Monotone Arbeit nervt!
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

261 lines
14 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 572/16
  4. vom
  5. 27. Juni 2017
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen besonders schweren Raubes u.a.
  9. ECLI:DE:BGH:2017:270617B2STR572.16.0
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 4
  12. StPO beschlossen:
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  14. Darmstadt vom 29. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
  15. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  16. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  17. des Landgerichts zurückverwiesen.
  18. Gründe:
  19. 1
  20. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von
  21. zehn Jahren verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen
  22. und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.
  23. I.
  24. 2
  25. Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte mit einem unbekannt gebliebenen Mittäter unmaskiert und unter Verwendung von Handschuhen am „4. Juli 2017“ (richtig: 4. Juli 2014) gegen 21.00 Uhr zum Anwesen des
  26. Metallhändlers K.
  27. in O.
  28. , um dort einzubrechen und „Bargeld und
  29. -3-
  30. Schmuck“ zu entwenden. Über ein vergittertes Kellerfenster gelangten der Angeklagte und sein Mittäter in das Innere des Gebäudes und begaben sich in die
  31. im ersten Obergeschoss des Anwesens gelegene Wohnung des Geschädigten.
  32. Als der Geschädigte die Täter in der Wohnung überraschte, fassten diese den
  33. Entschluss, ihn nunmehr mit Gewalt zur Preisgabe des Aufbewahrungsorts von
  34. Bargeld und Schmuck zu bewegen.
  35. 3
  36. In Ausführung dieses Tatentschlusses traten sie von hinten an den inzwischen in den Flur der Wohnung getretenen Geschädigten heran, packten ihn
  37. gemeinsam an Nacken und Hals und drückten ihn zu Boden. Einer der Täter
  38. fixierte den sich heftig wehrenden Geschädigten am Boden, während der andere Täter mit der Faust auf den Kopf des Tatopfers einschlug und ihm zahlreiche
  39. heftige Tritte versetzte, die diesen an Kopf, Oberkörper und in der Nierengegend trafen. Um unerkannt zu bleiben, zog einer der Täter die Kapuze seiner
  40. Jacke ins Gesicht, während der andere Täter seinen Kopf mit einem Handtuch
  41. bedeckte. Einer der Täter holte nunmehr ein langes Fleischermesser mit einer
  42. Klingenlänge von rund 30 Zentimetern aus der Küche, hielt es dem Geschädigten unmittelbar an den Hals und forderte ihn auf, anzugeben, wo er Bargeld und
  43. „den Schmuck seiner Mutter“ aufbewahre. Unter dem Eindruck dieser Drohung
  44. erklärte der Geschädigte, dass sich das Bargeld in einer Tragetasche in einem
  45. anderen Zimmer befinde. Der Angeklagte und sein unbekannt gebliebener Mittäter „legten dann viele Decken auf den Geschädigten, sodass er kaum noch
  46. Luft bekam“; einer der Täter suchte erfolglos nach der Tasche mit Bargeld. Als
  47. er zurückkam, schlugen und traten beide Täter erneut auf den Geschädigten
  48. ein und würgten ihn schließlich mit einer Krawatte. Anschließend wickelten sie
  49. ihn fest in Decken, fesselten ihn an Händen und Füßen mit Stromkabeln und
  50. Krawatten und schlugen ihm wiederholt mit einem viereckigen Gegenstand auf
  51. den Kopf, wodurch der Geschädigte das Bewusstsein verlor. Nachdem sie
  52. schließlich die vom Geschädigten beschriebene Tragetasche mit einer Geld-
  53. -4-
  54. kassette, in der sich ein Bargeldbetrag in Höhe von 5.500 Euro befand, gefunden und an sich genommen hatten, versprühten sie aus einem Feuerlöscher
  55. Löschschaum in der Wohnung, um ihre Spuren zu verwischen. Anschließend
  56. schraubten sie die in der Wohnung angebrachten Rauchmelder ab, legten diese
  57. und den Feuerlöscher in der Badewanne ab und verließen die Wohnung mit der
  58. Beute. Der durch die Tat verursachte Sachschaden belief sich auf rund
  59. 15.000 Euro.
  60. 4
  61. Dem Geschädigten gelang es, sich zu befreien und Hilfe zu holen. Er
  62. wurde in ein Krankenhaus eingeliefert und zunächst auf der Intensivstation aufgenommen; dort wurde festgestellt, dass er eine Rippenserienfraktur (Bruch der
  63. 7. bis 11. Rippe links), einen Pneumothorax links, ein ausgedehntes Weichteilund Mediastinalemphysem, ein Monokelhämatom links sowie eine Trommelfellverletzung links, eine Augapfelverletzung sowie eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Sein Gehör ist dauerhaft geschädigt.
  64. II.
  65. 5
  66. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die tatrichterliche Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
  67. 6
  68. 1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten entscheidend auf eine DNA-Spur gestützt, die „an“ (UA S. 24) bzw.
  69. „auf“ (UA S. 14 und 34) einer am Tatort aufgefundenen abgerissenen Fingerkuppe eines (Arbeits-)Handschuhs gesichert worden ist. Die insoweit angestellten Beweiserwägungen sind nicht nachvollziehbar und lückenhaft.
  70. -5-
  71. 7
  72. a) Ausweislich der Beweiserwägungen ist am Tatort „auf dem Feuerlöschpulver“ die abgerissene Fingerkuppe eines Handschuhs sichergestellt
  73. worden; nähere Einzelheiten zu Art, Material und Beschaffenheit des Handschuhfragments sowie sein genauer Auffindeort sind nicht mitgeteilt. „Auf dieser
  74. Fingerkuppe“, so das Landgericht, sei eine Mischspur gesichert worden, die
  75. „von mehreren Personen mit deutlich unterschiedlichen Spurenanteilsmengen
  76. verursacht“ worden sei. Angaben dazu, wie viele Personen als Verursacher
  77. dieser Mischspur in Betracht kommen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Der
  78. Geschädigte K.
  79. sei, so das Landgericht, als „Verursacher des dominie-
  80. renden Spurenanteils „in Betracht zu ziehen“. Die DNA-Merkmale des Angeklagten seien durchgehend in sechzehn voneinander unabhängigen DNAMerkmalssystemen in dieser Mischspur festgestellt worden. Der Angeklagte sei
  81. somit „als Verursacher eines Spurenanteils dieser Mischspur in Betracht zu ziehen, keinesfalls aber auszuschließen“. Die Ausschlusswahrscheinlichkeit betrage 99,9999985 %; in einer Gruppe von 60 Millionen zufällig ausgewählten Personen sei mithin eine Person zu erwarten, die als Mitverursacher der Mischspur
  82. in Betracht komme. Es sei daher sehr unwahrscheinlich, dass eine andere Person als der Angeklagte rein zufällig „als Spurenleger nicht ausgeschlossen werden“ könne. Daraus hat das Landgericht den Schluss gezogen, dass sich die
  83. DNA des Angeklagten „auf“ dem Handschuhfragment befunden habe; hierin hat
  84. es ein den Angeklagten zentral belastendes Indiz gesehen.
  85. 8
  86. b) Diese Beweiserwägungen sind unklar und lückenhaft.
  87. 9
  88. aa) Die Ausführungen zur Lage der Spur an dem Handschuhfragment
  89. sind unklar. In den Sachverhaltsfeststellungen ist festgehalten, dass sich DNAMaterial des Angeklagten „auf“ (UA S. 14) der sichergestellten Fingerkuppe befunden habe; im Rahmen der Beweiswürdigung wird mitgeteilt, dass DNAMaterial auf bzw. „an“ der Handschuhfingerkuppe sichergestellt worden sei (UA
  90. -6-
  91. S. 25). Demgegenüber gibt das Urteil den Inhalt der in der Hauptverhandlung
  92. verlesenen beiden molekulargenetischen Gutachten des Hessischen Landeskriminalamts dahin wieder, dass zwei Stellen der Innenseite der Handschuhfingerkuppe ausgeschnitten und untersucht worden seien; an einer der beiden
  93. Stellen der Handschuhfingerkuppe sei eine Mischspur gesichert worden, die
  94. „von mehreren Personen mit deutlich unterschiedlichen Spurenanteilsmengen“
  95. verursacht worden sei. Aufgrund der nachgewiesenen DNA-Merkmale sei „der
  96. Geschädigte K.
  97. als Verursacher des dominierenden Spurenanteils dieser
  98. Mischspur in Betracht zu ziehen.“ Dass es sich bei den Angaben zur Lage der
  99. Mischspur an der Außenseite des Handschuhfragments lediglich um ein
  100. Schreibversehen handelt, erscheint zweifelhaft; denn das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte die Handschuhe zum Tatort mitgebracht hat
  101. (vgl. UA S. 11). Diese Annahme lässt sich nicht ohne Weiteres mit dem weiteren Befund vereinbaren, dass der Geschädigte K.
  102. als Hauptspurenverur-
  103. sacher der an der Innenseite der Handschuhfingerkuppe gesicherten Mischspur
  104. in Betracht zu ziehen ist. Mit der Annahme einer „auf“ dem Handschuh gesicherten Spur ließe sich dieses Ergebnis jedoch zwanglos vereinbaren.
  105. 10
  106. bb) Darüber hinaus genügen die Darlegungen in den Urteilsgründen
  107. auch im Übrigen den insoweit bestehenden Anforderungen nicht.
  108. 11
  109. (1) Das Tatgericht hat in Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen
  110. des Gutachters so darzulegen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die
  111. Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die
  112. Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des
  113. täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st.
  114. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 21. Juli 2016 – 2 StR 383/15, juris Rn. 35).
  115. -7-
  116. 12
  117. (2) Die Darstellung der Ergebnisse einer auf einer molekulargenetischen
  118. Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist so
  119. auszugestalten, dass die Wahrscheinlichkeitsberechnung für das Revisionsgericht nachvollziehbar ist. Insoweit ist es in Fällen, die keine Besonderheiten in
  120. der forensischen Fragestellung aufweisen, ausreichend, wenn der Tatrichter in
  121. den Urteilsgründen mitteilt, wie viele Systeme untersucht worden sind, ob und
  122. inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben und mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination
  123. bei einer weiteren Person zu erwarten ist (BGH, Beschluss vom 12. April 2016
  124. – 4 StR 18/16; Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 1 StR 364/14, NStZ-RR
  125. 2015, 87, 88; Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454, 2455;
  126. zum Erfordernis der Angabe, ob die untersuchten Merkmale unabhängig voneinander vererbbar sind vgl. nunmehr BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR
  127. 439/13, NStZ 2014, 477).
  128. 13
  129. Für die Darstellung der Bewertung von Mischspuren, also von Spuren,
  130. die mehr als zwei Allele in einem DNA-System aufweisen, können jedoch je
  131. nach den Umständen des konkreten Einzelfalls strengere Anforderungen gelten
  132. (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2016 – 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016,
  133. 118, 119). Dabei wird sich regelmäßig die Angabe empfehlen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen und um welchen Typ von Mischspur es
  134. sich handelt (vgl. Senat, Beschluss vom 16. November 2016 – 2 StR 141/16,
  135. NStZ-RR 2017, 91, 92; zur Spurenqualität und zur Bedeutung der Anzahl der
  136. Spurenverursacher Ulbrich u.a., Gemeinsame Empfehlungen der Projektgruppe
  137. „Biostatistische DNA-Berechnungen“ und der Spurenkommission zur Biostatistischen Bewertung von DNA-analytischen Befunden, NStZ 2017, 135, 136; zur
  138. Klassifikation von Mischspuren Schneider u.a., NStZ 2007, 447).
  139. -8-
  140. 14
  141. (3) Hieran fehlt es. Das Landgericht hat sich auf die Mitteilung beschränkt, dass die DNA-Merkmale des Angeklagten „durchgehend in sechzehn
  142. voneinander unabhängigen DNA-Merkmalsystemen in dieser Mischspur festgestellt“ worden seien. Den tatrichterlichen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, wie viele Spurenverursacher in Betracht kommen. Die Formulierung, dass
  143. „mehrere Personen mit deutlich unterschiedlichen Spurenanteilsmengen“ diese
  144. Mischspur verursacht haben, deutet darauf hin, dass es sich um eine Mischspur
  145. jedenfalls mit mehr als zwei Spurenverursachern handelt.
  146. 15
  147. cc) Schließlich lässt sich die vom Landgericht aus der Spurenlage gezogene Folgerung, dass die an dem Fingerkuppenfragment des Handschuhs gesicherte Spur DNA des Angeklagten enthalte, aus der Nichtausschließbarkeit
  148. einer Spurenverursachung nicht herleiten (vgl. Senat, Beschluss vom
  149. 16. November 2016 – 2 StR 141/16, NStZ-RR 2017, 91, 92; vgl. auch die Empfehlungen der Spurenkommission NStZ 2017, 135).
  150. 16
  151. 2. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das Urteil auf diesen
  152. Darlegungsmängeln beruht. Zwar hat die Strafkammer weitere Beweisanzeichen für die Täterschaft des Angeklagten herangezogen; sie hat diesen weiteren Beweisanzeichen aber gegenüber der DNA-Spur eine nur untergeordnete
  153. Bedeutung beigemessen. Hinzu tritt, dass auch die weiteren Beweiserwägungen rechtlich nicht unbedenklich erscheinen:
  154. 17
  155. a) Soweit das Landgericht angenommen hat, dass der „biostatistische
  156. Befund“ durch die Angaben des Zeugen D.
  157. gestützt werde, der davon be-
  158. richtete, die Tochter des Angeklagten habe ihm erzählt, dass dieser „bei einem
  159. Raubzug Schmuck erbeutet“ habe, erschließt sich nicht, wie dies die Annahme
  160. der Täterschaft des Angeklagten stützen könnte. Denn ausweislich der Feststel-
  161. -9-
  162. lungen ist bei der verfahrensgegenständlichen Tat kein Schmuck, sondern nur
  163. Bargeld erbeutet worden.
  164. 18
  165. b) Soweit der Tatrichter die „genetische Spurenlage“ durch die Angaben
  166. des Zeugen H.
  167. erhärtet sieht, begegnet auch diese Erwägung rechtlichen
  168. Bedenken. Der Tatrichter hat die Aussage des Zeugen H.
  169. hinsichtlich der aus
  170. den Telefonüberwachungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse dahin wiedergegeben, dass die Tochter des Angeklagten „ganz eindeutig über die Tat
  171. gesprochen habe“. Die Beweiserwägungen geben jedoch den die Wertung des
  172. Polizeibeamten tragenden tatsächlichen Gesprächsinhalt nicht wieder und sind
  173. daher nicht nachvollziehbar.
  174. 19
  175. Zwar hat das Landgericht als ein weiteres, den Angeklagten belastendes
  176. Indiz berücksichtigt, dass einer der Täter den anderen Täter während der Tatausführung nach den glaubhaften Angaben des Geschädigten mit „S.
  177. angesprochen hat und der Angeklagte – wie er selbst eingeräumt hat – von
  178. Freunden „S. “ genannt wird. Gleichwohl vermag der Senat ein Beruhen
  179. des Urteils auf den Darlegungsmängeln nicht sicher auszuschließen.
  180. - 10 -
  181. 20
  182. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
  183. Appl
  184. Eschelbach
  185. Grube
  186. Bartel
  187. RiBGH Schmidt ist
  188. wegen Urlaubs an der
  189. Unterschrift gehindert.
  190. Appl