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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 620/09
  4. vom
  5. 14. Januar 2010
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen schweren Raubes
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2010 beschlossen:
  11. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  12. Baden-Baden vom 7. August 2009 wird verworfen.
  13. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
  14. Gründe:
  15. 1
  16. Der Angeklagte wurde wegen (eines minder schweren Falles des) schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.
  17. 2
  18. Seine auf zwei Verfahrensrügen und die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
  19. 3
  20. 1. Das Verfahren richtete sich ursprünglich auch gegen
  21. B.
  22. und
  23. war vor dem Amtsgericht Achern anhängig, das die Sache nach Hauptverhandlung an die Strafkammer verwies. Zum ersten Hauptverhandlungstermin vor der
  24. Strafkammer erschienen die Angeklagten nicht. Gegen beide erging Haftbefehl.
  25. Während der Haftbefehl gegen den Angeklagten alsbald vollstreckt werden konnte, konnte B.
  26. in der Folgezeit nicht ergriffen werden. Wiederholte gezielte
  27. Bemühungen der örtlich zuständigen Polizeireviere ihn aufzufinden, blieben erfolglos. Das Verfahren gegen ihn wurde abgetrennt, er wurde zur Festnahme
  28. ausgeschrieben. Ob und wann er ergriffen werden kann, ist nicht absehbar.
  29. Nachdem die Hauptverhandlung schon mehrere Wochen gedauert hatte, beantragte der Angeklagte, B.
  30. als Zeugen zu vernehmen. Als Anschrift wurde
  31. lediglich die aktenkundige frühere Anschrift genannt, wo er sich, wie der geschil-
  32. -3-
  33. derte Verfahrensgang ergibt, nicht mehr aufhielt. Die Strafkammer lehnte den
  34. Antrag unter Schilderung des dargelegten Verfahrensgangs ab, weil der Zeuge
  35. unerreichbar sei (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO). Hiergegen wendet sich die Revision. Sie legt die inhaltliche Bedeutung einer Aussage B.
  36. s für das Verfahren
  37. näher dar. Zur Frage, auf welche Weise sein aktueller Aufenthaltsort hätte festgestellt werden können, äußert sie sich nicht.
  38. 4
  39. Die Rüge versagt.
  40. 5
  41. a) Es liegt schon kein ordnungsgemäßer Beweisantrag vor. Hierfür ist neben der Benennung eines Beweisthemas nicht nur die Benennung eines Beweismittels erforderlich, sondern es ist regelmäßig auch anzugeben, auf welchem Wege das Beweismittel (der Zeuge) erreicht werden kann (vgl. BGH, Urt.
  42. vom 14. Juni 2006 - 2 StR 65/06; StV 1996, 581; Urt. vom 10. November 1992
  43. - 1 StR 685/92 m.w.N.). Hier war verfahrenskundig, dass B.
  44. unter seiner
  45. letzten bekannten Anschrift nicht mehr erreichbar war, und dass intensive, schon
  46. vor der Stellung des Beweisantrags vom Gericht über mehrere Wochen hin entfaltete Bemühungen, seiner habhaft zu werden, erfolglos geblieben waren. Unter
  47. diesen Umständen ist allein die Angabe der früheren Anschrift nicht ausreichend.
  48. Erforderlich gewesen wäre in dem Antrag zumindest substantiierter Vortrag dazu,
  49. warum entgegen den bisher angefallenen Erkenntnissen doch Aussicht bestehen
  50. soll, B.
  51. unter dieser Anschrift zu finden, oder mit welchen vom Gericht bis-
  52. her nicht ergriffenen Mitteln realistische Aussichten bestehen, den Aufenthaltsort
  53. zu ermitteln.
  54. 6
  55. Daher fehlte es schon an einem zulässigen Beweisantrag.
  56. 7
  57. b) Die Zurückweisung eines Antrags, den das Tatgericht zu Unrecht als
  58. Beweisantrag behandelt hat, kann die Revision nur dann begründen, wenn eine
  59. Verletzung der Aufklärungspflicht vorliegt (vgl. BGH StV 1996, 581; BGHR StPO
  60. -4-
  61. § 244 Abs. 6 Beweisantrag 13; BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR
  62. 685/92 m.w.N.). Dies kann grundsätzlich der Fall sein, wenn bei der Suche nach
  63. einem der Sache nach nicht unbedeutenden Zeugen erkennbar sinnvolle Möglichkeiten nicht ausgeschöpft wurden (BGH, Urt. vom 10. November 1992 - 1 StR
  64. 685/92). Allerdings wäre, zumal das Gericht nach der Beweisperson schon einige
  65. Zeit vergeblich mit Haftbefehl fahndete, auch unter dem Blickwinkel einer Aufklärungsrüge vorzutragen gewesen, welche konkreten, vom Gericht bisher nicht
  66. ergriffenen Möglichkeiten dies gewesen wären (vgl. BGH, Urt. vom 14. Juni 2006
  67. - 2 StR 65/06). Daran fehlt es.
  68. 8
  69. c) Darauf, dass wegen des aufgezeigten Mangels auch die auf die Unerreichbarkeit eines Zeugen gestützte Ablehnung eines Beweisantrags nicht i.S.d.
  70. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß gerügt wäre (vgl. Fischer in KK
  71. 6. Aufl. § 244 Rdn. 228; Temming in HK StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 20; Frister in
  72. SK-StPO 64. Lfg. § 244 Rdn. 256), kommt es hier daher nicht mehr an.
  73. 9
  74. d) Abgesehen davon, dass hier unter keinem Aspekt eine zulässig erhobene Verfahrensrüge vorliegt, ist es aber auch der Sache nach offensichtlich
  75. nicht zu beanstanden, wenn ein ehemaliger Mitangeklagter nicht als Zeuge vernommen wird, weil er flüchtig ist und ohne konkrete Aussicht auf Erfolg mit Haftbefehl nach ihm gefahndet wird.
  76. 10
  77. 2. Die Strafkammer fasste ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung folgenden Beschluss: “Gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO wird die Niederschrift der Angaben des … B.
  78. in der Hauptverhandlung vor dem Amtsge-
  79. richt Achern … verlesen.“
  80. 11
  81. Der Beschluss wurde ausgeführt.
  82. -5-
  83. An dieses Verfahrensgeschehen knüpft die Revision an. Eine Verlesung
  84. 12
  85. gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, so trägt sie vor, setze das Einverständnis der
  86. Beteiligten mit der Verlesung voraus. Hier sei, wie auch das Protokoll der Hauptverhandlung belege, ein Einverständnis mit der Verlesung tatsächlich nicht eingeholt worden. Nach Eingang der Revisionsbegründung gab der Vorsitzende der
  87. Strafkammer eine - auch dem Beschwerdeführer bekannt gemachte - dienstliche
  88. Erklärung ab. Danach habe die Strafkammer - für alle Verfahrensbeteiligten erkennbar - beschlossen, die Entscheidung über die Verlesung der Aussage
  89. B.
  90. s auf dessen Unerreichbarkeit (vgl. hierzu näher oben Ziffer 1) zu stüt-
  91. zen. Ob er beim Diktieren der Beschlussbegründung in das Hauptverhandlungsprotokoll versehentlich nicht "§ 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO", sondern stattdessen
  92. "§ 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO" diktiert habe, oder ob er zwar "§ 251 Abs. 2 Nr. 1
  93. StPO" diktiert habe, später aber nicht bemerkt habe, dass sein Diktat falsch niedergeschrieben worden sei, wisse er nicht mehr.
  94. 13
  95. Die Rüge bleibt im Ergebnis erfolglos.
  96. 14
  97. a) Im Ergebnis zutreffend hat der Vorsitzende davon abgesehen, ein Verfahren zur Protokollberichtigung (vgl. BGHSt 51, 298 ff.) einzuleiten, da dies eine
  98. sichere Erinnerung der Urkundspersonen voraussetzt (BGHSt aaO 314, 316).
  99. Hier hält es der Vorsitzende für möglich, dass das Protokoll seinem Diktat entspricht. In diesem Fall gibt es aber keinen Widerspruch zwischen dem, was geschehen ist, und dem, was im Protokoll als geschehen festgehalten ist, sondern
  100. das Protokoll gibt den Geschehensablauf richtig wieder. Dies ist aber auch dann
  101. keine Grundlage für eine Berichtigung des Protokolls, wenn dem tatsächlich Geschehenen ein Versehen des Richters zu Grunde liegt.
  102. 15
  103. Darauf, dass das Protokoll auch unbeschadet der dienstlichen Äußerung
  104. schon für sich genommen fehlerhaft und unklar erscheint - bei einer auf das Ein-
  105. -6-
  106. verständnis der Beteiligten gestützten Verlesung einer richterlichen Vernehmung
  107. wäre nicht § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO, sondern § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO die maßgebliche Norm - kommt es unter den gegebenen Umständen ebenfalls nicht an.
  108. 16
  109. b) Die Verlesung einer Aussage gemäß § 251 StPO ist durch einen mit
  110. Gründen versehenen Beschluss anzuordnen (§ 251 Abs. 4 StPO). Die bloße Angabe der einschlägigen Gesetzesbestimmung gilt hierfür nicht als ausreichend
  111. (vgl. zusammenfassend Sander/Cirener in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 251
  112. Rdn. 97; Diemer in KK 6. Aufl. § 251 Rdn. 31 jew. m.w.N.). Hier fehlt es schon an
  113. einer über die Angabe der Gesetzesbestimmung hinausgehenden Begründung
  114. des Beschlusses; dem braucht der Senat hier jedoch nicht näher nachzugehen,
  115. weil dieser Aspekt im Rahmen der Revisionsbegründung nicht geltend gemacht
  116. wird (zur Maßgeblichkeit der "Angriffsrichtung" einer Verfahrensrüge vgl. BGH
  117. NStZ 2008, 229, 230; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. m.w.N.) Jedoch liegen
  118. (außerdem) die tatsächlichen Voraussetzungen der nach dem maßgeblichen
  119. Protokoll zur Begründung herangezogenen Bestimmung nicht vor.
  120. 17
  121. c) Jedoch kann das Beruhen des Urteils auf (dem Fehlen eines näher
  122. ausgeführten Beschlusses und) der Angabe eines unzutreffenden Verlesungsgrundes ausgeschlossen werden, wenn die Voraussetzungen für die Verlesung
  123. tatsächlich gegeben waren und die Verfahrensbeteiligten durch den Mangel nicht
  124. in ihrem Prozessverhalten beeinflusst worden sein können (vgl. Sander/Cirener
  125. in Löwe/Rosenberg StPO 26. Aufl. § 251 Rdn. 81, 97 m.w.N.).
  126. 18
  127. So verhält es sich hier.
  128. 19
  129. (1) Die Voraussetzungen einer Verlesung der Aussage B.
  130. Amtsgericht gemäß § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO lagen vor; dass B.
  131. s vor dem
  132. dort als
  133. Angeklagter und nicht als Zeuge vernommen worden war, steht nicht entgegen
  134. (Sander/Cirener aaO Rdn. 43). Der Vernehmung stand, wie im Zusammenhang
  135. -7-
  136. mit der Unauffindbarkeit B.
  137. s näher dargelegt, für ungewisse Zeit ein nicht
  138. zu beseitigendes Hindernis entgegen (vgl. Sander/Cirener aaO Rdn. 65, 28). Es
  139. spricht, selbst wenn die dienstliche Äußerung außer Betracht bliebe, nichts dafür,
  140. dass die Strafkammer die Verlesung etwa nicht beschlossen hätte, wenn sie erkannt hätte, dass nicht das (tatsächlich nicht eingeholte) Einverständnis der Beteiligten rechtliche Grundlage der Verlesung ist, sondern hierfür die Unauffindbarkeit B.
  141. 20
  142. s heranzuziehen ist.
  143. (2) Bei der Prüfung der Frage, ob die Angabe von § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO
  144. Einfluss auf den Prozessverlauf gehabt haben kann, ist zu unterstellen, dass die
  145. Verteidigung deshalb geglaubt hätte, die Strafkammer (hielte die richterliche Vernehmung für eine nichtrichterliche Vernehmung und) verlese die Aussage, weil
  146. sie - irrig - vom Einverständnis der Beteiligten ausgehe, während die Verlesung
  147. in keinem Zusammenhang mit der Unauffindbarkeit B.
  148. s stünde. Selbst
  149. auf dieser (nicht sehr nahe liegenden) Grundlage kann der Senat nicht die Möglichkeit erkennen, dass wegen dieser Fehlvorstellung Erfolg versprechendes
  150. Prozessverhalten unterblieben sein könnte, zu dem es aber gekommen wäre,
  151. wenn § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannt worden wäre.
  152. 21
  153. (3) Freilich heißt es in der Revisionsbegründung, das Urteil beruhe auf
  154. dem geltend gemachten Verfahrensverstoß. Näher ausgeführt ist dies jedoch
  155. nicht. Der Senat bemerkt in diesem Zusammenhang: Von hier nicht einschlägigen Besonderheiten abgesehen, braucht eine Revisionsbegründung den ursächlichen Zusammenhang zwischen (behauptetem) Rechtsfehler und dem angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich darzulegen. Es ist vielmehr grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Dies sollte
  156. jedoch gerade in Fällen, in denen ein Beruhen nicht ohne weiteres nahe liegt,
  157. den Beschwerdeführer nicht davon abhalten, konkret darzulegen, warum aus
  158. seiner Sicht hier ein Beruhen möglich erscheinen kann (vgl. zusammenfassend
  159. -8-
  160. Kuckein in KK 6. Aufl. § 344 Rdn. 65 m.w.N.). Andernfalls ist nicht auszuschließen, dass das Revisionsgericht trotz seiner umfassenden Überprüfung der Beruhensfrage eine in diesem Zusammenhang (doch) in Betracht zu ziehende Möglichkeit nicht erkennt und dementsprechend nicht in seine Erwägungen einbezieht.
  161. 3. Auch die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat
  162. 22
  163. keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
  164. Nack
  165. Wahl
  166. Hebenstreit
  167. Rothfuß
  168. Sander