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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 203/14
  5. vom
  6. 21. August 2014
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. August
  12. 2014, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Becker,
  15. die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Pfister,
  17. Hubert,
  18. Mayer,
  19. Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Dr. Spaniol
  21. als beisitzende Richter,
  22. Staatsanwältin
  23. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Verteidiger,
  26. Justizamtsinspektor
  27. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 8. November
  31. 2013 werden verworfen.
  32. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
  33. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die
  34. dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
  35. fallen der Staatskasse zur Last.
  36. Von Rechts wegen
  37. Gründe:
  38. 1
  39. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, auf den
  40. Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten beanstandet,
  41. das Landgericht habe rechtsfehlerhaft eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat verneint (§ 21 StGB) und zu Unrecht von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen (§ 64
  42. StGB). Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte, ebenfalls auf die Rüge
  43. der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft
  44. erstrebt dessen Verurteilung wegen Mordes (§ 211 StGB). Das Landgericht
  45. habe zu Unrecht sowohl das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht als auch
  46. -4-
  47. das der niedrigen Beweggründe verneint. Beide Rechtsmittel bleiben ohne Erfolg.
  48. 2
  49. I. Die Revision der Staatsanwaltschaft
  50. 3
  51. 1. Nach den Feststellungen waren der 28-jährige, der rechten Szene zuzurechnende Angeklagte und die 23-jährige Mitangeklagte eng befreundet und
  52. hatten zueinander ein "Bruder-Schwester-Verhältnis" entwickelt. Der Angeklagte wusste, dass die Beziehungen der Mitangeklagten zu ihrem Vater, dem späteren Tatopfer L.
  53. , seit Jahren zerrüttet waren. Aus ihren wiederholt ge-
  54. schilderten, sie quälenden bild- und bruchstückhaften Erinnerungen schloss er,
  55. dass L.
  56. die Mitangeklagte als Kind sexuell missbraucht haben müsse.
  57. Dies brachte ihn nicht nur als deren "Beschützer" gegen L.
  58. auf, sondern
  59. auch wegen seiner Aversion gegen "Kinderschänder", für die er die Todesstrafe
  60. befürwortete.
  61. 4
  62. Am Abend des 30. September 2012 kehrte der Angeklagte nach mehrwöchiger beruflicher Abwesenheit mit der Bahn an seinen Wohnort zurück. Von
  63. unterwegs bat er die Mitangeklagte, ihn am Bahnhof abzuholen, und eröffnete
  64. ihr, er habe für sie "ein einmaliges, nur heute gültiges Angebot". Die Mitangeklagte begleitete den Angeklagten in seine Wohnung. Im Verlauf eines Gesprächs über die Lebenssituation der in psychotherapeutischer Behandlung
  65. befindlichen Mitangeklagten präzisierte der Angeklagte sein "Angebot" dahin, er
  66. werde L.
  67. aufsuchen, um die Frage eines möglichen sexuellen Miss-
  68. brauchs "ein für alle Mal zu klären". Hierzu solle sie ihn in ihrem Pkw an dessen
  69. etwa 25 km entfernten Wohnort bringen. Die Mitangeklagte zögerte zunächst,
  70. auf den Hinweis des Angeklagten, er könne auch auf andere Weise dorthin gelangen, willigte sie schließlich ein.
  71. -5-
  72. 5
  73. Die Mitangeklagte ließ den Angeklagten gegen 22.30 Uhr auf Höhe des
  74. Nachbargrundstücks aussteigen und parkte ihren Pkw etwa 50 m von
  75. L.
  76. s Wohnhaus entfernt an zuvor verabredeter Stelle. Der Angeklagte
  77. überstieg das verschlossen geglaubte Hoftor des Anwesens, klopfte an der
  78. Haustür und gab sich als Freund der Tochter zu erkennen, worauf L.
  79. ihn
  80. einließ. Vom Angeklagten nunmehr mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs der Tochter konfrontiert, reagierte L.
  81. aggressiv und versuchte,
  82. den Angeklagten aus dem Haus zu drängen. Hierauf zog der Angeklagte seine
  83. mitgeführten Schlaghandschuhe mit verstärktem Handrückenbereich über und
  84. schlug L.
  85. wiederholt wuchtig mit der Faust ins Gesicht, so dass dieser
  86. zu Boden ging und regungslos liegen blieb. Anschließend versetzte er
  87. L.
  88. mit den getragenen, durch Innenkappen aus Stahl verstärkten Schu-
  89. hen mehrere Fußtritte in die Seite. Den Tod des Opfers nahm er bei seinem
  90. Handeln billigend in Kauf.
  91. 6
  92. In der Annahme, L.
  93. damit noch keine tödlichen Verletzungen
  94. beigebracht zu haben, verließ der Angeklagte sodann das Haus, begab sich zur
  95. Mitangeklagten und stellte ihr die Frage, ob sie ihren Vater "noch einmal sehen"
  96. wolle. Als die Mitangeklagte dies mit den Worten verneinte "Nee, definitiv
  97. nicht", kündigte er ihr an, er werde "die Sache jetzt klären". Er begab sich erneut zum Anwesen von L.
  98. , überstieg nochmals das Hoftor, drang in das
  99. Haus ein und nahm in der Küche ein Brotmesser mit etwa 20 cm langer Klinge
  100. an sich, um den weiterhin reglos Daliegenden nun durch einen Stich in die
  101. Brust zu töten. Zwei erste Stiche rutschten ab, beim dritten, nun wuchtig geführten Stich drang das Messer auf volle Klingenlänge ein und perforierte u.a. den
  102. Herzbeutel und die rechte Herzkammer. L.
  103. an Verbluten.
  104. verstarb kurze Zeit danach
  105. -6-
  106. 7
  107. 2. Soweit das Landgericht danach die Tatbestandsmerkmale des Mordes
  108. (§ 211 Abs. 2 StGB) verneint und den Angeklagten des Totschlags (§ 212
  109. StGB) schuldig gesprochen hat, weist die dem zugrunde liegende Würdigung
  110. der Beweise entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
  111. 8
  112. a) Dass bei dem tödlichen Messerstich nicht die Absicht des Angeklagten handlungsleitend war, seine Ermittlung als Täter der vorangegangenen
  113. Misshandlungen zu verhindern, schließt das Landgericht zum einen aus seinen
  114. Worten gegenüber der Mitangeklagten, er werde "die Sache jetzt klären", was
  115. vor dem Hintergrund des Tatgeschehens offensichtlich auf den die Mitangeklagte erheblich belastenden mutmaßlichen sexuellen Missbrauch durch das
  116. Tatopfer bezogen war. Zum anderen mussten entsprechende Überlegungen
  117. des Angeklagten schon deshalb nicht nahe liegend erscheinen, weil er ohne
  118. Weiteres damit rechnen musste, dass L.
  119. noch vor seiner Rückkehr aus
  120. der Bewusstlosigkeit erwacht und geeignete Maßnahmen ergreift. Nicht übersehen hat das Landgericht, dass der Angeklagte sich (zunächst) bei seiner Beschuldigtenvernehmung am 26. Februar 2013 dahin eingelassen hatte, er habe
  121. L.
  122. getötet, weil dieser ihn hätte wieder erkennen können. Es hat dieser
  123. Einlassung deshalb keinen entscheidenden Beweiswert zugemessen, weil sie
  124. - mit den Feststellungen im Übrigen objektiv unvereinbar - die Rückkehr zur
  125. Mitangeklagten vor dem Einsatz des Messers verschwieg und so offensichtlich
  126. von der Absicht getragen war, diese, wie nach der Tat verabredet, "aus der
  127. Sache rauszuhalten".
  128. 9
  129. Dagegen ist nichts zu erinnern. Der Senat kann deshalb offen lassen, ob
  130. das kurzzeitige Verlassen des Tatorts und der anschließende Wechsel des
  131. Tatmittels das Geschehen in einer Weise unterbrachen, welche die bereits von
  132. -7-
  133. Tötungsvorsatz getragenen Schläge und Tritte als eine zur Verdeckung geeignete "andere Straftat" im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB erscheinen lassen (vgl.
  134. BGH, Urteil vom 6. November 1984 - 1 StR 593/84, NStZ 1985, 167).
  135. 10
  136. b) Auch die Erwägungen, aufgrund deren das Landgericht niedrige Beweggründe des Angeklagten verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
  137. Das Landgericht hat sich mit den denkbaren Tatmotiven des Angeklagten hinreichend auseinandergesetzt und konnte danach nicht ausschließen, dass sein
  138. Tatentschluss vorrangig getragen war von einer Verärgerung über die fehlende
  139. Reue und Gesprächsbereitschaft L.
  140. s in Bezug auf dessen (mutmaßli-
  141. ches) die Mitangeklagte erheblich belastendes Vorverhalten. Zwar würdigt das
  142. Landgericht in diesem Zusammenhang nicht mehr ausdrücklich auch die zuvor
  143. als ein "gewisses Indiz" gegen die Verdeckungsabsicht gewertete Äußerung
  144. des Angeklagten gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen, er habe
  145. sich durch die Tat als "Richter" aufgespielt. Der Senat schließt jedoch aus, dass
  146. dem Landgericht dieser Umstand aus dem Blick geraten war, denn es erwägt
  147. jedenfalls auch die Möglichkeit, dass der Angeklagte gehandelt hat, um
  148. L.
  149. 11
  150. zu bestrafen.
  151. 3. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, das Landgericht habe es unterlassen, bei der Gewichtung der dem Messerstich vorausgehenden Misshandlungen die Schläge mit den verstärkten Handschuhen unter dem Gesichtspunkt
  152. der Tatbegehung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2
  153. StGB) zu würdigen, schließt der Senat aus, dass hierauf der Strafausspruch
  154. zum Vorteil des Angeklagten beruht. Das Landgericht hat innerhalb des rechtsfehlerfrei angenommenen einheitlichen Tatgeschehens schon wegen der Fußtritte die qualifizierenden Merkmale sowohl des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB als
  155. auch des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB bejaht und bei der Bemessung der Strafe die
  156. -8-
  157. Verwirklichung des zurücktretenden Tatbestandes und die Brutalität des Vorgehens berücksichtigt.
  158. 12
  159. 4. Auch im Übrigen deckt die Überprüfung des Urteils auf die von der
  160. Beschwerdeführerin erhobene Sachrüge keinen Rechtsfehler zugunsten oder
  161. zulasten (§ 301 StPO) des Angeklagten auf.
  162. 13
  163. II. Die Revision des Angeklagten
  164. 14
  165. 1. Soweit sich das Rechtsmittel des Angeklagten gegen den Strafausspruch richtet, ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
  166. 15
  167. 2. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge, das Landgericht habe zu Unrecht
  168. von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen. Sachverständig beraten hat das Landgericht
  169. -9-
  170. jedenfalls einen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem (möglichen) Alkoholmissbrauch des Angeklagten und der Tat verneint, denn es hat
  171. sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass diese in der vom Angeklagten eingenommenen Beschützerrolle gegenüber der Mitangeklagten und in seiner
  172. Aversion gegen "Kinderschänder" wurzelt.
  173. VRiBGH Becker ist wegen
  174. Urlaubs gehindert, seine
  175. Unterschrift beizufügen.
  176. Pfister
  177. Mayer
  178. Pfister
  179. Hubert
  180. Spaniol