Monotone Arbeit nervt!
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

261 lines
13 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. III ZR 154/03
  5. Verkündet am:
  6. 22. Juli 2004
  7. Kiefer
  8. Justizangestellter
  9. als Urkundsbeamter
  10. der Geschäftsstelle
  11. in dem Rechtsstreit
  12. Nachschlagewerk:
  13. ja
  14. BGHZ:
  15. nein
  16. BGHR:
  17. ja
  18. BGB § 839 (Fm); SGB VI § 16 F: 18.12.1989
  19. Zu den Amtspflichten eines Rehabilitationsberaters des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung gegenüber einem Versicherten im Zusammenhang mit der Erlangung einer Arbeitsstelle.
  20. BGH, Urteil vom 22. Juli 2004 - III ZR 154/03 - KG Berlin
  21. LG Berlin
  22. - 2 -
  23. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
  24. vom 22. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
  25. Dr. Wurm, Streck, Dörr und Galke
  26. für Recht erkannt:
  27. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 9. Zivilsenats
  28. des Kammergerichts Berlin vom 11. April 2003 aufgehoben.
  29. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
  30. über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
  31. Von Rechts wegen
  32. Tatbestand
  33. Der Kläger, der im Jahr 1997 eine Arbeitsstelle suchte und wegen seiner
  34. gesundheitlichen Einschränkungen von der Beklagten, seinem Rentenversicherungsträger, berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation nach §§ 16 ff
  35. SGB VI beanspruchen konnte, führte am 10. November 1997 mit dem Geschäftsführer der I.
  36. GmbH ein Vorstellungsgespräch. Dem
  37. Kläger wurde die Bereitschaft zu einer Einstellung zum 1. Januar 1998 mitgeteilt; zugleich wurde darauf hingewiesen, es sei von Vorteil, wenn er zuvor eine
  38. externe Schulung im Verkaufstraining ableiste. Der Kläger setzte sich daraufhin
  39. - 3 -
  40. mit dem für ihn zuständigen Rehabilitationsberater K.
  41. der Beklagten in Ver-
  42. bindung, der Anfang Dezember mit dem Arbeitgeber telefonischen Kontakt aufnahm und ihn dahin informierte, es komme sowohl die Übernahme der Kosten
  43. von Verkaufsschulungen als auch die Teilübernahme des Gehalts in Betracht,
  44. sofern ein unbefristeter Arbeitsvertrag geschlossen werde. Zum Abschluß eines Arbeitsvertrages mit dem Kläger kam es indes nicht. Vielmehr wurde der
  45. Arbeitsplatz zum 1. Januar 1998 anderweit vergeben.
  46. Der Kläger, der erst mit Wirkung zum 16. September 1998 eine Arbeitsstelle fand, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen entgangenen Verdienstes in Höhe von 56.776,30 DM (= 29.029,26 €) nebst Zinsen mit der Behauptung in Anspruch, der Rehabilitationsberater der Beklagten habe sich um
  47. den Abschluß des Arbeitsvertrages kümmern wollen und habe ihn kurz vor
  48. Weihnachten 1997 darüber informiert, daß der Arbeitsvertrag stehe und nur
  49. noch die schriftliche Zusage der Beklagten für die Schulungsmaßnahme fehle.
  50. Da der Rehabilitationsberater die ihm gegenüber übernommene Tätigkeit tatsächlich nicht ausgeführt habe, sei ihm die Arbeitsstelle zum 1. Januar 1998
  51. entgangen. Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom
  52. Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.
  53. Entscheidungsgründe
  54. Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
  55. - 4 -
  56. 1.
  57. Das Landgericht hat den Rehabilitationsberater K.
  58. den Mitarbeiter T.
  59. des Arbeitsamts H.
  60. der Beklagten und
  61. als Zeugen vernommen.
  62. Nach deren Aussagen hat das Landgericht eine Amtspflichtverletzung verneint,
  63. weil die Behauptung des Klägers, der Zeuge K.
  64. werde sich um alles, insbe-
  65. sondere auch den Abschluß eines Arbeitsvertrages, kümmern und der Kläger
  66. brauche sich dementsprechend nicht selbst hierum zu bemühen, von den Zeugen nicht bestätigt worden sei. In der Berufungsinstanz hat der Kläger vor allem gerügt, das Landgericht habe sich nicht mit der Bestätigung des Herrn
  67. I.
  68. auseinandergesetzt und diesen und seine, des Klägers, Ehefrau nicht
  69. als Zeugen vernommen. In deren Wissen hatte er unter anderem gestellt, der
  70. Zeuge K.
  71. habe nach einer ersten Kontaktaufnahme mit dem Zeugen I.
  72. klä-
  73. ren wollen, ob der Kläger geschult und ein Teil des Gehalts übernommen werden könne. Weil sich der Berater nicht mehr beim Zeugen I.
  74. gemeldet habe,
  75. sei dieser davon ausgegangen, daß der Kläger an der Erlangung des Arbeitsplatzes kein Interesse mehr habe. Aus dem in das Wissen der Zeugin Ku.
  76. gestellten Anruf kurz vor Weihnachten 1997 ergebe sich ferner, daß der Zeuge
  77. K.
  78. ihm nicht mitgeteilt habe, daß er sich um den Abschluß eines Arbeitsver-
  79. trages kümmern müsse. Schon gar nicht sei er auf die Möglichkeit hingewiesen
  80. worden, daß der Arbeitsvertrag unter der Bedingung der Gewährung von Förderungsleistungen der Beklagten geschlossen werden könne.
  81. 2.
  82. Da das Berufungsgericht diesen Beweisanträgen nicht nachgegangen
  83. ist, ist zugunsten des Klägers im Revisionsverfahren von dessen Sachdarstellung auszugehen. Danach ließe sich eine Amtspflichtverletzung des Rehabilitationsberaters der Beklagten nicht verneinen.
  84. - 5 -
  85. Der Kläger konnte von der Beklagten nach § 16 Abs. 1 SGB VI in der
  86. ursprünglichen Fassung vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I S. 2261; § 16 Abs. 1
  87. Nr. 3 wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1998 geändert durch das Rentenreformgesetz 1999 vom 16. Dezember 1997, BGBl. I S. 2998) berufsfördernde
  88. Leistungen beanspruchen, namentlich um einen Arbeitsplatz zu erlangen, der
  89. auf seine gesundheitliche Situation Rücksicht nahm. Hier ging es, wie die Beklagte im einzelnen dargelegt hat, insbesondere um die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 20 der Vereinbarung über berufliche Rehabilitation
  90. zwischen dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und der Bundesanstalt für Arbeit vom 30. März 1994 (abgedruckt in Kasseler Kommentar
  91. Sozialversicherungsrecht, § 16 SGB VI Anhang 2), die nach Absatz 1 in Betracht kommt, wenn der Arbeitgeber einem Behinderten die zum Erreichen der
  92. vollen Leistungsfähigkeit notwendigen beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten
  93. an einem Arbeitsplatz vermittelt oder einen seinem Leistungsvermögen angemessenen Dauerarbeitsplatz bietet. Es ist Aufgabe des Rehabilitationsberaters,
  94. dafür zu sorgen, daß diese Förderungsmöglichkeiten für den Versicherten erreichbar werden. Das schließt zwar nicht ein, daß der Rehabilitationsberater
  95. dem Versicherten einen bestimmten Arbeitsplatz verschaffen oder den ins Auge gefaßten Arbeitsvertrag "abschlußreif" vorbereiten muß und die Beklagte
  96. hierfür einzustehen hätte. Seine Betreuung des Versicherten muß jedoch dahin
  97. gehen, daß er die Voraussetzungen für eine Förderung klärt, den Versicherten
  98. zutreffend darüber informiert, welche Schritte dieser selbst gehen muß, und
  99. daß er auch - je nach Lage des Falles - Kontakt mit dem ins Auge gefaßten
  100. Arbeitgeber aufnimmt, um abzuklären, ob und unter welchen Voraussetzungen
  101. eine Förderung für den Versicherten möglich erscheint. Im Rahmen dieser
  102. Kontaktaufnahme wird es ihm auch gegenüber einem Arbeitgeber, der nur bei
  103. der Gewährung von Eingliederungshilfe zu einer Einstellung bereit ist, oblie-
  104. - 6 -
  105. gen, ihn und den Versicherten auf die Möglichkeit eines - nach den Angaben
  106. der Beklagten den Üblichkeiten entsprechenden - Abschlusses des Arbeitsvertrages unter der Bedingung einer Leistungsgewährung durch die Beklagte aufmerksam zu machen. Hält der Berater den Versicherten vom Abschluß eines
  107. Arbeitsvertrages ab, weil er - wie der Kläger unter Beweisantritt behauptet hat sich darum selbst zu kümmern verspricht, verletzt er seine Amtspflichten, wenn
  108. er in dieser Richtung untätig bleibt und den Versicherten nicht zeitgerecht über
  109. die Notwendigkeit dessen eigener Mitwirkung unterrichtet.
  110. 3.
  111. a) Das Berufungsgericht, das die Verletzung einer Amtspflicht offenläßt,
  112. verneint einen Schadensersatzanspruch des Klägers, weil es an der Darlegung
  113. eines hierauf beruhenden Schadens fehle. Maßgebend sei, welchen Verlauf
  114. die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten
  115. und wie sich in diesem Fall die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde, wofür der Kläger die Darlegungs- und Beweislast trage. Nach dessen Vortrag sei es ungewiß, ob sich Herr I.
  116. auf den Abschluß eines Arbeitsvertrages
  117. unter der Bedingung der Leistungsgewährung der Beklagten eingelassen hätte.
  118. Dagegen spreche vor allem, daß der Kläger am 26. Januar 1998 an die Beklagte geschrieben habe, Herr I.
  119. habe nicht so lange warten können, bis die
  120. Beklagte eine schriftliche Entscheidung getroffen habe. Ungewiß sei der Abschluß eines Arbeitsvertrages auch dann, wenn der Rehabilitationsberater versucht hätte, den Vertrag für den Kläger auszuhandeln. Denn Herrn I.
  121. sei es
  122. darauf angekommen, daß die Beklagte die Kosten eines Verkaufstrainings sowie einen Großteil seines Gehalts übernommen hätte. Eine derartige Leistungsgewährung habe jedoch kurz vor Weihnachten 1997, als der Rehabilitationsberater dem Kläger nach dessen Vortrag den Abschluß eines Arbeitsvertrages als sicher hingestellt habe, noch nicht festgestanden. Selbst wenn Herrn
  123. - 7 -
  124. I.
  125. zu diesem Zeitpunkt die Leistungsgewährung zugesagt worden wäre, feh-
  126. le es an Darlegungen des Klägers, ob der Arbeitsplatz noch nicht anderweitig
  127. besetzt gewesen sei. Entsprechendes gelte, wenn sich der Kläger kurz vor
  128. Weihnachten 1997 selbst um den Abschluß eines Arbeitsvertrages bemüht hätte.
  129. b) Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
  130. aa) Im Ausgangspunkt zutreffend legt das Berufungsgericht seiner Prüfung für die Frage, ob der eingetretene Schaden auf der (unterstellten) Amtspflichtverletzung beruht, zugrunde, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten des Amtsträgers genommen hätten und wie sich in diesem Fall
  131. die Vermögenslage des Verletzten darstellen würde. Insoweit obliegt dem Anspruchsteller grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast (vgl. Senatsurteil
  132. BGHZ 129, 226, 232 f). Dabei kommen dem Geschädigten im Bereich der hier
  133. betroffenen haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterungen des
  134. § 287 ZPO zugute, die auch die Anforderungen an die Darlegung verringern
  135. (vgl. Senatsurteil aaO S. 233 m.w.N.). Zu einer weitergehenden Beweislastumkehr kann es kommen, wenn die Amtspflichtverletzung und eine zeitlich nachfolgende Schädigung feststehen, sofern nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung oder Wahrscheinlichkeit für den Ursachenzusammenhang sprechen (vgl. Senatsurteil aaO).
  136. bb) Ob im vorliegenden Fall eine Beweislastumkehr in Betracht zu ziehen ist, was die Revisionserwiderung mit der Überlegung in Abrede stellt, für
  137. das Verhalten des Arbeitgebers lasse sich keine Lebenserfahrung anführen,
  138. bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht überspannt die Darle-
  139. - 8 -
  140. gungslast des Klägers und läßt insbesondere wesentliches, auch unter Beweis
  141. gestelltes Vorbringen unberücksichtigt.
  142. Nach dem Vorbringen des Klägers bestand im Zeitpunkt des Vorstellungsgesprächs am 10. November 1997 jedenfalls die grundsätzliche Bereitschaft des Arbeitgebers zu einer Einstellung des Klägers zum 1. Januar 1998,
  143. wobei eine externe Schulung im Verkaufstraining als vorteilhaft bezeichnet
  144. wurde. Übereinstimmender Vortrag der Parteien ist es, daß der Rehabilitationsberater K.
  145. Anfang Dezember 1997 mit dem Arbeitgeber Kontakt aufnahm
  146. und die Förderungsmöglichkeiten mit diesem erörterte. Nach dem Vorbringen
  147. der Beklagten sicherte ihr Berater sowohl dem Kläger als auch dem Arbeitgeber die Förderung - unter der Bedingung des Abschlusses des Arbeitsvertrages - zu. Daß der Arbeitgeber im Zeitpunkt dieses für die Beurteilung maßgeblichen Gesprächs Anfang Dezember 1997 nicht bereit gewesen wäre, mit dem
  148. Kläger einen Arbeitsvertrag zu schließen, bzw. daß er den Arbeitsplatz zu diesem Zeitpunkt bereits anderweit vergeben hätte, ist nicht erkennbar. Hiergegen
  149. spricht vor allem die schriftliche Bestätigung des Arbeitgebers vom 15. Juli
  150. 1998, in der ausgeführt wird, er habe einen anderen Arbeitnehmer eingestellt,
  151. weil sich der Berater nach dem ersten Gespräch nicht mehr mit ihm in Verbindung gesetzt habe. Auch die Aussage des Zeugen K.
  152. und sein an die Be-
  153. klagte gerichtetes Schreiben vom 10. November 1998 geben keinen Hinweis
  154. darauf, daß der Arbeitsplatz für den Kläger im Zeitpunkt seiner Kontaktaufnahme mit dem Arbeitgeber Anfang Dezember 1997 nicht erlangbar gewesen wäre. Es kommt hinzu, daß der Kläger sein Vorbringen insoweit in das Wissen
  155. des Zeugen I.
  156. gestellt hat.
  157. - 9 -
  158. Hing damit letztlich die von der Beklagten den Beteiligten in Aussicht
  159. gestellte Förderung von dem baldigen Abschluß eines Arbeitsvertrages ab,
  160. ergibt sich die Ursächlichkeit der dem Berater angelasteten Amtspflichtverletzung für den nachfolgenden Schaden in einer den Anforderungen des § 287
  161. ZPO genügenden Weise. Denn nach dem Vorbringen des Klägers wurde er
  162. vom Abschluß eines Arbeitsvertrages nur deshalb abgehalten, weil der Berater
  163. ihm zugesagt hatte, er werde sich darum kümmern. Auf die - möglicherweise
  164. richtigen - Erwägungen des Berufungsgerichts, ob der Arbeitsplatz noch kurz
  165. vor Weihnachten 1997 zu besetzen gewesen sei, kommt es dann nicht an.
  166. 4.
  167. Im weiteren Verfahren besteht Gelegenheit, das Vorliegen einer Amts-
  168. pflichtverletzung und eines hierauf beruhenden Schadens anhand des unter
  169. Beweis gestellten Vorbringens festzustellen.
  170. Schlick
  171. Wurm
  172. Dörr
  173. Streck
  174. Galke