragen und ein entsprechendes Erbrecht nicht nachgewiesen hatte. Eine Schädigung von Berechtigten hielten die genannten Angeklagten nicht für möglich.
  249. Während in den Fällen 2.1 und 2.2 die Veräußerungserlöse seitens des
  250. 18
  251. Rechtsamts nach Abzug insbesondere der für die Tätigkeit der gesetzlichen
  252. Vertreter angefallenen Kosten später an die Berechtigten ausgekehrt wurden,
  253. - 10 -
  254. traf dies in den übrigen Fällen nicht zu. Im Fall 2.3 gingen die Berechtigten auf
  255. dem Zivilrechtsweg gegen die vorgenommene Grundstücksveräußerung vor
  256. und erstritten die Zahlung von Schadensersatz durch die Stadt. Der mögliche
  257. Mitberechtigte He.
  258. im Fall 2.4 meldete sich nach Vollzug des Kaufvertrags
  259. nicht mehr bei der Stadt, weswegen es auch nicht zu einer Auskehrung des
  260. Veräußerungserlöses kam. Im Fall 2.5, bei dem irrtümlich nicht für den Eigentümer Z.
  261. , sondern für „die Erben nach dem unbekannten Eigentümer
  262. “ ein gesetzlicher Vertreter bestellt worden und in deren Namen
  263. Z.
  264. ein Kaufvertrag geschlossen worden war, erwirkte der Eigentümer auf dem
  265. Zivilrechtsweg die Rückübertragung des Grundstücks und die Zahlung von
  266. Schadensersatz; eine Belastung mit Vertretungskosten erfolgte nicht.
  267. 3. Im Tatkomplex 2 wiesen die insoweit intern zuständigen Angeklagten
  268. 19
  269. D.
  270. , H.
  271. und M.
  272. in insgesamt 43 Fällen die Auszahlung von
  273. Veräußerungserlösen an berechtigte Eigentümer der durch gesetzliche Vertreter im Sinne von Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB veräußerten Grundstücke abzüglich entstandener Kosten ohne Auskehrung der erwirtschafteten Zinsen an. In
  274. jeweils einem der Fälle teilten die Angeklagten D.
  275. geschrift) und M.
  276. (Fall II.44 der Ankla-
  277. (Fall II.45 der Anklageschrift) Bevollmächtigten der Be-
  278. rechtigten schriftlich mit, dass eine Verzinsungspflicht für verwahrte Kaufpreiserlöse nicht bestehe.
  279. Dem war eine rechtliche Auseinandersetzung innerhalb der
  280. 20
  281. Stadtverwaltung vorausgegangen. Das Rechnungsprüfungsamt der Stadt
  282. hatte in den Jahren 1999 und 2002 die bisherige Verfahrensweise beanstandet und die Auffassung vertreten, dass die der Stadt zugeflossenen
  283. Kaufpreiserlöse zu Gunsten der Berechtigten verzinslich anzulegen seien.
  284. Demgegenüber hatte die frühere Rechtsamtsleiterin B.
  285. unter Verweis
  286. - 11 -
  287. auf die Regelungen der Hinterlegungsordnung weiterhin die gegenteilige
  288. Rechtsauffassung vertreten und etwa im Jahr 2003 die Angeklagten H.
  289. und M.
  290. angewiesen, die Kaufpreiserlöse generell ohne Zinsen an die Be-
  291. rechtigten auszuzahlen. Dieser Rechtsauffassung folgend führten die Angeklagten die langjährig geübte Praxis fort.
  292. 4. In 173 Fällen (Tatkomplex 3) setzte der Angeklagte M.
  293. 21
  294. gegenüber
  295. den gesetzlich vertretenen früheren Grundstückseigentümern für das Tätigwerden der Stadtverwaltung im Rahmen der gesetzlichen Vertretung lediglich eine
  296. Gebühr nach Ziffer 3.1. KommKVz, nicht jedoch eine zweite Gebühr gemäß
  297. Ziffer 3.1. KommKVz (nach dem Zusammenhang wohl richtig: 3.3. KommKVz)
  298. fest.
  299. Das Kostenverzeichnis sah folgende Tarifstellen vor:
  300. 22
  301. 23
  302. Ziffer 3.1. KommKVz
  303. Genehmigung der Veräußerung des Grundstücks
  304. durch den gesetzlichen Vertreter: 150 bis 1.000 €
  305. Ziffer 3.2. KommKVz
  306. Verwaltung des Kaufpreiserlöses: 1,5 % des
  307. verwahrten Geldes, höchstens 2.500 €
  308. Ziffer 3.3. KommKVz
  309. Verwaltungstätigkeit im Zusammenhang mit der
  310. Bestellung einer Person zum gesetzlichen Vertreter: 125 bis 1.000 €
  311. 24
  312. Der Angeklagte hatte Anfang der 2000er Jahre an der Überarbeitung
  313. dieser Vorschriften mitgewirkt. Er ging bei der Festsetzung der Gebühren davon
  314. - 12 -
  315. aus, dass eine Gebühr nach 3.1. KommKVz (nach dem Zusammenhang wohl
  316. richtig: 3.3. KommKVz) nicht entstanden sei. Nach seinem Verständnis war dieser Gebührentatbestand nur als Auffangtatbestand geschaffen worden für (hier
  317. nicht vorliegende) Fälle, in denen der gesetzliche Vertreter bereits vor Abschluss des Kaufvertrages abberufen wurde. Er war der Ansicht, dass der Stadt
  318. Gebühren nach dem genannten Tatbestand nicht zustünden.
  319. III. Das Landgericht hat hinsichtlich eines Tatvorwurfs des ersten Tat25
  320. komplexes (Fall 2.4) und betreffend sämtliche Tatvorwürfe des zweiten Tatkomplexes bereits eine Verwirklichung des objektiven Tatbestands der Untreue
  321. bzw. des Betruges verneint. In diesen Fällen wie auch im Übrigen hat es (jedenfalls) ein vorsätzliches Handeln der Angeklagten nicht feststellen können.
  322. B.
  323. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben nur hinsichtlich der Ange-
  324. 26
  325. klagten D.
  326. , H.
  327. fend die Angeklagte T.
  328. und M.
  329. teilweise Erfolg. Die Revision betref-
  330. bleibt erfolglos.
  331. I. Die Verfahrensrügen dringen nicht durch.
  332. 27
  333. 1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet in verfahrensrechtlicher Hinsicht
  334. 28
  335. die nicht erschöpfende Würdigung von in die Beweisaufnahme eingeführten
  336. Urkunden – insbesondere eines Berichts des Rechnungsprüfungsamts der
  337. Stadt
  338. vom 20. März 2012 – und der Angaben eines als Zeugen ver-
  339. nommenen Staatsanwalts.
  340. Diese Rügen sind unzulässig, da das Revisionsvorbringen den Anforde29
  341. rungen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO jeweils nicht gerecht wird. Die Revisions-
  342. - 13 -
  343. führerin hat den Inhalt der in Bezug genommenen Urkunden nur punktuell und
  344. damit nicht ausreichend mitgeteilt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014
  345. – 5 StR 136/14, PharmR 2015, 127, 129; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 344
  346. Rn. 78, 82 ff.; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 39). Gleiches gilt für die
  347. zeugenschaftlichen Angaben, deren Inhalt die Revision nicht vorträgt, sondern
  348. insoweit nur auf die Bestätigung von Vorhalten aus dem inhaltlich nicht mitgeteilten Protokoll einer vom Zeugen durchgeführten Vernehmung verweist.
  349. 2. Auch die seitens der Staatsanwaltschaft erhobene weitere Inbegriffs30
  350. rüge (§ 261 StPO), das Landgericht habe in seine Beweiswürdigung den „Verwaltungsvorgang L.
  351. Markt
  352. “ einbezogen, der in Form der Dokumente
  353. der entsprechenden Verwaltungsakte nicht Gegenstand der Beweisaufnahme
  354. gewesen sei, greift nicht durch. Die Verfahrensbeanstandung ist bereits unzulässig, da die Beschwerdeführerin lediglich behauptet, die „Urkunden zum
  355. L.
  356. Markt
  357. “ seien auch nicht in anderem Zusammenhang in die Be-
  358. weisaufnahme eingeführt worden, sie sich aber nicht zu der naheliegenden
  359. Möglichkeit verhält, dass im Rahmen von Einlassungen oder Zeugenaussagen
  360. entsprechende Beweiserkenntnisse erlangt wurden (KK-StPO/Gericke, 7. Aufl.,
  361. § 344 Rn. 58; BeckOK-StPO/Wiedner, § 344 Rn. 50.1, 58, jeweils mwN).
  362. II. Die Freisprüche der Angeklagten D.
  363. 31
  364. , H.
  365. und M.
  366. halten nicht in vollem Umfang sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand. Gegen
  367. die Freisprechung der Angeklagten T.
  368. ist hingegen aus Rechtsgründen
  369. nichts zu erinnern.
  370. 1. Im Tatkomplex 1 hat die Strafkammer zwar im Ergebnis rechtlich zu32
  371. treffend festgestellt, dass sich die Angeklagten in den Fällen 2.3 und 2.4 nicht
  372. strafbar gemacht haben, weil insoweit bereits die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorliegen (dazu Buchst. a, b). Sie hat jedoch in den übri-
  373. - 14 -
  374. gen Fällen, in denen es nach den – allerdings zum Teil lückenhaften – Feststellungen des Landgerichts jedenfalls möglich erscheint, dass das Handeln der
  375. Angeklagten die objektiven Voraussetzungen der Untreue erfüllt, in subjektiver
  376. Hinsicht eine Strafbarkeit der Angeklagten D.
  377. in dem ihr zur Last geleg-
  378. ten Fall 2.5 und eine Strafbarkeit der Angeklagten H.
  379. und M.
  380. in den
  381. Fällen 2.1, 2.2 und 2.5 nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen (dazu Buchst. c).
  382. a) Untreue setzt sowohl in der Variante des Missbrauchs- als auch derje33
  383. nigen des Treubruchstatbestands voraus, dass dem Täter eine Vermögensbetreuungspflicht obliegt und er diese verletzt. Eine solche Pflicht ist gegeben,
  384. wenn der Täter in einer Beziehung zum (potentiell) Geschädigten steht, die eine
  385. besondere, über die für jedermann geltenden Pflichten zur Wahrung der
  386. Rechtssphäre anderer hinausgehende Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Den Täter muss eine inhaltlich besonders herausgehobene
  387. Pflicht zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen treffen. Hierfür ist in
  388. erster Linie von Bedeutung, ob sich die fremdnützige Vermögensfürsorge als
  389. Hauptpflicht, mithin als zumindest mitbestimmende und nicht nur beiläufige
  390. Verpflichtung darstellt. Diese besonders qualifizierte Pflichtenstellung in Bezug
  391. auf das fremde Vermögen muss über eine rein tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit hinausgehen. Erforderlich ist weiterhin, dass dem Täter Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen und eine gewisse Selbständigkeit belassen
  392. wird. Hierbei ist nicht nur auf die Weite des ihm eingeräumten Spielraums abzustellen, sondern auch auf das Fehlen von Kontrolle, also auf seine tatsächlichen Möglichkeiten, ohne eine gleichzeitige Steuerung und Überwachung durch
  393. den Treugeber auf dessen Vermögen zuzugreifen (st. Rspr.; siehe etwa BGH,
  394. Urteil vom 28. Juli 2011 – 4 StR 156/11, NJW 2011, 2819; Beschlüsse vom 1.
  395. April 2008 – 3 StR 493/07, wistra 2008, 427, 428; vom 13. September 2010
  396. – 1 StR 220/09, BGHSt 55, 288, 297 f.; vom 5. März 2013 – 3 StR 438/12,
  397. - 15 -
  398. BGHR StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 52; vom 26. November 2015 – 3 StR 17/15, NJW 2016, 2585, 2590 f.; vom 16. August 2016
  399. – 4 StR 163/16, jeweils mwN).
  400. aa) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob für die Angeklagten
  401. 34
  402. D.
  403. und H.
  404. bei der Bestellung gesetzlicher Vertreter eine Vermö-
  405. gensbetreuungspflicht bestand. Denn eine solche traf sie, als sie zeitlich nach
  406. der Vertreterbestellung – ggf. auf der Grundlage eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses – Grundstücksveräußerungen genehmigten, die von den bestellten Vertretern vorgenommen worden waren. Die Angeklagte D.
  407. ge-
  408. nehmigte die Grundstücksveräußerung im Fall 2.3, der ihr indes nicht zur Last
  409. gelegt wird, die Angeklagte H.
  410. genehmigte die Veräußerungen in den
  411. Fällen 2.1, 2.2 und 2.5.
  412. (1) Die Genehmigungsentscheidung nach Art. 233 § 2 Abs. 3 Satz 4
  413. 35
  414. EGBGB, § 16 Abs. 4 VwVfG, § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB stand im pflichtgemäßen
  415. Ermessen der jeweils handelnden Angeklagten (vgl. zur Vormundschaft
  416. BayObLG, Beschluss vom 16. April 1957 – 1 Z 190/1956; MüKo-BGB/Wagenitz, 6. Aufl., § 1821 Rn. 50). Hier bestand für sie nicht nur die Pflicht zu prüfen,
  417. ob das vom Vertreter vorgenommene Veräußerungsgeschäft nach wirtschaftlicher Betrachtung dem Interesse des Vertretenen entsprach (vgl. LKStGB/Schünemann, 12. Aufl., § 266 Rn. 129; MüKo-BGB/Wagenitz, aaO). Sie
  418. hatten vielmehr auch dafür Sorge zu tragen, dass sie Genehmigungen nicht in
  419. Fällen erteilten, in denen die Vertretungsvoraussetzungen überhaupt nicht vorlagen, also die Grundstückseigentümer oder deren Erben als Geschäftsherren
  420. bekannt oder unschwer ermittelbar waren.
  421. (2) Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde diese Pflicht in den
  422. 36
  423. Fällen 2.1, 2.2, 2.3 und 2.5 verletzt.
  424. - 16 -
  425. 37
  426. (a) Allerdings bietet die Genehmigung der Veräußerungen zum attestierten – bzw. jedenfalls nicht ausschließbar durch Nachfrage des Angeklagten
  427. M.
  428. beim Amt für Geoinformation und Bodenordnung schlüssig erscheinen-
  429. den (Fall 2.1) – Grundstückswert für sich genommen keinen Anhaltspunkt für
  430. die Annahme einer Verletzung der bestehenden Vermögensbetreuungspflicht.
  431. Denn der vereinbarte Kaufpreis war nach den den Angeklagten vorliegenden
  432. Erkenntnissen marktgerecht, weswegen die Veräußerung zu diesem Preis bei
  433. wirtschaftlicher Betrachtung nicht in einer die Vermögensbetreuungspflicht verletzenden Weise den Vermögensinteressen des Vertretenen zuwiderlief. Dass
  434. in zwei Fällen Sachverständige im Rahmen neuer Begutachtungen einen höheren Grundstückswert ermittelten (im Fall 2.3 im Rahmen eines Zivilrechtsstreits
  435. und im Fall 2.5 im Rahmen des Ermittlungsverfahrens im Auftrag der Staatsanwaltschaft), rechtfertigt keine abweichende Einschätzung. Eingedenk des Charakters der gesetzlichen Vertretungsregelung als Beschleunigungsnorm bestand für die Angeklagten keine Pflicht, über die eingeholten Erkenntnisse hinaus – etwa durch Zweitbegutachtung – den Wert der veräußerten Grundstücke
  436. noch weitergehend aufzuklären.
  437. (b) Pflichtwidrig waren die Genehmigungsentscheidungen aber deshalb,
  438. 38
  439. weil die nach den anzulegenden rechtlichen Maßstäben (vgl. BVerwG, Urteil
  440. vom 5. Mai 2015 – 9 C 12/14, juris Rn. 18 ff.) defizitären (Fall 2.5) bzw. gänzlich
  441. unterbliebenen (Fälle 2.1, 2.2 und 2.3) Eigentümer- bzw. Erbenermittlungen
  442. durch den Angeklagten M.
  443. keine tragfähige Grundlage für die nachfolgend
  444. getroffenen Genehmigungsentscheidungen bildeten und in diesen Fällen gesetzliche Vertreter bestellt und Genehmigungserklärungen für die von diesen
  445. vorgenommenen Grundstücksveräußerungen erteilt wurden, obwohl die Eigentümer nicht unbekannt im Sinne von Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB waren. Denn
  446. das Rechtsamt hätte zumindest naheliegende Ermittlungsmöglichkeiten ergrei-
  447. - 17 -
  448. fen müssen, nämlich solche, die mit einem vertretbaren Aufwand an Mühe, Zeit
  449. und Kosten verbunden sind; insbesondere ein vollständiger Ermittlungsverzicht
  450. war nicht rechtmäßig (vgl. BVerwG aaO, juris Rn. 18 ff.).
  451. Eine dem Anklagevorwurf entsprechende mittäterschaftliche Zurechnung
  452. 39
  453. der Pflichtverletzungen zu der insoweit im Fall 2.5 nicht selbst handelnden Angeklagten D.
  454. (Genehmigung durch die Angeklagte H.
  455. ) erscheint
  456. nicht gänzlich ausgeschlossen, wenngleich weder die Anklageschrift noch die
  457. Feststellungen des Landgerichts auf tatsächliche Anhaltspunkte für ein gemeinschaftliches Vorgehen im Sinne von § 25 Abs. 2 StGB hinweisen. Das neu zur
  458. Entscheidung berufene Tatgericht wird ggf. die Prüfung des Vorliegens eines
  459. gemeinschaftlichen Tatentschlusses in den Blick zu nehmen haben.
  460. (c) Im Fall 2.4 verletzten die Angeklagten D.
  461. 40
  462. durch die Bestellung der gesetzlichen Vertreterin T.
  463. und H.
  464. und durch die Abgabe
  465. der Genehmigungserklärungen hingegen keine ihnen obliegende Pflicht. Gleiches gilt für den Angeklagten M.
  466. , der diese Entscheidungen vorbereitete.
  467. Denn die Voraussetzungen für die Bestellung der Angeklagten T.
  468. 41
  469. zur gesetzlichen Vertreterin lagen vor. Der am Grundstück A.
  470. Straße
  471. möglicherweise Mitberechtigte He.
  472. – dem dies oblegen hätte (vgl.
  473. LG Düsseldorf, NJW-RR 1995, 1232; Böhringer, NJ 2015, 492, 494) – hatte
  474. trotz mehrfacher Aufforderung durch den Angeklagten M.
  475. die behauptete
  476. Rechtsstellung in keiner Weise belegt (vgl. BVerwG aaO, juris Rn. 24; Eickmann/Böhringer, Sachenrechtsbereinigung, 23. EL, Art. 233 § 2 Rn. 23 aE).
  477. Zudem war er allenfalls Gesellschafter eines unbekannten Gesellschaftsanteils
  478. einer einen hälftigen Miteigentumsanteil des Grundstücks haltenden BGBGesellschaft, deren übrige Gesellschafter unbekannt waren (UA S. 97). Durch
  479. seine etwaige Namhaftmachung als Gesellschafter war die BGB-Gesellschaft
  480. - 18 -
  481. – eine Gesamthandsgemeinschaft (§ 719 BGB) – als Miteigentümerin des
  482. Grundstücks keineswegs bekannt im Sinne von Art. 233 § 2 Abs. 3 Satz 1
  483. EGBGB (vgl. für die Erbengemeinschaft als Gesamthand: BVerwG aaO, juris
  484. Rn. 22, 24).
  485. bb) Vor diesem tatsächlichen Hintergrund scheidet im Fall 2.4 auch eine
  486. 42
  487. Strafbarkeit der Angeklagten T.
  488. als in dieser Angelegenheit bereits für an-
  489. dere unbekannte Berechtigte bestellte gesetzliche Vertreterin aus. Zwar war sie
  490. nach den oben dargestellten Maßstäben betreuungspflichtig in Bezug auf das
  491. Vermögen der von ihr vertretenen Grundstückseigentümer. Sie handelte jedoch
  492. nicht pflichtwidrig, als sie in Abstimmung mit dem Angeklagten M.
  493. und un-
  494. ter Hinweis auf Zweifel an der Rechtsstellung des möglichen Mitberechtigten
  495. He.
  496. auf ihre Vertreterbestellung hinwirkte. Denn die in Art. 233 § 2 Abs. 3
  497. Satz 1 EGBGB normierten Voraussetzungen lagen vor.
  498. cc) Anders als die Angeklagten D.
  499. 43
  500. und H.
  501. amtsleiterin und ihre Stellvertreterin – traf den Angeklagten M.
  502. – die Rechtsin den Fäl-
  503. len des Tatkomplexes 1 selbst keine Vermögensbetreuungspflicht. Er war bei
  504. der Vertreterbestellung und der Veräußerungsgenehmigung in untergeordneter
  505. Stellung tätig, arbeitete den Angeklagten D.
  506. und H.
  507. lediglich zu
  508. und bereitete die von diesen zu treffenden Entscheidungen ohne eigene Entscheidungskompetenz vor; er konnte förmliche Rechtswirkungen selbst nicht
  509. auslösen. Schon deswegen war er nicht vermögensbetreuungspflichtig (vgl.
  510. BVerfGE 126, 170, 209 mwN; LK-StGB/Schünemann, 12. Aufl., § 266
  511. Rn. 42 ff.), so dass wegen Fehlens dieses besonderen persönlichen Merkmals
  512. (§ 28 Abs. 1 StGB) nur eine Beteiligung als Gehilfe an etwaigen Taten der Angeklagten D.
  513. und H.
  514. in Betracht käme (vgl. BGH, Urteil vom
  515. - 19 -
  516. 26. November 2015 – 3 StR 17/15, NJW 2016, 2585, 2600 mwN; vgl. MüKoStGB/Dierlamm, 2. Aufl., § 266 Rn. 286).
  517. b) In den Fällen 2.1, 2.2 und 2.5 – nicht jedoch im Fall 2.3 – kommt auf
  518. 44
  519. der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts auch die Verwirklichung der
  520. übrigen Merkmale des objektiven Tatbestands – die durch die Pflichtverletzung
  521. hervorgerufene Zufügung eines Vermögensnachteils – in Betracht.
  522. Die Nachteilszufügung ist bei der Untreue als Vermögensdelikt allein
  523. 45
  524. durch einen Vergleich des Vermögens, das der Betreute ohne die Pflichtverletzung des Täters hätte, mit dem Vermögen festzustellen, über das er infolge der
  525. Pflichtverletzung verfügt. Dabei ist jeder Vorteil zu berücksichtigen, der durch
  526. die pflichtwidrige Handlung erzielt worden ist. Zum Vermögen gehört nach der
  527. maßgeblichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise alles, was in Geldwert messbar ist (vgl. BGH, Urteile vom 27. Februar 1975 – 4 StR 571/74, NJW 1975,
  528. 1234 mwN; vom 12. Oktober 2016 – 5 StR 134/15).
  529. aa) Daraus folgt, dass in den Fällen 2.1, 2.2 und 2.3, in denen den Ver-
  530. 46
  531. tretenen durch die Genehmigung der Grundstücksveräußerung im Gegenzug
  532. für den Verlust des Grundstückseigentums ein dem Verkehrswert entsprechender Kaufpreisanspruch erwuchs, ein Vermögensnachteil nicht ohne Weiteres
  533. vorlag. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hinsichtlich der
  534. Fälle 2.1 und 2.2 zutreffend ausgeführt hat, kann der nach dem Untreuetatbestand vorausgesetzte Vermögensnachteil jedoch in dem hier vom Veräußerungserlös vorgenommenen Abzug der Kosten für das Tätigwerden des gesetzlichen Vertreters liegen. Mit Blick auf den nach § 266 Abs. 1 StGB verlangten
  535. Ursächlichkeitszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Nachteilsentstehung setzt dies jedoch voraus, dass durch die pflichtwidrig erteilte Genehmigung der Vermögensnachteil entstand oder vertieft wurde.
  536. - 20 -
  537. 47
  538. Aus dem Urteil ergibt sich für die Fälle 2.1 und 2.2 lediglich die Höhe der
  539. vom Veräußerungserlös abgezogenen Beträge, die auch die für die gesetzliche
  540. Vertretung angefallenen Kosten umfassen. Jedoch ist bislang nicht festgestellt,
  541. nach welchen Kriterien die Vergütung der bestellten gesetzlichen Vertreter tatsächlich erfolgt ist, wie hoch sie war und auf welche Weise sie ggf. vom Veräußerungserlös „abgezogen“ wurde (vgl. auch Art. 233 § 2 Abs. 3 Satz 4 EGBGB,
  542. § 16 Abs. 3 VwVfG). Dies wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht
  543. aufzuklären haben.
  544. bb) Demgegenüber kam es im Fall 2.3 nach den Feststellungen des
  545. 48
  546. Landgerichts nicht zu einer Belastung der Vertretenen mit Kosten für das
  547. Tätigwerden des gesetzlichen Vertreters, sodass hier ein Vermögensnachteil im
  548. Sinne von § 266 Abs. 1 StGB nicht vorliegt und insoweit eine Strafbarkeit der
  549. Angeklagten ausscheidet.
  550. cc) Im Fall 2.5 hingegen erscheint – jedenfalls in objektiver Hinsicht –
  551. 49
  552. das Vorliegen eines Vermögensnachteils im Sinne von § 266 Abs. 1 StGB möglich. Denn hier verlor der Grundstückseigentümer Z.
  553. gesetzlichen Vertreter der „Erben nach Z.
  554. durch die vom
  555. “ vorgenommene Verfü-
  556. gung mit Grundbucheintragung des Erwerbers das Grundstückseigentum. Aus
  557. dem genehmigten Grundstücksverkauf erwuchs ihm aber nicht unmittelbar ein
  558. einen Vermögensnachteil ausschließender Kaufpreisanspruch. Ob mit Blick auf
  559. das Vorstellungsbild der Angeklagten ein (bedingter) Vorsatz auch in Bezug auf
  560. diesen Vermögensnachteil vorlag, wird das neu zur Entscheidung berufene
  561. Tatgericht zu prüfen haben.
  562. c) Hinsichtlich der hiernach im Tatkomplex 1 verbleibenden Fälle 2.1, 2.2
  563. 50
  564. und 2.5 hält die Beweiswürdigung des Landgerichts dahin, dass die Angeklagten nicht vorsätzlich handelten, revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand. Sie
  565. - 21 -
  566. ist lückenhaft. Denn das Landgericht hat für die Vorsatzprüfung bedeutsame
  567. Umstände nicht festgestellt und in seine Würdigung einbezogen.
  568. aa) Für die Würdigung, ob die Angeklagten D.
  569. 51
  570. und H.
  571. mit
  572. Vorsatz in Bezug auf die Merkmale des objektiven Tatbestands handelten, war
  573. mit Blick auf die Feststellungen des Landgerichts zu den Verfahrensabläufen
  574. bei den Vertreterbestellungen und Genehmigungen insbesondere von Bedeutung, ob und ggf. inwiefern die jeweiligen Angeklagten Kenntnis von den Abläufen der Antragstellung und davon hatten, dass Ermittlungen zu den Grundstückseigentümern oder ihren Erben entweder defizitär (Fall 2.5) oder gänzlich
  575. unterblieben waren (Fälle 2.1, 2.2).
  576. (1) Die Strafkammer hätte hier insbesondere Feststellungen dazu treffen
  577. 52
  578. müssen, welche Unterlagen den Angeklagten D.
  579. und H.
  580. bei den
  581. Genehmigungsentscheidungen vorlagen. Denn sollte aus den ihnen vorgelegten Unterlagen hervorgegangen sein, dass der Angeklagte M.
  582. die rechtlich
  583. gebotenen Ermittlungsbemühungen (vgl. hierzu BVerwG aaO, Rn. 18 ff.; Eickmann/Böhringer, Sachenrechtsbereinigung, 23. EL, Art. 233 § 2 EGBGB
  584. Rn. 24a) nicht entfaltet hatte, würde dies gegen ein Vorstellungsbild der Angeklagten sprechen, M.
  585. habe die Entscheidungen ordnungsgemäß vorberei-
  586. tet. Auch wäre es in die Beweiswürdigung einzubeziehen gewesen, wenn diese
  587. Angeklagten die Vorlagen des Angeklagten M.
  588. ohne entsprechenden Ver-
  589. waltungsvorgang gleichsam „blind“ unterschrieben hätten. Demgegenüber würde eine – bislang nicht in Rede stehende – wahrheitswidrige „Dokumentation“
  590. von tatsächlich nicht vorgenommenen Ermittlungen in den Verwaltungsakten
  591. gegen einen Vorsatz der Angeklagten D.
  592. und H.
  593. im Hinblick auf
  594. die Verletzung ihrer Pflichten sprechen. Zu diesen Fragen verhält sich das angefochtene Urteil nicht mit der nötigen Klarheit.
  595. - 22 -
  596. 53
  597. (2) Das Landgericht hätte hinsichtlich eines möglichen Vorsatzes der Angeklagten im Fall 2.5 zudem erkennbar in seine Würdigung einbeziehen müssen, dass die Angeklagten D.
  598. und H.
  599. , wie es festgestellt bzw. in
  600. anderem Zusammenhang in der Beweiswürdigung ausgeführt hat, jeweils
  601. dadurch für ein mögliches Fehlverhalten des Angeklagten M.
  602. sensibilisiert
  603. waren, dass dieser im Rahmen seines Tätigwerdens im Fall 2.3 nicht die gebotenen Ermittlungen durchgeführt hatte (UA S. 42 f., 87 unten).
  604. bb) Im Rahmen der Prüfung eines (Gehilfen-)Vorsatzes des Angeklagten
  605. 54
  606. M.
  607. hat es die Strafkammer versäumt, dessen Einlassung kritisch zu hinter-
  608. fragen, er sei davon ausgegangen, keinerlei eigene Ermittlungen zu den Eigentümern bzw. Erben der Grundstücke vornehmen zu müssen. Angesichts der
  609. Verpflichtung der Behörde, das Vorliegen der Voraussetzungen der Vorschrift
  610. des Art. 233 § 2 Abs. 3 EGBGB zu prüfen, und des mit der Vertreterbestellung
  611. und Genehmigung offensichtlich verbundenen erheblichen Eingriffs in die
  612. Rechtsposition des Grundstückseigentümers versteht sich die Richtigkeit dieser
  613. Einlassung nicht von selbst.
  614. cc) Die Strafkammer hätte ferner in ihre Beweiswürdigung für alle Fälle
  615. 55
  616. miteinbeziehen müssen, dass der Angeklagte hinsichtlich des Falles 2.3 im Ermittlungsverfahren angegeben hatte, er habe auch deswegen vor der Vertreterbestellung keine eigenen Ermittlungen vorgenommen und auf die Angaben des
  617. ihm bekannten Maklers vertraut, weil er zwei bis drei Tage später habe zur Kur
  618. fahren und „den ganzen Vorgang vom Tisch haben“ wollen (UA S. 63). Dieser
  619. Gesichtspunkt ist erörterungsbedürftig, weil der Angeklagte insoweit selbst angab, (auch) aus sachfremden Erwägungen – und nicht allein infolge seiner (evident unzutreffenden) Rechtsauffassung – keine Eigentümer- bzw. Erbenermitt-
  620. - 23 -
  621. lungen durchgeführt zu haben; dies ist auch für die Würdigung seiner Einlassung im Übrigen bedeutsam.
  622. dd) Auch hätte das Landgericht bei Fall 2.5 erkennbar würdigen müssen,
  623. 56
  624. dass der Angeklagte M.
  625. sich im Ermittlungsverfahren dahin eingelassen
  626. hatte, ihm sei nach Fall 2.3 (L. straße ) – mithin mehr als ein Jahr vor seinem
  627. Tätigwerden im Fall 2.5 – bewusst gewesen, dass die bisher geübte Ermittlungspraxis nicht ausreichend gewesen sei (UA S. 64 f.). Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird andererseits mit Blick auf den Umstand, dass
  628. der Angeklagte M.
  629. keine juristische Ausbildung durchlaufen hat, jedoch
  630. auch die Möglichkeit in ihre Überlegungen miteinbeziehen müssen, dass der
  631. Angeklagte infolge der „gerötelten“ Grundbucheintragung tatsächlich davon
  632. ausging, der Aufenthalt des Grundstückseigentümers sei unbekannt.
  633. 2. Die Freisprüche der Angeklagten D.
  634. 57
  635. , H.
  636. und M.
  637. in
  638. den Fällen des Tatkomplexes 2 halten im Ergebnis revisionsgerichtlicher Prüfung stand. Zwar begegnet die Rechtsansicht des Landgerichts Bedenken, insoweit hätten die Angeklagten jeweils schon nicht den objektiven Tatbestand
  639. der Untreue bzw. des Betrugs verwirklicht; jedoch hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands ausgeschlossen.
  640. a) Die vom Landgericht angeführte Wertung, die Angeklagten hätten bei
  641. 58
  642. kritischer Überprüfung der Verwaltungspraxis zu dem Ergebnis kommen dürfen,
  643. dass die Auszahlung der Veräußerungserlöse ohne Zinsen vertretbar und damit
  644. rechtmäßig sei (UA S. 114), trägt die Verneinung des objektiven Tatbestands
  645. nicht. Maßgeblich ist allein, dass eine Pflicht zur Verzinsung zu Gunsten der
  646. Berechtigten gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3 Satz 4 EGBGB, § 16 Abs. 4 Var. 2
  647. VwVfG, § 1915 Abs. 1 Satz 1 und § 1806 BGB bestand. Gegen diese Pflicht
  648. haben die für die Anordnung entsprechender Auszahlungen zuständigen und
  649. - 24 -
  650. insoweit vermögensbetreuungspflichtigen Angeklagten in objektiver Hinsicht
  651. verstoßen bzw. hierzu objektiv unrichtige Angaben gemacht.
  652. b) Jedoch fußt die vom Landgericht hilfsweise angeführte Annahme, die
  653. 59
  654. Angeklagten D.
  655. , H.
  656. und M.
  657. hätten bei den Fällen des Tat-
  658. komplexes 2 nicht vorsätzlich gehandelt, auf einer tragfähigen und lückenlosen
  659. Beweiswürdigung. Das Landgericht hat das Vorstellungsbild der Angeklagten
  660. zwar nicht ausdrücklich an den Voraussetzungen des § 16 StGB gemessen. Es
  661. hat jedoch in der Sache die Voraussetzungen eines Tatbestandsirrtums dargestellt und mit im Ergebnis zutreffenden Erwägungen das Vorliegen von Untreuebzw. Betrugsvorsatz ausgeschlossen.
  662. aa) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht das Vorstellungsbild der Ange60
  663. klagten dahin festgestellt, dass sie bei ihren Auszahlungsentscheidungen bzw.
  664. bei den schriftlichen Mitteilungen an Anspruchsteller der langjährig geübten
  665. Praxis folgend davon ausgingen, dass die Zinserträge in Anwendung der Hinterlegungsordnung nicht zugunsten der Berechtigten auszuzahlen seien.
  666. Entgegen der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft hat das
  667. 61
  668. Landgericht die entlastenden Einlassungen der Angeklagten nicht ohne Weiteres als unwiderlegt hingenommen, sondern sie seiner Entscheidung tatsächlich
  669. erst nach umfänglicher Würdigung unter Einbeziehung der weiteren Beweiserkenntnisse zugrunde gelegt (vgl. zu diesem Erfordernis BGH, Urteile vom
  670. 21. Dezember 2005 – 3 StR 470/04, NJW 2006, 522, 537; vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14, PharmR 2015, 127, 130). Es ist von der Einlassung
  671. des Angeklagten M.
  672. ausgegangen, dass es im Rechtsamt ständige Übung
  673. gewesen sei, die er selbst auch für richtig erachtet habe, in Anwendung der
  674. Hinterlegungsordnung keine Zinsen für auf städtischen Konten verwahrte Verkaufserlöse an Berechtigte auszuzahlen. Diese Einlassung hat das Landgericht
  675. - 25 -
  676. in Auswertung von Fortbildungsunterlagen und insbesondere der Aussage der
  677. Zeugen
  678. Su.
  679. und Hi.
  680. für unwiderlegbar erachtet und im Rahmen
  681. dieser Zeugenaussagen auch die Hinweise des Rechnungsprüfungsamts der
  682. Stadt
  683. in den Jahren 1999 und 2002 in seine Würdigung miteinbezogen.
  684. Es stellt dabei keinen durchgreifenden Mangel der Beweiswürdigung dar,
  685. 62
  686. dass das Landgericht nicht ausdrücklich darauf eingegangen ist, dass die Angeklagten im Jahr 2011 selbst von einer Pflicht zur Auskehr von Zinserträgen
  687. ausgingen (UA S. 106). Denn Rückschlüsse aus einer von ihnen weit nach dem
  688. Tatzeitraum als richtig erkannten Rechtsauffassung auf ihr Vorstellungsbild zum
  689. Zeitpunkt der Tatbegehung liegen fern.
  690. bb) Bei dem festgestellten Vorstellungsbild der Angeklagten handelt es
  691. 63
  692. sich um einen Irrtum über Tatumstände im Sinne von § 16 StGB.
  693. Die vom Landgericht festgestellte Fehlbewertung der Angeklagten bezog
  694. 64
  695. sich darauf, ob eine Pflicht zur Verzinsung und Auskehr aufgelaufener Zinsen
  696. an die Berechtigten bestand, mithin auf das Tatbestandsmerkmal der Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht (Untreue) und – vorgelagert – namentlich
  697. auf das Merkmal der Täuschung (Betrug). Bei normativen Tatbestandsmerkmalen genügt die Kenntnis der die objektive Pflichtwidrigkeit des Handelns begründenden Umstände für die Begründung des Vorsatzes nicht. Der Täter muss
  698. zusätzlich die unter das normative Tatbestandsmerkmal zu subsumierenden
  699. Sachverhaltselemente in ihrem für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt erfasst haben (vgl. MüKo-StGB/Joecks, 2. Aufl., § 16 Rn. 69 ff.;
  700. LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 16 Rn. 25 f.; KK-OWiG/Rengier, 4. Aufl., § 11
  701. Rn. 15, 19).
  702. - 26 -
  703. 65
  704. Gemessen hieran handelte es sich bei der Fehlbewertung der Angeklagten nicht lediglich um einen den Vorsatz unberührt lassenden Subsumtions-,
  705. sondern um einen Tatbestandsirrtum: Sie irrten nicht über den Begriffsinhalt
  706. eines Tatbestandsmerkmals der §§ 263, 266 StGB, sondern über den rechtlichen Umstand, dass gemäß Art. 233 § 2 Abs. 3 Satz 4 EGBGB, § 16 Abs. 4
  707. Var. 2 VwVfG, § 1915 Abs. 1 Satz 1 und § 1806 BGB eine Pflicht zur Auskehr
  708. der aufgelaufenen Zinserträge bestand. Zwar kannten die Angeklagten die weiteren tatsächlichen Gegebenheiten, namentlich die Verwahrung der Kaufpreiserlöse für die Berechtigten und das Auflaufen von Zinserträgen und die Nichtauszahlung der Zinsen. Jedoch erfassten sie nicht, dass sie mit der Nichtauszahlung gegen ihre Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB verstießen. Hinsichtlich des Betruges erkannten sie wegen ihrer Fehlvorstellung
  709. die Unwahrheit ihrer Angaben gegenüber den Berechtigten nicht. Die Einschätzung des Landgerichts, dass die rechtliche Fehlbewertung der Angeklagten (jedenfalls) den Tatvorsatz entfallen lässt, ist daher von Rechts wegen nicht zu
  710. beanstanden.
  711. 3. Das Landgericht hat gleichermaßen tragfähig begründet, warum es ein
  712. 66
  713. vorsätzliches Handeln des Angeklagten M.
  714. in den Fällen des Tatkomple-
  715. xes 3 nicht hat feststellen können. Es hat auch hier das Vorliegen der Voraussetzungen eines Tatbestandsirrtums im Sinne von § 16 StGB dargestellt und
  716. daran anknüpfend im Ergebnis zutreffend den Vorsatz des Angeklagten verneint.
  717. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte M.
  718. 67
  719. im Hinblick auf die Erhebung von Gebühren für das Verwaltungshandeln der
  720. Stadt in Anwendung der Vertretungsvorschriften vermögensbetreuungspflichtig
  721. nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben (vgl. oben B.II.1.a). Indem er
  722. - 27 -
  723. trotz Vorliegens der Voraussetzungen des Gebührentatbestands Nr. 3.3.
  724. KommKVz keine entsprechenden Gebühren festsetzte, verletzte er diese
  725. Pflicht.
  726. b) Der Angeklagte handelte nach den Feststellungen jedoch nicht vor68
  727. sätzlich. Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten vor dem Hintergrund der übrigen Beweiserkenntnisse gewürdigt und seine Darstellung für
  728. nicht widerlegbar und plausibel erachtet, er sei – im Ergebnis rechtsirrig – davon ausgegangen, eine Gebühr gemäß Nr. 3.3. KommKVz sei in den ihm zum
  729. Vorwurf gemachten Fällen nicht entstanden. Er selbst habe den Gebührentatbestand im Jahr 2002 als Auffangregelung entworfen und diesem Verständnis
  730. entsprechend eine Gebührenerhebung in den Fällen des Tatkomplexes 3 unterlassen. Das Landgericht hat infolge dieser Fehlvorstellung des Angeklagten
  731. M.
  732. dessen Vorsatz verneint, die ihn betreffende Vermögensbetreuungs-
  733. pflicht zu verletzen und der Stadt
  734. Der Irrtum des Angeklagten M.
  735. 69
  736. einen Nachteil zuzufügen.
  737. über das Bestehen eines (weiterge-
  738. henden) Gebührenanspruchs der Stadt stellt eine Fehlvorstellung dar, die ihn
  739. den sozialen Bedeutungsgehalt seines Tuns – die pflichtwidrige Nichterhebung
  740. angefallener Gebühren – nicht erkennen ließ. Dieser normative Tatbestandselemente betreffende Irrtum schließt den Untreuevorsatz aus (vgl. oben B.II.2.b,
  741. bb).
  742. - 28 -
  743. 70
  744. III. Der Senat regt für den neuen Rechtsgang die Prüfung einer Einstellung des Verfahrens (§§ 153, 153a StPO) an. Hierfür könnte sprechen, dass
  745. Gewicht und Umfang des noch in Rede stehenden strafrechtlich bedeutsamen
  746. Fehlverhaltens im unteren Bereich liegen, die Taten lange zurückliegen und
  747. insbesondere keinem der Angeklagten vorgeworfen wird, sich selbst bereichert
  748. zu haben.
  749. Sander
  750. Dölp
  751. Bellay
  752. König
  753. Feilcke