Monotone Arbeit nervt!
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

192 lines
10 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 161/00
  5. vom
  6. 12. Juli 2000
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen schwerer Körperverletzung
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juli 2000,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
  14. Dr. Jähnke
  15. als Vorsitzender,
  16. der Richter am Bundesgerichtshof
  17. Niemöller,
  18. die Richterin am Bundesgerichtshof
  19. Dr. Otten,
  20. die Richter am Bundesgerichtshof
  21. Rothfuß,
  22. Prof. Dr. Fischer
  23. als beisitzende Richter,
  24. Staatsanwältin
  25. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  26. Justizobersekretärin
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
  31. Landgerichts Köln vom 27. Januar 2000 wird verworfen.
  32. Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten und gerichtlichen Auslagen des Rechtsmittels
  33. aufzuerlegen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Gründe:
  36. I.
  37. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung
  38. zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt.
  39. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen Rechtes gerügt wird. Der Beschwerdeführer wendet sich mit
  40. seinen Ausführungen insbesondere gegen den Rechtsfolgenausspruch.
  41. Einer Erörterung bedarf nur die vom Generalbundesanwalt aufgeworfene Frage, ob einzelne strafschärfende Erwägungen des Tatrichters durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen. Dies ist im Ergebnis nicht der Fall.
  42. Die Revision hat daher keinen Erfolg.
  43. -4-
  44. II.
  45. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der am 26. Mai 1999
  46. geborene Sohn E.
  47. des Angeklagten im Juli 1999 ins Krankenhaus eingelie-
  48. fert, wo neben blauen Flecken auf dem Bauch des Kindes auch kleine Blutungen im Augenhintergrund rechts und links festgestellt wurden. Da eine Ursache
  49. für derartige Netzhautblutungen darin liegen kann, daß ein Säugling geschüttelt worden ist, suchte ein Sozialarbeiter den Angeklagten und die Kindesmutter auf und wies beide ausdrücklich darauf hin, daß der Kopf eines Säuglings
  50. immer fixiert sein müsse und daß das Kind keinesfalls geschüttelt werden dürfe, anderenfalls könnten lebensgefährliche Blutungen im Gehirn entstehen.
  51. Am 10. August 1999 versorgte der Angeklagte das Kind allein. Das Kind
  52. wurde unruhig, begann zu schreien und hörte nicht mehr auf. Als der Angeklagte das Kind nicht beruhigen konnte und nicht mehr wußte, was er tun sollte,
  53. wurde er sehr wütend. Er nahm den Säugling mit beiden Händen unter dessen
  54. Armen hoch, hielt ihn senkrecht vor sich, schüttelte ihn heftig und sagte aufgebracht: "Nun sei doch endlich still!". Während des Schüttelns hielt er den Kopf
  55. seines Sohnes nicht fest, vielmehr schleuderte das Köpfchen heftig hin und
  56. her. Vor Wut und Hilflosigkeit dachte der Angeklagte in diesem Moment nicht
  57. mehr an die möglichen Folgen einer solchen Mißhandlung, wie sie ihm der Sozialarbeiter klargemacht hatte. Wegen einige Zeit später eintretender Auffälligkeiten des Kindes wurde dieses zur ärztlichen Behandlung gebracht. Nachdem
  58. die Atmung des Kindes aussetzte, wurde es intubiert und fiel in ein tiefes Koma. Eine in derselben Nacht vorgenommene computertomographische Untersuchung ergab, daß Grund für das Koma Hirnblutungen waren, die ein erhebliches Hirnödem und somit Sauerstoffmangel im Gehirn hervorgerufen hatten.
  59. -5-
  60. Auch waren jetzt ausgeprägte Netzhautblutungen erkennbar. Ferner stellte sich
  61. bei Röntgenuntersuchungen heraus, daß der Säugling insgesamt neun Rippenbrüche hatte, davon sechs, die bereits im Stadium der Abheilung und somit
  62. älteren Datums waren und drei frische.
  63. Auch auf gezieltes Nachfragen der Ärzte lieferten ihnen jedoch der Angeklagte und seine Lebensgefährtin zunächst keine Erklärung für den Zustand
  64. E.
  65. s. Als am 13. August 1999 im Krankenhaus durch den Zeugen Dr. S. expli-
  66. zit der Verdacht geäußert wurde, jemand habe das Kind heftig geschüttelt, reagierte die Familie des Angeklagten und der Angeklagte selbst ungehalten. Im
  67. Rahmen dieses Gespräches wurde der Angeklagte ausfallend gegenüber dem
  68. Arzt, der die Unterredung deshalb abbrach. Nachdem aufgrund des Verdachts
  69. der Kindesmißhandlung ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eröffnet
  70. worden war, entzog sich der Angeklagte aus Angst vor den auf ihn zukommenden Schwierigkeiten ca. ein bis zwei Tage lang den Versuchen der Polizei, ihn
  71. zu vernehmen, indem er sich nicht mehr zu Hause, sondern an einem unbekannten Ort aufhielt. Er stellte sich schließlich am 14. August 1999 der Polizei
  72. und berichtete, was am Nachmittag des 10. August 1999 vorgefallen war.
  73. Der Säugling wurde noch bis zum 23. August 1999 maschinell beatmet.
  74. Es zeigte sich eine zunehmende Auflösung der Hirnsubstanz. Daraus resultiert
  75. eine schwere Schädigung motorischer Funktionen, die über die Hirnrinde gesteuert werden. Bereits im September 1999 stellten die Ärzte die Entwicklung
  76. einer Tetraspastik fest, die sich in der Folgezeit manifestiert hat und dazu führen wird, daß E.
  77. kaum motorische und intellektuelle Fähigkeiten entwickeln
  78. wird. Darüber hinaus wird E.
  79. aufgrund der irreparablen schweren Hirnschä-
  80. den nicht mehr sehen und hören können.
  81. -6-
  82. Die Hirnblutungen, die zu dem schweren Hirnödem und letzten Endes zu
  83. den schweren Schäden im Gehirn des E.
  84. führten, und die drei frischen Rip-
  85. penbrüche wurden durch das heftige Schütteln des Säuglings durch den Angeklagten am Nachmittag des 10. August 1999 verursacht.
  86. Es ist nicht auszuschließen, daß die Fähigkeit des Angeklagten, sein
  87. Verhalten am Nachmittag des 10. August 1999 entsprechend einer vorhandenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu steuern, erheblich vermindert war.
  88. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß der Angeklagte die Körperverletzung vorsätzlich und die schweren Folgen der Tat grob fahrlässig verursacht hat und hat ihn gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StGB der schweren
  89. Körperverletzung schuldig gesprochen. Es hat auf den zur Tatzeit 20 Jahre und
  90. sieben Monate alten Angeklagten Jugendrecht angewandt und wegen der
  91. Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt. Der Tatrichter hat bei seiner Parallelwertung nach Erwachsenenrecht einen minder schweren Fall (§ 226
  92. Abs. 3 StGB) verneint, aber festgestellt, "daß im Erwachsenenstrafrecht eine
  93. Milderung nach §§ 21, 49 StGB erfolgt wäre". Maßgebend für die Bemessung
  94. der Strafe war für den Tatrichter, welche Dauer eine erzieherische Einwirkung
  95. unbedingt erfordert.
  96. Die vom Generalbundesanwalt beanstandeten Erwägungen in der
  97. Rechtsfolgenentscheidung lauten: "Strafschärfend war ferner das Verhalten
  98. des Angeklagten in den Tagen nach der Tat zu berücksichtigen. Zwar hat er
  99. noch am Tatabend festgestellt, daß es dem Kind nicht gut geht und die entsprechenden Maßnahmen unternommen, indem er das Ehepaar E. und seine
  100. -7-
  101. Lebensgefährtin unmittelbar unterrichtete. Jedoch hat er im Krankenhaus auch
  102. auf gezielte Nachfrage nicht von dem Vorfall berichtet. Selbst wenn er, wie er
  103. behauptet hat, sich zunächst nicht vorstellen konnte, daß die Ursache für das
  104. Koma des Kindes seine Tat war, hätte er von der Handlung berichten müssen,
  105. da die Ärzte sämtliche nur in Frage kommenden Vorfälle als Ursachen überprüfen wollten. Zudem hätte er angesichts der Vorgeschichte schon ahnen
  106. können, daß das Schütteln Verletzungen hervorgerufen hat. Daß er aber, statt
  107. von den Vorkommnissen am Nachmittag des Tattages zu berichten, auch noch
  108. ausfällig gegenüber dem Zeugen Dr. S. geworden ist, legte die Strafkammer,
  109. ebenso wie die Tatsache, daß er die ersten zwei bis drei Tage des Ermittlungsverfahrens, während sein Opfer im Koma lag, untergetaucht ist, dem Angeklagten zur Last."
  110. III.
  111. Die Revision des Angeklagten war zu verwerfen. Der Schuldspruch läßt
  112. keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Anwendung von Jugendstrafrecht und
  113. die Erforderlichkeit der Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der
  114. Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) weisen keinen Rechtsfehler auf.
  115. Der Senat läßt offen, ob die vom Generalbundesanwalt beanstandeten
  116. Erwägungen des Tatrichters rechtsfehlerhaft sind. Dem könnte entgegenstehen, daß der Angeklagte aufgrund seiner Garantenstellung sowohl als Vater
  117. des Kindes als auch aus Ingerenz verpflichtet war, trotz der damit verbundenen
  118. Selbstbelastung, den Ärzten umfassend die Vorgeschichte der Verletzungen zu
  119. berichten, um eine optimale Hilfe für das Kind zu ermöglichen. Die Ausfälligkeit
  120. gegenüber dem Arzt ging über ein zulässiges Verteidigungsverhalten hinaus.
  121. -8-
  122. Der - vom Generalbundesanwalt in der Verhandlung vor dem Senat angesprochene - Gedanke, es dürfe dem Täter nicht angelastet werden, daß er von seinem Vorhaben nicht mit strafbefreiender Wirkung zurückgetreten ist, greift hier
  123. nicht. Denn die schweren Folgen der Tat waren vom Angeklagten nicht beabsichtigt, sondern wurden von ihm nur fahrlässig verursacht. Schon deshalb darf
  124. ihm angelastet werden, nicht alles ihm Zumutbare zur - möglichen - Verhinderung der schweren Folgen getan zu haben. Hinsichtlich des Untertauchens
  125. wird nicht auf das Verteidigungsverhalten des in der Hauptverhandlung in vollem Umfang geständigen Angeklagten abgestellt. Es wird vielmehr auf den im
  126. Hinblick auf den Erziehungsgedanken maßgeblichen Umstand seiner ausgeprägten Tendenz, sich Konflikten zu entziehen, zurückgegriffen. Der Senat
  127. braucht diese Fragen hier jedoch nicht zu entscheiden. Er schließt aus, daß
  128. der Rechtsfolgenausspruch im Ergebnis auf den rechtlich möglicherweise bedenklichen Erwägungen beruht. Bei einer noch niedrigeren Strafe wäre bei
  129. dem vorliegenden Tat- und Täterbild die erforderliche erzieherische Einwirkung
  130. nicht mehr möglich (vgl. § 18 Abs. 2 JGG).
  131. Auch ansonsten ist kein Rechtsfehler im Rechtsfolgenausspruch zu erkennen. Die Annahme eines minder schweren Falles (§ 226 Abs. 3 StGB) lag
  132. hier im Hinblick auf die grobe Fahrlässigkeit des Angeklagten und die besonders schweren Folgen seiner Tat so fern, daß der Tatrichter bei seiner Parallelwertung nach Erwachsenenrecht nicht gehalten war, auch noch ausdrücklich
  133. zu erörtern, ob der vertypte Milderungsgrund des § 21 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles führen könnte. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung wurde vom Tatrichter rechtsfehlerfrei begründet.
  134. -9-
  135. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf den §§ 74, 109
  136. Abs. 2 JGG.
  137. Jähnke
  138. Niemöller
  139. Rothfuß
  140. Otten
  141. Fischer