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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 438/15
  5. vom
  6. 27. Januar 2016
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
  10. ECLI:DE:BGH:2016:270116U2STR438.15.0
  11. -2-
  12. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar
  13. 2016, an der teilgenommen haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Prof. Dr. Fischer,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Dr. Appl,
  18. Dr. Eschelbach,
  19. die Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Dr. Ott,
  21. der Richter am Bundesgerichtshof
  22. Zeng,
  23. Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
  24. als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
  25. Rechtsanwalt
  26. als Verteidiger,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  32. Landgerichts Frankfurt am Main vom 27. März 2015 mit den
  33. Feststellungen aufgehoben; jedoch bleibt die Adhäsionsentscheidung bestehen.
  34. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  35. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  36. Von Rechts wegen
  37. Gründe:
  38. 1
  39. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es den Angeklagten
  40. verurteilt, an die Nebenklägerin 5000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. März 2015 zu zahlen. Die dage-
  41. -4-
  42. gen gerichtete auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat
  43. den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.
  44. I.
  45. 2
  46. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich die Nebenklägerin am frühen Morgen des 30. August 2014 in die Wohnung des Angeklagten,
  47. um dort gegen Entgelt mit ihm den Geschlechtsverkehr auszuüben. Nach erfolgtem einvernehmlichen Verkehr gestattete ihr der Angeklagte, sich bei ihm
  48. auszuschlafen, woraufhin sich die Nebenklägerin im unbekleideten Zustand auf
  49. eine Matratze im Wohnzimmer legte. Gegen 14 Uhr wurde sie wach, weil der
  50. Angeklagte laut im Zimmer herumschrie. Er beschimpfte die Nebenklägerin, die
  51. sich bedroht fühlte und daher überprüfte, ob sie die Wohnung verlassen könnte.
  52. Da die Tür verschlossen und der Schlüssel nicht zu sehen war, bat sie den Angeklagten, sie gehen zu lassen. Dieser beschimpfte sie jedoch weiter und entgegnete, sie müsse zwei Tage in der Wohnung bleiben; er werde sie „durchficken“. Sodann umfasste er mit beiden Händen ihren Hals und würgte sie so fest
  53. und lange, dass sie in akute Lebensgefahr geriet. Da es der Nebenklägerin gelang, den Angeklagten wegzustoßen, schlug er sie mehrfach mit der Faust ins
  54. Gesicht und auf den Kopf. Weil sie weitere Schläge befürchtete, gab sie ihre
  55. Gegenwehr schließlich auf und führte weinend den oralen und vaginalen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten durch. Der Angeklagte beschimpfte sie
  56. weiterhin und fügte ihr mit einer brennenden Zigarette mehrere Brandverletzungen im Bereich des Dekolleté zu.
  57. 3
  58. Als der Angeklagte von der Nebenklägerin abließ, gestattete er ihr, auf
  59. dem Balkon frische Luft zu schnappen. Dort rief sie sogleich laut um Hilfe, weshalb der Angeklagte auf ihren Rücken einschlug und vergeblich versuchte, sie
  60. -5-
  61. in die Wohnung zurück zu ziehen. Anschließend versuchte er, ein Feuerzeug
  62. an ihrem Schambereich zu entzünden, was ebenfalls nicht gelang. Daraufhin
  63. verschloss er die Tür von innen. Die Nebenklägerin wurde gegen 14.30 Uhr von
  64. Polizeibeamten, die Nachbarn herbeigerufen hatten, befreit.
  65. 4
  66. 2. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen des Geschehens in der
  67. Wohnung wegen besonders schwerer Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 4
  68. Nr. 1 und 2b) StGB in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 223 StGB und
  69. wegen des Geschehens auf dem Balkon wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 22, 23, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit Körperverletzung gemäß § 223 StGB verurteilt.
  70. II.
  71. 5
  72. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat weitgehend Erfolg. Der
  73. Schuldspruch des angefochtenen Urteils weist mehrere Rechtsfehler zugunsten
  74. der Angeklagten auf. Die Strafkammer hat den Unrechtsgehalt der von ihr festgestellten Taten nicht ausgeschöpft und ist ihrer Kognitionspflicht nicht nachgekommen.
  75. 6
  76. 1. Das Landgericht hat es unterlassen, das Geschehen in der Wohnung
  77. und auf dem Balkon unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Geiselnahme
  78. (§ 239b Abs. 1 StGB) zu würdigen.
  79. 7
  80. Durch das Verschließen der Wohnung hat der Angeklagte die andauernde physische Herrschaft über die Geschädigte erlangt und sich bereits insoweit
  81. ihrer bemächtigt im Sinne des § 239b Abs. 1 StGB (vgl. Schönke/Schröder,
  82. StGB, 29. Aufl., § 239a Rn. 7). Nach den Feststellungen liegt es auch nahe,
  83. dass mit dem bis zum Eintritt akuter Lebensgefahr erfolgtem langen und festen
  84. -6-
  85. Würgen der Geschädigten konkludent eine Drohung mit dem Tod einherging
  86. (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 27. Mai 2014 - 2 StR 606/13, NStZ 2014,
  87. 515). Es wäre daher zu erörtern gewesen, ob die durch das Verschließen der
  88. Wohnung geschaffene Beherrschungslage zum Zeitpunkt dieser qualifizierten
  89. Drohung bereits eine „gewisse Stabilisierung“ erfahren und sich daher „eine
  90. weitergehende Drucksituation auf das Opfer gerade auch aus der stabilen Bemächtigungslage ergeben“ hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Februar 2014 - 4
  91. StR 522/13; Beschluss vom 9. September 2015 - 4 StR 184/15, NStZ-RR 2015,
  92. 336, 337). Dafür spricht, dass der Angeklagte nicht nur die Wohnung verschlossen hatte, sondern die Geschädigte, die dies bemerkt hatte und sich bedroht
  93. fühlte, weiter beschimpfte und ihr entgegnete, sie müsse nun zwei Tage in der
  94. Wohnung bleiben und ihm für sexuelle Handlungen zur Verfügung stehen.
  95. 8
  96. Sollte der Angeklagte die Bemächtigungslage nicht bereits geschaffen
  97. haben, um die Geschädigte durch eine qualifizierte Drohung zu nötigen, so liegt
  98. es nach den Feststellungen zum weiteren Tatablauf nahe, dass er die stabilisierte Bemächtigungslage insoweit ausnutzte.
  99. 9
  100. 2. Ungeachtet dessen kommt im Hinblick auf die Tatgeschehen in der
  101. Wohnung und auf dem Balkon bereits nach den getroffenen Feststellungen jeweils auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Freiheitsberaubung nach
  102. § 239 Abs. 1 StGB in Betracht. Dies hat das Landgericht erkennbar übersehen.
  103. 10
  104. 3. Was das Tatgeschehen in der Wohnung betrifft, war die tateinheitliche
  105. Verurteilung nur wegen (einfacher) Körperverletzung rechtsfehlerhaft. Zwar ist
  106. das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die durch das Würgen der
  107. Geschädigten erfüllte Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB durch § 177
  108. Abs. 4 Nr. 2 Buchst. b StGB verdrängt wird (vgl. zu § 250 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b
  109. StGB: BGH, Beschluss vom 12. August 2005 - 2 StR 317/05, NStZ 2006, 449).
  110. -7-
  111. Der Angeklagte war jedoch tateinheitlich wegen gefährlicher Körperverletzung
  112. gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu verurteilen, da die Verletzungen mit der
  113. brennenden Zigarette von der Verwirklichung des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht
  114. umfasst werden (vgl. zu § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB: BGH, Urteil vom 20. Oktober
  115. 2010 - 2 StR 434/10, NStZ-RR 2011, 87, 88).
  116. 11
  117. 4. Auch im Hinblick auf den nur für die Strafzumessung relevanten
  118. Schuldumfang hat das Landgericht den Unrechtsgehalt der festgestellten Taten
  119. nicht ausgeschöpft, denn nach den Feststellungen kommt auch das Vorliegen
  120. des Qualifikationsmerkmals der schweren körperlichen Misshandlung im Sinne
  121. des § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchst. a StGB in Betracht. Ausreichend dafür ist es,
  122. dass die körperliche Integrität des Opfers „bei der Tat“ in einer Weise verletzt
  123. wird, die mit erheblichen Schmerzen verbunden ist (BGH, Urteil vom
  124. 9. Dezember 2014 - 5 StR 422/14, NStZ 2015, 152, 153); dies könnte jedenfalls
  125. im Hinblick auf die der Geschädigten zugefügten Brandwunden der Fall sein.
  126. 12
  127. Soweit die Revision rügt, die Strafkammer habe nicht erkennbar bedacht,
  128. dass der Angeklagte die weitere Tatvariante der Vergewaltigung in § 177 Abs. 1
  129. Nr. 3 StGB erfüllt haben könnte, weist der Senat auf dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hin (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 2008 - 2 StR 517/08, NStZ 2009, 207; BGH, Beschluss vom 26. Oktober
  130. - 4 StR 397/10; Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 580/10, NStZ 2011,
  131. 274; Beschluss vom 10. Mai 2011 - 3 StR 78/11, NStZ 2012, 34; vgl. Fischer,
  132. StGB, 63. Aufl., § 177 Rn. 45a).
  133. 13
  134. 5. Die zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhafte rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts führt - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52,
  135. 96, 97) - zur Aufhebung des Urteils. Eine Schuldspruchänderung kam nicht in
  136. -8-
  137. Betracht, denn die bisherigen Feststellungen reichen nicht aus, um dem Senat
  138. eine eigene Entscheidung insbesondere im Hinblick auf eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239b Abs. 1 StGB zu ermöglichen. Sollten die
  139. Voraussetzungen für eine Verurteilung festgestellt werden können, käme - unter
  140. Verdrängung der Freiheitsberaubung - wegen der Klammerwirkung des § 239b
  141. StGB die Annahme von Tateinheit im Hinblick auf das gesamte Tatgeschehen
  142. in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 - 2 StR 453/10, NStZ-RR
  143. 2011, 142, 143).
  144. 14
  145. Dies führt zur Aufhebung des gesamten Schuldspruchs auch soweit der
  146. Angeklagte rechtsfehlerfrei wegen besonders schwerer Vergewaltigung bzw.
  147. versuchter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung
  148. verurteilt worden ist.
  149. Fischer
  150. Appl
  151. Ott
  152. Eschelbach
  153. Zeng