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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. X ZR 8/04
  5. Verkündet am:
  6. 22. Juli 2008
  7. Potsch
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in der Patentnichtigkeitssache
  12. -2-
  13. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2008 durch die Richter Scharen, Keukenschrijver,
  14. Mühlens, Prof. Dr. Meier-Beck und Asendorf
  15. für Recht erkannt:
  16. Auf die Berufung der Beklagten, die im Übrigen zurückgewiesen
  17. wird, wird das am 14. Oktober 2003 verkündete Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert
  18. und wie folgt neu gefasst:
  19. Das europäische Patent 621 777 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland unter Klageabweisung im
  20. Übrigen im Umfang seiner Patentansprüche 5 und 9 sowie 11 bis
  21. 36 und weiter dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass sein Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält und die unveränderten Patentansprüche 2 bis 4 und 6 bis 8 auf den neu gefassten Patentanspruch 1 rückbezogen werden:
  22. "1. Verfahren zur Herstellung von wenigstens einen Wirkstoff mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit enthaltenden Pellets, dadurch gekennzeichnet, dass man
  23. a) einen Gerüstbildner aus thermoreversiblen sol-gelbildenden hydrophilen Makromolekülen ausgewählt
  24. aus der Gruppe bestehend aus: Gelatine, fraktionierte Gelatine, in einem wässrigen oder wässrigorganischen Lösungsmittel löst,
  25. b) den Wirkstoff in mikroemulgierter, nanoverkapselter
  26. oder kolloiddisperser Form homogen dispergiert und
  27. c) die erhaltene Mischung aus gelöstem Gerüstbildner
  28. und dispergiertem Wirkstoff in ein tiefkaltes inertes
  29. verflüssigtes Gas eintropft und so im Wege der
  30. -3-
  31. Schockfrostung Pellets formt, in denen der Wirkstoff
  32. nicht mehr auskristallisieren kann, und
  33. d) die so geformten Pellets durch Verdampfen oder
  34. Sublimieren des Lösungsmittels auf übliche Weise
  35. trocknet."
  36. Die Klägerin zu 1 trägt ein Achtel der Gerichtskosten erster Instanz
  37. und drei Sechzehntel der Gerichtskosten zweiter Instanz. Die Klägerin zu 2 trägt die Hälfte der Gerichtskosten erster Instanz und ein
  38. Viertel der Gerichtskosten zweiter Instanz. Die Beklagte trägt drei
  39. Achtel der Gerichtskosten erster Instanz und neun Sechzehntel der
  40. Gerichtskosten zweiter Instanz. Von den außergerichtlichen Kosten
  41. der Klägerin zu 1 trägt die Beklagte drei Viertel. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen die Klägerin zu 1 ein Achtel
  42. und die Klägerin zu 2 die Hälfte. Im Übrigen trägt jede Partei ihre
  43. außergerichtlichen Kosten selbst.
  44. Von Rechts wegen
  45. und beschlossen:
  46. Der
  47. Streitwert
  48. für
  49. das
  50. 1.500.000,- EUR festgesetzt.
  51. Berufungsverfahren
  52. wird
  53. auf
  54. -4-
  55. Tatbestand:
  56. 1
  57. Die Beklagte ist Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität u.a.
  58. zweier Voranmeldungen in Deutschland vom 17. Januar 1992 am 18. Januar
  59. 1993 angemeldeten, auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 621 777 (Streitpatents), das "wirkstoffenthaltende
  60. Festkörper mit einem Gerüst aus hydrophilen Makromolekülen und Verfahren
  61. zu ihrer Herstellung" betrifft und 36 Patentansprüche umfasst. Die Patentansprüche 1 und 11 lauten in der Fassung des erteilten Patents in der Verfahrenssprache Deutsch:
  62. "1.
  63. Verfahren zur Herstellung von wenigstens einen Wirkstoff mit
  64. in vivo schlechter Resorbierbarkeit enthaltenen Pellets, dadurch gekennzeichnet, dass man
  65. a)
  66. einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen
  67. ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus: Kollagen,
  68. Gelatine, fraktionierte Gelatine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate, in einem wässrigen oder wässrig-organischen Lösungsmittel löst,
  69. b)
  70. den Wirkstoff dispergiert und
  71. c)
  72. die erhaltene Mischung aus gelöstem Gerüstbildner und
  73. dispergiertem Wirkstoff in ein tiefkaltes inertes verflüssigtes Gas eintropft und so Pellets formt, und
  74. d)
  75. die so geformten Pellets durch Verdampfen oder Sublimieren des Lösungsmittels auf übliche Weise trocknet.
  76. -5-
  77. 11. Wirkstoff enthaltendes Pellet, gekennzeichnet durch eine Dispersion wenigstens eines Wirkstoffs oder Wirkstoffgemisches
  78. mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit in einer Matrix, die im
  79. wesentlichen einen Gerüstbildner aus hydrophilen Makromolekülen umfasst, welche ausgewählt wurden aus der Gruppe,
  80. bestehend aus: Kollagen, Gelatine, fraktionierte Gelatine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate, sowie deren Mischungen, herstellbar durch ein Verfahren nach einem der
  81. Ansprüche 1 - 10."
  82. 2
  83. Wegen der auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis
  84. 10, der auf Patentanspruch 11 rückbezogenen Patentansprüche 12 bis 30 und
  85. der weiteren Patentansprüche 31 bis 36 wird auf die Patentschrift des Streitpatents verwiesen, wegen der Patentansprüche 31 bis 36 auch auf das angefochtene Urteil.
  86. 3
  87. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, dass das Streitpatent gegenüber dem von ihnen eingeführten umfangreichen Stand der Technik, insbesondere den Entgegenhaltungen 1 bis 48, nicht patentfähig sei. Weiter gingen die
  88. Patentansprüche 17 und 21 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich
  89. eingereichten Fassung hinaus. Die Klägerinnen haben beantragt, das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig zu erklären. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat das Streitpatent im Verfahren vor dem Bundespatentgericht in seiner erteilten Fassung verteidigt. Das Bundespatentgericht hat entsprechend
  90. dem Klageantrag erkannt und das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent im Beru-
  91. -6-
  92. fungsverfahren mit folgendem Patentanspruch 1 mit vier hilfsweise verteidigten
  93. Fassungen (kursiv eingefügt) und 11 (Einfügungen gegenüber den Patentansprüchen 1 und 11 des erteilten Patents unterstrichen; Auslassungen doppelt
  94. durchgestrichen) verteidigt, wobei die Patentansprüche 5, 9, 12, 18 und 19
  95. ganz entfallen, die Patentansprüche 2 bis 4, 6 bis 8 und 10 auf den beschränkt
  96. verteidigten Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sein, die
  97. Patentansprüche 13 bis 17 und 20 bis 30 auf den verteidigten Patentanspruch
  98. 11 rückbezogen sein und die Rückbeziehungen auf die nicht mehr verteidigten
  99. Patentansprüche in ihnen entfallen sollen, wobei sie in Patentanspruch 25 das
  100. Wort "feindispers" durch "kolloiddispers" ersetzt, sowie mit den Patentansprüchen 31 bis 36 des erteilten Patents in unveränderter Form:
  101. "1.
  102. Verfahren zur Herstellung von wenigstens einen Wirkstoff mit
  103. in vivo schlechter Resorbierbarkeit enthaltenen Pellets, dadurch gekennzeichnet, dass man
  104. a)
  105. einen
  106. Gerüstbildner
  107. aus
  108. thermoreversiblen
  109. sol-gel-
  110. bildenden hydrophilen Makromolekülen ausgewählt aus
  111. der Gruppe bestehend aus: Gelatine, fraktionierte Gelatine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate, Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate, in
  112. einem wässrigen oder wässrig-organischen Lösungsmittel löst,
  113. b)
  114. den Wirkstoff ohne Auskristallisation [entfällt in den hilfsweise verteidigten Fassungen 3 und 4] in mikroemulgierter, nanoverkapselter oder kolloiddisperser Form homogen dispergiert und
  115. c)
  116. die erhaltene Mischung aus gelöstem Gerüstbildner und
  117. dispergiertem Wirkstoff in ein tiefkaltes inertes verflüssigtes Gas mit einer Temperatur von ca. -70°C bis -270°C
  118. -7-
  119. [hilfsweise verteidigte Fassungen 2 und 4] eintropft und
  120. so im Wege der Schockfrostung [alle hilfsweise verteidigten Fassungen] Pellets formt, und
  121. d)
  122. die so geformten Pellets durch Verdampfen oder Sublimieren des Lösungsmittels auf übliche Weise trocknet.
  123. 11. Wirkstoff enthaltendes Pellet, gekennzeichnet durch eine homogene Dispersion in mikroemulgierter, nanoverkapselter
  124. oder feindisperser Form wenigstens eines nicht auskristallisierten Wirkstoffs oder Wirkstoffgemisches mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit in einer Matrix, die im wesentlichen einen
  125. Gerüstbildner
  126. aus
  127. thermoreversiblen,
  128. sol-gel-bildenden
  129. hydrophilen Makromolekülen umfasst, welche ausgewählt
  130. wurden aus der Gruppe, bestehend aus: Kollagen, Gelatine,
  131. fraktionierte Gelatine, Kollagenhydrolysate, Gelatinederivate,
  132. Pflanzenproteine, Pflanzenproteinhydrolysate, Elastinhydrolysate, sowie deren Mischungen, herstellbar durch ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 - 4, 6 - 8, 10."
  133. Die Klägerin zu 2 hat ihre Klage nach Eingang der Berufungsbegrün-
  134. 4
  135. dungsschrift zurückgenommen. Die Klägerin zu 1 tritt dem Rechtsmittel, und
  136. zwar auch mit den hilfsweise verteidigten Anspruchssätzen, entgegen.
  137. Im Auftrag des Senats hat Professor Dr. R.
  138. 5
  139. S.
  140. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat. Die Beklagte hat ein schriftliches Gutachten von
  141. Dr. F.
  142. S.
  143. vorgelegt.
  144. -8-
  145. Entscheidungsgründe:
  146. 6
  147. Das zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat nur insoweit Erfolg, als es
  148. unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage führt,
  149. soweit sich diese gegen Patentanspruch 1 in seiner von der Beklagten in der in
  150. dritter Linie hilfsweise verteidigten Fassung und die auf diesen Patentanspruch
  151. in der genannten Fassung rückbezogenen Patentansprüche 2, 3, 4, 6, 7, 8 und
  152. 10 richtet; im Übrigen bleibt es bei der vom Patentgericht ausgesprochenen
  153. Nichtigerklärung.
  154. 7
  155. I. 1. Das Streitpatent betrifft Pellets, d.h. abgerundete Granulatteilchen,
  156. aus hydrophilen Makromolekülen mit Wirkstoffen und gegebenenfalls weiteren
  157. pharmazeutisch akzeptablen Gerüst- und Hilfsstoffen, und ein Verfahren zu
  158. ihrer Herstellung. Dabei wird der Wirkstoff in einer Matrix gelöst, suspendiert
  159. oder emulgiert (dispergiert), wobei nach der im Berufungsverfahren nur noch
  160. verteidigten Fassung des Streitpatents die Dispersion eine homogene ist und in
  161. kolloiddisperser Form vorliegt, was zur Überzeugung des Senats auch die Anspruchsalternativen mikroemulgiert und nanoverkapselt umfasst (vgl. für Nanosole die Beschr. S. 8 Z. 42). Die Herstellung solcher Pellets ist für die perorale
  162. Verabreichung von Arzneiformen von Bedeutung. Pellets verteilen sich dabei
  163. gleichmäßig im Gastrointestinaltrakt, weisen auf Grund ihrer geringen Größe
  164. eine kurze Verweildauer im Magen auf, lösen sich im Gastrointestinaltrakt
  165. schnell auf und ermöglichen eine gezielte Dosierung (vgl. Streitpatent, Beschr.
  166. S. 1 Z. 10 - 19).
  167. 8
  168. 2. Durch das Streitpatent sollen derartige Pellets (Patentansprüche 11
  169. bis 30; in der Beschreibung noch als "Festkörper" bezeichnet) sowie herstellungstechnisch günstige Verfahren zu ihrer Herstellung (Patentansprüche 1 bis
  170. -9-
  171. 10) sowie Mischungen zur Verfügung gestellt werden, wobei die Bioverfügbarkeit (wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, im Sinn einer schnellen Resorption), Dosierung und Verträglichkeit der mit ihnen zur Verfügung gestellten
  172. Arzneimittel verbessert und deren Lagerfähigkeit erhöht werden. Dies soll insbesondere bei Arzneimitteln für die orale bzw. perorale Applikation von Dihydropyridinderivaten wie Nifedipin der Fall sein, wobei eine schnelle Arzneistofffreisetzung erfolgen soll (vgl. Beschr. S. 4 Z. 3 - 10).
  173. 9
  174. 3. a) Hierzu beansprucht Patentanspruch 1 des Streitpatents in seinen
  175. im Berufungsverfahren verteidigten Fassungen Schutz für ein Verfahren zur
  176. Herstellung von wenigstens einen Wirkstoff enthaltenden Pellets, bei dem
  177. (1)
  178. ein Gerüstbildner aus thermoreversiblen sol-gel-bildenden
  179. hydrophilen Makromolekülen in einem wässrigen oder wässrig-organischen Lösungsmittel gelöst wird,
  180. (1.1) wobei der Gerüstbildner Gelatine oder fraktionierte Gelatine
  181. ist,
  182. (2)
  183. der in vivo schlecht resorbierbare Wirkstoff dispergiert wird
  184. (2.1) homogen
  185. nur nach der Fassung nach Hauptantrag und nach den hilfsweise in
  186. erster und zweiter Linie verteidigten Fassungen:
  187. (2.2) ohne Auskristallisation
  188. (2.3) in mikroemulgierter, nanoverkapselter oder kolloiddisperser
  189. Form,
  190. (3)
  191. eine Mischung aus dem gelösten Gerüstbildner und dem
  192. dispergierten Wirkstoff erhalten wird,
  193. (4)
  194. die Mischung in ein tiefkaltes, inertes verflüssigtes Gas eingetropft wird,
  195. (5)
  196. wodurch sich Pellets formen
  197. - 10 -
  198. [(5.1) nach den hilfsweise verteidigten Fassungen 1 bis 4: im Wege des Schockfrostens - weiter nach den hilfsweise verteidigten Fassungen 2 und 4: bei einer Temperatur von ca.
  199. -70°C bis -270°C] und
  200. (6)
  201. die Pellets durch Verdampfen des Lösungsmittels auf übliche Weise getrocknet werden.
  202. 10
  203. b) Entsprechend beansprucht Patentanspruch 11 des Streitpatents in
  204. seiner verteidigten Fassung ein Pellet, das
  205. (1’)
  206. enthält
  207. (1.1’)
  208. eine homogene Dispersion
  209. (1.1.1’)
  210. in mikroemulgierter, nanoverkapselter oder kolloiddisperser Form wenigstens eines nicht auskristallisierenden
  211. Wirkstoffs oder Wirkstoffgemisches
  212. (1.1.1.1’) mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit
  213. (1.2’)
  214. in einer Matrix,
  215. (1.2.1’)
  216. die im Wesentlichen einen Gerüstbildner aus thermoreversiblen, sol-gel-bildenden hydrophilen Makromolekülen
  217. umfasst
  218. (1.2.1.1’) wie Gelatine, fraktionierte Gelatine, sowie deren Mischungen
  219. (2’)
  220. und herstellbar ist durch ein Verfahren nach einem der
  221. Ansprüche 1 - 4, 6 - 8, 10 (siehe die Verfahrensmerkmale
  222. nach Patentanspruch 1 unter a).
  223. 11
  224. 4. a) Dass im Berufungsverfahren nur noch Schutz für Gerüstbildner aus
  225. thermoreversiblen sol-gel-bildenden hydrophilen Makromolekülen begehrt wird,
  226. soll Einfluss auf das Trocknungsverfahren (Merkmal 6) haben, da dadurch eine
  227. - 11 -
  228. konventionelle Trocknung erfolgen könne (Berufungsbegründung S. 5/6). Demzufolge wird das Schutzbegehren in Patentanspruch 1 in allen seinen verteidigten
  229. Fassungen
  230. auch
  231. nicht
  232. mehr
  233. auf
  234. Lyophilisations-
  235. (Gefriertrock-
  236. nungs-)verfahren gerichtet; dies kommt im Wegfall der Worte "oder Sublimieren" eindeutig zum Ausdruck. Die sol-gel-bildenden Substanzen sind in Solform
  237. tropffähig und bilden nach der Kryopelletierung (Merkmal 4) und dem Auftauen
  238. ein Gel aus, das nach der Trocknung stabil sein soll (Beschr. S. 11 Z. 53 - 55;
  239. Verfahrensvariante B). Die Stabilität ist dabei allerdings lediglich eine Eigenschaft, die durch das beanspruchte Verfahren erreichbar sein soll, und, wie die
  240. Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats ergeben hat, nicht notwendige Folge
  241. der nach einem beliebigen Verdampfungs- (und nicht Sublimations-)verfahren
  242. durchzuführenden Trocknung.
  243. 12
  244. b) Der Gerüstbildner Gelatine ist ein aus kollagenhaltigem Material gewonnenes Skleroprotein (Beschr. S. 5 Z. 42). Es besteht aus langkettigen
  245. hydrophilen Makromolekülen, die sich bei höherer Temperatur in Wasser nur
  246. relativ wenig aneinander anlagern; sie sind deshalb gelöst, was als Sol bezeichnet wird. Eine Hydrolyse, d.h. die Spaltung durch Reaktion mit Wasser, ist
  247. dabei nicht vorgesehen; sie wird durch die Charakterisierung als sol-gel-bildend
  248. auch ausgeschlossen. Bei Temperaturerniedrigung werden die Moleküle miteinander verdrillt und formen dadurch ein mehr oder weniger elastisches Gel,
  249. dessen Festigkeit durch ein normiertes Verfahren ("Bloom-Wert") bestimmt
  250. wird. Die Thermoreversibilität bedeutet, dass durch Veränderung der Temperatur das Gel vom festen in den flüssigen Zustand versetzt werden und dies auch
  251. wieder umgekehrt werden kann. Bei Erwärmen über eine Temperatur von etwa
  252. 40°C löst sich, wie auch der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, das
  253. Gel wieder in ein Sol auf.
  254. - 12 -
  255. 13
  256. Fraktionierte Gelatine wird durch spezielle Herstellungstechniken wie
  257. Ultrafiltration aus herkömmlicher Gelatine gewonnen (Beschr. S. 5 Z. 57 - S. 6
  258. Z. 2). Auch diese Techniken führen zu einer sol-gel-bildenden Gerüstmatrix
  259. (Beschr. S. 6 Z. 38 - 40).
  260. 14
  261. c) Der Wirkstoff soll nach den Angaben in der Beschreibung (S. 1
  262. Z. 6 - 7) vorzugsweise ein Dihydropyridinderivat wie Nifedipin (C17H18N2O6,
  263. Handelsname: u.a. A.
  264. ®
  265. ), Nitrendipin (C18H20N2O6, Handelsname: u.a. B.
  266. ®
  267. ) oder Nisoldipin, d.h. ein Calciumantagonist (Calciumkanalblocker),
  268. sein. Anspruchsgemäß kommen daneben jedenfalls alle Wirkstoffe in Betracht,
  269. die nicht notwendig auskristallisieren und in vivo schlecht resorbierbar sind.
  270. 15
  271. d) Pellets als Formkörper dienen in der pharmazeutischen Industrie
  272. hauptsächlich als Zwischenprodukte zur Tablettierung. Sie können als
  273. "multiple-unit"-Arzneiform verwendet, z.B. in Hartgelatinekapseln abgefüllt werden (Beschr. S. 1 Z. 8 - 12).
  274. 16
  275. e) Die Formulierung soll auf die physikalisch-chemischen Eigenschaften
  276. des Wirkstoffs abgestimmt sein, wobei ölige Substanzen in mikroemulgierter
  277. Form (d.h. als stabilisiertes Flüssigkeitsgemisch aus zwei normalerweise nicht
  278. miteinander mischbaren Flüssigkeiten) und feste Wirkstoffe kolloiddispers (d.h.
  279. als Teilchen in einer Größe zwischen einem Nanometer (nm; 10−9 m) und einem Mikrometer (µm; 10-6 m)) verteilt oder nanoverkapselt (d.h. mit einer
  280. Schicht aus Hilfsstoffen umhüllt mit einer Größe von 10 nm bis einigen Hundert
  281. Nanometern) sein sollen.
  282. 17
  283. f) Das Inertgas ist nach allen Ausführungsbeispielen des Streitpatents
  284. flüssiger Stickstoff; dieser wird in der Beschreibung (S. 5 Z. 24) als inertes Medium auch ausdrücklich genannt. Dies entspricht der leichten Verfügbarkeit von
  285. - 13 -
  286. (molekularem) Stickstoff (N2), der zu fast 80% an der atmosphärischen Luft
  287. Anteil hat. Nach der weiten Formulierung in Patentanspruch 1 sind allerdings
  288. auch die Gase der Edelgasreihe, z.B. Argon, erfasst. Daneben kommen auch
  289. andere, sich gegenüber der Mischung inert verhaltende Gase wie Halogenkohlenwasserstoffe in Betracht.
  290. 18
  291. II. 1. Die Patentinhaberin verteidigt das Streitpatent nur in der in dritter
  292. (und vierter) Linie hilfsweise verteidigten Fassung seines Patentanspruchs 1 in
  293. zulässiger Weise. Dass nämlich der Wirkstoff ohne Auskristallisierung dispergiert werden soll, ist im Streitpatent wie auch in den insoweit übereinstimmenden Anmeldeunterlagen (WO-Dokument PCT/DE93/00038 = WO 93/13757,
  294. K3) nicht offenbart und kann damit nicht in diesen Patentanspruch aufgenommen werden, wie dies nach dem Hauptantrag und den ersten beiden hilfsweisen Verteidigungslinien aber geschehen soll. Dort ist nämlich nur ausgeführt
  295. (Streitpatent, Beschr. S. 9 Z. 39 - 49; S. 10 Z. 31 - 35), dass infolge des Gefrierens gelöster Arzneistoff nicht mehr auskristallisieren kann. Eine Angabe, dass
  296. eine Auskristallisierung schon bei der Dispergierung nicht erfolgt, findet sich
  297. dagegen nicht. Dieser Mangel haftet dem in dritter Linie verteidigten Patentanspruch 1 des Streitpatents allerdings nicht an, denn dort ist, wie offenbart, die
  298. Unmöglichkeit des Auskristallisierens auf die Phase des Schockgefrierens bezogen.
  299. 19
  300. 2. Im Übrigen sind die Einschränkungen, die die Beklagte vorgenommen
  301. hat, in den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart und
  302. führen nicht zu einer Schutzbereichserweiterung oder zur Erstreckung des
  303. Schutzes auf von ihm bisher nicht erfasste Gegenstände (ein "Aliud"). Der Gegenstand des Streitpatents in seiner in dritter Linie hilfsweise verteidigten Fassung geht auch nicht im Sinn des Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG, Art. 138
  304. Abs. 1 Buchst. b EPÜ über den Inhalt der Patentanmeldung in ihrer ursprüng-
  305. - 14 -
  306. lich eingereichten Fassung hinaus; durch die vorgenommene Änderung würde
  307. insoweit kein Nichtigkeitsgrund geschaffen.
  308. 20
  309. a) Die Dispersion des Wirkstoffs in Form einer Mikroemulsion und von
  310. Nanokapseln wird in den ursprünglich eingereichten Patentansprüchen 17 und
  311. 18 angesprochen (vgl. auch Beschr. S. 23 erster Abs.; S. 35 Z. 25: Mikro- und
  312. Nanoverkapselung). Die Patentansprüche 34 und 47 nennen ebenfalls diese
  313. Formen. Die kolloide Dispersion ist jedenfalls dem Beispiel 8 zu entnehmen,
  314. nach dem das mikronisierte Ibuprofen in der Gelatinelösung homogen dispergiert wird (PCT-Anmeldung S. 51 Z. 8/9). Gleiches gilt für Flurbiprofen in Beispiel 9 (PCT-Anmeldung S. 52 Z. 14/15); beide Angaben finden sich auch in
  315. der Beschreibung des erteilten Streitpatents (S. 18 Z. 26/27; S. 19 Z. 1/2).
  316. 21
  317. b) Dass das Streitpatent ein Verfahren zur Herstellung von wenigstens
  318. einen Wirkstoff mit in vivo schlechter Resorbierbarkeit enthaltenden Pellets betrifft, geht aus den ursprünglichen Unterlagen mit hinreichender Deutlichkeit
  319. hervor. Auf S. 12 Z. 6 - 9 der PCT-Anmeldung heißt es: "Herkömmliche feste
  320. Arzneiformen können je nach Art der verwendeten Hilfsstoffe und dem angewendeten Herstellungsverfahren die Bioverfügbarkeit von Wirkstoffen erheblich
  321. herabsetzen." Weiter ist davon die Rede (S. 12 Z. 20 - 22), dass bei hydrophoben oder schwerlöslichen Arzneistoffen Resorption bzw. Bioverfügbarkeit verbessert werden, und dass (S. 12 Z. 26 - S. 13 Z. 2), bei Arzneistoffen, die unter
  322. herkömmlichen Bedingungen als schlecht resorbierbar bzw. problematisch bioverfügbar gälten, eine bestimmte Bioverfügbarkeitssteigerung erzielt werden
  323. könne und das Vorliegen einer erfindungsgemäßen Zubereitung zu einer stark
  324. erhöhten Resorption der Arzneimitteldosis führe. Das ist insgesamt nur eine
  325. andere Umschreibung für den nunmehr im Streitpatent angesprochenen Sachverhalt, dass der Wirkstoff in vivo schlecht resorbierbar ist. Die "problemati-
  326. - 15 -
  327. sche[r] Bioverfügbarkeit" ist noch mehrmals in der Beschreibung (S. 22 Z. 22;
  328. S. 23 Z. 35/36; S. 40 Z. 26/27) angesprochen.
  329. 22
  330. III. 1. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in seiner
  331. in dritter Linie hilfsweise verteidigten Fassung ist neu (Art. 54 EPÜ), was auch
  332. von der Klägerin nicht ernsthaft in Zweifel gezogen wird. Die Würdigung des
  333. Stands der Technik ergibt nicht, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1
  334. in der genannten Fassung für den Fachmann, einen pharmazeutischen Technologen (Galeniker) mit akademischer Ausbildung auf dem Gebiet der Pharmatechnik, Pharmazie, Verfahrenstechnik oder Chemie mit ausreichender beruflicher Erfahrung, nach seinem Fachwissen und Fachkönnen nahegelegen hätte
  335. (Art. 56 EPÜ).
  336. 23
  337. 2. a) Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 81 913
  338. (John Wyeth & Brother Ltd., Anlage K5) beschreibt ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Gefrieren eines flüssigen Mediums, mit dem u.a. kugelförmige
  339. gefrorene Teilchen erhalten werden sollen. Dabei wird das flüssige Medium in
  340. Form von Tröpfchen unterhalb der Oberfläche einer mit dem flüssigen Medium
  341. nicht mischbaren oder in Bezug auf dieses inerten Kühlflüssigkeit eingebracht,
  342. wobei die Kühlflüssigkeit dichter ist als das flüssige Medium und die aus diesem resultierenden gefrorenen Teilchen (Beschr. S. 3 Z. 1 - 15; deutsche
  343. Übersetzung der zugehörigen europäischen Patentschrift in der Veröffentlichung des Österreichischen Patentamts E 14 047 S. 2 Z. 23 - 32). Das Verfahren wird als besonders geeignet zum Gefrieren wässriger Lösungen oder Suspensionen bezeichnet, die anschließend gefriergetrocknet werden (Beschr. S. 3
  344. Z. 17 - 20; Übersetzung S. 2 Z. 40 - 42). Die Zusammensetzungen, die gefroren werden, können einen vorherbestimmten Anteil einer Chemikalie wie eine
  345. pharmazeutische Substanz enthalten (Beschr. S. 4 Z. 17 - 19; Übersetzung
  346. S. 3 Z. 3 - 5). Einen Hinweis darauf, dass der Wirkstoff in kolloiddisperser Form
  347. - 16 -
  348. vorliegen soll, ist in der Entgegenhaltung schon nicht vorhanden. Als Trägermaterial kommt insbesondere partiell hydrolysierte Gelatine in Betracht, während
  349. die Verwendung von Gelatine allgemein und damit auch in ihrer sol-gelbildenden Form allenfalls ganz am Rand angesprochen wird (Beschr. S. 5 Z. 16
  350. - S. 6 Z. 8; Übersetzung S. 3 Z. 22 - 36). Lösungsmittel ist vorzugsweise Wasser, dem Co-Lösungsmittel beigegeben werden können (Beschr. S. 6
  351. Z. 23 - 25; Übersetzung S. 3 Z. 46 - 48). Dies erklärt sich damit, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert hat, dass partiell hydrolysierte
  352. Gelatine für das spätere Gefriertrocknen besonders geeignet ist. Das Gefrieren
  353. erfolgt vorzugsweise in einer Säule von Kühlflüssigkeit, in die die Zusammensetzung nahe der Basis als flüssiger Tropfen eingebracht wird, aufschwimmt
  354. und dabei gefriert (Beschr. S. 7 Z. 1 - 15; Übersetzung S. 3 Z. 51 - S. 4 Z. 8).
  355. Als geeignete Kühlflüssigkeiten werden "trichloroethane" (Trichlorethan; Summenformel:
  356. C2HCl3),
  357. "trichloroethylene"
  358. (Trichlorethen;
  359. Summenformel:
  360. C2H3Cl3), "dichloromethane" (Dichlormethan; Summenformel: CH2Cl2), "diethyl
  361. ether" (Diethylether; Summenformel: C4H10O) und "fluorotrichloromethane"
  362. (Trichlorfluormethan; Summenformel: CCl3F) genannt (Beschr. S. 7 Z. 23 - 25;
  363. Übersetzung S. 4 Z. 13 - 15).
  364. 24
  365. Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung offenbart damit
  366. zwar den Gerüstbildner Gelatine, leitet aber letztlich nur zu der in der verteidigten Fassung des Streitpatents nicht mehr beanspruchten partiell hydrolysierten
  367. Gelatine hin. Zur Trocknung bedient sich die Entgegenhaltung der Methode der
  368. Gefriertrockung (Lyophilisation), die das Streitpatent in seiner verteidigten Fassung ausschließt. Damit müsste der Fachmann, um von dieser Entgegenhaltung zu dem Verfahren zu kommen, das im Streitpatent noch beansprucht wird,
  369. zunächst Anlass sehen, das Verfahren sowohl hinsichtlich des Gerüstbildners
  370. als auch hinsichtlich des Trocknungsverfahrens abzuändern. Warum er dazu
  371. Veranlassung haben sollte, ist für den Senat nicht ersichtlich. Die Verwendung
  372. - 17 -
  373. teilweise hydrolysierter Gelatine und die Gefriertrocknung sind ersichtlich gut
  374. aufeinander abgestimmte Verfahrensschritte, die zu einem günstigen Verfahrensergebnis führen. Die Schritte, sowohl von der Gefriertrocknung abzusehen
  375. und sol-gel-bildende Gelatine einzusetzen, mögen deshalb zwar in Kenntnis
  376. des Streitpatents als einfach und auch als Vereinfachungen des Verfahrensablaufs erscheinen, können aus der Sicht zum Prioritätszeitpunkt aber nicht ohne
  377. Weiteres als naheliegend beurteilt werden. Dass der Fachmann in anderen Bereichen, etwa bei der Auswahl des Inertgases, Anlass gehabt haben mag, Änderungen an dem Verfahren vorzunehmen, führt nicht in naheliegender Weise
  378. zu der in Patentanspruch 1 noch verteidigten, eingeschränkten Lehre.
  379. 25
  380. b) Die weiteren Entgegenhaltungen liegen weiter ab und können die
  381. Schutzfähigkeit des verteidigten Patentanspruchs 1 weder für sich noch in ihrer
  382. Zusammenschau in Frage stellen. So beschreibt die deutsche Offenlegungsschrift 37 11 169 (Messer Griesheim GmbH; Anlage K11) zwar das Einbringen
  383. von Tropfen einer wirkstoffhaltigen Lösung (Eiweißlösung, Vitaminlösung, Impfseren, Beschr. Sp. 1 Z. 49/50) in ein tiefkaltes Kühlmittel wie flüssigen Stickstoff
  384. zur Pelletbildung. Die übrigen Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 1
  385. werden aber nicht gelehrt. Die US-Patentschrift 3 162 019 (Anlage K12), die
  386. auf eine Anmeldung im Jahr 1962 zurückgeht, beschreibt ein Verfahren, bei
  387. dem durch flüssigen Stickstoff gefrorene Partikel (Pellets) so schnell hergestellt
  388. werden, dass sich keine Wasserkristalle bilden. Über die Materialien, aus denen die Partikel gebildet sind, werden keine näheren Angaben gemacht, genannt wird jedoch Kaffeeextrakt (Beschr. Sp. 3 Z. 2). Die Tröpfchen werden in
  389. ein Niedertemperatur-Flüssigkeitsbad (22) in einem isolierten Tank, der mit einer sehr kalten Flüssigkeit gefüllt ist, eingeführt (Beschr. Sp. 3 Z. 29/30, 39 42) und dabei gefroren (Beschr. Sp. 3 Z. 60 - 63). Als Niedertemperaturflüssigkeit wird wie beim Streitpatent in erster Linie flüssiger Stickstoff verwendet
  390. (Beschr. Sp. 3 Z. 64 - 67). Dies führt dazu, dass die Materialportion sehr
  391. - 18 -
  392. schnell gefriert (Beschr. Sp. 3 Z. 73 - Sp. 4 Z. 5; Merkmal 4). Das gefrorene
  393. Pellet wird aufgefangen und für die anschließende Behandlung bereitgestellt
  394. (Beschr. Sp. 4 Z. 33 - 37) und anschließend erfolgt eine Gasentfernung. Die
  395. übrigen Merkmale des verteidigten Patentanspruchs 1 des Streitpatents werden nicht offenbart. Die Veröffentlichung der britischen Patentanmeldung
  396. 927 218 (Fisher/Wilson, Anlage K8) beschreibt die Verfestigung eines wässrigen Sols, das aus Gelatine (Patentanspruch 14) in wässriger Lösung als Träger
  397. für einen pharmazeutischen Wirkstoff (Beschr. S. 1 Z. 34 - 40 und S. 2
  398. Z. 14 - 20) bestehen (Beschr. S. 2 Z. 51 - 55) und das mit in Wasser gelöstem
  399. pharmazeutischem Material gemischt werden kann (Patentanspruch 13), und in
  400. ein mit ihm nicht mischbares flüssiges Kältemittel, z.B. ein kaltes Öl (Mineralöl;
  401. Beschr. S. 2 Z. 55), gegeben wird (Beschr. S. 2 Z. 21 - 39), zu pharmazeutischen Perlen ("pharmaceutical beads"). Das Kältemittel wird anschließend abgewaschen und die Perlen werden getrocknet (Beschr. S. 2 Z. 69 - 74). Die
  402. Perlen entsprechen zwar in ihrer Struktur den Pellets des Streitpatents. Das
  403. hier beschriebene Verfahren unterscheidet sich von dem nach dem verteidigten
  404. Patentanspruch 1 des Streitpatents aber insbesondere dadurch, dass als Kältemittel kein tiefkaltes Inertgas benutzt wird. Zudem hat der gerichtliche Sachverständige plausibel ausgeführt, dass den Fachmann die Verwendung eines
  405. kalten Öls, das anhaften werde und aufwändig entfernt werden müsse, von einem Rückgriff auf diese Lehre abhalten werde.
  406. 26
  407. 3. Mit dem so verteidigten Patentanspruch 1 haben auch die auf ihn
  408. rückbezogenen, noch verteidigten Patentansprüche 2 bis 4 und 6 bis 8 in
  409. Rückbeziehung auf diesen Bestand.
  410. 27
  411. IV. 1. Dagegen erweist sich Patentanspruch 11 auch in seiner gegenüber dem erteilten Patent eingeschränkten Fassung nicht als bestandsfähig, da
  412. er gegenüber der Lehre, die die Veröffentlichung der europäischen Patentan-
  413. - 19 -
  414. meldung 65 193 (BASF AG, Anlage K1) sowie der mit dieser Veröffentlichung
  415. weitgehend korrespondierende Beitrag von Dieter Horn, Preparation and Characterization of Mikrodisperse Bioavailable Carotenoid Hydrosols (Herstellung
  416. und Charakterisierung von mikrodispersen bioverfügbaren Carotinoidhydrosolen) in: "Die Angewandte Makromolekulare Chemie" 166/167 (1989), S. 139 153 (Anlage K19) dem Fachmann geben, nicht zu neuen Erzeugnissen führt.
  417. Dass das Verfahren nach dem erfolgreich eingeschränkt verteidigten Patentanspruch 1 zu den in Patentanspruch 11 unter Schutz gestellten Pellets führen
  418. kann, begründet für sich die Schutzfähigkeit der Pellets nicht, weil ein schutzfähiges Herstellungsverfahren, das zu einem bekannten Erzeugnis führt, die
  419. Schutzfähigkeit des Erzeugnisses nicht an sich, sondern allenfalls nach § 9
  420. Satz 2 Nr. 3 PatG im Weg des durch das geschützte Verfahren vermittelten
  421. Schutzes für das Verfahrenserzeugnis begründen, nicht aber zur Rechtsbeständigkeit des angegriffenen Erzeugnispatents führen kann.
  422. 28
  423. a) Die Sachmerkmale der Merkmalsgruppe (1’) des verteidigten Patentanspruchs 11 sind allesamt schon bei den Carotinoidpräparaten nach der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 65 193 (Anlage K1) verwirklicht. Eine kontinuierliche Mischung, die notwendig zu einer homogenen kolloiddispersen Lösung führt, ist z.B. im Beispiel 3 dieser europäischen Patentanmeldung (S. 13 Z. 8) ausdrücklich beschrieben. Die kolloid-disperse Lösung ist
  424. auf S. 4 Z. 15 der Beschreibung und in verschiedenen Ausführungsbeispielen
  425. ausdrücklich angesprochen. Ob es zu einer Auskristallisation kommen kann,
  426. hängt nach der überzeugenden Darstellung des gerichtlichen Sachverständigen, die sich der Senat zu eigen macht, einmal von gewählten Trocknungsverfahren und zum anderen von der Verfahrensführung bei diesem Verfahren ab.
  427. Damit ist es nach diesem Vorbild möglich, eine Auskristallisation zu erreichen,
  428. auch wenn die Trocknung hier vorzugsweise durch Sprühtrocknung erfolgen
  429. soll (Anlage K1, Beschr. S. 7 Z. 29 - 31), so dass nach den Ausführungen des
  430. - 20 -
  431. gerichtlichen Sachverständigen im Regelfall nicht mit einem Auskristallisieren
  432. zu rechnen ist. Dass es sich bei den in Anlage 1 genannten Wirkstoffen Carotinoide und Retinoide um solche handelt, die im Sinn des Streitpatents eine in
  433. vivo schlechte Resorbierbarkeit aufweisen, folgt schon daraus, dass β-Carotin
  434. und Retinol in der Beschreibung des Streitpatents ausdrücklich als "im Falle
  435. der Erfindung geeignete[r] Arzneistoffe" benannt werden (Beschr. S. 12 Z. 43,
  436. S. 13 Z. 39/40). β-Carotin wird in Anlage K1 als besonders bevorzugt benannt
  437. (Anlage K1, Beschr. S. 5 Z. 16). Die Teilchengröße liegt hier bei weniger als
  438. 0,5 Mikrometern (500 nm) oder sogar unter 300 nm und damit in dem Bereich,
  439. den auch das Streitpatent beansprucht (Anlage K1, Patentansprüche 1 und 6).
  440. Als quellbares Kolloid wird auch hier Gelatine benannt (Anlage K1, Beschr. S. 5
  441. Z. 33), die je nach Wahl gelartig erstarren kann (Anlage K1, Beschr. S. 7
  442. Z. 19 - 21).
  443. 29
  444. Auch die Anlage K19 beschreibt die Überführung des grobkristallinen
  445. Ausgangsmaterials von Carotinoiden (u.a. β-Carotin) in einen mikrodispersen
  446. Zustand, die Überführung in ein kolloidales Hydrosol, die Herstellung eines vorübergehenden Hochtemperatursolutzustands des Carotinoids in einem mit
  447. Wasser mischbaren Lösungsmittel verbunden mit anschließender schneller
  448. wässriger Fällung in Anwesenheit eines stabilisierenden Polymerkolloids, und
  449. nimmt damit die Sachmerkmale des verteidigten Patentanspruchs 11 ebenfalls
  450. vorweg.
  451. 30
  452. b) Wie der gerichtliche Sachverständige zur Überzeugung des Senats
  453. ausgeführt hat, führen die Verfahrensschritte nach den Verfahrensansprüchen
  454. nicht dazu, dass die durch sie erhaltenen Pellets besondere, sie in unterscheidbarer Weise von den Präparaten nach Anlage K1 abgrenzende Merkmale aufweisen. Insbesondere folgt der Senat der Bekundung des gerichtlichen
  455. Sachverständigen, dass der Endzustand des Pellets sowohl von der Ausgestal-
  456. - 21 -
  457. tung der Matrix wie von der Trocknung abhängt. Da hier über den Ausschluss
  458. der Gefriertrocknung hinaus aber keine verbindlichen Vorgaben gemacht werden, kann das geschützte Verfahren auch nicht zu besonderen Sacheigenschaften führen. Auch die Beklagte hat nicht dargetan, welche konkreten, über
  459. das Merkmal 1’ hinausgehenden Sacheigenschaften den beanspruchten
  460. Pellets durch das Verfahren nach Patentanspruch 1 aufgeprägt werden sollen.
  461. 31
  462. 2. Hinsichtlich der unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 11
  463. rückbezogenen Unteransprüche, Verwendungsansprüche und Mittelansprüche
  464. 12 bis 36 sind Gesichtspunkte, die dazu führen könnten, dass diese anders als
  465. Patentanspruch 11 allein oder in Verbindung mit Patentanspruch 11 einen erfinderischen Gehalt aufweisen könnten, nicht ersichtlich geworden; die Beklagte hat diesbezüglich auch nichts geltend gemacht. Damit ist der Senat davon
  466. überzeugt, dass sie das Schicksal des verteidigten Patentanspruchs 11 zu teilen haben.
  467. - 22 -
  468. 32
  469. V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m.
  470. §§ 91, 92, 97, 100 Abs. 1, 269 Abs. 4 Satz 2 ZPO (vgl. BGH, Urt. v. 14.7.1981
  471. - VI ZR 35/79, MDR 1981, 928). Der Senat hat dabei zugrunde gelegt, dass der
  472. Anteil, zu dem das Streitpatent im Nichtigkeitsverfahren Bestand hat, mit etwa
  473. einem Viertel angenommen werden kann.
  474. Scharen
  475. Keukenschrijver
  476. Meier-Beck
  477. Mühlens
  478. Asendorf
  479. Vorinstanz:
  480. Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.10.2003 - 3 Ni 11/02 (EU) -