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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. V ZR 142/09
  5. Verkündet am:
  6. 23. Juli 2010
  7. Langendörfer-Kunz
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 906 Abs. 2 Satz 2
  19. Der Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB gewährt kein Schmerzensgeld.
  20. BGH, Urteil vom 23. Juli 2010 - V ZR 142/09 - LG Saarbrücken
  21. AG Lebach
  22. -2-
  23. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 23. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter
  25. Dr. Lemke, die Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
  26. für Recht erkannt:
  27. Die Revision gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 3. Juli 2009 wird auf Kosten der Klägerin
  28. zurückgewiesen.
  29. Von Rechts wegen
  30. Tatbestand:
  31. 1
  32. Die Klägerin bewohnt mit ihrer Familie ein Eigenheim in S.
  33. (Saarland). Dort sowie in der Umgebung kam es in den Jahren
  34. 2005 und 2006 zu Erderschütterungen, welche auf den im Auftrag und für
  35. Rechnung der Beklagten in der Gegend betriebenen untertägigen Steinkohlebergbau zurückzuführen sind. Es wurden Schwingungsgeschwindigkeiten von
  36. bis zu 71 mm/sek. gemessen.
  37. 2
  38. Mit der Behauptung, aufgrund der Erderschütterungen leide sie seit März
  39. 2005 an erheblichen psychischen Problemen in Form einer Phobie sowie an
  40. psychosomatischen Beschwerden wie Schlaflosigkeit und ständigen Angstzuständen in Erwartung weiterer Beben, verlangt die Klägerin jetzt noch ein
  41. Schmerzensgeld von mindestens 4.000 €. Die Klage ist in den Tatsacheninstanzen erfolglos geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revi-
  42. -3-
  43. sion verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die
  44. Zurückweisung des Rechtmittels.
  45. Entscheidungsgründe:
  46. I.
  47. 3
  48. Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die Klägerin nach § 906
  49. Abs. 2 Satz 1 BGB zur Duldung der Erschütterungen verpflichtet, weil die dadurch hervorgerufene - unterstellte - wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksnutzung durch die ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks
  50. hervorgerufen worden sei und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen
  51. habe verhindert werden können. Deshalb fehle es an einem nach §§ 114 ff.
  52. BBergG zu ersetzenden Bergschaden. Einem Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB
  53. stehe entgegen, dass der Kohleabbau auf der Grundlage einer behördlichen
  54. Genehmigung und somit nicht widerrechtlich betrieben worden sei. Konkrete
  55. Anhaltspunkte für eine Missachtung der behördlichen Vorgaben oder eine Verletzung von Verkehrspflichten durch die Beklagte seien von der Klägerin nicht
  56. aufgezeigt worden. Auch ein verschuldensunabhängiger Anspruch nach § 906
  57. Abs. 2 Satz 2 BGB komme nicht in Betracht, weil gesundheitliche Schäden
  58. nicht nach dieser Vorschrift ausgeglichen werden könnten.
  59. II.
  60. 4
  61. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
  62. 5
  63. 1. Im Ergebnis zu Recht verneint das Berufungsgericht einen Schmerzensgeldanspruch nach den Vorschriften über die Bergschadenshaftung
  64. -4-
  65. (§§ 114 ff. BBergG). Es fehlt - entweder, wie das Berufungsgericht meint, nach
  66. § 114 Abs. 2 Nr. 3 BBergG oder nach § 114 Abs. 1 BBergG - an einem Bergschaden. Die Revision nimmt dies hin. Sie meint lediglich, das Berufungsgericht
  67. habe nicht offen lassen dürfen, ob die Erschütterungen die Benutzung des von
  68. der Klägerin bewohnten Grundstücks unwesentlich oder wesentlich beeinträchtigt hätten, denn die Pflicht zur Duldung unwesentlicher Beeinträchtigungen führe nicht zu einem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dieser
  69. Einwand ist unerheblich, weil das Berufungsgericht zugunsten der Klägerin eine
  70. wesentliche Nutzungsbeeinträchtigung unterstellt und damit den Anwendungsbereich der verschuldensunabhängigen Haftung der Beklagten nach § 906
  71. Abs. 2 Satz 2 BGB eröffnet hat.
  72. 6
  73. 2. Rechtsfehlerfrei nimmt das Berufungsgericht an, dass der betroffene
  74. Grundstückseigentümer bzw. -nutzer nach dieser Vorschrift kein Schmerzensgeld verlangen kann.
  75. 7
  76. a) Anstelle des durch die Duldungspflicht nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB
  77. ausgeschlossenen Abwehranspruchs erhält der beeinträchtigte Grundstückseigentümer bzw. -nutzer gegen den Eigentümer des emittierenden Grundstücks
  78. nach Satz 2 der Vorschrift einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch in Geld, wenn die Einwirkung die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt. Diese Regelung dient dem Interessenausgleich unter Nachbarn und beruht auf
  79. dem Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis (siehe nur Senat, BGHZ 157, 188, 193). Sie findet im Fall von
  80. Erschütterungen der Erdoberfläche, die durch untertägigen Bergbau hervorgerufen werden, im Verhältnis zwischen beeinträchtigtem Eigentümer und Bergbauberechtigtem Anwendung (Senat, BGHZ 178, 90).
  81. -5-
  82. 8
  83. b) Bei dem Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB handelt
  84. es sich um einen aus dem Grundstückseigentum abgeleiteten Anspruch; die
  85. Gewährung einer Entschädigung auf seiner Grundlage setzt einen Bezug zu
  86. dem beeinträchtigten Grundstück in Form der Eigentums- oder Besitzstörung
  87. mit der Folge einer zu duldenden Nutzungsbeeinträchtigung voraus (siehe nur
  88. Senat, Urt. v. 18. September 2009, V ZR 75/08, NJW 2009, 3787, 3788 m. umfangr. Nachw.). Von einem Schadensersatzanspruch unterscheidet sich der
  89. Ausgleichsanspruch darin, dass die Entschädigung die durch die zu duldende
  90. Einwirkung eingetretene Vermögenseinbuße beseitigen soll, während der
  91. Schadensersatz der Wiederherstellung des Zustands dient, der bestünde, wenn
  92. die Einwirkung nicht zu der unzumutbaren Beeinträchtigung geführt hätte (Senat, BGHZ 147, 45, 53). Auszugleichen sind somit vermögenswerte Nachteile,
  93. die ihre Ursache in der Eigentums- oder Besitzstörung haben.
  94. 9
  95. c) Nach diesen Grundsätzen scheidet die Berücksichtigung von Gesundheitsstörungen bei der Prüfung, ob ein Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2
  96. Satz 2 BGB besteht, nicht von vornherein aus; Relevanz können sie bei der
  97. Beurteilung der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung des betroffenen Grundstücks haben, wenn nämlich Einwirkungen i.S.v. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zur
  98. Herbeiführung von Gesundheitsstörungen geeignet sind (Senat, BGHZ 49, 148,
  99. 153 f.; Urt. v. 19. Februar 2004, V ZR 217/03, NJW 2004, 1317, 1319). Das bedeutet jedoch nicht, dass in einem solchen Fall eine Entschädigung in der Form
  100. des Schmerzensgeldes für die erlittene Gesundheitsverletzung zu zahlen ist.
  101. Soweit sich die Revision für ihre gegenteilige Ansicht auf Stimmen in der Literatur (Staudinger/Roth, BGB [2009], § 906 Rdn. 77 und 110; Larenz/Canaris,
  102. Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II 2. Halbband, § 85 II 5; Gerlach, Privatrecht
  103. und Umweltschutz im System des Umweltrechts, S. 236 ff.) beruft, bleibt das
  104. erfolglos. Zwar befürworten die genannten Autoren (ebenso Staudinger/Kohler,
  105. Einl. zum UmweltHR [2002], Rdn. 120, siehe aber auch Rdn. 219) die Einbe-
  106. -6-
  107. ziehung von Gesundheitsschäden in den Schutzbereich des § 906 Abs. 2
  108. Satz 2 BGB im Wege der Analogie. Ob dem zu folgen ist, kann indes offen bleiben, denn sie sprechen sich nicht dafür aus, dass als Folge davon neben der
  109. Entschädigung für vermögenswerte Nachteile auch die Zahlung eines Schmerzensgeldes verlangt werden kann. Lediglich Spindler (Bamberger/Roth, BGB,
  110. 2. Aufl., § 253 Rdn. 10) und Däubler (JuS 2002, 625, 626 f.) bejahen einen
  111. Schmerzensgeldanspruch auf der Grundlage von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB
  112. i.V.m. § 253 Abs. 2 BGB. Diese Autoren verkennen jedoch, dass der Ausgleichsanspruch ungeachtet des Umstands, dass die auf seiner Grundlage zu
  113. zahlende Entschädigung im Einzelfall die Höhe des vollen Schadensersatzes
  114. erreichen kann (Senat, BGHZ 142, 66, 70), kein Schadensersatzanspruch ist
  115. (siehe oben unter b)); Voraussetzung für die Verpflichtung des Schädigers zur
  116. Zahlung eines Schmerzensgeldes ist jedoch das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs (§ 253 Abs. 2 BGB). Fehlt es - wie hier - daran, ist die Vorschrift
  117. in § 253 Abs. 2 BGB auch nicht entsprechend anwendbar (Bamberger/Roth/
  118. Fritzsche, BGB, 2. Aufl., § 906 Rdn. 77). Auch kann sich die Revision nicht mit
  119. Erfolg auf eine "Parallelwertung im Bundesimmissionsschutzgesetz" stützen,
  120. denn nach § 14 Satz 2 BImSchG kann unter den dort genannten Voraussetzungen Schadensersatz verlangt werden. Das ist, wie gesagt, etwas anderes
  121. als die Entschädigung nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB.
  122. 10
  123. 3. Schließlich verneint das Berufungsgericht ebenfalls zu Recht einen
  124. verschuldensabhängigen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB. Die Beklagte hat
  125. nicht rechtswidrig gehandelt. Ob die Begründung, mit der das Berufungsgericht
  126. die Rechtswidrigkeit verneint, den Angriffen der Revision standhält, kann offen
  127. bleiben. Denn wegen der Duldungspflicht der Klägerin nach § 906 Abs. 2 Satz 2
  128. BGB fehlte es an einer widerrechtlichen Handlung der Beklagten.
  129. -7-
  130. 11
  131. a) Die Verletzung eines nach § 823 BGB geschützten Rechtsguts ist
  132. grundsätzlich rechtswidrig, wenn nicht ein Rechtfertigungsgrund besteht. Geht
  133. es - wie hier - um das Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn, so sind die
  134. nachbarrechtlichen Sonderbestimmungen der §§ 906 ff. BGB in dem davon erfassten Regelungsbereich maßgebend dafür, ob die von dem einen auf das
  135. andere Grundstück ausgehenden Einwirkungen rechtswidrig sind; diese Bestimmungen entscheiden deshalb auch darüber, ob eine widerrechtliche deliktische Handlung gemäß § 823 BGB vorliegt oder nicht (Senat, BGHZ 90, 255,
  136. 257 f.).
  137. 12
  138. b) Beurteilungsmaßstab ist hier § 906 BGB. Die Vorschrift regelt die Voraussetzungen, unter denen der Grundstückeigentümer oder der Nutzungsberechtigte Einwirkungen i.S.v. Absatz 1 Satz 1 dulden muss. Die Duldungspflicht
  139. der Klägerin ergibt sich entweder aus § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Erschütterungen die Benutzung des von ihr bewohnten Grundstücks unwesentlich
  140. beeinträchtigt haben, oder aus § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB, wenn die Beeinträchtigung zwar wesentlich war, aber durch die ortsübliche Benutzung des emittierenden Grundstücks herbeigeführt wurde und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden konnte. Von dem Vorliegen dieser Voraussetzungen ist das Berufungsgericht ausgegangen. Dagegen wendet sich die
  141. Revision bei der Prüfung eines verschuldensunabhängigen Anspruchs nach
  142. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht, sondern nimmt es als für die Klägerin günstig
  143. hin. Bei der Erörterung eines Anspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB rügt die Revision zwar, dass das Berufungsgericht den beweisbewehrten Vortrag der Klägerin übergangen habe, das der Betriebsplanzulassung zugrunde liegende Sachverständigengutachten sei erkennbar unrichtig. Das kann für die Frage der
  144. Ortsüblichkeit der Benutzung des emittierenden Grundstücks Bedeutung haben,
  145. denn die Grundstücksnutzung aufgrund einer fehlerhaften öffentlich-rechtlichen
  146. Genehmigung ist nicht ortsüblich (vgl. zur fehlenden Genehmigung Senat,
  147. -8-
  148. BGHZ 140, 1, 9 f.). Aber dazu bezieht sie sich nur auf den in erster Instanz gehaltenen Vortrag, der nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens war. Weiter
  149. rügt die Revision in diesem Zusammenhang, das Berufungsgericht habe den
  150. Vortrag der Klägerin zu der Überschreitung der zulässigen Abbaugeschwindigkeit übergangen. Das kann für die Frage Bedeutung haben, ob die wesentliche
  151. Beeinträchtigung des von der Klägerin bewohnten Grundstücks durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden konnte. Dazu bezieht sich
  152. die Klägerin zwar auch auf Vortrag in der Berufungsinstanz; darin fehlt aber ein
  153. Beweisantritt. Entgegen der Ansicht der Revision war ein solcher nicht entbehrlich. Die Klägerin hätte sich - auch ohne Kenntnis der genauen Vorgänge unter
  154. Tage - für die Richtigkeit ihrer Behauptung, der Abbau sei mit zu hoher Geschwindigkeit vorgenommen worden, auf ein Sachverständigengutachten oder
  155. auf die bei der Beklagten vorhandenen Aufzeichnungen über den Abbau berufen können. Dem hätte das Berufungsgericht durch Anordnung der Einholung
  156. eines Gutachtens (§§ 402 ff. ZPO) oder der Vorlage der Aufzeichnungen durch
  157. die Beklagte (§ 142 Abs. 1 ZPO) nachkommen müssen. Da sie das nicht getan
  158. hat, musste das Berufungsgericht diesen Vortrag nicht berücksichtigen. Somit
  159. bleibt es dabei, dass die Klägerin nach § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erschütterungen dulden musste. An einer widerrechtlichen Handlung der Beklagten nach
  160. § 823 Abs. 1 BGB fehlte es demnach (vgl. Palandt/Sprau, BGB 69. Aufl., § 823
  161. Rdn. 32).
  162. -9-
  163. III.
  164. 13
  165. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
  166. Krüger
  167. Lemke
  168. Stresemann
  169. Richter am Bundesgerichtshof
  170. Dr. Czub und Dr. Roth sind wegen
  171. Urlaubs verhindert zu unterschreiben.
  172. Krüger
  173. Vorinstanzen:
  174. AG Lebach, Entscheidung vom 13.11.2007 - 3A C 175/06 LG Saarbrücken, Entscheidung vom 03.07.2009 - 13 S 19/09 -