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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. IX ZR 70/08
  5. Verkündet am:
  6. 1. Juli 2010
  7. Preuß
  8. Justizangestellte
  9. als Urkundsbeamtin
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. -2-
  13. Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  14. vom 1. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und die Richter
  15. Raebel, Prof. Dr. Kayser, Dr. Pape und Grupp
  16. für Recht erkannt:
  17. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des
  18. Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 14. März 2008
  19. aufgehoben, soweit die Klage in Höhe von 76.919,74 € abgewiesen worden ist.
  20. In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und
  21. Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an
  22. das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  23. Von Rechts wegen
  24. Tatbestand:
  25. Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen
  26. 1
  27. der I.
  28. GmbH
  29. (nachfolgend
  30. Schuldnerin).
  31. Das
  32. Insolvenzverfahren
  33. wurde
  34. am
  35. 23. Dezember 2003 auf Antrag der Schuldnerin vom 27. November 2003 wegen
  36. Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet.
  37. - 3 -
  38. 2
  39. Die Schuldnerin geriet seit April 2003 gegenüber der beklagten Krankenkasse mit der Zahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Rückstand.
  40. Die Lastschrift über die am 15. April 2003 fälligen Gesamtsozialversicherungsbeiträge für März 2003 in Höhe von 32.939,74 € wurde nicht eingelöst. Mit
  41. Schreiben vom 24. April 2003 teilte die Schuldnerin der Beklagten mit, aufgrund
  42. hoher eigener Außenstände einen Liquiditätsengpass zu haben, und bat um
  43. Zustimmung zur Bezahlung der Beiträge für März in vier Raten bis zum 21. Mai
  44. 2003. In einem anschließenden Telefongespräch am 28. April 2003 vereinbarten die Schuldnerin und die Beklagte, dass die Arbeitnehmeranteile in Höhe von
  45. 16.939,75 € sofort und die Arbeitgeberanteile in drei monatlichen Raten zu je
  46. 5.333,33 € zum 15. Mai, 15. Juni und 15. Juli 2003 gezahlt werden sollten. Die
  47. Zahlung der Arbeitnehmeranteile erfolgte per Scheck, der der Beklagten am
  48. 5. Mai 2003 gutgeschrieben wurde. Auch hinsichtlich der weiteren Raten übersandte die Schuldnerin der Beklagten zu den jeweiligen Fälligkeitsterminen
  49. Schecks, die ebenfalls eingelöst wurden. Die Lastschrift der am 15. Mai 2003
  50. fälligen Beiträge für April 2003 in Höhe von 32.465,76 € wurde termingerecht
  51. eingelöst. Wegen der am 15. Juni 2003 fälligen Beiträge für Mai 2003 stellte die
  52. Schuldnerin wiederum einen Stundungsantrag. Hierauf forderte die Beklagte die
  53. Schuldnerin mit Schreiben vom 2. Juli 2003 zur umgehenden Begleichung der
  54. Arbeitnehmeranteile in Höhe von 16.857,57 € auf und stundete die Arbeitgeberanteile in drei Monatsraten zu je 5.619,19 €, jeweils fällig zum 30. des Monats, beginnend ab 30. Juli 2003. Entsprechend dieser Aufforderung leistete die
  55. Schuldnerin an die Beklagte mit einem am 8. Juli 2003 eingelösten Scheck
  56. 16.857,57 €.
  57. Weitere
  58. Teilzahlungen,
  59. die
  60. insgesamt
  61. einen
  62. Betrag
  63. von
  64. 61.953,47 € ergaben, leistete die Schuldnerin in der Zeit vom 22. Juli bis zum
  65. 1. Oktober 2003.
  66. - 4 -
  67. 3
  68. Der Kläger hat die Zahlungen gemäß § 130 Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO
  69. angefochten und Rückzahlung von insgesamt 138.873,21 € verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr auf das
  70. Rechtsmittel des Klägers im Hinblick auf die nach dem 8. Juli 2003 erbrachten
  71. Zahlungen stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der
  72. Kläger seinen Anspruch in Höhe der noch nicht zurückerstatteten Zahlungen
  73. von insgesamt 76.919,74 € weiter, welche die Schuldnerin in der Zeit zwischen
  74. dem 5. Mai und dem 8. Juli 2003 erbracht hat.
  75. Entscheidungsgründe:
  76. 4
  77. Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  78. I.
  79. 5
  80. Das Berufungsgericht meint, ein Rückgewähranspruch betreffend die
  81. Zahlung vom 5. Mai 2003 bestehe nicht, weil sich die Schuldnerin lediglich mit
  82. dem gestundeten Beitrag für März 2003 in Rückstand befunden habe. Ein derart geringer Rückstand reiche für sich allein gesehen nicht aus, um die Kenntnis
  83. der Beklagten von der Zahlungseinstellung oder der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu begründen. Weitere Umstände, aus denen eine
  84. solche Kenntnis abgeleitet werden könnte, hätten nicht vorgelegen.
  85. 6
  86. Hinsichtlich der am 15. Mai, 16. Juni und 8. Juli 2003 geleisteten Zahlungen scheitere ein Rückgewähranspruch bereits an der fehlenden Gläubigerbe-
  87. - 5 -
  88. nachteiligung. Die Zahlungen seien nach dem eigenen Vortrag des Klägers mittels einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung erfolgt. Dies reiche für eine
  89. Benachteiligung der Gläubiger nicht aus. Dass die kontoführende Bank für ihren
  90. Darlehensanspruch über bessere Sicherheiten verfügt habe als die Beklagte,
  91. habe der Kläger nicht vorgetragen.
  92. II.
  93. 7
  94. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
  95. 8
  96. 1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, aufgrund des geringen Rückstands zum 5. Mai 2003 könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte von der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin Kenntnis gehabt
  97. habe, schöpft den Sachverhalt nicht aus.
  98. 9
  99. Eine Anfechtung wegen vorsätzlicher Benachteiligung der Gläubiger
  100. nach § 133 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass der Anfechtungsgegner zur Zeit der
  101. angefochtenen Handlung den Vorsatz des Schuldners, seine Gläubiger zu
  102. benachteiligen, kannte. Diese Kenntnis wird nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO
  103. vermutet, wenn der Anfechtungsgegner wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit
  104. des Schuldners drohte und dass die jeweilige Handlung die Gläubiger benachteiligte. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale der Vorsatzanfechtung können
  105. - weil es sich um innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen
  106. handelt - meist nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden. Soweit dabei Rechtsbegriffe wie die Zahlungsunfähigkeit betroffen sind, muss deren Kenntnis außerdem oft aus der Kenntnis von Anknüpfungstatsachen erschlossen werden. Der Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht
  107. - 6 -
  108. auch im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO die Kenntnis von Umständen gleich,
  109. die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit
  110. hinweisen (BGH, Urt. v. 24. Mai 2007 - IX ZR 97/06, NZI 2007, 512, 514 Rn. 25;
  111. v. 20. November 2008 - IX ZR 188/07, NZI 2009, 168, 169 Rn. 10 m.w.N.; v.
  112. 13. August 2009 - IX ZR 159/06, NZI 2009, 768 f Rn. 8). Es genügt daher, dass
  113. der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Bewertung die (drohende) Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGHZ 180, 63, 66 f Rn. 13 m.w.N.). Dabei darf aber nicht übersehen
  114. werden, dass solche Tatsachen nur mehr oder weniger gewichtige Beweisanzeichen darstellen, die eine Gesamtwürdigung nicht entbehrlich machen und
  115. nicht schematisch im Sinne einer vom anderen Teil zu widerlegenden Vermutung angewandt werden dürfen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung hat der Tatrichter gemäß § 286 ZPO unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls auf der Grundlage des Gesamtergebnisses
  116. der Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme zu prüfen (BGH, Urt. v.
  117. 13. August 2009 aaO m.w.H.).
  118. 10
  119. Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht wesentliche
  120. Teile des Sachverhalts außer Acht gelassen. Schon die Feststellung, einziger
  121. Anhaltspunkt für eine (drohende) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin sei der
  122. Zahlungsrückstand für März 2003 gewesen, greift zu kurz. Das Berufungsgericht hat unberücksichtigt gelassen, dass die Lastschrift zum 15. April 2003 zurückgegeben worden ist. Die Rückgabe von Lastschriften stellt ein erhebliches
  123. Beweisanzeichen für eine drohende Zahlungsunfähigkeit dar. Auch mit dem
  124. Schreiben der Schuldnerin vom 24. April 2003 hat sich das Berufungsgericht
  125. nicht ausreichend befasst. Diesem Schreiben war zu entnehmen, dass die
  126. Schuldnerin nicht in der Lage war, ihre fälligen Verbindlichkeiten innerhalb von
  127. drei Wochen vollständig zu befriedigen. Diese Erklärung konnte möglicherwei-
  128. - 7 -
  129. se, auch wenn sie mit einer Stundungsbitte versehen war, dahin verstanden
  130. werden, dass die Schuldnerin selbst der Auffassung war, zahlungsunfähig zu
  131. sein (vgl. BGH, Urt. v. 4. Oktober 2001 - IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097, 2098; v.
  132. 12. Oktober 2006 - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222, 2223 Rn. 15; v. 20. Dezember 2007 - IX ZR 93/06, ZIP 2008, 420, 422 Rn. 21 m.w.H.). Da sich der Stundungszeitraum auf mehr als drei Wochen erstreckte (vgl. BGHZ 163, 134, 139 f;
  133. BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 aaO S. 2224 Rn. 27 f), hätte das Berufungsgericht eine bloße Zahlungsstockung nur annehmen dürfen, wenn der gestundete
  134. Betrag "geringfügig" gewesen wäre. Ob es sich bei dem Rückstand von
  135. 32.939,74 € um einen "geringfügigen" Betrag handelte, wie das Berufungsgericht meint, konnte es ohne abschließende Feststellungen zur objektiven Zahlungsunfähigkeit am 5. Mai 2003, die es ausdrücklich offen gelassen hat, nicht
  136. beurteilen. Absolut betrachtet ist ein Betrag in der genannten Höhe schwerlich
  137. geringfügig. Aus der Sicht der Beklagten war das möglicherweise nicht anders.
  138. Da der Anfechtungsgegner im Allgemeinen in die fälligen Gesamtverbindlichkeiten des Schuldners keinen Einblick hat, muss - soweit es um seine Kenntnis
  139. von der zumindest drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners geht - darauf abgestellt werden, ob sich die schleppende oder ganz ausbleibende Tilgung
  140. seiner Forderung bei einer Gesamtbetrachtung der für den Anfechtungsgegner
  141. ersichtlichen Umstände, insbesondere unter Berücksichtigung der Art der Forderung, der Person des Schuldners und dem Zuschnitt seines Geschäftsbetriebs, als ausreichendes Indiz für eine zumindest drohende Zahlungsunfähigkeit darstellt (BGH, Urt. v. 13. August 2009 aaO S. 769 Rn. 10; Ganter WM
  142. 2009, 1441, 1445). Die Beklagte hat nicht behauptet, angenommen zu haben,
  143. dass sie die einzige Gläubigerin der Schuldnerin sei. Im Regelfall hat jemand,
  144. der gewerblich tätig ist, auch noch andere Gläubiger (BGHZ 155, 75, 84; BGH,
  145. Urt. v. 20. November 2008 - IX ZR 188/07, WM 2009, 274, 275 Rn. 10; v.
  146. 18. Dezember 2008 - IX ZR 79/07, WM 2009, 615, 617 Rn. 16). Es kommt hin-
  147. - 8 -
  148. zu, dass im Allgemeinen Sozialversicherungsträger - wie die Beklagte - von Unternehmern, die sich in finanzieller Bedrängnis befinden, vor anderen Gläubigern bedient werden.
  149. 11
  150. Unter Missachtung des rechtlichen Gehörs des Klägers hat es das Berufungsgericht abgelehnt, über den Inhalt des Telefongesprächs am 28. April
  151. 2003 Beweis zu erheben. Der Kläger hat hinreichend substantiiert behauptet,
  152. aus diesem Gespräch hätten sich für die Beklagte weitere Hinweise auf die
  153. (drohende) Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ergeben. Entsprechendes lag
  154. schon deshalb nahe, weil nach dem Ergebnis des Gesprächs die Stundung eines Teils der am 15. April 2003 fälligen Beiträge auf drei Monate ausgedehnt
  155. wurde, der Liquiditätsengpass der Schuldner mithin noch länger anhielt, als es
  156. die Stundungsbitte vom 24. April 2003 nahelegte.
  157. 12
  158. 2. Soweit das Berufungsgericht eine Gläubigerbenachteiligung durch die
  159. weiteren Zahlungen vom 15. Mai, 16. Juni und 8. Juli 2003 abgelehnt hat, weil
  160. diese jeweils aus einer bloß geduldeten Überziehung des Kontos erfolgt seien,
  161. widerspricht die Entscheidung der - zum Zeitpunkt des Erlasses des Berufungsurteils allerdings noch nicht ergangenen - Entscheidung des Senats vom
  162. 6. Oktober 2009 (BGHZ 182, 317), mit welcher die im Berufungsurteil zitierte
  163. Entscheidung BGHZ 170, 276 aufgegeben worden ist. Nach der neueren
  164. Rechtsprechung des Senats kommt die Anfechtung einer mittelbaren Zuwendung durch den Insolvenzverwalter auch dann in Betracht, wenn der Schuldner
  165. neue Gelder aus einer lediglich geduldeten Kontoüberziehung schöpft und diese infolge seiner Rechtshandlung einem Gläubiger direkt zu fließen. Unerheblich ist, ob aus der Einräumung des Überziehungskredits für die Masse ein
  166. pfändbarer Anspruch gegen die Bank entsteht oder durch die Valutierung von
  167. Sicherheiten ein entsprechender Rückübertragungsanspruch verloren geht.
  168. - 9 -
  169. 13
  170. Dem steht - abweichend von der Auffassung der Revisionserwiderung das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. Januar 2010 (II ZR 258/08, ZIP
  171. 2010, 470) nicht entgegen. Die Entscheidung ist zur Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 Abs. 2 GmbH a.F. ergangen und nicht zur Insolvenzanfechtung. Sie gibt dem Senat deshalb keine Veranlassung, seine Rechtsprechung
  172. zu § 129 Abs. 1 InsO erneut zu ändern.
  173. III.
  174. 14
  175. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die
  176. Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
  177. zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird die
  178. Voraussetzungen eines Anfechtungsanspruchs nach § 133 Abs. 1 InsO insgesamt erneut zu prüfen und die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hierfür zu treffen haben. Bezüglich der Zahlungen vom 15. Mai, 16. Juni und 8. Juli
  179. 2003 hat es von einer objektiven Gläubigerbenachteiligung auszugehen. Sollte
  180. es im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. BGH, Urt. v. 13. August
  181. 2009, aaO S. 769 Rn. 10 ff) die Kenntnis des - noch festzustellenden - Gläubi-
  182. - 10 -
  183. gerbenachteiligungsvorsatzes der Schuldnerin auf Seiten der Beklagten weiterhin für zweifelhaft halten, wird es den weiteren Beweisantritten nachgehen
  184. müssen.
  185. Ganter
  186. Raebel
  187. Pape
  188. Kayser
  189. Grupp
  190. Vorinstanzen:
  191. LG Hamburg, Entscheidung vom 12.01.2007 - 303 O 209/06 OLG Hamburg, Entscheidung vom 14.03.2008 - 1 U 19/07 -