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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 204/11
  5. Verkündet am:
  6. 13. Juli 2012
  7. Lesniak
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachträglicher Leitsatz
  13. Nachschlagewerk:
  14. ja
  15. BGHZ:
  16. nein
  17. BGHR:
  18. ja
  19. WEG § 15 Abs. 3
  20. Die Nutzung einer Wohnung zum Betrieb einer entgeltlichen Tagespflegestelle für bis
  21. zu fünf Kleinkinder stellt eine teilgewerbliche Nutzung dar.
  22. BGH, Urteil vom 13. Juli 2012 - V ZR 204/11 - LG Köln
  23. AG Köln
  24. -2-
  25. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  26. vom 22. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
  27. Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und
  28. Weinland
  29. für Recht erkannt:
  30. Die Revision gegen das Urteil der 29. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 11. August 2011 wird auf Kosten der Beklagten
  31. mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass nicht der "unzulässige"
  32. Gebrauch, sondern der "ungenehmigte" Gebrauch der Wohnung
  33. als Kindertagespflegestelle zu unterlassen ist.
  34. Von Rechts wegen
  35. Tatbestand:
  36. 1
  37. Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft.
  38. Die Wohnung der Klägerin befindet sich im Erdgeschoss des Hauses, die darüber liegende Wohnung der Beklagten im ersten Obergeschoss. Die Teilungserklärung enthält folgende Regelung:
  39. "Die Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung ist nur mit
  40. Zustimmung des Verwalters zulässig. Die Zustimmung darf nur aus wichtigem Grund verweigert werden. Bei Vorliegen eines wichtigen Grundes
  41. kann sie auch von der Erfüllung von Auflagen abhängig gemacht werden.
  42. Als wichtiger Grund für die Verweigerung der Zustimmung gilt insbesonde-
  43. -3-
  44. re, wenn die Ausübung des Gewerbes oder Berufes eine unzumutbare
  45. Beeinträchtigung anderer Wohnungseigentümer oder Hausbewohner befürchten lässt … . Erteilt der Verwalter eine beantragte Zustimmung nicht
  46. …, so kann der betroffene Miteigentümer einen Beschluss der Gemeinschaft herbeiführen, die die Entscheidung des Verwalters mit dreiviertel
  47. Mehrheit der abgegebenen Stimmen ändern kann."
  48. 2
  49. Die Mieterin der Beklagten betreut in ihrer Wohnung mit Erlaubnis der
  50. Stadt gegen Entgelt bis zu fünf Kinder im Alter von 0 bis 3 Jahren von 7.00 Uhr
  51. bis 19.00 Uhr. Im Mai 2009 erklärte die Verwalterin gegenüber den Beklagten
  52. schriftlich, dass sie dieser Nutzung wegen der mit der Kinderbetreuung einhergehenden Lärmbelästigungen nicht zustimmen werde. In der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 stimmten die Wohnungseigentümer mit
  53. weniger als dreiviertel der abgegebenen Stimmen für eine Genehmigung der
  54. Kinderbetreuungstätigkeit. Der Beschluss wurde nicht angefochten. Die Mieterin
  55. setzte die Kinderbetreuung fort.
  56. 3
  57. Das Amtsgericht hat die gegen die Beklagten gerichtete Klage der Klägerin auf Unterlassung der Nutzung der Wohnung als Kindertagespflegestelle abgewiesen. Das Landgericht hat ihr stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision
  58. möchte die Klägerin eine Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
  59. Entscheidungsgründe:
  60. I.
  61. 4
  62. Das Berufungsgericht bejaht einen Unterlassungsanspruch aus § 1004
  63. BGB i.V.m. § 15 Abs. 3 WEG. Zwar widerspreche die Nutzung der Wohnung
  64. -4-
  65. zur entgeltlichen Kinderbetreuung nicht dem Beschluss der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009, da Gegenstand des Beschlusses nicht
  66. eine Untersagung der weiteren Kinderbetreuungstätigkeit, sondern lediglich die
  67. Nichterteilung der erforderlichen Genehmigung gewesen sei. Es liege jedoch
  68. ein Verstoß gegen die Teilungserklärung vor, da die Tagespflegestelle ohne die
  69. erforderliche Zustimmung betrieben werde. Die Verwalterin habe die Zustimmung zu Recht versagt. Bei einer typisierenden Betrachtung sei davon auszugehen, dass eine ganztätige Kinderbetreuung in einem Wohnhaus zu Beeinträchtigungen wie einem erhöhten Lärmpegel, einer gesteigerten Besucherfrequenz, vermehrtem Schmutz im Treppenhaus und einem erhöhten Müllaufkommen durch Windeln führe. Die Beeinträchtigungen seien unzumutbar, weil
  70. sie wegen des täglichen Publikumsverkehrs, der zudem zu ungewöhnlichen
  71. Zeiten stattfinde, und der Verschmutzung des Treppenhauses über diejenigen
  72. hinausgingen, die mit einer normalen Wohnungsnutzung einhergingen. Außerdem habe die Klägerin - anders als bei im Familienverbund aufwachsenden
  73. Kindern - nicht die Perspektive, dass die Lärmbeeinträchtigungen mit zunehmendem Alter der Kinder nachlassen.
  74. II.
  75. 5
  76. Dies hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand. Der Klägerin
  77. steht gegen die Beklagten gemäß § 15 Abs. 3 WEG i.V.m. § 14 Nr. 2 WEG ein
  78. Anspruch darauf zu, dass die Mieterin der Beklagten die gegenwärtige Nutzung
  79. der Wohnung als Kindertagespflegestelle unterlässt.
  80. 6
  81. 1. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass die Nutzung einer Wohnung zum Betrieb einer entgeltlichen Tagespflegestelle für bis zu fünf
  82. Kleinkinder die "Ausübung eines Gewerbes oder Berufes in der Wohnung" im
  83. -5-
  84. Sinne der Teilungserklärung darstellt und daher der Zustimmung des Verwalters oder einer ¾-Mehrheit der hierüber abstimmenden Wohnungseigentümer
  85. bedarf.
  86. 7
  87. a) Aus der Zweckbestimmung von Räumen als Wohnungseigentum oder
  88. Wohnung folgt, dass das Wohneigentum zum Wohnen bestimmt ist und sich
  89. seine ordnungsmäßige Nutzung nach diesem Zweck richtet. Hierzu gehört in
  90. erster Linie die Nutzung der Wohnung als Lebensmittelpunkt (Senat, Urteil vom
  91. 15. Januar 2010 - V ZR 72/09, NJW 2010, 3093 Rn. 15). Zwar gehört zum
  92. Wohnen auch die Möglichkeit, in der Familie neben den eigenen Kindern fremde Kinder zu betreuen, etwa bei regelmäßigen Besuchen von Freunden der
  93. Kinder oder im Wege der Nachbarschaftshilfe. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Nutzung der Wohnung zur (werk-)täglichen Erbringung von Betreuungsdienstleistungen gegenüber Dritten in Form einer Pflegestelle für bis zu
  94. fünf Kleinkinder, bei der der Erwerbscharakter im Vordergrund steht. Eine solche teilgewerbliche Nutzung der Wohnung wird vom Wohnzweck nicht mehr
  95. getragen und ist als "Ausübung eines Gewerbes oder Berufes" im Sinne der
  96. Teilungserklärung zu qualifizieren (vgl. LG Berlin, NJW-RR 1993, 907;
  97. LG Hamburg, NJW 1982, 2387).
  98. 8
  99. b) Aus § 24 SGB VIII folgt - anders als die Revision meint - kein anderes
  100. Ergebnis. Die Vorschrift regelt die Rechte des Kindes zur Inanspruchnahme von
  101. Tageseinrichtungen und Kindertagespflege. Adressat der dort normierten Leistungspflichten ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, der darauf hinzuwirken hat, dass ein entsprechendes Angebot zu Verfügung steht. In die Rechtsbeziehungen von Wohnungseigentümern bei der Nutzung des Wohneigentums
  102. greift die Regelung hingegen nicht ein.
  103. -6-
  104. 9
  105. 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es aber auf
  106. die Frage, ob die Verwalterin zu Recht die Zustimmung zum Betrieb einer Tagespflegestelle in der Wohnung der Beklagten verweigert hat, nicht an. Denn
  107. ein Unterlassungsanspruch der Klägerin gemäß § 15 Abs. 3 WEG folgt bereits
  108. daraus, dass den Beklagten die weitere Ausübung der Tätigkeit ihrer Mieterin in
  109. der Wohnung als Tagesmutter durch bestandskräftigen Beschluss der Wohnungseigentümer untersagt wurde.
  110. 10
  111. a) Der Beschluss der Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28. September 2009 erschöpft sich nicht allein in einem Negativbeschluss des Inhalts, dass sich die erforderliche Mehrheit für die Erteilung einer
  112. Genehmigung nicht fand. Vielmehr beinhaltet die Verweigerung der Genehmigung - wie bereits die Formulierung des der Beschlussfassung zugrunde liegenden Tagesordnungspunktes deutlich macht ("Beschlussfassung über die
  113. Genehmigung
  114. bzw.
  115. Untersagung
  116. der
  117. bereits
  118. bestehenden
  119. gewerbli-
  120. chen/beruflichen Nutzung") - zugleich die Untersagung einer weiteren Fortsetzung der in der Wohnung ausgeübten Kinderbetreuungstätigkeit. Der Beschluss
  121. ist, nachdem er nicht angefochten wurde, bestandskräftig geworden. Dies hat
  122. zur Folge, dass die Klägerin, der gemäß § 15 Abs. 3 WEG ein Anspruch auf
  123. einen der Beschlussfassung entsprechenden Gebrauch der Wohnung zusteht,
  124. von den Beklagten die Unterlassung der gleichwohl fortgesetzten Tagesmuttertätigkeit verlangen kann.
  125. 11
  126. b) Die Klägerin ist an der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert. Denn die Beklagten haben sich bisher zu keinem Zeitpunkt um die Erteilung einer Zustimmung
  127. zum Betrieb einer - nach Anzahl der zu betreuenden Kinder und zeitlichem Umfang konkret beschriebenen - Kindertagespflegestelle bemüht. Damit fehlt es
  128. -7-
  129. schon an einer tatsächlichen Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob den
  130. Klägern ein Zustimmungsanspruch zusteht. Den Beklagten bleibt es aber unbenommen, einen entsprechenden Antrag zu stellen. Der Umstand, dass die
  131. Wohnungseigentümer in
  132. der Eigentümerversammlung vom 28. Septem-
  133. ber 2009 gegen die Erteilung einer Genehmigung gestimmt haben, stünde einer
  134. erneuten Befassung der Wohnungseigentümer nicht entgegen. Denn insoweit
  135. handelt es sich um einen Negativbeschluss, der für eine erneute Beschlussfassung über denselben Gegenstand keine Sperrwirkung entfaltet (Senat, Beschluss vom 19. September 2002 - V ZB 30/02, BGHZ 152, 46, 51). Über einen
  136. Antrag der Beklagten wäre unter Berücksichtigung der tatsächlichen konkreten
  137. Gegebenheiten innerhalb der Wohnungseigentumsanlage, der Wertungen des
  138. § 22 Abs. 1a BImSchG, die nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf das
  139. Wohnungseigentumsrecht ausstrahlen sollen, und der in der Teilungserklärung
  140. ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit der Erteilung von Auflagen zu entscheiden. Solange eine erforderliche Zustimmung aber nicht vorliegt, darf die Tagesmuttertätigkeit aufgrund des bestandskräftigen Untersagungsbeschlusses
  141. nicht fortgesetzt werden. Insoweit ist das Berufungsurteil klarzustellen.
  142. -8-
  143. III.
  144. 12
  145. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 WEG.
  146. Krüger
  147. Schmidt-Räntsch
  148. Brückner
  149. Vorinstanzen:
  150. AG Köln, Entscheidung vom 12.11.2010 - 204 C 74/10 LG Köln, Entscheidung vom 11.08.2011 - 29 S 285/10 -
  151. Roth
  152. Weinland