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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. V ZB 41/14
  4. vom 12. März 2015
  5. in dem Zwangsversteigerungsverfahren
  6. Nachschlagewerk:
  7. ja
  8. BGHZ:
  9. nein
  10. BGHR:
  11. ja
  12. EuInsVO Art. 5 Abs. 1
  13. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des
  14. Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV folgende Frage zur
  15. Vorabentscheidung vorgelegt:
  16. Erfasst der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der Verordnung
  17. (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl.
  18. EG 2000 Nr. L 160 S. 1) eine nationale Regelung, wie sie in § 12 des
  19. Grundsteuergesetzes i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung enthalten
  20. ist, wonach Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf dem
  21. Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die Zwangsvollstreckung in den
  22. Grundbesitz dulden muss?
  23. BGH, Beschluss vom 12. März 2015 - V ZB 41/14 - LG Hannover
  24. AG Burgwedel
  25. -2-
  26. Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2015 durch die
  27. Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen
  28. Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele
  29. beschlossen:
  30. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  31. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung des
  32. Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. b AEUV folgende
  33. Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
  34. Erfasst der Begriff des dinglichen Rechts gemäß Art. 5 Abs. 1 der
  35. Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über
  36. Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1) eine nationale
  37. Regelung, wie sie in § 12 des Grundsteuergesetzes i.V.m. § 77
  38. Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung enthalten ist, wonach
  39. Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf
  40. dem Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die
  41. Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz dulden muss?
  42. Gründe:
  43. I.
  44. 1
  45. Die Schuldnerin, eine Société Civile Immobilière nach französischem
  46. Recht, ist Eigentümerin des im Rubrum genannten Grundstücks in W.
  47. ,
  48. Deutschland. Mit Urteil vom 6. Mai 2013 ordnete der Tribunal de Grande
  49. Instance
  50. de
  51. Mulhouse,
  52. Frankreich,
  53. das
  54. Betriebssanierungsverfahren
  55. („procédure de redressement judiciaire“) für die Schuldnerin an und beauftragte
  56. -3-
  57. einen gerichtlich bestellten Verwalter mit deren Betreuung („administrateur
  58. judiciaire avec mission d‘assistance“). Am 15. Mai 2013 beantragte die
  59. Gemeinde W.
  60. wegen rückständiger Grundsteuern für die Zeit vom
  61. 1. Oktober 2012 bis zum 30. Juni 2013 in Höhe von 7.471,19 € die
  62. Zwangsversteigerung des Grundstücks und bescheinigte die Vollstreckbarkeit
  63. der Forderungen.
  64. 2
  65. Mit
  66. Beschluss
  67. vom
  68. 21.
  69. Mai
  70. 2013
  71. hat
  72. das
  73. Amtsgericht
  74. die
  75. Zwangsversteigerung angeordnet. Der dagegen gerichteten Erinnerung der
  76. Schuldnerin hat es nicht abgeholfen. Das Landgericht hat ihre sofortige
  77. Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die
  78. Schuldnerin
  79. erreichen,
  80. dass
  81. die
  82. Anordnung
  83. der
  84. Zwangsversteigerung
  85. aufgehoben und der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch gelöscht
  86. wird.
  87. II.
  88. 3
  89. Die Begründetheit der nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaften
  90. und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde hängt in
  91. entscheidungserheblicher Weise von der Beantwortung der im Tenor
  92. formulierten Vorlagefrage durch den Gerichtshof der Europäischen Union ab.
  93. 4
  94. 1. Der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des
  95. Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160 S. 1)
  96. in der zuletzt durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 663/2014 des Rates
  97. vom 5. Juni 2014 (ABl. EU 2014 Nr. L 179 S. 4) geänderten Fassung
  98. (Europäische Insolvenzverordnung, nachfolgend EuInsVO) ist sowohl räumlich
  99. als auch sachlich eröffnet. Bei dem Verfahren des "redressement judiciaire"
  100. handelt es sich um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. Anhang A
  101. der Verordnung genannten Insolvenzverfahren. Der
  102. für die Schuldnerin
  103. auftretende "administrateur judiciaire" gehört zu den in Art. 2 Buchstabe b
  104. -4-
  105. EuInsVO i.V.m. Anhang C der Verordnung bezeichneten Verwaltern. Die
  106. Europäische Insolvenzverordnung geht in ihrem Anwendungsbereich den
  107. Vorschriften des in §§ 335 ff. InsO geregelten deutschen Internationalen
  108. Insolvenzrechts vor (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 54/10,
  109. BGHZ 188, 177 Rn. 11 mwN).
  110. 5
  111. 2. Gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO unterliegt das Insolvenzverfahren dem
  112. französischen
  113. Recht.
  114. Dieses
  115. regelt
  116. auch
  117. die
  118. Auswirkungen
  119. der
  120. Verfahrenseröffnung auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger
  121. (Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe f EuInsVO). Feststellungen zu dem
  122. französischen Recht, die das Beschwerdegericht nicht für erforderlich gehalten
  123. hat, kann der Senat selbst treffen (näher Beschluss vom 3. Februar 2011
  124. - V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rn. 14 mwN). Danach begründet die Eröffnung
  125. des „redressement judiciaire“ ein allgemeines Vollstreckungsverbot (Art. L 63114 Abs. 1 i.V.m. Art. L 622-21 Abs. 2 Code de Commerce). Weder für dinglich
  126. gesicherte Gläubiger noch für den Fiskus oder die Sozialversicherungsträger
  127. bestehen Sonderregelungen (vgl. Pérochon, Entreprises en difficulté, 10. Aufl.,
  128. Rn.
  129. 633
  130. ff.;
  131. Sonnenberger/Dammann,
  132. Französisches
  133. Handels-
  134. und
  135. Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Rn. VIII 67; MünchKomm-InsO/Niggemann, 2. Aufl.,
  136. Anhang
  137. Band
  138. 3,
  139. Länderbericht
  140. Frankreich
  141. Rn. 11;
  142. Bauerreis
  143. in
  144. Kindler/Nachmann, Handbuch Insolvenzrecht in Europa [2014], Länderbericht
  145. Frankreich Rn. 155). Allerdings bleiben gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO dingliche
  146. Rechte eines Gläubigers oder eines Dritten an unbeweglichen Gegenständen,
  147. die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung
  148. des Insolvenzverfahrens unberührt.
  149. 6
  150. 3. Nach deutschem Recht sind die Grundsteuerforderungen, die zu der
  151. Anordnung der Zwangsversteigerung geführt haben, öffentliche Lasten gemäß
  152. § 12 Grundsteuergesetz (GrStG). Öffentliche Lasten beruhen zwar auf
  153. öffentlichem Recht. Sie sind aber dingliche Verwertungsrechte, da der
  154. -5-
  155. Eigentümer gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO die Zwangsvollstreckung in das
  156. Grundstück dulden muss (vgl. BVerwG, NJW 1985, 756). Funktionell
  157. entsprechen sie einem Grundpfandrecht (vgl. nur Klein/Rüsken, AO, 12. Aufl.,
  158. § 77 Rn. 3; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 27 Rn. 1).
  159. 7
  160. Im Einzelnen:
  161. 8
  162. a) Maßgebliche Normen des deutschen Rechts:
  163. § 12 GrStG bestimmt unter der Überschrift „Dingliche Haftung“:
  164. „Die Grundsteuer ruht auf dem Steuergegenstand als öffentliche Last.“
  165. § 77 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) bestimmt:
  166. „Wegen einer Steuer, die als öffentliche Last auf dem Grundbesitz ruht, hat
  167. der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz zu dulden.“
  168. § 10 Abs. 1 des Zwangsversteigerungsgesetzes (ZVG) lautet auszugsweise
  169. wie folgt:
  170. „Ein Recht auf Befriedigung aus dem Grundstück gewähren nach folgender
  171. Rangordnung (…):
  172. 3. die Ansprüche auf Entrichtung der öffentlichen Lasten des Grundstücks
  173. wegen der aus den letzten vier Jahren rückständigen Beträge;
  174. wiederkehrende Leistungen, insbesondere Grundsteuern, Zinsen, Zuschläge
  175. oder Rentenleistungen (…) genießen dieses Vorrecht nur für die laufenden
  176. Beträge und für die Rückstände aus den letzten zwei Jahren (…).
  177. 4. die Ansprüche aus Rechten an dem Grundstück (…)“
  178. 9
  179. b) Für die Entstehung einer öffentlichen Last bedarf es einer gesetzlichen
  180. Regelung, wie sie in § 12 GrStG enthalten ist. Der Begriff selbst ist nicht
  181. gesetzlich definiert. Es besteht aber Einigkeit darüber, dass eine öffentliche
  182. Last eine Abgabenverpflichtung ist, die auf öffentlichem Recht beruht, durch
  183. wiederkehrende oder einmalige Geldleistung zu erfüllen ist und nicht nur die
  184. persönliche Haftung des Schuldners, sondern auch die dingliche Haftung des
  185. Grundstücks voraussetzt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 30. März 2012
  186. - V ZB 185/11, WM 2012, 997 Rn. 4 mwN). Öffentliche Lasten entstehen
  187. unabhängig davon, ob ein Zwangsversteigerungsverfahren eingeleitet worden
  188. ist oder nicht (BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - IX ZR 101/09, NJW-RR
  189. -6-
  190. 2010, 1022 Rn. 6; Senat, Beschluss vom 6. Oktober 2011 - V ZB 18/11, NJWRR 2012, 87 Rn. 18). In das Grundbuch werden sie nicht eingetragen (§ 54
  191. GBO). Die Grundsteuer ist die einzige Steuer, die eine solche öffentliche Last
  192. begründet. Grundstücksbezogene Beiträge und Abgaben sind dagegen häufig
  193. als öffentliche Lasten ausgestaltet. Im Bundesrecht gilt dies zum Beispiel für
  194. Erschließungskosten nach dem Baugesetzbuch (§ 134 Abs. 2 BauGB).
  195. Daneben sieht das Landesrecht öffentliche Lasten vor. Beispielsweise können
  196. Kommunalabgaben wie Anliegerbeiträge oder Kosten der Abwasserversorgung
  197. und Abwasserbeseitigung öffentliche Lasten sein (näher Senat, Beschluss vom
  198. 30. März 2012 - V ZB 185/11, WM 2012, 997 Rn. 5 f.; Stöber, ZVG, 20. Aufl.,
  199. § 10 Rn. 6.1 ff.). Auch für diese Art von öffentlichen Lasten gilt regelmäßig die
  200. in § 77 Abs. 2 Satz 1 AO angeordnete Duldungspflicht des Eigentümers.
  201. 10
  202. c) Die öffentliche Last gemäß § 12 GrStG ist wie eine Hypothek
  203. akzessorisch, weil sie von dem Bestehen einer Abgabenschuld abhängt
  204. (BVerwG, NJW 1987, 2098, 2099; NVwZ 1999, 178, 182; Troll/Eisele,
  205. Grundsteuergesetz, 8. Aufl., § 12 Rn. 2). Sie setzt aber nicht notwendig voraus,
  206. dass der Eigentümer selbst die Steuer schuldet und für diese persönlich, also
  207. mit seinem sonstigen Vermögen, haftet. Vielmehr bleibt sie bestehen, wenn
  208. das Grundstück nach Festsetzung der Steuerforderung veräußert wird, sofern
  209. die Forderung fällig und vollstreckbar ist. Gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 AO muss
  210. der neue Eigentümer die Vollstreckung in das Grundstück dulden (vgl. BGH,
  211. Urteil vom 18. Februar 2010 - IX ZR 101/09, NJW-RR 2010, 1022
  212. Rn. 11; BayVGH, BayVBl 2011, 768, 769; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO,
  213. Stand: Oktober 2014, § 77 AO Rn. 13, jeweils mwN). Die öffentliche Last
  214. begründet also eine zusätzliche Sachhaftung (vgl. Troll/Eisele, aaO).
  215. 11
  216. d) Aufgrund einer öffentlichen Last gemäß § 12 GrStG kann die
  217. Finanzbehörde in das Grundstück vollstrecken, also insbesondere - wie hier die
  218. Zwangsversteigerung
  219. beantragen.
  220. In
  221. einem
  222. Zwangsversteigerungs-
  223. -7-
  224. verfahren werden laufende und rückständige Grundsteuerforderungen aus den
  225. letzten zwei Jahren privilegiert (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG) und haben bei der
  226. Erlösverteilung daher Vorrang gegenüber den „Rechten aus dem Grundstück“.
  227. Zu letzteren zählen insbesondere die Grundpfandrechte von Kreditgebern, wie
  228. etwa Hypotheken und Grundschulden (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG). Ältere
  229. Rückstände verlieren diese Privilegierung zwar, bleiben aber eine öffentliche
  230. Last, die die Vollstreckung in das Grundstück ermöglicht (Senat, Beschluss vom
  231. 6. Oktober 2011 – V ZB 18/11, NJW-RR 2012, 87 Rn. 18).
  232. 12
  233. e) Während des Insolvenzverfahrens steht der Finanzbehörde aufgrund
  234. der öffentlichen Last ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gemäß § 49
  235. InsO zu (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - IX ZR 101/09, NJW-RR 2010,
  236. 1022 Rn. 6 mwN). Insoweit unterscheiden sich öffentliche Lasten von den
  237. sogenannten Privilegien der romanischen Rechtsordnungen, deren Inhaber auf
  238. eine vorrangige Befriedigung beschränkt sind (vgl. dazu etwa Plappert,
  239. Dingliche
  240. Sicherungsrechte
  241. in
  242. der
  243. Insolvenz,
  244. 2008,
  245. S. 153 ff.;
  246. Staudinger/Mansel, BGB [2015], Art. 43 EGBGB Rn. 671 ff.) und die nicht unter
  247. Art. 5 EuInsVO fallen sollen (so Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EUÜbereinkommen über Insolvenzverfahren, 1996, Nr. 102, abgedruckt u.a. in
  248. Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über
  249. Insolvenzverfahren).
  250. 13
  251. 4. Ob die öffentliche Last gemäß § 12 GrStG als dingliches Recht im
  252. Sinne von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO einzuordnen ist, lässt sich nicht mit der für
  253. eine Entscheidung durch den Senat erforderlichen Gewissheit beantworten (vgl.
  254. EuGH, Slg. 1982, 3415 Rn. 16).
  255. 14
  256. a) Über die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO besteht in der
  257. Rechtsliteratur
  258. keine
  259. Einigkeit.
  260. Teilweise
  261. wird
  262. die
  263. Bestimmung
  264. als
  265. Kollisionsnorm verstanden. Im Ergebnis soll daher die lex rei sitae - hier also
  266. das deutsche Recht - darüber entscheiden, ob ein dingliches Recht vorliegt
  267. -8-
  268. oder nicht (vgl. etwa Paulus, EuInsVO, 4. Aufl., Art. 5 Rn. 7; DuursmaKepplinger in Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, EuInsVO, Art. 5
  269. Rn. 51). Überwiegend wird dagegen angenommen, dass der Begriff des
  270. dinglichen Rechts autonom auszulegen sei (vgl. nur MünchKomm-BGB/Kindler,
  271. 6. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 4; Rauscher/Mäsch, EuZPR/EuIPR, Art. 5 EGInsVO Rn. 7; FK-InsO/Wenner/Schuster, 7. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 2 mwN;
  272. Wenner in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl.,
  273. Kap. 20 Rn. 295 mwN). Der erläuternde Bericht ist insoweit nicht eindeutig.
  274. Einerseits soll in der Regel die lex rei sitae über die Einordnung als dingliches
  275. Recht bestimmen (Virgós/Schmit, aaO, Nr. 100), andererseits soll Art. 5 Abs. 1
  276. EuInsVO aber nicht unangemessen weit ausgelegt werden (Virgós/Schmit,
  277. aaO, Nr. 102).
  278. 15
  279. b) Der vorlegende Senat geht jedenfalls davon aus, dass Art. 5 Abs. 1
  280. EuInsVO nicht allein deshalb anwendbar ist, weil das Recht nach der lex rei
  281. sitae als dinglich anzusehen ist. Vielmehr dürften Art. 5 Abs. 2 EuInsVO
  282. eigenständige und autonom auszulegende Vorgaben für die Auslegung von Art.
  283. 5 Abs. 1 EuInsVO zu entnehmen sein (in diesem Sinne auch Virgós/Schmit,
  284. aaO, Nr. 103; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 154 f.).
  285. 16
  286. aa) Dem erläuternden Bericht zufolge muss ein dingliches Recht
  287. ausgehend von der Auflistung des Art. 5 Abs. 2 EuInsVO und dem Verständnis
  288. eines dinglichen Rechts nach der EuGVVO zwei zentrale Eigenschaften
  289. aufweisen (vgl. Virgós/Schmit, aaO, Nr. 103):
  290. 17
  291. (1) Es muss direkt und unmittelbar an die Sache selbst gebunden sein,
  292. und zwar unabhängig von der Frage, zu wessen Vermögen die betreffende
  293. Sache gehört, und unabhängig von dem Verhältnis des Rechtsinhabers zu
  294. einer anderen Person.
  295. -9-
  296. 18
  297. (2) Weiter muss ein dingliches Recht absoluten Charakter haben. Dies
  298. bedeutet, dass es der Rechtsinhaber gegen jedermann, der dieses Recht ohne
  299. seine Zustimmung missachtet oder beeinträchtigt, einklagen kann, dass das
  300. dingliche Recht bei Veräußerung der Sache an Dritte bestehen bleibt und dass
  301. das
  302. Recht
  303. auch
  304. bei
  305. Einzelrechtsverfolgung
  306. durch
  307. Dritte
  308. und
  309. bei
  310. Gesamtverfahren (durch die damit verbundene Absonderung oder die
  311. individuelle Befriedigung) bestehen bleibt.
  312. 19
  313. bb) Diese Anforderungen erfüllt eine Grundsteuerforderung, die kraft
  314. Gesetzes als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht (§ 12 GrStG). Sie führt
  315. zu einer Haftung des Grundstücks, die bei dessen Veräußerung bestehen
  316. bleibt, Dritten entgegengehalten werden kann und in der Insolvenz ein
  317. Absonderungsrecht begründet.
  318. 20
  319. c) Es bedarf jedoch der Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen
  320. Union, ob dieses Ergebnis mit dem Zweck von Art. 5 EuInsVO und dem
  321. Gesamtkonzept der Europäischen Insolvenzverordnung zu vereinbaren ist.
  322. 21
  323. aa) Das Grundziel der von dem Insolvenzstatut abweichenden
  324. Anknüpfung dinglicher Rechte in der Verordnung ist die Gewährleistung von
  325. Vertrauensschutz und Rechtssicherheit (24. Erwägungsgrund). Bei dinglichen
  326. Rechten besteht hierfür ein besonderes Bedürfnis, da diese für die Gewährung
  327. von Krediten von erheblicher Bedeutung sind. Deshalb soll sich ihre
  328. Begründung, Gültigkeit und Tragweite nach dem Recht des Belegenheitsorts
  329. richten; der Inhaber eines Aus- und Absonderungsrechts soll sein Recht an
  330. dem
  331. Sicherungsgegenstand
  332. weiter
  333. geltend
  334. machen
  335. können
  336. (25. Erwägungsgrund). Der erläuternde Bericht hebt hervor, dass es mit Hilfe
  337. dinglicher Rechte möglich sei, Kredite zu erlangen, die man ohne diese Art von
  338. Garantien nicht eingeräumt bekäme (vgl. Virgós/Schmit, aaO, Nr. 97).
  339. - 10 -
  340. 22
  341. bb) Die Interessen öffentlicher Gläubiger - hier der Finanzbehörde unterscheiden sich von denjenigen privater Kreditgläubiger in wesentlichen
  342. Punkten. In gewisser Weise vertraut allerdings auch die Finanzbehörde auf die
  343. Sicherung durch die öffentliche Last, die eine wesentliche Vereinfachung der
  344. Verwaltung bewirkt. Beispielsweise muss sie bei einer Stundung oder
  345. Aussetzung der Vollziehung offener Grundsteuerforderungen nicht prüfen, ob
  346. der Anspruch gefährdet ist. Wären Grundsteuerforderungen nicht gesichert,
  347. müsste die Finanzbehörde in solchen Fällen die Leistung von Sicherheiten
  348. verlangen (vgl. BT-Drucks. 6/3418, S. 82). Gleichwohl liegt der öffentlichen Last
  349. keine Kreditgewährung zugrunde, deren Bedingungen typischerweise in dem
  350. schutzwürdigen Vertrauen auf den Fortbestand der Grundpfandrechte in der
  351. Insolvenz des Schuldners vereinbart werden. Weil die öffentliche Last in einem
  352. deutschen Zwangsversteigerungsverfahren den Rechten der Kreditgläubiger
  353. jedenfalls teilweise im Rang vorgeht, bewirkt sie sogar eine Schlechterstellung
  354. der Kreditgläubiger, deren Schutz Art. 5 EuInsVO dienen soll.
  355. 23
  356. cc)
  357. Zu
  358. berücksichtigen
  359. ist
  360. schließlich,
  361. dass
  362. aufgrund
  363. des
  364. Ausnahmecharakters des Art. 5 EuInsVO eine enge Auslegung der Norm
  365. geboten ist (Virgós/Schmit, aaO, Nr. 102). Eine weite Auslegung, die die lex rei
  366. sitae in weitem Umfang berücksichtigte, könnte Sanierungsbemühungen
  367. ausländischer
  368. Insolvenzverwalter
  369. erschweren
  370. (vgl.
  371. Wenner
  372. in
  373. Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch Insolvenzverwaltung, 9. Aufl., Kap. 20
  374. Rn. 294).
  375. IV.
  376. 24
  377. Die Vorlagefrage ist entscheidungserheblich.
  378. 25
  379. 1. Ist die öffentliche Last ein dingliches Recht im Sinne des europäischen
  380. Insolvenzrechts, muss die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen werden.
  381. - 11 -
  382. 26
  383. a) Die öffentliche Last entstand, wie es Art. 5 Abs. 1 EUInsVO
  384. voraussetzt (vgl. Virgós/Schmit, aaO, Nr. 96), jedenfalls überwiegend vor der
  385. Eröffnung des „redressement judiciaire“. Die Steuer entsteht zu Beginn des
  386. Jahres (§ 9 Abs. 2 GrStG). Selbst wenn die auf die Zeit nach der
  387. Verfahrenseröffnung
  388. entfallenden
  389. Steuern
  390. kein
  391. dingliches
  392. Recht
  393. mehr
  394. begründen sollten, wären die Forderungen aus der Zeit vom 1. Oktober 2012
  395. bis zum 5. Mai 2013 vor Verfahrenseröffnung entstanden.
  396. 27
  397. b) Als Rechtsfolge ließe die Eröffnung des „redressement judiciaire“ die
  398. öffentliche
  399. Last
  400. gemäß
  401. Art.
  402. 5
  403. Abs.
  404. 1
  405. EuInsVO
  406. unberührt.
  407. Ob
  408. Vollstreckungsbeschränkungen nach dem Recht des Belegenheitsortes zu
  409. berücksichtigen sind, oder ob Art. 5 Abs. 1 EuInsVO eine Sachnorm enthält und
  410. das dingliche Recht daher von der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens
  411. gänzlich unbeeinträchtigt bleibt, ist zwar umstritten (vgl. nur MünchKommBGB/Kindler, 6. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 15 ff. mwN), hier aber unerheblich.
  412. Denn das deutsche Insolvenzrecht sieht keine Einschränkungen für die
  413. Vollstreckung, sondern ein Recht auf abgesonderte Befriedigung gemäß
  414. § 49 InsO vor.
  415. 28
  416. c) Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin, der Antrag auf Anordnung der
  417. Zwangsversteigerung
  418. sei
  419. dem
  420. französischen
  421. Insolvenzverwalter
  422. nicht
  423. bekanntgegeben worden. Ob eine solche Bekanntgabe erforderlich ist, richtet
  424. sich nach deutschem Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die
  425. Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den
  426. Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung
  427. für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung (vgl. Stöber, ZVG,
  428. 20. Aufl., § 15 Rn. 34.4 a.E.; BFHE 158, 310, hierzu BVerfG, KKZ 1991, 90).
  429. 29
  430. d) Ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht bei der Beitreibung von
  431. Steuerschulden (anders als bei der Vollstreckung von Urteilen) nicht zu prüfen.
  432. - 12 -
  433. Dies ist vielmehr Aufgabe der Finanzbehörde (vgl. Senat, Beschluss vom
  434. 14. Juli 1951 - V ZB 4/51, BGHZ 3, 140, 144 f.). Zuständige Behörde ist nach
  435. dem
  436. niedersächsischen
  437. Verwaltungsvollstreckungsgesetz
  438. (NVwVG)
  439. die
  440. Gemeinde (§ 6 Abs. 1 NVwVG). Bestätigt diese - wie hier - in ihrem Antrag,
  441. dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sind die Gerichte
  442. daran gebunden (§ 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 NVwVG). Insbesondere darf das
  443. Vollstreckungsgericht nicht prüfen, ob ein Duldungsbescheid gegen den
  444. ausländischen Insolvenzverwalter erforderlich und ob dieser ergangen ist (dazu
  445. MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., § 49 Rn. 53). Die Schuldnerin (bzw. der
  446. Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor den Finanzgerichten
  447. ergreifen (vgl. BFHE 152, 53; 158, 310).
  448. 30
  449. e) Schließlich ist es unerheblich, dass die Anordnung nach Eröffnung des
  450. „redressement judiciaire“ der Schuldnerin und nicht dem Insolvenzverwalter
  451. zugestellt worden ist. Selbst wenn die Zustellung an den Insolvenzverwalter
  452. erforderlich sein sollte, stellt dies jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebung
  453. der Anordnung dar.
  454. 31
  455. 2. Ist die öffentliche Last dagegen kein dingliches Recht im Sinne von
  456. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, hat die Rechtsbeschwerde Erfolg. Die Anordnung der
  457. Zwangsversteigerung ist aufzuheben und der Versteigerungsvermerk im
  458. Grundbuch zu löschen. Denn nach dem gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO
  459. maßgeblichen französischen Insolvenzstatut begründet das Verfahren des
  460. - 13 -
  461. „redressement
  462. judiciaire“
  463. -
  464. wie
  465. ausgeführt
  466. -
  467. ein
  468. allgemeines
  469. Vollstreckungsverbot (Art. L 631-14 Abs. 1 i.V.m. Art. L 622-21 Abs. 2 Code de
  470. Commerce).
  471. Stresemann
  472. Czub
  473. Weinland
  474. Brückner
  475. Kazele
  476. Vorinstanzen:
  477. AG Burgwedel, Entscheidung vom 23.10.2013 - 6 K 16/13 LG Hannover, Entscheidung vom 07.02.2014 - 4 T 52/13 -