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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 384/08
  4. vom
  5. 30. September 2008
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Diebstahls u. a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
  11. 30. September 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
  12. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 20. Mai 2008 mit den Feststellungen
  13. - mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, die
  14. bestehen bleiben - aufgehoben.
  15. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  16. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
  20. sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
  21. 2
  22. 1. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
  23. 3
  24. a) Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte zwischen
  25. April 2003 und September 2006 durch jeweils selbständige Handlungen den
  26. Tatbestand des Diebstahls in vier Fällen (II 1., 3., 6., 8.), der Beförderungser-
  27. -3-
  28. schleichung in vier Fällen (II 5.), der Sachbeschädigung (II 7.), des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen (II 2., 10.), der vorsätzlichen
  29. Körperverletzung (II 4.) sowie der Bedrohung (II 9.) rechtswidrig verwirklichte,
  30. weist dies keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Auch begegnet das Urteil keinen rechtlichen Bedenken, soweit sich das sachverständig
  31. beratene Landgericht die Überzeugung verschafft hat, dass der Angeklagte bereits seit der ersten Jahreshälfte 2003 an einer akuten paranoid-halluzinativen
  32. Psychose leidet, die sich zwischenzeitlich chronifiziert und bei dem Angeklagten
  33. zu akustischen Halluzinationen, einem Bedrohungserleben und verhaltenssteuernden Wahnvorstellungen geführt hat. Die Strafkammer hat bei den Taten II 1.
  34. und 3. bis 10. die Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht
  35. auszuschließen vermocht; jedenfalls aber eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB bejaht; positiv festgestellt hat sie das
  36. Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB nur für die Tat II 2.. In Übereinstimmung mit dem Sachverständigen hat das Landgericht auch festgestellt,
  37. dass die Erkrankung fortbesteht und längerer konsequenter Behandlung bedarf.
  38. Dies trägt die für die Unterbringung nach § 63 StGB vorausgesetzte positive
  39. Feststellung eines länger andauernden Defekts, der bei den Taten zumindest
  40. zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten
  41. geführt hat (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.).
  42. 4
  43. b) Der Maßregelausspruch kann gleichwohl nicht bestehen bleiben, weil
  44. das Landgericht die weiter vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht
  45. rechtsfehlerfrei begründet hat. Die Unterbringung in einem psychiatrischen
  46. Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf
  47. sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft
  48. erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird (Fischer, StGB 55. Aufl. § 63
  49. Rdn. 15 m. zahlr. w. N.). Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Es
  50. -4-
  51. stützt sich dabei auf die Ausführungen der Sachverständigen. Aufgrund des
  52. krankheitsbedingten chronifizierten Wahn- und Bedrohungserlebens werte der
  53. Angeklagte alltägliche Lebenssituationen als bedrohlich und reagiere darauf in
  54. völlig inadäquater Weise. Insbesondere die akustischen Halluzinationen mit
  55. Handlungsaufforderungen, die aufgrund ihrer jetzigen Intensität trotz hoher Medikation jedenfalls auch seit 2003 vorgelegen hätten, verstärkten die krankheitsbedingte Gefährlichkeit des Angeklagten.
  56. 5
  57. Indes hat die Strafkammer nicht hinreichend bedacht, dass in den Fällen,
  58. in denen der Täter trotz bestehenden Defekts über einen langen Zeitraum keine
  59. Straftaten begangen hat, dies ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten sein kann (vgl. BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27); denn sie hat das prognoserelevante Verhalten des Angeklagten in
  60. dem der Hauptverhandlung vorausgegangenen Zeitraum ab Februar 2004 nicht
  61. in dem gebotenen Umfang bei der Gefährlichkeitsprognose berücksichtigt. Zwar
  62. verkennt das Landgericht nicht, dass sich der Angeklagte in der Zeit zwischen
  63. Februar 2004 und Januar 2006 beanstandungsfrei gehalten hat. Nicht berücksichtigt hat es aber in diesem Zusammenhang die beanstandungsfreie Zeit seit
  64. Begehung der letzten Tat vom 30. September 2006, so dass es an einer gesamtwürdigenden Auseinandersetzung mit dem Verhalten des Angeklagten in
  65. dem für die Gefährlichkeitsprognose besonders aussagekräftigen Zeitraum von
  66. über zehn Monaten vor dem Beginn der Hauptverhandlung fehlt. Eine eingehende Erörterung namentlich auch des Verhaltens des Angeklagten nach der
  67. letzten Tatbegehung war hier insbesondere deshalb geboten, weil seine Taten
  68. überwiegend dem Bereich der Kleinkriminalität und allenfalls in den Fällen II 4.
  69. und 9. dem Bereich mittelschwerer Kriminalität zuzuordnen sind (vgl. BGHR
  70. StGB § 63 Gefährlichkeit 16).
  71. -5-
  72. 6
  73. 2. Über die Unterbringungsanordnung ist deshalb neu zu befinden. Die
  74. rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden
  75. von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen
  76. bleiben (§ 349 Abs. 2, § 353 Abs. 2 StPO). Dies schließt ergänzende Feststellungen, die zu den bisher getroffenen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
  77. RiBGH von Lienen ist erkrankt
  78. und daher gehindert zu unterschreiben.
  79. Becker
  80. Miebach
  81. Sost-Scheible
  82. Becker
  83. Schäfer