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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 523/11
  4. vom
  5. 28. Dezember 2011
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. 1.
  9. 2.
  10. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
  11. nicht geringer Menge u.a.
  12. -2-
  13. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 28. Dezember 2011 gemäß
  14. § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
  15. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
  16. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  17. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  18. des Landgerichts zurückverwiesen.
  19. Gründe:
  20. 1
  21. Das Landgericht hat die Angeklagte C.
  22. W.
  23. wegen Handeltrei-
  24. bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von
  25. zehn Jahren verurteilt. Den Angeklagten K.
  26. W.
  27. hat es wegen Beihilfe
  28. hierzu zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und
  29. die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben mit der Sachrüge Erfolg.
  30. 2
  31. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts boten unbekannt gebliebene Hintermänner zunächst einem Bekannten der Angeklagten C.
  32. W.
  33. ,
  34. -3-
  35. dem Zeugen S.
  36. , an, 1 bis 1,5 kg Kokain für einen Lohn von etwa
  37. 5000 US-Dollar von Venezuela nach Europa zu transportieren. Nachdem dieser
  38. abgelehnt hatte, kontaktierten die Hintermänner die Angeklagte. Diese erklärte
  39. sich zur Durchführung eines Transports bereit, drängte jedoch auf eine Erhöhung auf 5 kg Kokain sowie auf eine freie Gestaltung des Transports und selbständige Organisation. Die Angeklagte beabsichtigte, den Transport auf dem
  40. Luftweg von Porlamar (Venezuela) über Frankfurt am Main nach Prag durchzuführen. In diesen Tatplan weihte sie ihren Sohn, den Angeklagten K.
  41. W.
  42. , ein und überredete ihn, um unauffälliger zu wirken, sie zu begleiten. Die
  43. insgesamt vier Koffer beider Angeklagten, in denen sich verteilt die mit Drogen
  44. präparierten 61 Jeanshosen befanden, checkte die Angeklagte am Tag des
  45. gemeinsamen Abfluges auf ihren Namen bis Prag ein. Bei der Kontrolle des
  46. Transitgepäcks beider Angeklagter am Frankfurter Flughafen am 27. März 2010
  47. wurden - eingearbeitet in die Jeanshosen - 5.040,3 Gramm Kokain mit einem
  48. Wirkstoffgehalt von 2.785 Gramm aufgefunden.
  49. 3
  50. 2. Die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung der
  51. Kammer hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen
  52. Überprüfung unterliegt aber, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen
  53. sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder
  54. lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238; 2005, 147; NJW 2006, 925,
  55. 928). Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
  56. 4
  57. a) Die Anknüpfungstatsachen, die die Kammer der täterschaftlichen Verurteilung der Angeklagten C.
  58. W.
  59. zugrunde gelegt hat, sind in den
  60. Urteilsgründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Namentlich die Annahme der
  61. Kammer, die Angeklagte habe für den Drogentransport "verbesserte" Konditio-
  62. -4-
  63. nen, insbesondere eine vollkommen freie Gestaltung und selbständige Organisation mit den Hintermännern ausgehandelt (UA S. 9), beruht auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.
  64. 5
  65. Rechtsfehlerfrei sind die Feststellungen der Kammer dahingehend, dass
  66. die den Tatvorwurf bestreitende und von einem Komplott ausgehende Angeklagte den Drogentransport über Frankfurt am Main nach Prag durchführen
  67. wollte. Die Kammer hat aber darüber hinaus ausgeschlossen, dass die sehr
  68. selbstbewusste Angeklagte, die es gewohnt sei, eher zu fordern und Aufträge
  69. zu erteilen, sich zu einem typischen, niederrangigen Kurierdienst hätte verpflichten lassen (UA S. 26), ohne sich mit der an anderer Stelle festgestellten
  70. zugespitzten finanziellen Lage der Angeklagten auseinanderzusetzen, obgleich
  71. diese finanzielle Misere zur Tatzeit dringenden Handlungsbedarf gebot und
  72. letztlich Tatanlass war (UA S. 4, 79). Auch die daran anknüpfende Annahme
  73. der Kammer, die Angeklagte habe gegenüber ihren Hintermännern zur Maximierung ihres Profits auf eine Erhöhung der Liefermenge auf 5 kg sowie auf
  74. eine vollkommen freie Gestaltung und selbständige Organisation des Drogentransports gedrängt, beruht auf einer lückenhaft gebliebenen Beweiswürdigung.
  75. Die Kammer hat dies zum einen daraus geschlossen, dass dem Zeugen
  76. S.
  77. der Transport zunächst noch zu anderen Modalitäten angeboten
  78. worden war. Dabei hat sie aber nicht bedacht, dass die Hintermänner dem
  79. Zeugen S.
  80. nicht nur den Transport von 1 bis 1,5 kg Kokain nach
  81. London, sondern zuvor auch den Transport von 100 kg in den Libanon angeboten hatten, die Hintermänner also nicht nur mit einem Ziel oder mit einer bestimmten Menge handelten, weshalb die insoweit veränderten Bedingungen
  82. ebenso gut auf die Hintermänner zurückgehen konnten. Zum anderen aber hat
  83. die Kammer angenommen, dass sich die Hintermänner auf die Bedingungen
  84. der Angeklagten einließen, weil sie diese von einer Reise kannten, die der Zeuge S.
  85. zur Anbahnung des (später gescheiterten) 100 kg Transports in
  86. -5-
  87. Begleitung der Angeklagten in den Libanon unternommen hatte, und ihr daher
  88. vertrauten (UA S. 10, 27). Hierbei hat die Kammer nicht gewogen, dass die fordernde Art der Angeklagten zu einem Konflikt mit den Hintermännern und ihrer
  89. vorzeitigen Abreise geführt hatte (UA S. 26). Schließlich beruht auch die Wertung der Kammer, die Angeklagte sei in der Gestaltung ihrer Reiseroute frei
  90. gewesen, auf lückenhaften Erwägungen. Die Kammer hat dies aus dem nach
  91. der Festnahme der Angeklagten erteilten Suchauftrag der Hintermänner geschlossen, der nur Sinn mache, wenn die Hintermänner über ihre Reiseroute
  92. nicht informiert waren (UA S. 27). Mit der nahe liegenden Möglichkeit, dass die
  93. Hintermänner die Angeklagte suchten, weil sie von deren Festnahme in
  94. Frankfurt am Main überrascht und darüber nicht informiert worden waren, hat
  95. sich die Kammer nicht auseinandergesetzt.
  96. 6
  97. b) Die Annahme der Kammer, der Angeklagte K.
  98. W.
  99. sei von
  100. seiner Mutter vor Reiseantritt über den Drogentransport informiert worden und
  101. habe diese bzw. deren Hintermänner durch seine Reisebegleitung unterstützen
  102. wollen, beruht auf lückenhaft gebliebenen und widersprüchlichen Erwägungen.
  103. 7
  104. Der Angeklagte hat den Tatvorwurf bestritten und gegenüber dem Ermittlungsrichter lediglich angegeben, die Reise sei ein Geburtstagsgeschenk seiner
  105. Mutter gewesen. Er habe dieser seine Kleidung für die Reise schon am Tag vor
  106. der Abreise übergeben. Als er sich mit seiner Mutter am Flughafen getroffen
  107. habe, habe sie das gesamte Gepäck bereits eingecheckt gehabt. Die Kammer
  108. hat diese Einlassung als widerlegt angesehen und zunächst darauf abgestellt,
  109. dass nach allgemeiner Lebenserfahrung kaum eine Mutter dem eigenen Sohn
  110. in dessen völliger Unkenntnis eine derart große Menge an Drogen unterschieben würde (UA S. 25). Dabei hat sie aber nicht bedacht, dass - entgegen der
  111. allgemeinen Lebenserfahrung - der Angeklagten C.
  112. ihres Sohnes erkennbar gleichgültig war (UA S. 35).
  113. W.
  114. das Schicksal
  115. -6-
  116. 8
  117. Auch die tragende Erwägung der Kammer, die Angeklagte habe ihren
  118. Sohn schon deshalb vor Reiseantritt informieren müssen, um bei der routinemäßigen Durchsuchung des Gepäcks eine möglicherweise unbesonnene Reaktion des Sohnes auf die zahlreichen in seinen Koffern befindlichen Jeanshosen
  119. zu vermeiden, ist nicht frei von Widersprüchen. Die Kammer hat sich insoweit
  120. auf die "routinemäßigen" und strengen Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen
  121. Porlamar gestützt, die vorsahen, dass das Gepäck aller Passagiere unmittelbar
  122. nach dem Check-In in deren Beisein geöffnet und durchsucht würde. Sie hat an
  123. dieser Stelle aber übersehen, dass nach Angaben des Zeugen H.
  124. , auf
  125. die die Kammer ihre Feststellungen zu den Sicherheitsvorkehrungen uneingeschränkt gestützt hat, diese Kontrollen "oftmals" und "in welcher Weise auch
  126. immer", insbesondere durch Bestechung von Mitarbeitern am Flughafen, umgangen werden (UA S. 24). Eine Auseinandersetzung damit lag umso näher,
  127. als die Kammer selbst erwogen hat, dass vorliegend Mitarbeiter der Guarda
  128. Civil bestochen wurden (UA S. 12). Vor diesem Hintergrund durfte sie nicht ohne weiteres aus der üblichen, vorgeschriebenen Form der Durchsuchung
  129. Schlüsse zum Nachteil des Angeklagten ziehen.
  130. 9
  131. Aus demselben Grund trägt auch nicht die weitere Erwägung des Landgerichts, beide Angeklagten müssten die mit Drogen gefüllten Koffer zusammen
  132. eingecheckt und der Angeklagte müsse die hohe Anzahl von Jeanshosen in
  133. seinen Koffern spätestens bei der Durchsuchung seines Gepäcks wahrgenommen haben.
  134. 10
  135. 3. Die Tat bedarf demnach insgesamt neuer Aufklärung und Bewertung.
  136. -7-
  137. Fischer
  138. Appl
  139. Eschelbach
  140. Schmitt
  141. Ott